Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzschutz bei Konkursverschleppung
Leitsatz (redaktionell)
Der Geschäftsführer einer GmbH, der es unterläßt, bei Überschuldung der Gesellschaft einen Konkursantrag zu stellen, verliert damit noch nicht den Insolvenzschutz für eine erst später unverfallbar gewordene Versorgungsanwartschaft.
Normenkette
BetrAVG § 7 Abs. 1 S. 3 Nr. 1, Abs. 2, 5; BGB §§ 162, 242, 826; GmbHG § 64; HGB §§ 177a, 130a
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 13.02.1990; Aktenzeichen 3 Sa 1097/89) |
ArbG Köln (Urteil vom 23.08.1989; Aktenzeichen 10 Ca 6275/88) |
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 13. Februar 1990 – 3 Sa 1097/89 – in der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als es die Berufung des Beklagten hinsichtlich seiner Einstandspflicht für die Versorgungsverbesserung in dem Vertrag vom 30. Januar 1983 zurückgewiesen hat.
2. Insoweit wird die Klage unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 23. August 1989 – 10 Ca 6275/88 – abgewiesen.
3. Die weitergehende Berufung und Revision werden zurückgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3 zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der beklagte Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) dem Kläger Insolvenzschutz für eine Versorgungsanwartschaft leisten muß. Der Beklagte wehrt sich gegen die Annahme, die Versorgungsanwartschaft des Klägers sei unverfallbar geworden und wendet Versicherungsmißbrauch ein.
Der Kläger, geboren am 3. Januar 1944, trat am 1. September 1970 in ein Arbeitsverhältnis zu der Elektrofirma Friedrich K in Köln. Zum 1. Januar 1972 wurde das Unternehmen in die Elektro Friedrich K GmbH & Co. KG umgewandelt. Komplementärin wurde die Friedrich K Verwaltungs-GmbH, zu deren Geschäftsführer u.a. der Kläger unter Fortführung des zu der GmbH & Co. KG bestehenden Arbeitsverhältnisses bestellt wurde (§ 1 Nr. 2 des Geschäftsführervertrags vom 2. Januar 1972). Zugleich erhielt der Kläger von der GmbH & Co. KG eine Ruhegeldzusage (§ 3 des Vertrags). Seit 1975 war der Kläger alleiniger Geschäftsführer der GmbH. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1978 wurde er als Geschäftsführer abberufen. Er war weiter bis zum 31. Dezember 1982 als Arbeitnehmer der GmbH & Co. KG tätig. In einem später mit dem Kläger geschlossenen Vertrag vom 30. Januar 1983 heißt es hierzu:
„Herr W K scheidet aus der Firma Elektro Friedrich K GmbH & Co. KG zum 31.12.82 aufgrund der seitens des Betriebs ausgesprochenen Kündigung vom 30.9.82 aus. Gemäß § 3 des Anstellungsvertrages vom 2.1.72 steht Herrn K ein Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung zu. Herr K ist länger als 10 Jahre in unserem Unternehmen …”
Zugleich wurde eine Anpassung der Anwartschaft an die gestiegenen Lebenshaltungskosten vereinbart. Dazu ist in dem Vertrag bestimmt:
„Die Firma Elektro Friedrich K GmbH & Co. KG verpflichtet sich, Herrn K diese Rente zu zahlen. Grundlage hierfür ist das Gehalt unter Berücksichtigung der zu erwartenden Steigerungen in den nächsten Jahren. Aus diesem Grunde wird die folgende Anpassung vereinbart. Unter Berücksichtigung des jetzigen Gehaltes müßte eine Pension in Höhe von mtl. DM 3.000,– gezahlt werden. Diese Pension von heute DM 3.000,– wird den Steigerungen der Lebenshaltungskosten angepaßt. Grundlage hierfür ist der Lebenshaltungskostenindex für einen Arbeitnehmerhaushalt mit 4 Personen im Bundesgebiet. Die Pension erhöht sich bis zur Auszahlung so, wie sich der Lebenshaltungskostenindex auf der Basis vom 1.1.83 bis zur Auszahlung bzw. Fälligkeit der Rente erhöht. …”
Am 16. Juli 1984 beantragten die GmbH & Co. KG sowie die Komplementär-GmbH die Eröffnung des Konkursverfahrens. Beide Anträge wurden von der Ehefrau des Klägers gestellt, die zu dieser Zeit Geschäftsführerin war. Die Anträge wurden durch Beschlüsse des Amtsgerichts Bonn vom 27. September 1984 und 10. Oktober 1984 mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgelehnt.
In der Folgezeit verlangte der Kläger vom beklagten PSV vergeblich die Anerkennung einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft aufgrund der Zusage vom 2. Januar 1972. Der PSV machte geltend, der Kläger habe als der seinerzeit verantwortliche Geschäftsführer die Eröffnung des Konkursverfahrens verschleppt. Beide Gesellschaften seien schon Ende des Jahres 1977 überschuldet gewesen. Der Kläger habe spätestens bis zum 31. März 1978 eine die Überschuldung offenlegende Bilanz vorlegen müssen. Durch die Verzögerung des unabwendbaren Konkursantrags bis in das Jahr 1984 sei erst die Unverfallbarkeit eingetreten. Dagegen wehrt sich der Kläger mit der Feststellungsklage.
Der Kläger hat vorgetragen, die Gesellschaft sei weder Ende des Jahres 1977 noch Ende des Jahres 1978 überschuldet gewesen. Den bilanzierten Verlusten hätten nicht ausgewiesene Sicherheiten und stille Reserven gegenübergestanden. Dessen ungeachtet könne sich der Beklagte nicht darauf berufen, daß der Geschäftsführer einer GmbH gegebenenfalls zur Stellung eines Konkursantrags verpflichtet sei; die Antragspflicht des Geschäftsführers diene dem Gläubigerschutz, der PSV könne aber Gesellschaftsgläubiger erst infolge der Stellung eines Konkursantrags werden. Zudem könne keine Rede davon sein, daß eine gebotene Antragstellung unterblieben sei, um die Unverfallbarkeit seiner Versorgungsanwartschaft zu erreichen. Schließlich habe das Unternehmen noch bis in die zweite Hälfte des Jahres 1974 floriert. Zur Zahlungseinstellung sei es nur deshalb gekommen, weil, wie sich nachträglich herausgestellt habe, die IKK Bonn die Gesellschaft mit einer sofort fälligen unberechtigten Forderung von 400.000,– DM überzogen habe.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß der Beklagte bei Eintritt eines Versorgungsfalles Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach der ihm unter dem 2. Januar 1972 durch die vormalige Firma Elektro Friedrich K GmbH & Co. KG erteilten und mit Vertrag vom 30. Januar 1983 ergänzten Versorgungszusage zu leisten verpflichtet sei.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat an seiner Auffassung festgehalten, daß der Kläger schon 1978 als Geschäftsführer die Eröffnung des Konkursverfahrens hätte beantragen müssen. Die Überschuldung lasse sich der Bilanz für das Jahr 1978 entnehmen. Die vom Kläger und seiner Ehefrau abgegebenen Bürgschaftserklärungen nebst Rangrücktrittserklärungen hätten die Schuldenlast der Gesellschaft nicht beseitigt. Das Vorhandensein stiller Reserven und ausreichender nichtbilanzierter Vermögenswerte sei zu bestreiten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nur teilweise begründet.
I. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BetrAVG hat der PSV einzustehen für Versorgungsanwartschaften, die bei Ablehnung eines Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse unverfallbar sind. Eine Versorgungsanwartschaft wird unverfallbar, wenn der Arbeitnehmer das 35. Lebensjahr vollendet hat und die Versorgungszusage mindestens 10 Jahre bestanden hat. Diese Voraussetzungen hat der Kläger erfüllt.
Die Versorgungszusage wurde dem Kläger am 2. Januar 1972 von der GmbH & Co. KG erteilt. Die Zusage bestand bis zum Ausscheiden des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis am 31. Dezember 1982 länger als zehn Jahre. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt 38 Jahre alt. Die Anwartschaft des Klägers war damit unverfallbar geworden.
II. Der Einwand des Beklagten, das Begehren des Klägers sei rechtsmißbräuchlich, ist unbegründet.
1. Der Beklagte vertritt die Auffassung, der Geschäftsführer einer GmbH und der organschaftlich handelnde Vertreter einer GmbH & Co. KG, der es pflichtwidrig unterlasse, rechtzeitig einen Konkursantrag wegen Überschuldung der Gesellschaft zu stellen (§ 64 GmbHG, §§ 177 a, 130 a HGB), mache sich gegenüber den Gesellschaftsgläubigern schadenersatzpflichtig. Führe der Geschäftsführer den Sicherungsfall des Konkurses verspätet herbei, so bestehe die Schadenersatzpflicht auch im Verhältnis zum PSV. Verlange in einem solchen Fall der Geschäftsführer Versicherungsschutz für eine Versorgungszusage, so müsse er sich so stellen lassen, als hätte er rechtzeitig den gebotenen Konkursantrag gestellt. Im Streitfall wäre demgemäß bei einem pflichtgemäßen Verhalten des Klägers die Versorgungsanwartschaft nicht unverfallbar geworden. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Der PSV verkennt den Umfang der Schadenersatzpflicht, die den Geschäftsführer einer GmbH treffen kann, wenn er es schuldhaft versäumt hat, rechtzeitig einen Konkursantrag zu stellen.
a) Es trifft zu, daß ein Verstoß gegen die Konkursantragspflicht den Geschäftsführer einer GmbH oder den organschaftlichen Vertreter einer GmbH & Co. KG zum Schadenersatz verpflichten kann (§ 823 Abs. 2 BGB in Verb. mit § 64 GmbHG oder §§ 177 a, 130 a HGB). Die Vorschriften über die Konkursantragspflicht knüpfen daran an, daß die Haftungsmasse der GmbH beschränkt ist. Das Gesetz soll verhindern, daß das zur Befriedigung der Gläubiger erforderliche Gesellschaftsvermögen den Gläubigern durch eine verzögerte Konkursantragstellung entzogen oder verkürzt wird. Die Gläubiger sollen von einer Verringerung ihrer Befriedigungsaussichten im Konkurs bewahrt werden. Allein diesem Zweck entsprechend ist den Gläubigern Ersatz für eine Verringerung ihrer Quote infolge verspäteter Antragstellung zuzubilligen (sogenannter Quotenschaden). Daraus folgt, daß für den Ersatz eines Schadens, der nicht in der Quotenverringerung besteht, kein Raum ist. Der Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG erstreckt sich nicht auf Schäden, die sich aus dem bloßen Fortbestand der Gesellschaft ergeben, etwa in Gestalt des Verlusts von Aussonderungsrechten oder durch eine Kredtigewährung an die schon überschuldete Gesellschaft (ständige Rechtsprechung des BGH seit BGHZ 29, 100; vgl. zuletzt BGH Urteil vom 3. Februar 1987 – VI ZR 268/85 – BB 1987, 994 und 1006, m.w.N.; aus der Literatur vgl. Bartel/Henkes/Schlarb, GmbH-Recht, 3. Aufl., § 64 GmbHG Rz 883; Rowedder-Rowedder, GmbHG, 1. Aufl., § 64 RZ 24). Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an.
b) Der Anspruch, dessen sich der Beklagte gegen den Kläger berühmt, betrifft keinen „Quotenschaden” im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Es mag zutreffen, daß der PSV, seinem Vortrag zufolge, im Falle eines im Jahre 1978 eröffneten Konkursverfahrens eine Quote hätte erreichen können, während er nunmehr keinerlei Ansprüche gegen die masselosen Gesellschaften durchsetzen kann. Der Eintritt der Unverfallbarkeit der Anwartschaft des Klägers ist jedoch ein anderer Schaden, der, wie der Beklagte selbst vorträgt, gar nicht eingetreten wäre, also allenfalls die Quote in einem nach Eintritt der Unverfallbarkeit durchgeführten Konkursverfahren hätte beeinflussen können.
2. Der Beklagte kann dem Kläger auch nicht den allgemeinen Arglisteinwand entgegenhalten (§§ 162, 242, 826 BGB). Anhaltspunkte für eine solche Annahme haben die Vorinstanzen, abgesehen von der vom Beklagten behaupteten Konkursverschleppung, nicht festgestellt. Allein aus einer Konkursverschleppung läßt sich jedoch nicht auf ein gezielt gegen den Beklagten gerichtetes Handeln schließen. Es ist dem Kläger nicht verwehrt, sich darauf zu berufen, daß er die zum Eintritt der Unverfallbarkeit erforderliche Zusagedauer erreicht hat. Es liegt fern anzunehmen, der Kläger habe in 1977 den Konkursantrag nicht gestellt, um im Jahre 1982 die Unverfallbarkeit seiner Versorgungsanwartschaft und damit den Beginn der gesetzlichen Insolvenzsicherung zu erreichen (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 7. August 1975 – 3 AZR 12/75 – AP Nr. 10 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Unverfallbarkeit).
3. Die Eintrittspflicht des Beklagten ist damit nach § 7 Abs. 5 BetrAVG zu beurteilen. Insoweit ist der Auffassung des Berufungsgerichts im Ergebnis zu folgen.
Keiner der in § 7 Abs. 5 BetrAVG geregelten Tatbestände trifft unmittelbar auf den Fall der Konkursverschleppung und der daraus für die Versorgungszusage folgenden Verbesserungen zu.
a) Es gibt keine Anhaltspunkte für die Annahme, es sei der alleinige oder überwiegende Zweck der Versorgungszusage aus dem Jahre 1972 gewesen, den Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung in Anspruch zu nehmen (§ 7 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG). Eine solche Annahme läßt sich auch nicht „nach den Umständen des Falles” begründen. Solche Umstände, insbesondere ein arglistiges Zusammenwirken mit dem Ziel der Inanspruchnahme des Beklagten, sind nicht ersichtlich.
b) Die gesetzliche Vermutung, die Nichterfüllung der Zusage oder deren Verbesserung sei wegen der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers „nicht zu erwarten” gewesen, greift ebenfalls nicht ein (§ 7 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG). Diese Vermutung ist widerlegbar (BAGE 60, 228, 236 = AP Nr. 21 zu § 16 BetrAVG, m.w.N.; BAG Urteil vom 26. Juni 1990 – 3 AZR 641/88 – AP Nr. 11 zu § 1 BetrAVG Lebensversicherung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Seit der dem Kläger vorgeworfenen Handlung, der Konkursverschleppung um die Jahreswende 1977/78 bis zur Stellung des Konkursantrages am 16. Juli 1984 vergingen noch rund 6 1/2 Jahre, seit dem Ausscheiden des Klägers als Geschäftsführer am 30. September 1978 noch rund 5 1/2 Jahre. Angesichts dessen kann nicht angenommen werden, die behauptete Konkursverschleppung habe dazu gedient, die Versorgungslast auf den Beklagten abzuwälzen (vgl. auch hierzu die vorstehend genannten Urteile des Senats). Seit dem 1. Oktober 1978 war der Kläger nicht mehr Geschäftsführer.
III. Der Kläger kann allerdings keinen Insolvenzschutz verlangen, soweit seine Versorgungszusage vom 2. Januar 1972 durch den Vertrag vom 30. Januar 1983 verbessert und eine Anpassung der Anwartschaft an die Steigerungen der Lebenshaltungskosten vereinbart wurde. In diesem Umfang ist die Revision des Beklagten begründet.
Der Beklagte haftet nach § 7 in Verbindung mit § 1 BetrAVG nur für solche unverfallbaren Versorgungsanwartschaften, die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber aus Anlaß eines Arbeitsverhältnisses zugesagt worden sind. Eine solche Zusage kann dem Arbeitnehmer zwar auch noch anläßlich seines Ausscheidens erteilt werden. Zur Zeit des Abschlusses des Vertrags vom 30. Januar 1983 war der Kläger jedoch bereits aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, er war nicht mehr Arbeitnehmer der späteren Gemeinschuldnerin. Da der Beklagte schon in der Vorinstanz das Fortbestehen eines Arbeitsverhältnisses für die Zeit nach der Ablösung des Klägers als Geschäftsführer bestritten hat, wäre es Sache des Klägers gewesen, einen Zusammenhang der Zusage vom 30. Januar 1983 mit dem späteren am 31. Dezember 1982 beendeten Arbeitsverhältnis darzutun. Daran fehlt es. Ohne weitere Anhaltspunkte läßt sich ein solcher Zusammenhang nicht annehmen.
Unterschriften
Griebeling, Dr. Wittek, Dr. Rost, Otto, Mattes, Dr. Schwarze
Fundstellen