Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablösung des Liquidationsrechts eines Chefarztes
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 611, 242, 611 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 26.09.1989; Aktenzeichen 8 Sa 630/88) |
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 15.03.1988; Aktenzeichen 1 Ca 6488/87) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 26. September 1989 – 8 Sa 630/88 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger einen finanziellen Ausgleich dafür zu gewähren, daß er ab 1. Oktober 1984 ein Liquidationsrecht für die anästhesiologische Behandlung von Kassenpatienten auf der Belegstation (HNO-Abteilung) nicht mehr ausüben kann.
Der Kläger ist seit dem 1. Februar 1966 als Leiter der Anästhesieabteilung (Dienstbezeichnung: Chefarzt) im J. – Krankenhaus in H., dessen Träger die Beklagte ist, tätig. Im Dienstvertrag der Parteien vom 7. Juli 1970 (im folgenden kurz DV) heißt es unter anderem wie folgt:
§ 3
Dienstaufgaben, Rechte und Pflichten des Chefarztes
- Dem Chefarzt obliegt die Beratung und Behandlung der stationären Kranken aller Abteilungen des Krankenhauses, soweit sein Fachgebiet berührt wird.
Zu seinen fachlichen Aufgaben gehört – in Zusammenarbeit mit den anderen leitenden Ärzten – insbesondere:
- die praeoperative, operative und postoperative anästhesiologische Betreuung der Patienten aller operativen Abteilungen,
- die Behandlung bzw. Mitbehandlung aller Fälle außerhalb des operativen Bereiches, soweit das Fachgebiet der Anästhesie berührt wird (wie Wiederbelebung, Dauerbeatmung, Dauerschlafbehandlung, Behandlung von Vergiftungen, Tetanus, Schockzustände usw.),
- die ärztliche und organisatorische Leitung der allen Abteilungen des Krankenhauses zur Verfügung stehenden Intensivpflege-Einheit.
…
§ 5
Finanzielle Regelung
- Der Chefarzt erhält für seine Tätigkeit im dienstlichen Aufgabenbereich eine Vergütung der Gruppe I a BAT in der jeweils gültigen Fassung einschl. der tariflichen Zuschläge.
- Dem Chefarzt steht das Liquidationsrecht zu für die ärztlichen Leistungen (nebst Arzthonorar bei ärztlichen Sachleistungen) bei der stationären Behandlung von Selbstzahlern in der 1. und 2. Pflegeklasse und unter Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs in der 3. Pflegeklasse sowie bei der stationären Behandlung von Unfallverletzten, sofern die Zustimmung der Berufsgenossenschaften vorliegt.
- Bei der Bemessung des ärztlichen Honorars nach Absatz 2 hat der Chefarzt zu berücksichtigen:
…
d) daß die Sachkosten unmittelbar vom Krankenhausträger in Rechnung gestellt werden.
…
5. Erhält der Chefarzt (z.B. im Durchgangsarztverfahren) Vergütungen von ärztlichen und sachlichen Leistungen, so hat er dem Krankenhaus die Sachkosten nach den jeweils gültigen Sätzen zu erstatten. Die Abrechnung erfolgt vierteljährlich. Näheres kann durch eine Zusatzvereinbarung geregelt werden.
§ 6
Ambulanz, Gutachten, Konsilium
1. Dem Chefarzt wird das Recht eingeräumt:
a) Selbstzahler und Kassenpatienten im Rahmen seines Fachgebietes ambulant zu beraten und zu behandeln,
…
2. Für die unter Abs. 1 aufgeführten Tätigkeiten steht dem Chefarzt das Liquidationsrecht zu.
§ 7
Unkostenerstattung
1. Der Chefarzt hat dem Krankenhausträger die durch seine liquidationsberechtigte Tätigkeit entstehenden Unkosten zu erstatten.
…
§ 12
Versicherungsklausel
- Der Krankenhausträger hat das Recht, sachlich gebotene organisatorische Änderungen im Einvernehmen mit dem Chefarzt und dem leitenden Chefarzt des Krankenhauses vorzunehmen.
- Werden durch solche organisatorische Maßnahmen die Vertragsgrundlagen für den Chefarzt wesentlich beeinträchtigt, so sind die hierdurch berührten Vertragsbestimmungen, insbesondere die finanziellen Bestimmungen, unter Wahrung der Vertragstreue neu zu regeln.
§ 14
Änderungen und Nichtigkeit
1. Änderungen und Ergänzungen des Vertrages bedürfen der Schriftform. Mündliche Nebenabreden sind nichtig. Durch eine vom Vertragstext abweichende tatsächliche Übung werden Rechte und Pflichten nicht begründet.
…
Bei Eintritt des Klägers bestand im Krankenhaus eine HNO-Belegabteilung des Facharztes Dr. M. mit 19 Betten. Ab 1. Oktober 1978 standen dem neuen Belegarzt (Dr. N.) nur noch zehn Betten zur Verfügung. Mit Verträgen vom 29. August 1972 und vom 27. März 1973 wurde der Kläger von der Kassenärztlichen Vereinigung N. zur Durchführung von stationären Anästhesieleistungen auf den Belegabteilungen ermächtigt. Die Verträge liefen am 30. September 1984 aufgrund einer Kündigung der Kassenärztlichen Vereinigung aus. Seither ist die gesonderte Liquidationsmöglichkeit auf der HNO-Belegabteilung für den Kläger entfallen. Der Kläger erbringt jedoch seine Leistungen weiter. Er hat von der Beklagten mehrfach eine Anpassung seiner Vergütung nach Wegfall seiner Liquidationsmöglichkeit verlangt. Die Beklagte hat dies jedoch abgelehnt. Mit seiner Klage begehrt der Kläger Ausgleichszahlungen für vergangene und künftige Zeiten.
Der Kläger hat vorgetragen, er habe seit 1972 in vermehrtem Umfang Anästhesieleistungen für stationär behandelte Kassenpatienten auf der HNO-Belegabteilung erbringen müssen. Das Recht zur Liquidation auf der HNO-Belegabteilung sei – unbeschadet der Schriftformklausel in § 14 Abs. 1 Satz 2 DV – konkludent zum Inhalt des Dienstvertrages geworden als finanzielle Gegenleistung für die von ihm zusätzlich erbrachten Leistungen. Das für die arbeitsvertragliche Berechtigung zur Liquidation erforderliche Einverständnis des Arbeitgebers habe die Beklagte ihm zumindest stillschweigend durch Duldung seiner Liquidation erteilt, so daß sich die Vertragsbeziehungen der Parteien gegenüber dem Wortlaut des Dienstvertrages durch stillschweigendes Verhalten geändert hätten. Die jahrelange Handhabung könne man nicht als außerhalb der Vertragsbeziehungen liegend bewerten. Die Regelung einer Pauschalabgabe von seinen Liquidationseinnahmen sei im Dienstvertrag unterblieben, weil er seinerseits gegenüber der Verwaltung auf ein Vorzimmer und auf eine Sekretärin verzichtet habe.
Wegen des Wegfalls der Liquidationsbefugnis stünden die vereinbarten Leistungen nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zueinander. Daher sei die Beklagte verpflichtet, ihm einen finanziellen Ausgleich aus dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB) zu gewähren.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm
110.461,65 DM nebst 4 % Zinsen aus 2.832,35 DM jeweils ab dem 1. eines Monats in der Zeit vom 1. Oktober 1984 bis 31. Dezember 1987
sowie
- 2.832,35 DM monatlich ab dem 1. Januar 1988 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, nur das in § 5 Abs. 2 DV niedergelegte Liquidationsrecht bei Selbstzahlern sei Vertragsbestandteil. Die Behandlung der Kassenpatienten auf der HNO-Belegabteilung sei Vertragspflicht des Klägers. Sie werde durch sein Gehalt abgegolten. Der Ansicht des Klägers zur Vertragsänderung stehe die Schriftformklausel entgegen, auf deren Einhaltung sie nicht verzichtet habe. Im übrigen habe der Kläger auch keine Einkommensverluste hinnehmen müssen, da er besonders durch die ständige Erhöhung der Stellenzahl im Bereich der Anästhesie ein höheres Einkommen habe erzielen können.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der der Kläger sein Klageziel weiter verfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Dem Kläger steht ein Ausgleich für den Wegfall der Liquidationsmöglichkeit auf der HNO-Belegabteilung nicht zu.
I. Nach dem Urteil des Senats vom 4. Mai 1983 kann der in einem Krankenhaus angestellte Chefarzt für Anästhesie vom Krankenhausträger nach Treu und Glauben wegen Änderung der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB) Vertragsanpassung in Gestalt eines angemessenen Ausgleichs verlangen, wenn er das ihm vertraglich eingeräumte Liquidationsrecht für Leistungen im Belegarztbereich gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung nach Änderung des Rechts der Pflegekosten nicht mehr ausüben kann. Zur Begründung hat der Senat im wesentlichen ausgeführt, der betroffene Chefarzt brauche das aus der Gesetzesänderung folgende finanzielle Risiko nicht allein zu tragen, wenn das Liquidationsrecht Bestandteil seiner vertraglichen Vergütung und damit Teil der Geschäftsgrundlage des Arbeitsvertrages gewesen sei (BAGE 42, 336, 345 ff. = AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arzt-Krankenhaus-Vertrag, zu I 3 und 4 der Gründe).
Diese Rechtsauffassung hat der Senat in verschiedenen weiteren Entscheidungen bekräftigt, z.B. in den nicht veröffentlichten Urteilen vom 8. April 1987 – 5 AZR 121/86 – und vom 17. Februar 1988 – 5 AZR 575/86 –. Auch in diesen Fällen war der Chefarzt vertraglich verpflichtet, anästhesiologische Leistungen auf den Belegabteilungen zu erbringen. Dafür war ihm entweder ausdrücklich ein Liquidationsrecht eingeräumt worden (5 AZR 121/86) oder die Parteien waren bei der Regelung der Bezüge des Chefarztes von Einkünften auf der Belegabteilung ausgegangen (5 AZR 575/86). Im letzten Falle hatte der Krankenhausträger zudem über zehn Jahre hinweg bestimmte Vomhundertsätze von den Liquidationserlösen des Klägers auf der Belegabteilung sich auszahlen lassen für die Benutzung seiner Einrichtungen und für die Zurverfügungstellung ärztlicher und sonstiger Hilfskräfte. Besonders aus dem letztgenannten Umstand hat der Senat geschlossen, der Krankenhausträger habe stillschweigend sein Einverständnis mit dem Liquidationsverfahren des Klägers erklärt. Das habe wiederum zu einer stillschweigenden Änderung des Arbeitsvertrages geführt, so daß die vom Kläger erzielten Liquidationserlöse zum Bestandteil der geschuldeten Vergütung und damit zur Geschäftsgrundlage des Vertrages geworden seien.
II. Die Überlegungen des Senats in den oben genannten Urteilen hat das Landesarbeitsgericht bei seiner Rechtsfindung sorgfältig berücksichtigt. Es hat dann aber im Streitfall gegenüber den früheren Fallgestaltungen erhebliche Unterschiede im Tatsächlichen gefunden. Es hat festgestellt, die anästhesiologische Behandlung von stationären Kassenpatienten auf der HNO-Belegabteilung habe von Anfang an zu den vertraglich vereinbarten dienstlichen Aufgaben des Klägers gehört. Dagegen sei ein hieraus resultierendes Liquidationsrecht nicht Bestandteil der vertraglich vereinbarten Vergütung des Klägers gewesen. Weiter hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Rechtsbeziehungen der Parteien hätten sich gegenüber dem Wortlaut des Dienstvertrages nicht durch späteres stillschweigendes Verhalten der Parteien geändert. Die Beklagte habe sich keinen Anteil an den Liquidationserlösen des Klägers für die Benutzung ihrer Einrichtungen und für die Zurverfügungstellung ärztlicher und sonstiger Hilfskräfte auszahlen lassen. Zwar habe die Beklagte gewußt, daß der Kläger gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung aufgrund der ihm erteilten Ermächtigungen liquidiert habe, insoweit habe sie dem Kläger jedoch nur eine Chance für eine weitere Verdienstmöglichkeit eingeräumt. Indem die Beklagte geduldet habe, daß der Kläger aufgrund der ihm erteilten Ermächtigungen liquidierte, habe sie die dabei erzielten Erlöse jedoch nicht zum Bestandteil der vertraglichen Vergütung des Klägers gemacht.
Die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind mangels durchgreifender Verfahrensrügen für den Senat bindent (§ 561 Abs. 2 ZPO). Die daraus vom Landesarbeitsgericht gezogenen Schlußfolgerungen rechtlicher Art sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
III. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf wesentliche tatsächliche Unterschiede des Streitfalles gegenüber früher entschiedenen Fällen hingewiesen. Zwar erlegt § 3 des Dienstvertrages der Parteien dem Kläger als Dienstaufgabe die anästhesiologische Betreuung der Patienten aller operativen Abteilungen auf, d.h. also auch der Patienten auf den Belegabteilungen, ein besonderes Liquidationsrecht für die Belegabteilungen ist dem Kläger im Vertrag demgegenüber nicht eingeräumt worden. § 5 Nr. 2 DV sieht zwar ein Liquidationsrecht des Klägers für bestimmte Bereiche vor, hierzu gehören aber nicht die Belegabteilungen. Daraus kann nur gefolgert werden, daß die Leistungen des Klägers auf der HNO-Belegabteilung mit dem in § 5 Nr. 1 DV vereinbarten Gehalt abgegolten sein sollten.
Wenn der Kläger aufgrund der ihm in den Jahren 1972 und 1973 erteilten Liquidationsermächtigungen später für seine anästhesiologischen Leistungen auf der HNO-Belegabteilung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung liquidierte und die Beklagte dieses Verhalten duldete, so hat sich für die Beklagte hieraus keinerlei neue Verpflichtung gegenüber dem mit dem Kläger abgeschlossenen Dienstvertrag ergeben. Insbesondere hat die Beklagte über die reine Duldung des Liquidationsverhaltens des Klägers hinaus nichts unternommen, was zu einer Erweiterung ihrer vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Kläger hätte führen können. So hat sie keinerlei Anteile an den Liquidationserlösen des Klägers auf der Belegabteilung für sich in Anspruch genommen. Selbst wenn dies entsprechend der Behauptung der Klägers im Vertrag der Parteien vom 7. Juli 1970 für die vertraglich vereinbarten Liquidationsrechte des Klägers gegenüber Privatpatienten deswegen unterblieben sein sollte, weil der Kläger auf ein Vorzimmer mit Sekretärin verzichtet hat, so könnten diese Umstände für den Streitfall keine Bedeutung erlangen. Denn der Kläger hat besondere Liquidationserlöse auf der HNO-Beiegabteilung erst nach den Jahren 1972 und 1973 erzielen können. Diese Geschehnisse lagen aber zeitlich erheblich nach dem Abschluß des Vertrages der Parteien vom 7. Juli 1970.
Die bloße Duldung der Liquidation auf der HNO-Belegabteilung konnte die Beklagte daher in keinem größeren Umfang verpflichten, als dies im Dienstvertrag der Parteien vereinbart war. Gegenüber diesem Dienstvertrag hat sich durch die weitere Entwicklung der Rechtsbeziehungen der Parteien keine neue Geschäftsgrundlage ergeben, die durch den Wegfall der Liquidationsbefugnisse des Klägers hätte beeinträchtigt werden können. Daher ist auch eine Rechtsgrundlage für den Ausgleichsanspruch des Klägers nicht gegeben.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Dr. Florack, Buschmann
Fundstellen