Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsrentenanpassung bei späterer Betriebsstillegung
Leitsatz (amtlich)
- Der Arbeitgeber hat bei seiner Anpassungsentscheidung nach § 16 BetrAVG die Belange der Versorgungsempfänger und seine eigene wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen. Er hat, ausgehend von den Verhältnissen am Prüfungsstichtag die voraussichtliche wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens und die Auswirkungen eines Teuerungsausgleichs abzuschätzen. Wirtschaftliche Daten nach dem Anpassungsstichtag sind nur insoweit von Bedeutung, als sie eine frühere Prognose bestätigen oder entkräften. Nicht vorhersehbare, veränderte Rahmenbedingungen oder spätere, zum Anpassungsstichtag noch nicht absehbare Betriebsstillegungen spielen keine Rolle (Klarstellung zum Urteil des Senats vom 23. April 1985 – 3 AZR 156/83 – BAGE 48, 272, 283 = AP Nr. 17 zu § 16 BetrAVG, zu III 1 der Gründe).
- Bei einer auf § 16 BetrAVG gestützten Anpassungsklage ist kein bezifferter Leistungsantrag nötig. Dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist genügt, wenn der Kläger den anspruchsbegründenden Sachverhalt und einen Mindestbetrag der Anpassung angibt.
- Die Klage auf Erhöhung der Betriebsrente ab einem bestimmten Tag beschränkt sich auf die zu diesem Zeitpunkt gebotene Anpassung. Wenn auch Anpassungen zu späteren Stichtagen in den Rechtsstreit einbezogen werden sollen, ist eine Klageerweiterung erforderlich.
Normenkette
BetrAVG § 16; BGB § 315 Abs. 3; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 92 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 01.06.1994; Aktenzeichen 15 Sa 157/93) |
ArbG Berlin (Urteil vom 11.10.1993; Aktenzeichen 4 Ca 31451/92) |
Tenor
- Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 1. Juni 1994 – 15 Sa 157/93 – aufgehoben.
- Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob und in welcher Höhe die Betriebsrente des Klägers für die Zeit ab 1. September 1989 nach § 16 BetrAVG anzupassen ist.
Der im Jahre 1922 geborene Kläger war bis zum 30. April 1982 bei der Beklagten beschäftigt. Auf Grund der Versorgungszusage der Beklagten vom 30. April 1957 in der Fassung vom Juni 1973 erhält er seit dem 1. Mai 1982 eine monatliche Betriebsrente in Höhe von 342,00 DM. Seit 1986 bat er die Beklagte mehrmals vergeblich um Anpassung seiner Betriebsrente an die gestiegenen Lebenshaltungskosten.
Die Beklagte betreute bis zum 31. Dezember 1991 Lebensmittelgroßhändler und betrieb außerdem für das Land Berlin die Bevorratung von Lebensmitteln für Krisenzeiten (sog. Senatsreserve). Ab 1. Januar 1992 stellte sie ihr operatives Geschäft ein. Für sie sind nur noch ein Vorstandsmitglied und eine Bürokraft tätig.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, seine monatliche Betriebsrente müsse um mindestens 200,00 DM erhöht werden. Der Lebenshaltungsindex sei in den vergangenen zehn Jahren um fast 40 % gestiegen. Die Beklagte sei wirtschaftlich in der Lage, seine Betriebsrente entsprechend dieser Entwicklung anzupassen. Ohne Bedeutung sei es, daß die Beklagte nicht mehr operativ tätig sei.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab 1. September 1989 eine Betriebsrente zu zahlen, die im Verhältnis zur derzeit gezahlten monatlichen Betriebsrente von 342,00 DM angemessen erhöht ist, wobei der Erhöhungsbetrag in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, und die fällige Nachzahlung mit 4 % zu verzinsen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, eine Anpassung der Betriebsrenten würde ihr Unternehmen übermäßig belasten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an ihn ab dem 1. September 1989 eine um 28,04 DM höhere Betriebsrente zu zahlen nebst 4 % Zinsen von 1.570,24 DM. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 565 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann über die eingeklagte Anpassung der Betriebsrente nicht entscheiden. Dazu sind weitere tatsächliche Feststellungen nötig.
I. Die Klage ist zulässig.
1. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Anspruch des Klägers auf eine höhere Betriebsrente ab 1. September 1989.
Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, daß sich die vorliegende Leistungsklage auf die am 1. September 1989 gebotene Anpassung beschränkt. Erhöhungen zu späteren Anpassungsstichtagen sind nicht eingeklagt worden. Alle drei Jahre entsteht nach § 16 BetrAVG ein neuer Anspruch des Versorgungsempfängers auf eine nach billigem Ermessen zu treffende Entscheidung des Arbeitgebers über eine Anpassung der Versorgungsleistungen. Wenn in einen laufenden Anpassungsrechtsstreit weitere Anpassungsentscheidungen einbezogen werden sollen, ist die Klage dementsprechend zu erweitern.
2. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Klageantrag in der Hauptsache hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Ein bezifferter Leistungsantrag ist nicht nötig, wenn das Gericht den zu zahlenden Betrag nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB rechtsgestaltend bestimmt (vgl. u.a. BGHZ 45, 91, 92 f.; BGH Urteil vom 13. Oktober 1981 – VI ZR 162/80 – NJW 1982, 340 f.; Thomas/Putzo, ZPO, 19. Aufl., § 253 Rz 12; Zöller/Greger, ZPO, 19. Aufl., § 253 Rz 14). § 16 BetrAVG räumt dem Arbeitgeber ein Leistungsbestimmungsrecht ein. Der Versorgungsempfänger kann die Anpassungsentscheidung des Arbeitgebers in entsprechender Anwendung des § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB durch die Gerichte überprüfen lassen (vgl. BAGE 28, 279, 288 ff. = AP Nr. 4 zu § 16 BetrAVG, zu V der Gründe; BAGE 48, 272, 276 = AP Nr. 17 zu § 16 BetrAVG, zu II 1a der Gründe; Höfer, BetrAVG, Bd. 1, 4. Aufl., Stand: September 1995, § 16 Rz 3607; Blomeyer/Otto, BetrAVG, § 16 Rz 285; Heubeck/Höhne/Paulsdorff/Rau/Weinert, BetrAVG, Bd. I, 2. Aufl., § 16 Rz 224; HwB AR-Heither, Stand: November 1995, Betriebliche Altersversorgung, Rz 349). Mit der Angabe des anspruchsbegründenden Sachverhalts und eines Mindestbetrages ist der Kläger dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nachgekommen.
3. Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger Zinsen für den nachzuzahlenden Betrag zugesprochen, jedoch über den Zinstermin “mangels Angabe im Klageantrag nicht entschieden”. Wäre diese Auslegung des Klageantrags richtig, so hätte der Kläger insoweit ein nicht vollstreckungsfähiges Leistungsurteil begehrt. Ein derartiger Zinsantrag wäre nicht bestimmt genug. Nach § 139 ZPO hat das Landesarbeitsgericht aber darauf hinzuwirken, daß der Kläger bestehende Unklarheiten beseitigt und sachdienliche Anträge stellt.
II. Den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts läßt sich nicht entnehmen, ob die Klage begründet und die Beklagte zu der verlangten Anpassung verpflichtet ist.
1. Das Landesarbeitsgericht hatte – entsprechend dem Antrag des Klägers – den am 1. September 1989 erreichten Anpassungsstichtag zugrundezulegen. Das war der 1. Mai 1988. Ausgangspunkt des in § 16 BetrAVG vorgeschriebenen dreijährigen Prüfungsturnus ist der Beginn der laufenden Versorgungsleistungen. Da der Kläger ab 1. Mai 1982 eine monatliche Betriebsrente erhielt, war der 1. Mai 1988 der letzte maßgebliche Anpassungsstichtag.
2. Der Arbeitgeber hat bei seiner Anpassungsentscheidung, ausgehend von den Verhältnissen am Prüfungsstichtag, die Belange der Versorgungsempfänger und seine eigene wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen. Den Anpassungsbedarf des Kläger hat das Landesarbeitsgericht richtig ermittelt. Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Lage der Beklagten hat das Berufungsgericht jedoch den maßgeblichen Prüfungszeitpunkt außer acht gelassen.
a) Der Anpassungsbedarf der Versorgungsempfänger richtet sich nach dem zwischenzeitlich eingetretenen Kaufkraftverlust. Bei der Ermittlung der Kaufkraftentwicklung ist auf die Veränderung des Preisindex abzustellen, den das Statistische Bundesamt für die Lebenshaltung eines Vier-Personen-Arbeitnehmer-Haushaltes mit mittlerem Einkommen ermittelt hat (BAGE 48, 272, 277 = AP Nr. 17 zu § 16 BetrAVG, zu II 2a der Gründe; BAGE 28, 279, 291 = AP Nr. 4 zu § 16 BetrAVG, zu VI 1 der Gründe; BAGE 25, 146 = AP Nr. 4 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Geldentwertung). Aus dem Zweck des § 16 BetrAVG folgt, daß nicht nur die Teuerung in den letzten drei Jahren, sondern der Kaufkraftverlust seit Rentenbeginn zu berücksichtigen ist (BAGE 70, 137, 141 = AP Nr. 24 zu § 16 BetrAVG, zu II der Gründe; BAGE 70, 158, 161 = AP Nr. 25 zu § 16 BetrAVG, zu II der Gründe; BAG Urteil vom 28. April 1992 – 3 AZR 356/91 – AP Nr. 26 zu § 16 BetrAVG, zu II der Gründe).
Das Landesarbeitsgericht hat den Anpassungsbedarf nach diesen Grundsätzen ermittelt. Im Jahre 1982 betrug der Preisindex 93,4. Im Jahre 1988 erhöhte er sich auf 101,1. Dies ergibt eine Teuerungsrate von 8,2 %. Da die Beklagte seit Beginn der Rentenzahlung die Höhe der monatlichen Betriebsrente nicht angepaßt hatte, umfaßte der Anpassungsbedarf auch den zurückliegenden Prüfungszeitraum.
b) Die Beklagte durfte eine entsprechende Anpassung insoweit ablehnen, als dadurch ihr Unternehmen übermäßig belastet worden wäre. Das war der Fall, wenn der Arbeitgeber am 1. Mai 1988 annehmen durfte, es werde ihm mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein, den Teuerungsausgleich künftig aus dem Wertzuwachs des Unternehmens und dessen Erträgen aufzubringen. Sind Einbußen in der Unternehmenssubstanz zu befürchten, steht die gebotene Rücksichtnahme auf die Belange des Arbeitgebers und der aktiven Arbeitnehmer einer Anpassung entgegen (BAGE 48, 272, 278 ff. = AP Nr. 17 zu § 16 BetrAVG, zu II 3 der Gründe; BAGE 48, 284, 290 = AP Nr. 16 zu § 16 BetrAVG, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 4. Oktober 1994 – 3 AZR 910/93 – AP Nr. 32 zu § 16 BetrAVG, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu A der Gründe).
aa) Die voraussichtliche Entwicklung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens und die Auswirkungen eines Teuerungsausgleichs müssen, ausgehend von den Verhältnissen am Anpassungsstichtag, abgeschätzt werden. Beurteilungsgrundlage für die langfristig zu erstellende Prognose ist die bisherige wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens in der Zeit vor dem Anpassungsstichtag, soweit daraus Schlüsse für die weitere Entwicklung des Unternehmens gezogen werden können (BAGE 48, 272, 281 = AP Nr. 17 zu § 16 BetrAVG, zu II 3c ≪1≫ der Gründe). Die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung nach dem Anpassungsstichtag kann eine frühere Prognose bestätigen oder entkräften. Nur insoweit sind die wirtschaftlichen Daten bis zur letzten Tatsachenverhandlung zu berücksichtigen. Eine weitergehende Bedeutung ist ihnen auch im Urteil des Senats vom 23. April 1985 (– 3 AZR 156/83 – BAGE 48, 272, 283 = AP Nr. 17 zu § 16 BetrAVG, zu III 1 der Gründe) nicht beigemessen worden. Vor allem nicht vorhersehbare, veränderte Rahmenbedingungen oder spätere, zum Anpassungsstichtag noch nicht absehbare Betriebsstillegungen spielen keine Rolle. Die Anpassungspflicht entfällt nicht durch spätere, unerwartete Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens. Derartige Veränderungen wirken sich erst auf die nächste Anpassungsprüfung aus oder können ausnahmsweise zu einem Widerruf der Versorgungszusage wegen wirtschaftlicher Notlage berechtigen (zu den Widerrufsvoraussetzungen vgl. u.a. BAGE 72, 329 = AP Nr. 18 zu § 7 BetrAVG Widerruf). Durch pflichtwidrige Verzögerung der gebotenen Anpassungsentscheidung kann sich der Arbeitgeber keinen Rechtsvorteil verschaffen.
bb) Das Landesarbeitsgericht hat außer acht gelassen, daß die Beklagte ihre operative Tätigkeit erst am 31. Dezember 1991, also mehr als drei Jahre nach dem maßgeblichen Anpassungsstichtag (1. Mai 1988) und acht Monate nach dem nächsten Anpassungsstichtag (1. Mai 1991) einstellte. Im vorliegenden Rechtsstreit kommt es deshalb nicht darauf an, welche rechtlichen Besonderheiten für die Anpassungsprüfung der Unternehmen gelten, die ihren Geschäftsbetrieb eingestellt haben und sich auf Vermögensverwaltung beschränken.
cc) Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, daß sich nach dem 1. Mai 1988 unerwartete politische Veränderungen zumindest auf die von der Beklagten betriebene Bevorratung von Lebensmitteln für Krisenzeiten nachhaltig auswirkten. Die wirtschaftliche Lage des Unternehmens der Beklagten und seine voraussichtliche Entwicklung sind ausgehend von den am 1. Mai 1988 bestehenden Verhältnissen zu beurteilen. Das bisherige Vorbringen der Parteien enthält dafür noch keine aussagekräftigen Tatsachen. Den Parteien ist Gelegenheit zu geben, auf den neuen rechtlichen Gesichtspunkt einzugehen und ihren Sachvortrag zu ergänzen.
III. Falls das Landesarbeitsgericht die Beklagte zu einer Anpassung der Betriebsrente unter dem vom Kläger angegebenen Mindestbetrag von 200,00 DM verurteilt, ist zu beachten, daß der Kläger dann teilweise unterlegen ist und einen entsprechenden Teil der Kosten des Rechtsstreits nach § 92 Abs. 1 ZPO zu tragen hat.
Unterschriften
Dr. Heither, Kremhelmer, Bröhl, Schwarze, Hauschild
Fundstellen
Haufe-Index 871616 |
BAGE, 167 |
BB 1996, 1388 |
NZA 1996, 1038 |
ZIP 1996, 1261 |