Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung wegen MfS-Tätigkeit
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 14. Februar 1995 – 11 (3) Sa 290/93 – aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 30. Juni 1993 – 10 Ca 114/93 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage 1 Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 Einigungsvertrag (fortan: Abs. 5 Ziff. 2 EV) gestützten außerordentlichen Kündigung sowie einer vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.
Der 1939 geborene Kläger war bei der Beklagten seit 1961, zuletzt als Solo-Baß-Posaunist bei der … Philharmonie, einer rechtlich nicht selbständigen Einrichtung der Stadt …, beschäftigt.
Im Frühjahr 1973 vergaß der Kläger während einer Konzertreise durch Österreich und die Schweiz in seinem Hotelzimmer seinen Reisepaß und sein Adreßbuch. Die Kontrollorgane des Grenzübergangs zur DDR meldeten das Vorkommnis an das Ministerium für Staatssicherheit (fortan: MfS). Darauf suchte der MfS-Mitarbeiter Oberleutnant M. den Kläger auf und hielt ihm vor, daß es sich um einen schweren, die Sicherheit seiner Person, des Staates DDR und aller in dem Adressbuch genannten Personen gefährdenden Vorgang handele. Der Stasi-Offizier drohte dem Kläger an, er werde möglicherweise nicht mehr ins Ausland reisen dürfen und müsse hohe Kosten für die Wiederbeschaffung seiner Unterlagen tragen. Auf diese Weise unter Druck gesetzt, erklärte sich der Kläger nach mehreren Vernehmungen zu einer geheimen Berichtstätigkeit für das MfS bereit. Der Kläger unterschrieb am 8. Juni 1973 folgende Erklärung:
„Ich erkläre mich bereit das MfS bei allen Sicherheitsvorkehrungen meiner und der meiner Kollegen zu unterstützen. Über die Zusammenkünfte und über die geführten Gespräche werde ich gegenüber jedermann strengstes Stillschweigen wahren. Die Verbindung werde ich unter dem Namen B. halten.”
In der Folgezeit berichtete der Kläger von 1973 bis September 1990 in regelmäßigen, jedoch unterschiedlichen Zeitabständen mündlich unter dem Decknamen B. über berufliche, aber auch über private und eheliche Probleme aus dem Kollegenkreis sowie über deren Reisetauglichkeit und Kontakte in das nichtsozialistische Ausland.
In den MfS-Unterlagen befinden sich Aufträge des MfS zu den Gastspielen der … Philharmonie in Italien, Frankreich, Spanien, Japan und in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Aufträge unterzeichnete der Kläger zur Kenntnisnahme mit dem Namen „B.”. Die Aufträge waren auf ausgefüllten Vordrucken im wesentlichen gleichlautend. Zur Gastreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1988 lautete der Auftrag wie folgt:
„Auftrag
Sie reisen in der Zeit vom 26.02.88 bis 12.03.88 mit der … Philharmonie nach der BRD.
Sie erhalten für dieses Gastspiel durch den Beauftragten des MfS folgende Aufträge:
- Berichterstattung zur Kontakttätigkeit der mitreisenden Ensemblemitglieder/Kollegen;
- Wie verlaufen die Kontrollen an den Grenzübergangsstellen (Ein- und Ausreise)?
Welche Kontakte haben Sie selbst getätigt, wurden Sie angesprochen? (von wem – Name, Anschriften, Tätigkeit, Charakteristik der Personen)
Bei den persönlichen Kontakten ist zu beachten, ob ein Ausbau der Kontakte möglich und auf welcher Basis.
Abschöpfung der Kontakte zu Regimeverhältnissen des jeweiligen Landes/Ortes;
- Arbeit der Leitung beim Gastspiel (werden sie ihren Pflichten als Leitung gerecht, wie reagieren sie auf unvorhergesehene Zwischenfälle, waren sie in jedem Fall Repräsentanten unseres Staates);
Von besonderem Interesse bei diesem Gastspiel sind nachfolgende Personen
(geschwärzt), (geschwärzt)
(geschwärzt), (geschwärzt)
(geschwärzt), (geschwärzt)
Bei der Kontrolle dieser Personen ist besonders zu achten auf:
- Verhalten während der Gastspielreise
- Kontaktaufnahmen zur Bürgern des NSW
- Entfernungen vom Orchester
Desweiteren ist von Interesse:
- Nehmen ehemalige … Bürger oder Mitglieder des Orchesters Kontakte zu dem Ensemble/Personen auf, zu wem nehmen sie Kontakt auf, wie ist ihr Verhalten? Wird der Kontakt zu solchen Personen gesucht?
- Versuchen auch Sie den Kontakt (unter Beachtung der mündlichen Instruktionen) zu ehemaligen Bürgern aufzunehmen, mit dem Ziel aufzuklären, wo und als was diese Personen gegenwärtig tätig sind, welche Kontakte sie zur DDR haben und wie ist ihre Einstellung zur DDR.
- auftretende Vorkommnisse (wann, wer, wie, wo, was, wodurch, warum);
Ich habe den Auftrag zur Kenntnis genommen und werde mich an die mündlichen Instruktionen halten.
gez.B.”
Des weiteren befinden sich in den MfS-Unterlagen Tonbandabschriften über mündliche Berichte des Klägers u.a. folgenden Inhalts:
„Der (geschwärzt) steht unter der Fuchtel seiner Frau, was sie sagt macht er. … Meine persönliche Meinung ist, daß es in seiner Ehe eventuell Probleme geben könnte, da die Ehepartner absolut nicht zueinander passen. Daraus können für ihn einmal Probleme erwachsen, die ihn dann aus der Bahn werfen könnten.”
„Von seiten seiner Frau sind Verbindungen in die BRD vorhanden, …”
„Der (geschwärzt) wurde durch Pflegeeltern aufgezogen, da seinen leiblichen Eltern das Erziehungsrecht entzogen wurde. Sie sind Alkoholiker … Bei seinem schwierigen Wesen kann es durchaus zu spontanen Reaktionen kommen. … Er hat eine Pfarrerstochter geheiratet und sie haben in sehr kurzer Zeit vier Kinder miteinander, … Seine Frau sollte keine Kinder mehr bekommen, ist aber aufgrund ihrer Erziehung gegen Abtreibung eingestellt. … Er will vieles, hat aber dazu nicht die nötige Zeit. Kurzschlußhandlungen sind ihm aber nicht zuzutrauen.”
„Der (geschwärzt) hat in der Philharmonie bei den Kollegen noch Schulden. Er hat sich von mehreren Kollegen zwischen 50 und 150 M geborgt. Weiterhin hat er während unserer letzten CSSR-Reise von den dortigen Kollegen für ca. 500 M Kronen bekommen, die nächste Woche zurückgezahlt werden müssen.”
„Vor dem Verschwinden von (geschwärzt) gab es keine Auseinandersetzungen, die als Ursache oder auslösendes Moment angesehen werden könnten. … Wir wußten, daß er gern in Berlin bleiben wollte, daß er in Berlin gern eine Stelle haben wollte, aber es hat überall nicht geklappt. Auf der Reise war er so, daß er am ersten Tat schon anfing, daß er keinen Ansatz hat. … Weiterhin ist uns aufgefallen, daß er für seine Frau nichts gekauft hat. … Aufgefallen ist uns noch, daß der (geschwärzt) ständig telefoniert hat. Kaum waren wir in einem Hotel angekommen, war der (geschwärzt) schon in der Telefonzelle. Er begründete das, daß er unbedingt seine Frau anrufen müsse. … Eine Verbindung zwischen (geschwärzt) und (geschwärzt) ist mir persönlich nicht bekannt. Der (geschwärzt) hat sich vor seinem Verschwinden noch die letzten Tagegelder auszahlen lassen.”
„Mit (geschwärzt) gab es wieder Auseinandersetzungen, da er uns das Mitspracherecht … streitig machen wollte. … Bei seiner letzten Reise nach Japan, hat er sich von den dortigen Organisatoren schriftlich bescheinigen lassen, daß er ein hervorragender Dirigent ist. Mit diesem Schreiben geht er nun hausieren. … Die Krise nach seiner Ehescheidung hat er jetzt überwunden und hat scheinbar eine neue Motivation gefunden. Er ist wieder äußerst vital und unternehmungslustig.”
„(Geschwärzt) hat Verwandte in der BRD, die bei Gastspielreisen ständig auftauchen. Diese Kontakte fallen aber nicht weiter auf, wenn man dies nicht gezielt beobachtet. Direkt negative Diskussionen über unseren Staat sind mir bei ihm noch nicht aufgefallen.”
„Für eine Reisetätigkeit des (geschwärzt) bestehen nach meiner Einschätzung keine Bedenken. Er ist sehr tief bei uns verwurzelt und es dürfte dahingehend keine Probleme geben.”
„In Dublin war ein ehemaliger DDR Bürger da, der in Weimar studiert hat und jetzt am dortigen Orchester tätig ist. Er ist 1952 weg. (Geschwärzt) und (geschwärzt) hatten einen kurzen Kontakt zu ihm. … Das Umsteigen in Amsterdam verlief dann ohne Probleme. Es gab auch keine Vorkommnisse. Wir flogen ja das erste mal ohne Betreuer zurück. Dies hat es vorher auch noch nicht gegeben.”
„Abfällige Äußerungen machte er z.B. in Bonn in der Kantine im Beisein von Bürgern der BRD. Seine beleidigende und abwertende Art gegenüber den Musikern der Philharmonie wird bald zu einem größeren Problem unter den Mitgliedern des Orchesters.
Der (geschwärzt) wurde ebenfalls mehrfach von dem (geschwärzt) abgefertigt. Er äußerte sich in der Form dazu, daß einige Probleme der Reise in Dresden ausgewertet werden müssen. Er macht so den Eindruck, als sammle (geschwärzt) Material gegen den (geschwärzt), welches er dann zum geeigneten Zeitpunkt zur Anwendung bringen wird. … In Mannheim war der ehemalige Kollege (geschwärzt) mit seiner Frau da. … Die Frau (geschwärzt) war in Wiesbaden da und hat mit den Mitgliedern ihrer ehemaligen Gruppe gesprochen. Diese Treffen waren aber alle öffentlich und ich habe keine Treffen außerhalb der Konzerthäuser feststellen können. In Köln war der (geschwärzt) da. Er hat mit den Kollegen (geschwärzt) und (geschwärzt) gesprochen. Im Gespräch wurde durch ihn bekannt, daß es ihm relativ gut geht und er sich jetzt ein Haus bauen lassen will, aber alles auf Kreditbasis. In seiner Anstellung als Musiker zählt er als Beamter und hat eine unkündbare Stellung.”
Am 31. Dezember 1991 füllte der Kläger den ihm von der Beklagten vorgelegten Fragebogen aus und bejahte die Frage nach einer Tätigkeit für das MfS. In einer ergänzenden Erklärung wies der Kläger darauf hin, daß er vom MfS zur Zusammenarbeit gezwungen worden sei. Seine Berichterstattung sei bedeutungslos gewesen, weshalb er auch keine Bezahlung erhalten habe.
Nach Einsicht in die „Gauck-Akten” unterrichtete die Beklagte mit Schreiben vom 17. Dezember 1992 sowohl den Personalrat der Stadtverwaltung … als auch den Personalrat der … Philharmonie, daß beabsichtigt sei, dem Kläger außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 31. Juli 1994 zu kündigen, weil er von 1973 bis 1989 als inoffizieller Mitarbeiter (IM) und inoffizieller Mitarbeiter der Sicherheit (IMS) für das MfS unter dem Decknamen „B.” tätig gewesen sei. Hierauf erklärte sich der Personalrat der Stadtverwaltung durch Schreiben vom 17. Dezember 1992 für unzuständig. Der Personalrat der … Philharmonie lehnte mit Schreiben vom 18. Dezember 1992 eine „eindeutige Stellungnahme” ab, weil er sich anhand der vorliegenden Materialien nicht als ausreichend informiert ansehe.
Mit Schreiben vom 21. Dezember 1992 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos auf der Grundlage von Abs. 5 Ziff. 2 EV sowie vorsorglich ordentlich zum nächstmöglichen Kündigungstermin. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 21. Dezember 1992 zu.
Mit der am 6. Januar 1993 eingereichten Kündigungsschutzklage hat der Kläger die Unwirksamkeit der außerordentlichen und der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung geltend gemacht.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, es müsse zu seinen Gunsten gewertet werden, daß er nicht freiwillig für das MfS berichtet habe. Das MfS habe bei ihm eine Notlage zur Erpressung bzw. Nötigung ausgenutzt. Dem stehe nicht entgegen, daß er die „Zusammenarbeit” bis zum Untergang der DDR nicht abgebrochen habe. Er sei als Musiker ein sensibler Mensch, der nach allem, was über die Vorgehensweisen der Stasi bekannt geworden sei, zu Recht habe davon ausgehen können, ihm könnten, würde er die Verbindungen abbrechen, erhebliche Nachteile entstehen. Ein solcher erheblicher Nachteil wäre für ihn gewesen, nicht mehr in das westliche Ausland reisen zu dürfen, womit sein Verbleib im Orchester beendet gewesen wäre.
Er habe zwar die verlangten Berichte an die Stasi gegeben. Diese seien jedoch immer so erfolgt, daß kein Schaden für die Betroffenen eingetreten sei.
Im übrigen sei der zuständige Personalrat der … Philharmonie nicht ordnungsgemäß angehört worden.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 21. Dezember 1992 weder außerordentlich noch mit ordentlicher Frist aufgelöst worden sei.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, ihr sei die Weiterbeschäftigung des Klägers nicht zuzumuten, weil der Kläger lange Zeit und intensiv über seine Kollegen geheimdienstlich berichtet habe. Es sei nicht entscheidend, ob der Kläger die Zusammenarbeit mit dem MfS gewollt habe. Maßgeblich sei, daß er sie erbracht habe. Der Kläger habe über intimste Privatangelegenheiten berichtet und Werturteile über seine Kollegen in fachlicher und persönlicher Art abgegeben. Er habe dem MfS übermittelt, welche Musiker reisetauglich seien und wo ggf. mit Absetzung ins Ausland zu rechnen sei. Ziel des Klägers sei es gewesen, Auslandsreisen von sogenannten reiseuntauglichen Mitarbeitern zu unterbinden. Diese Unterbindung habe jedoch für den betroffenen Kollegen einen sehr schweren Nachteil dargestellt. Wie schwer dieser Nachteil für die jeweils Betroffenen gewesen sei, zeige das Verhalten des Klägers selbst, der immer behauptet habe, für das MfS gearbeitet zu haben, weil er befürchtet habe, nicht mehr reisen zu dürfen.
Der Personalrat der … Philharmonie sei nicht zuständig gewesen. Eine Stufenvertretung, die zuständig gewesen wäre, habe es zum Zeitpunkt der Kündigung nicht gegeben.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die außerordentliche Kündigung vom 21. Dezember 1992 wirksam.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Die Kündigung sei weder als außerordentliche noch als ordentliche wirksam.
Dies ergebe sich allerdings nicht schon aus personalvertretungsrechtlichen Gründen. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die Beklagte den Personalrat der … Philharmonie und den Personalrat der Stadtverwaltung ordnungsgemäß beteiligt habe, denn keiner dieser Personalräte sei für eine Mitwirkung bei der Kündigung des Klägers zuständig gewesen. Der Personalrat der … Philharmonie sei nicht zu beteiligen gewesen, weil die Entscheidung über die Kündigung von der Beklagten und nicht von der Leitung der Philharmonie getroffen worden sei. Der Personalrat der Stadtverwaltung sei nicht zu beteiligen gewesen, weil der Kläger nicht zu den Beschäftigten dieser Dienststelle gehört habe und deshalb auch insoweit nicht wahlberechtigt gewesen sei. Ein an sich zuständiger Gesamtpersonalrat habe nicht bestanden.
Die außerordentliche Kündigung des Klägers sei jedoch deshalb unwirksam, da der Beklagten ein Festhalten am Arbeitsvertrag mit dem Kläger zumutbar sei. Der Kläger sei zur Aufnahme der Tätigkeit für das MfS gezwungen worden. Denn ihm sei in mehreren Gesprächen im Anschluß an den Verlust seiner Personalpapiere unmißverständlich klargemacht worden, daß er als Musiker von künftigen Auslandseinsätzen ausgeschlossen werden könne, wenn er nicht mit dem MfS zusammenarbeite. Der Kläger habe sich in einer ausweglosen Zwangssituation befunden, da er als Baß-Posaunist auf ein großes Orchester angewiesen sei und sein Verbleib im Orchester beendet gewesen wäre, wenn er ohne Paß nicht mehr hätte ins Ausland reisen können. Es könne dem Kläger nicht angelastet werden, daß er seine berufliche Existenz nicht habe verlieren wollen.
Der Kläger habe die Tätigkeit für das MfS nicht dazu genutzt, anderen Personen zu schaden. Seine Personenberichte seien zwar zum Teil sehr ins Persönliche und in das Privatleben einiger Kollegen gegangen, es seien jedoch überwiegend Dinge berichtet worden, die allgemein bekannt, offenkundig und für jedermann auffällig gewesen seien. Dies gelte auch für den Bericht des Klägers anläßlich der Flucht eines Kollegen. Lediglich in einem Fall, in dem der Kläger berichte, daß ein Kollege Verwandte in der BRD habe, die bei Gastspielreisen ständig auftauchten, könnte dieser Bericht für das MfS inhaltlich von Bedeutung gewesen sein. Die Schilderung des Klägers sei aber nicht so negativ bzw. konkret und deutlich gewesen, daß damit für den betreffenden Kollegen zwingend die Gefahr von Repressalien durch das MfS heraufbeschworen worden seien. Insgesamt habe die Tätigkeit des Klägers für das MfS nicht dazu beigetragen, rechtsstaatswidrige Maßnahmen und wichtige SED-Ziele zu unterstützten. Zwar erscheine die Dauer von 17 Jahren Tätigkeit für das MfS lang. Doch habe sich der Kläger die gesamte Zeit in einer Notsituation befunden, wie er der Kammer glaubwürdig und eindrucksvoll geschildert habe.
Auch die ordentliche Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung gemäß Abs. 4 Ziff. 1 EV sei unwirksam, weil auch diese lediglich auf die MfS-Tätigkeit gestützt werde.
B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Beklagten ist wegen der 17 Jahre währenden erheblichen Tätigkeit des Klägers für das MfS ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar.
I. Der Kündigungsgrund gemäß Abs. 5 Ziff. 2 EV ist gegeben.
1. Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV liegt ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung dann vor, wenn der Arbeitnehmer für das frühere MfS bzw. Amt für Nationale Sicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Abs. 5 Ziff. 2 EV unterscheidet nicht zwischen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit. Damit gilt auch für inoffizielle Mitarbeiter, daß eine außerordentliche Kündigung nur gerechtfertigt ist, wenn eine bewußte, finale Mitarbeit für das MfS/AfNS vorliegt (vgl. BAG Urteil vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – BAGE 74, 120 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag; BAG Urteil vom 23. September 1993 – 8 AZR 484/92 – BAGE 74, 257 = AP Nr. 19 zu Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX).
Die außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV setzt weiter voraus, daß wegen der Tätigkeit für das MfS ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Ob dies der Fall ist, muß in einer Einzelfallprüfung festgestellt werden. Abs. 5 Ziff. 2 EV ist keine „Mußbestimmung”. Nicht jedem, der für das MfS tätig war, ist zu kündigen. Das individuelle Maß der Verstrickung bestimmt über die außerordentliche Auflösbarkeit des Arbeitsverhältnisses. Je größer das Maß der Verstrickung, desto unwahrscheinlicher ist die Annahme, dieser Beschäftigte sei als Angehöriger des öffentlichen Dienstes der Bevölkerung noch zumutbar (vgl. BAGE 70, 309, 320 = AP Nr. 4 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu B II 1 c der Gründe). Beim inoffiziellen Mitarbeiter wird sich der Grad der persönlichen Verstrickung vor allem aus Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit des IM sowie aus dem Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit für das MfS ergeben.
Die Tätigkeit eines inoffiziellen Mitarbeiters ist häufig nach außen nicht erkennbar geworden. Ein inoffizieller Mitarbeiter arbeitete typischerweise verdeckt. Dennoch kann es nicht darauf ankommen, ob ein inoffizieller Mitarbeiter nicht entdeckt wurde und deshalb seine Tätigkeit für das MfS nicht bekannt ist. Im Fall eines inoffiziellen Mitarbeiters ist darauf abzustellen, ob das Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bei Bekanntwerden der Tätigkeit für das MfS in einer Weise beeinträchtigt wird, die das Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar macht. Eine glaubwürdige rechtsstaatliche Verwaltung kann nicht aufgebaut werden auf der Annahme, die Belastung eines Mitarbeiters werde schon nicht bekannt werden.
Ebenfalls bei der Prüfung der Zumutbarkeit zu beachten ist die Art der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer in dem in Frage stehenden Arbeitsverhältnis ausübt. Ob das Vertrauen in die Verwaltung durch die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers erschüttert wird, hängt nicht nur von der Verstrickung des Arbeitnehmers mit dem MfS ab, sondern auch davon, welche Wirkungsmöglichkeiten und Befugnisse der Arbeitnehmer in seinem jetzigen Arbeitsverhältnis hat. Die Beschäftigung eines belasteten Arbeitnehmers mit rein vollziehender Sachbearbeitertätigkeit oder handwerklicher Tätigkeit wird das Vertrauen in die Verwaltung weniger beeinträchtigen als die Ausübung von Entscheidungs- und Schlüsselfunktionen durch einen ebenso belasteten Arbeitnehmer (BAG Urteil vom 28. Januar 1993 - 8 AZR 415/92 - NJ 1993, 379).
2. Das Landesarbeitsgericht ist zwar im wesentlichen von den aufgezeigten Grundsätzen ausgegangen. Die Würdigung der Zumutbarkeit im Rahmen der Einzelfallprüfung ist jedoch nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Kläger sei im Sinne von Abs. 5 Ziff. 2 EV für das MfS tätig gewesen. Der Kläger hat aufgrund einer Verpflichtungserklärung von 1973 bis September 1990 als inoffizieller Mitarbeiter dem MfS mündlich über berufliche, private und eheliche Probleme aus dem Kollegenkreis der Philharmonie berichtet. Der Kläger hat damit bewußt und final für das MfS gearbeitet.
b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist der Beklagten wegen der Tätigkeit des Klägers für das MfS ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar.
Zu Recht würdigt das Landesarbeitsgericht die Umstände der Aufnahme der Tätigkeit für das MfS als für den Kläger entlastend. Der Kläger befand sich in einer Notsituation, weil er befürchten mußte, daß er bei Ablehnung der IM-Tätigkeit wegen seines Paßverlustes künftig keine Erlaubnis für Auslandsreisen mehr erhalte. Als Baß-Posaunist war die Zugehörigkeit zu einem großen Orchester mit Auslandsgastspielen für ihn beruflich von besonderer Bedeutung.
Weniger überzeugend ist die Argumentation des Landesarbeitsgerichts, diese Notsituation habe unverändert bis September 1990 bestanden, so daß er genötigt gewesen sei, 17 Jahre als IM über berufliche, persönliche und eheliche Probleme seiner Orchesterkollegen an das MfS zu berichten. Der Kläger hat in diesen 17 Jahren nicht einmal den Versuch unternommen, die IM-Tätigkeit zu beenden. Er hat auch nicht versucht, die Berichte so nichtssagend abzufassen, daß das MfS das Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit verloren hätte. Seine detaillierten Berichte sprechen eher dafür, daß er bemüht war, die Zusammenarbeit mit dem MfS aufrechtzuerhalten. Die Erklärung des Klägers, er „habe keine Kraft dazu gefunden, mit der Tätigkeit für das MfS Schluß zu machen”, kann ihn nicht entscheidend entlasten.
Der Senat vermag dem Landesarbeitsgericht nicht darin zu folgen, daß die Verstrickung des Klägers nicht als schwerwiegend angesehen werden könne. Die besondere Verstrickung des Klägers folgt neben der langen Dauer der IM-Tätigkeit auch aus dem Inhalt der Berichte. Diese enthielten nicht nur negative Bewertungen der beruflichen und menschlichen Qualitäten der Kollegen, sondern waren teilweise sogar so abgefaßt, daß die Betroffenen vom MfS als „Sicherheitsrisiko” betrachtet werden konnten. Der Kläger setzte seine Kollegen somit der Gefahr aus, die er für sich selbst vermeiden wollte, nämlich aus dem Reisekader gestrichen zu werden. So konnte z.B. der Bericht, daß bei einem Kollegen bei Gastspielreisen „ständig Verwandte aus der BRD auftauchen”, für den Betroffenen durchaus ein Verbot von Auslandsreisen zur Folge haben. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts entlastet es den Kläger nicht entscheidend, daß dieser Bericht „nicht so negativ bzw. konkret und deutlich war, daß damit für den betreffenden Kollegen zwingend die Gefahr der Aussetzung von Repressalien durch das MfS heraufbeschworen wurde.” Berichtet ein IM über seine Berufskollegen über einen längeren Zeitraum an das MfS in einer Weise, daß er die Betroffenen bewußt der Gefahr aussetzt, persönliche Nachteile zu erleiden, ist von einer schwerwiegenden Verstrickung des IM auszugehen, mit der Folge, daß dem öffentlichen Arbeitgeber ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint.
II. Der Wirksamkeit der Kündigung stehen personalvertretungsrechtliche Gründe nicht entgegen.
Wie das Berufungsgericht mit Recht erkannt hat, war vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung weder der Personalrat der … Philharmonie noch der Personalrat der Stadtverwaltung der Beklagten zu beteiligen. Der Personalrat der … Philharmonie als einer personalvertretungsrechtlich selbständigen Dienststelle der Beklagten war für eine Beteiligung unzuständig, weil die Entscheidungsbefugnis über die Kündigung nicht bei der Leitung der Philharmonie, sondern bei der Beklagten lag. Der Personalrat der Stadtverwaltung wiederum war nicht zu beteiligen, weil der Kläger als Mitglied der … Philharmonie nicht zu der von diesem Personalrat repräsentierten Dienststelle gehörte (vgl. BAG Urteil vom 26. Oktober 1995 – 2 AZR 629/94 – AP Nr. 34 zu Art. 20 Einigungsvertrag, unter II 2 der Gründe). Der nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz in derartigen Angelegenheiten zuständige Gesamtpersonalrat (vgl. § 82 Abs. 3 BPersVG) war nach dem Gesetz zur sinngemäßen Anwendung des Bundespersonalvertretungsgesetzes der DDR vom 22. Juli 1990 (GBl. DDR S. 1014 – PersVG-DDR) nicht zu bilden und auch bei der Beklagten nicht gebildet worden.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Mache, Umfug
Fundstellen