Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag. Tätigkeit für das MfS
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 20, 27; BGB § 626; BPersVG §§ 1, 79 Abs. 4, § 82 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1
Verfahrensgang
Thüringer LAG (Urteil vom 27.09.1993; Aktenzeichen 7/2 Sa 142/92) |
ArbG Gera (Urteil vom 05.06.1992; Aktenzeichen 7 Ca 6531/91) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 27. September 1993 – 7/2 Sa 142/92 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die die Beklagte unter Berufung auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag (künftig: Abs. 5 Ziff. 2 EV) ausgesprochen hat, sowie über die Wirksamkeit einer vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.
Der im Jahre 1946 geborene Kläger, ein gelernter Hauer, war vom 1. Oktober 1965 bis zum 31. Juli 1981 als Berufssoldat beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR tätig, im einzelnen wie folgt:
- ab dem 1. Oktober 1965 beim Wachregiment des MfS in B.,
- Anfang 1966: Wach- und Sicherungsdienst in G.,
- Ende 1966: Einarbeitung für den operativen Dienst (Aufklärung) bei der Kreisverwaltung G.,
- Mitte 1967: Versetzung zur Bezirksverwaltung G.; Einsatz im operativen Dienst (Aufklärung) im Range eines Oberfeldwebels,
- Ende 1968: Abordnung zur Abteilung Paßkontrolle; Einsatz an Grenzkontrollstellen,
- ab Sommer 1971: Tätigkeit in der Spionageabwehr und beim militärischen Abwehrdienst in G. im Range eines Hauptmanns.
Nach einer Trunkenheitsfahrt mit anschließendem Widerstand gegen Volkspolizisten wurde der Kläger am 31. Juli 1981 wegen Schädigung des Ansehens des MfS entlassen.
Parallel zu seiner Tätigkeit für das MfS hatte der Kläger ein Studium an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche absolviert und im Jahre 1980 erfolgreich abgeschlossen.
1981 begründete der Kläger ein Arbeitsrechtsverhältnis mit der S.. Dort war er von 1984 bis 1986 Bevollmächtigter für Sicherheit und Ordnung. Sodann erfolgte seine Versetzung in die Abteilung I „Geheimnisschutz”. Zuletzt war er als Gruppenleiter „Verschlußsachen” eingesetzt. Im Oktober 1988 wechselte er zur damaligen Deutschen Post und übernahm die Stelle des Abteilungsleiters Kader/Bildung beim Fernmeldeamt G.
Mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 wurde die Deutsche Post auf die Deutsche Bundespost überführt. Der Kläger blieb zunächst – bis 31. Dezember 1990 – in seiner bisherigen Funktion.
Mit Wirkung vom 1. Januar 1991 übernahm die Rechtsvorgängerin der Beklagten als eines der drei Unternehmen der Deutschen Bundespost das Fernmeldewesen unter Einrichtung neuer Fernmeldeämter. Die Dienstposten des neugeschaffenen Fernmeldeamts G waren ausgeschrieben worden. Der Kläger bewarb sich mit Erfolg für eine Tätigkeit in der Dienststelle Organisation. Zuvor hatte er dem damaligen Personalleiter mitgeteilt, daß er bis zum 31. Juli 1981 Mitarbeiter der Spionageabwehr/militärischer Bereich des früheren MfS war.
Im März 1991 ließ die Rechtsvorgängerin der Beklagten sämtliche Beschäftigten aus dem Beitrittsgebiet auf eine Tätigkeit für das MfS überprüfen. Der Kläger füllte am 26. März 1991 den ausgegebenen Fragebogen aus, wobei er seine Tätigkeit für das MfS von 1965 bis 1981 angab.
Im April 1991 bewarb sich der Kläger mit Erfolg auf den im Fernmeldeamt G. ausgeschriebenen Dienstposten einer Fachkraft für Arbeitssicherheit. Er nahm in der Folgezeit an einem mehrtägigen Ausbildungslehrgang zu Fragen der Arbeitssicherheit in Nürnberg teil. Weiterhin absolvierte er beim Bundesamt für Post und Telekommunikation einen Lehrgang mit Prüfungsabschluß als Fachkraft für Arbeitssicherheit.
Am 26. September 1991 wurde der Kläger von der Generaldirektion in Berlin zu seiner Tätigkeit für das MfS angehört. Der Kläger legte diese Tätigkeit offen.
Mit zwei Schreiben vom 29. Oktober 1991 unterrichtete der Dienststellenleiter des Fernmeldeamtes den dort gebildeten Personalrat über die beabsichtigte außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger. Als Kündigungsgrund wurde dessen Tätigkeit für das MfS angegeben. Der Personalrat teilte am 4. bzw. 7. November 1991 die Zustimmung zu den beabsichtigten Kündigungen mit.
Mit Schreiben vom 5. und 8. November 1991, dem Kläger zugegangen am 7. bzw. 8. November 1991, kündigte der Dienststellenleiter das Arbeitsverhältnis außerordentlich und vorsorglich ordentlich zum 25. November 1991.
Der Kläger hat mit der am 26. November 1991 beim Kreisgericht eingegangenen Klage beide Kündigungen angegriffen und seine Weiterbeschäftigung verlangt. Er hat die Auffassung vertreten, es fehle an einer ordnungsgemäßen Beteiligung der Personalvertretung. Die Beklagte habe sich mit der Kündigung zu früherem Verhalten in Widerspruch gesetzt, sie habe ihn in Kenntnis seiner beruflichen Vorgeschichte in das Fernmeldeamt G übernommen und sogar zum Sicherheitsbeauftragten ausgebildet. Er habe im Jahre 1979 einen Entpflichtungsantrag gestellt, sich damit offenkundig vom DDR-Unrechtsstaat abgewandt. Grund sei u.a. die Art und Weise der Dienstausübung und Informationssammlung gewesen. Die Aufrechterhaltung des Entpflichtungsantrags hätte jedoch einen Absturz in die Kriminalität bedeutet bis hin zur Inhaftierung. Nachdem seine schon vorbereitete Übernahme durch das Kombinat C. gescheitert sei, habe er seinen Entpflichtungsantrag zurückziehen müssen. In der Folgezeit sei er selbst durch die Staatssicherheit überwacht worden. Seine Entlassung im Jahre 1981 habe in den dargestellten Vorgängen ihren eigentlichen Grund. Die streitigen Kündigungen führten nach den Benachteiligungen im Unrechtssystem zu erheblichen Nachteilen auch im demokratisch legitimierten Gemeinwesen. Schließlich sei er seit 1981 unter Inkaufnahme von Nachteilen nicht mehr für das MfS tätig gewesen, schon wegen dieses Zeitablaufs stehe einer Weiterverwendung im öffentlichen Dienst nichts entgegen. Die Kündigung verstoße auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da die Beklagte die ehemaligen MfS-Mitarbeiter B. und L. weiterbeschäftigt habe. Auch ihm, dem Kläger, müsse die Chance zur Rehabilitierung eingeräumt werden.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 5. November 1991 nicht beendet wurde,
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 8. November 1991 nicht beendet wurde,
- die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, eine Weiterbeschäftigung sei ihr schon angesichts der Pflicht zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses unzumutbar. Es sei allgemein bekannt, daß inoffizielle wie offizielle Mitarbeiter des MfS dieses Grundrecht über Jahrzehnte hin gezielt und systematisch verletzt hätten. Das Erscheinungsbild der Verwaltung wäre nachhaltig beeinträchtigt, wenn ein hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS im Offiziersdienstgrad mit eindeutig langer Dienstzeit bei einer staatlichen Einrichtung, die verfassungsrechtlich zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses verpflichtet sei, weiterbeschäftigt würde. Dies gelte um so mehr, da der Kläger als Fachkraft für Arbeitssicherheit Zutritt zu allen Arbeitsplätzen habe. Keine Bedeutung komme dem Umstand zu, daß der Kläger in der Spionageabwehr tätig gewesen sei. Der Kläger habe sich mit einer der umfassenden Ausforschung aller gesellschaftlichen und privaten Bereiche und damit der Unterdrückung der eigenen Bevölkerung dienenden Einrichtung voll identifiziert und auch entsprechende Privilegien genossen. Er habe sich von dem Unrechtsstaat der DDR nicht abgewandt. Seine Entlassung sei nicht aus politischen Gründen, sondern wegen strafbarer Handlungen erfolgt. Die Tätigkeit im Sicherheitsbereich der S. hätte der Kläger nicht erhalten können, wenn er dem Staat nicht weiterhin loyal ergeben gewesen wäre. Das gleiche gelte für die Tätigkeit als Kaderleiter bei der Deutschen Post. Dem Zeitablauf seit Ausscheiden beim MfS komme keine Bedeutung zu. Eine arbeitsrechtliche Reaktion auf die Tätigkeit für das MfS nach rechtsstaatlichen Grundsätzen sei bis 1990 nicht möglich gewesen. Schließlich habe der Kläger trotz der Ausbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit nicht darauf vertrauen dürfen, daß eine Kündigung nicht mehr ausgesprochen werde.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung vom 5. November 1991 mit zutreffender Begründung für wirksam erachtet.
I. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Wirksamkeit der Kündigung nach den Kündigungsregelungen des Einigungsvertrags beurteilt. Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten für die Arbeitsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I zum Einigungsvertrag vereinbarten Regelungen. Unstreitig hat das mit der Deutschen Post/DDR (vgl. Senatsurteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 479/92 – n.v.) begründete Arbeitsverhältnis des Klägers zum Zeitpunkt des Beitritts fortbestanden. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, wurde die Deutsche Post/DDR unter Fortsetzung der Arbeitsverhältnisse auf die Deutsche Bundespost überführt. Der Kläger hat danach kein neues Arbeitsverhältnis mit der Beklagten begründet. Sein Arbeitsverhältnis wurde vielmehr mit Wirkung vom 1. Januar 1991 der Rechtsvorgängerin der Beklagten zugeordnet, die als eines der drei Unternehmen der Deutschen Bundespost zu diesem Zeitpunkt das Fernmeldewesen unter Einrichtung neuer Fernmeldeämter übernahm (Art. 27 EV i.V.m. Anl. I Kap. XIII). Deren Umwandlung in eine Aktiengesellschaft mit Wirkung ab dem 1. Januar 1995 hat auf den Prüfungsmaßstab der im Jahre 1991 ausgesprochenen Kündigung keinen Einfluß.
II. Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV liegt ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung dann vor, wenn der Arbeitnehmer für das frühere MfS/Amt für nationale Sicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Die Bestimmung regelt die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung im öffentlichen Dienst eigenständig und abschließend. Der wichtige Grund im Sinne des Abs. 5 EV ist gegeben, wenn die Voraussetzungen des Konditionalsatzes erfüllt sind. Einer Ergänzung des Abs. 5 EV durch eine teilweise oder vollständige Anwendung des § 626 BGB bedarf es nicht (Senatsurteile vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 537/91 – BAGE 70, 323 = AP Nr. 1 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 474/91 – BAGE 70, 309 = AP Nr. 4 a.a.O.; vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – BAGE 74, 120 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag; vom 23. September 1993 – 8 AZR 484/92 – BAGE 74, 257 = AP Nr. 19 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX).
Kündigungsvoraussetzung gemäß Abs. 5 Ziff. 2 EV ist eine bewußte und finale Tätigkeit des Arbeitnehmers für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit. Bei einer hauptberuflichen Mitarbeit im MfS besteht zu einer entsprechenden Erörterung regelmäßig keine Veranlassung.
Die Unzumutbarkeit darf nicht aus anderen Gründen als den in Abs. 5 Ziff. 2 EV bezeichneten Tätigkeiten oder Verhaltensweisen hergeleitet werden. Da diese Tätigkeiten vor dem 3. Oktober 1990 ausgeübt worden sein müssen, knüpft das Kündigungsrecht des Abs. 5 EV allein an in der Vergangenheit liegende Vorgänge an. Eine zusätzliche Interessenabwägung nach den Maßstäben des § 626 Abs. 1 BGB ist nicht vorgesehen.
Der Rechtsbegriff „unzumutbar” erfordert eine Einzelfallprüfung. Das individuelle Maß der Verstrickung bestimmt hierbei über die außerordentliche Auflösbarkeit des Arbeitsverhältnisses. Dieser Grad der Belastung wird bei einem hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit durch seine Stellung sowie die Dauer seiner Tätigkeit bestimmt. Berücksichtigungsfähig sind weiterhin Zeitpunkt und Grund der Aufnahme und der Beendigung dieser Tätigkeit. Besondere Einzelakte oder Auswüchse der Tätigkeit des Beschäftigten werden von Abs. 5 EV nicht vorausgesetzt.
Das Kündigungsrecht gem. Abs. 5 EV ist nur Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes eröffnet. Sie sollen nicht daran gehindert werden, dauerhaftes Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu schaffen. Folglich wird in der Regel mit der Bedeutung der früheren Tätigkeit und der Stellung des Beschäftigten beim MfS die Notwendigkeit einer außerordentlichen Kündigung korrespondieren. Je höher die Stellung oder je größer das Maß der Verstrickung, desto unwahrscheinlicher ist die Annahme, dieser Beschäftigte sei als Angehöriger des öffentlichen Dienstes der Bevölkerung noch zumutbar. Diese äußere Betrachtungsweise, die durch den Rechtsbegriff „erscheint” gefordert ist, begrenzt die Berücksichtigung von Entlastungstatsachen, sofern sich diese nicht in gleicher Weise wie die frühere belastende Tätigkeit manifestiert haben. Nur unter dieser Voraussetzung sind sie geeignet, das Erscheinungsbild der Vorbelastung zu erschüttern und der Feststellung der Unzumutbarkeit entgegenzuwirken.
Ebenfalls bei der Prüfung der Zumutbarkeit zu beachten ist die Art der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer zur Zeit der Kündigung ausübt. Ob das Vertrauen in die Verwaltung durch die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers erschüttert wird, hängt nicht nur von der Verstrickung des Arbeitnehmers mit dem MfS ab, sondern auch davon, welche Wirkungsmöglichkeiten und Befugnisse der Arbeitnehmer in seinem jetzigen Arbeitsverhältnis hat. Die Beschäftigung eines belasteten Arbeitnehmers mit rein vollziehender Sachbearbeitertätigkeit oder handwerklicher Tätigkeit wird das Vertrauen in die Verwaltung weniger beeinträchtigen als die Ausübung von Entscheidungs- und Schlüsselfunktionen.
Der Frage, ob die frühere Tätigkeit ein Festhalten am jetzigen Arbeitsverhältnis noch zu rechtfertigen vermag, wohnt auch ein zeitliches Element inne (Senatsurteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 157/93 – BAGE 76, 334 = AP Nr. 13 zu Art. 20 Einigungsvertrag). Zwar ist § 626 Abs. 2 BGB nicht anwendbar. Das bedeutet aber nicht, daß der Arbeitgeber die Kündigung zeitlich unbegrenzt aussprechen kann. § 626 Abs. 2 BGB stellt eine Konkretisierung des Gedankens dar, daß die Fortsetzung des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses aufgrund von Zeitablauf zumutbar werden kann. Die sofortige Lösung des Arbeitsverhältnisses nach längerer Zeit verbietet sich schon unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens. Der Kündigungsberechtigte darf einen Kündigungsgrund unabhängig von § 626 Abs. 2 BGB nicht beliebig lange zurückhalten, um davon bei ihm gutdünkender Gelegenheit Gebrauch zu machen. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 626 Abs. 2 BGB kann daher der wichtige Grund nach Abs. 5 Ziff. 2 EV durch bloßen Zeitablauf entfallen, ohne daß die weitergehenden Voraussetzungen der allgemeinen Verwirkung, wie das Vorliegen eines Umstandsmoments, erfüllt sein müßten. Eine feste Zeitgrenze, ab wann keine Unzumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis mehr gegeben ist, besteht nicht. Die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist auf einmalige Vorfälle zugeschnitten und paßt wegen der besonderen Umstände der deutschen Wiedervereinigung nicht. Vielmehr bedarf es einer Prüfung, aus welchen Gründen nicht innerhalb der Zweiwochenfrist gekündigt wurde, sowie einer Abwägung des Zeitablaufs mit dem Gewicht der Kündigungsgründe. Maßgebend sind die konkreten Umstände des Einzelfalls. Das Erscheinungsbild der Verwaltung wird mitgeprägt von der Zeitdauer, die der frühere MfS-Mitarbeiter nach der Wiedervereinigung unbeanstandet tätig war.
III. Das Landesarbeitsgericht hat diese Maßstäbe in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auf den Streitfall angewendet.
1. Der Kläger war vom 1. Oktober 1965 bis zum 31. Juli 1981 als Berufssoldat für das frühere MfS tätig. Er hat seinen gelernten Beruf als Hauer zugunsten einer hauptberuflichen Mitarbeit beim MfS aufgegeben. Daß er bewußt für das MfS tätig war, ist zwischen den Parteien unstreitig.
2. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Tätigkeit des Klägers für das MfS habe ein Festhalten am Arbeitsverhältnis für die Beklagte unzumutbar erscheinen lassen, ist rechtsfehlerfrei.
a) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend herausgestellt, der Kläger sei hauptamtlich nahezu 16 Jahre für das MfS tätig gewesen, die letzten 10 Jahre in herausgehobener Position als Offizier (Hauptmann) im Bereich der Spionageabwehr. Der Kläger war schon zu Beginn seiner Tätigkeit für das MfS mit Diensten von nicht nur untergeordneter Natur betraut, denen durchaus eine „Außenwirkung” zukam. Der Umstand, daß er parallel zu seiner Tätigkeit für das MfS ein Studium an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche absolvieren konnte, spricht ebenfalls gegen eine untergeordnete Stellung im Repressionsapparat der Staatssicherheit der DDR. Dabei kommt dem Umstand, daß der Kläger die letzten 10 Jahre ausschließlich im Bereich der Spionageabwehr tätig war, keine entlastende Bedeutung zu (vgl. dazu schon Senatsurteil vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 537/91 – a.a.O., zu A II 2 b der Gründe). Die Spionageabwehr des MfS stand nicht außerhalb des Repressionsapparates der Staatssicherheit. Der Kläger hat vielmehr selbst vorgetragen, von ihm sei erwartet worden, auf jede erdenkliche Art und Weise Erkenntnisse zu sammeln und jede beruflich oder privat gewonnene Information beruflich zu verwenden.
Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, daß die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses eines der Instrumentarien des Repressionsapparates des MfS war, dem der Kläger angehörte. Die Feststellung, der Kläger sei an der institutionalisierten Verletzung des Fernmeldegeheimnisses beteiligt gewesen, ist mit Verfahrensrügen nicht angegriffen worden. Auf dieser Grundlage hat das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt, ein solcher Mitarbeiter sei nicht geeignet, Aufgaben im Bereich des Fernmeldewesens auszuüben, ohne daß das äußere Erscheinungsbild der Beklagten unzumutbar beeinträchtigt würde. Es ist deshalb auch unerheblich, ob im jetzigen Arbeitsverhältnis beim Fernmeldeamt tatsächlich Geheimnisverletzungen durch den Kläger drohen.
b) Demgegenüber rechtfertigt das weitere Entlastungsvorbringen des Klägers keine andere Würdigung.
Das Landesarbeitsgericht hat den Einwand des Klägers, der Eintritt in den Dienst beim MfS sei eine durch seine Sportbegeisterung veranlaßte „Jugendsünde” gewesen, zu Recht als durch die Dauer der Tätigkeit und die erreichte Stellung widerlegt angesehen. Eine irgendwie geartete Zwangssituation ist vom Kläger nicht dargelegt worden.
Nicht zu beanstanden ist ferner die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, der vom Kläger behauptete Ablösungsversuch im Jahre 1979 ändere die Beurteilung der Zumutbarkeit nicht, weil sich das vorgetragene Verhalten nicht in gleicher Weise wie die frühere belastende Tätigkeit manifestiert habe. Der Kläger hat sich entgegen der Auffassung der Revision nicht seit 1979 „offenkundig” vom DDR-Unrechtsstaat abgewandt. Wie das Landesarbeitsgericht vielmehr bindend festgestellt hat, blieb er trotz des behaupteten Entpflichtungsantrags in bisheriger Funktion und mit gleichem militärischen Rang im Dienste des MfS und konnte sogar sein Studium an der Kadereinrichtung des MfS in Potsdam-Eiche fortführen und erfolgreich beenden. Hierdurch kommt eher die besondere Verbundenheit des Klägers mit dem System zum Ausdruck (vgl. dazu Senatsurteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 479/92 – n.v., zu II 2 der Gründe).
Die Entlassung des Klägers zum 31. Juli 1981 wirkte zwar nach außen, dokumentierte jedoch keine Abkehr vom MfS. Zu dieser Zeit lag nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kein Abkehrwille des Klägers vor, die Entlassung erfolgte vielmehr gerade gegen dessen Willen anläßlich einer Trunkenheitsfahrt mit anschließendem Widerstand gegen Volkspolizisten. Der Tatsache, daß die Tätigkeit des Klägers für das MfS nicht über das Jahr 1981 hinaus andauerte, kommt unter diesen Umständen keine entscheidende Entlastung zu.
Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Auffassung des Klägers, selbst Straftätern werde die Möglichkeit zur Rehabilitierung eingeräumt, zurückgewiesen. Es geht bei Abs. 5 Ziff. 2 EV in der Tat nicht darum, ein früheres Verhalten zu sanktionieren.
3. Die Kündigung erweist sich nicht wegen widersprüchlichen Verhaltens der Beklagten oder wegen Zeitablaufs als unwirksam.
a) Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, durfte der Kläger aus der Tatsache, daß er zunächst in das Fernmeldeamt G. übernommen wurde, nicht schließen, er könne endgültig bei der Beklagten verbleiben. Die Überprüfung der Beschäftigten auf eine frühere Tätigkeit für das MfS war nicht Aufgabe der örtlichen Dienststellen, sondern erfolgte zentral durch die Oberpostdirektion und die Generaldirektion der Beklagten. Die Übernahme des Klägers in das Fernmeldeamt G. stand allein im Zusammenhang mit dem parallel verlaufenden organisatorischen Neuaufbau der Dienststelle. Aufgrund dieser bindenden Feststellungen (§ 561 ZPO) ist es nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht es für unerheblich gehalten hat, daß sich der Kläger vor seiner erfolgreichen Bewerbung auf den Dienstposten Organisation dem damaligen Personalleiter offenbart hatte. Entsprechendes gilt für die Feststellung und Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe bei Beantwortung des Fragebogens am 26. März 1991 gewußt, daß nunmehr die Überprüfung eingeleitet war, er habe keinesfalls darauf vertrauen können, daß das Überprüfungsverfahren schon im April 1991 bei der erfolgreichen Bewerbung für den Dienstposten einer Sicherheitskraft seinen Abschluß gefunden habe. Die Ausbildungsmaßnahmen standen danach allein im Zusammenhang mit dieser neuen Tätigkeit und hatten keinen Bezug zu der parallel laufenden Überprüfung des Klägers wegen seiner früheren Tätigkeit für das MfS. Sie dienten im Interesse des Klägers dazu, diesem einen – bei günstiger Einzelfallprüfung dauerhaften – Arbeitsplatz zuzuweisen, noch bevor mit dem Abschluß des Überprüfungsverfahrens gerechnet werden konnte.
b) Die für das Fernmeldeamt G. zuständige Oberpostdirektion hatte ca. 6.000 Fragebögen auszuwerten. Die Anhörung aufgrund der sich aus dem Fragebogen des Klägers ergebenden Belastungsmomente erfolgte am 26. September 1991. Die rechtliche Wertung des Landesarbeitsgerichts, angesichts der Vielzahl der zu überprüfenden Mitarbeiter sei keine unangemessen lange Zeit verstrichen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 22. April 1993 – 8 AZR 655/92 – n.v., zu II 5 der Gründe). Dasselbe gilt für die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, der Ausspruch der Kündigung mit Schreiben vom 5. November 1991 stelle keine ungebührliche Verzögerung dar.
c) Aus dem Umstand, daß die Beklagte – nach der Behauptung des Klägers – zwei ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit im Fernmeldeamt G. weiterbeschäftigt hat, ergibt sich weder ein widersprüchliches Verhalten der Beklagten noch ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Kläger hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts schon nicht behauptet, diese Mitarbeiter seien hinsichtlich des Grades der Belastung vergleichbar.
4. Es bedarf keiner Entscheidung, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Arbeitnehmer mit Erfolg geltend machen kann, der öffentliche Arbeitgeber müsse ihn auf einem anderen, weniger sensiblen Arbeitsplatz, etwa auch in einer anderen Einrichtung, beschäftigen. Denn der Kläger hat sich auf eine solche Möglichkeit nicht berufen.
5. Das Kündigungsrecht ist nicht verwirkt. Da der Zeitablauf bis zur Kündigung nicht zur Zumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis geführt hat, liegen auch die weitergehenden Voraussetzungen der Verwirkung nicht vor (vgl. Senatsurteil vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 180/93 – n.v., zu II 4 der Gründe).
IV. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung folge nicht aus § 79 Abs. 4 BPersVG.
1. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angefochtenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wurde die Kündigung von der Generaldirektion der Beklagten in Form einer Entscheidungsempfehlung vorbereitet und dann von dem hierfür zuständigen Leiter der Dienststelle G ausgesprochen. Daraus folgt, daß die Entscheidungsbefugnis allein beim Leiter der Dienststelle in G lag. Damit war der örtliche Personalrat und nicht die Stufenvertretung zu beteiligen (vgl. etwa BAG Urteil vom 26. Oktober 1995 – 2 AZR 629/94 – AP Nr. 34 zu Art. 20 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 2 a der Gründe). § 82 Abs. 1 BPersVG sieht die Beteiligung der Stufenvertretung nur für den Fall vor, daß eine Entscheidung in einer beteiligungspflichtigen Angelegenheit mit Wirkung für die Beschäftigten einer Dienststelle nicht von dieser getroffen wird, sondern von einer ihr übergeordneten Dienststelle, bei der die Entscheidungskompetenz liegt.
2. Die Revisionsrüge, das dem Personalratsvorsitzenden übergebene Anhörungsschreiben sei nicht vom Leiter der Dienststelle im Sinne des BPersVG unterzeichnet worden, ist unbegründet. Wie der Senat im Anschluß an die neuere Rechtsprechung des Zweiten Senats (vgl. Urteil vom 26. Oktober 1995 – 2 AZR 743/94 – AP Nr. 8 zu § 79 BPersVG, zu II 2 b, c der Gründe; Urteil vom 26. Oktober 1995 – 2 AZR 423/94 – n.v., zu II 1 der Gründe) entschieden hat (vgl. Urteil vom 18. Januar 1996 – 8 AZR 868/93 – n.v., zu II 3 b der Gründe), handelt nach § 7 BPersVG für die Dienststelle ihr Leiter. Er kann sich bei Verhinderung durch seinen ständigen Vertreter vertreten lassen. Das gleiche gilt für sonstige Beauftragte, sofern der Personalrat sich mit dieser Beauftragung einverstanden erklärt. Das Tätigwerden eines sonstigen Beauftragten setzt danach eine Verhinderung des Dienststellenleiters voraus.
Ist der Dienststellenleiter tatsächlich nicht verhindert, so führt dieser Mangel jedoch dann nicht zur Unwirksamkeit einer Kündigung, wenn der Personalrat im Laufe des Beteiligungsverfahrens das Tätigwerden des sonstigen Beauftragten nicht rügt. Davon ist im Streitfall auszugehen. Der Personalrat hat unstreitig nach erfolgter Anhörung der außerordentlichen Kündigung zugestimmt. Es fehlt jeder Anhaltspunkt für die Annahme, der Personalrat habe etwa Zweifel am Vorliegen eines Verhinderungsfalles geltend gemacht oder aus anderen Gründen dem Tätigwerden eines Vertreters oder Beauftragten widersprochen.
3. Der Personalrat wurde auch nicht unzureichend lediglich schlagwortartig unterrichtet. Im Anhörungsschreiben vom 29. Oktober 1991 war vielmehr als Kündigungsgrund die Tätigkeit des Klägers für das MfS angegeben und wegen der Einzelheiten auf das beiliegende Anhörungsprotokoll vom 26. September 1991 verwiesen. Dem Personalrat wurden damit ordnungsgemäß die Umstände mitgeteilt, die den Arbeitgeber zur Kündigung veranlaßt haben. Die Revision erhebt insoweit auch keine Rügen mehr.
V. Da das Arbeitsverhältnis schon durch die außerordentliche Kündigung beendet wurde, hat das Landesarbeitsgericht die Feststellungsklage zu Recht insgesamt abgewiesen. Mit dieser Entscheidung wird der Rechtsstreit rechtskräftig abgeschlossen. Über den Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits ist nicht mehr zu befinden.
VI. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch Mache, Umfug
Fundstellen