Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung wegen tätlicher Auseinandersetzung unter Arbeitskollegen. hier: Annahmeverzugsanspruch. Verzugslohnanspruch des Arbeitsnehmers. Leistungshindernis bei Erteilung eines Hausverbots. Beweislastverteilung
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach Ausspruch einer unwirksamen fristlosen oder ordentlichen Kündigung ist ein Arbeitsangebot gem. § 296 S. 1 BGB grundsätzlich entbehrlich.
2. Ein Leistungshindernis auf Seiten des Arbeitnehmers, das dessen Verzugslohnanspruch ausschließt, kann auch dann vorliegen, wenn ihm vom Auftraggeber seines Arbeitgebers ein Hausverbot erteilt wurde, es sei denn, der Arbeitnehmer hat das Hausverbot nicht zu vertreten oder dem Arbeitgeber ist es möglich und zumutbar, den Arbeitnehmer auf einem anderen zur Verfügung stehenden Arbeitsplatz einzusetzen.
3. Die Beweislast für das Bestehen eines den Verzugslohnanspruch ausschließenden Leistungshindernisses auf Seiten des Arbeitnehmers trägt der Arbeitgeber.
Normenkette
BGB § 615 S. 1, § 297
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 10.10.2005; Aktenzeichen 10 Sa 1932/04) |
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 20.07.2004; Aktenzeichen 5 Ca 10026/03) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 10. Oktober 2005 – 10 Sa 1932/04 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger Vergütungsansprüche für die Monate Juni bis Oktober 2003 zustehen.
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 4. November 2002 aufgrund eines bis zum 31. Oktober 2003 befristeten Arbeitsvertrags als Luftfrachtabfertiger beschäftigt. Nach § 1 des Arbeitsvertrags war der Kläger verpflichtet, auch außerhalb seines Aufgabenbereichs sämtliche “in der Firma” anfallenden Tätigkeiten, die ihm zugewiesen werden, auszuführen. Er erzielte bei einem Stundenlohn von zuletzt 9,50 Euro – unter Berücksichtigung geleisteter Überstunden sowie Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit – ein durchschnittliches Monatseinkommen von 1.988,20 Euro.
Der Kläger war auf dem F-Flughafen im L-Cargo-Center (LCC), zuletzt als Gabelstaplerfahrer eingesetzt. Dort erbringt die Beklagte Luftfrachtabfertigungsdienstleistungen für die L… und andere Fluggesellschaften. Darüber hinaus verfügt die Beklagte über Räumlichkeiten in der C…, wo sie ebenfalls die Frachtannahme, Frachtabfertigung und Lagerung von Transportgut, überwiegend für andere Gesellschaften als die L…, durchführt. Gleiche Tätigkeiten fallen auf dem Flughafen H… an.
Am 31. Mai 2003 kam es während der Arbeitszeit zwischen dem Kläger und seinem Arbeitskollegen Ak zu einer zunächst verbal geführten, später mit Tätlichkeiten verbundenen Auseinandersetzung, in deren Verlauf beide Arbeitnehmer blutende Verletzungen erlitten und anschließend ärztlich versorgt werden mussten. Beide Arbeitnehmer bezichtigten sich wechselseitig, die Auseinandersetzung begonnen zu haben. Die L… C… AG, die im LCC das Hausrecht ausübt, sprach gegenüber beiden Arbeitnehmern zunächst ein vorläufiges und anschließend – gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 4. Juni 2003 – ein endgültiges Hausverbot aus.
Wegen dieses Vorfalls kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 6. Juni 2003, das dem Kläger am selben Tag zuging, fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Hiergegen hat der Kläger in einem parallel geführten Rechtsstreit fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben.
Der Kläger hat geltend gemacht: Die Kündigung sei unwirksam. Die Beklagte schulde ihm Vergütung für die Zeit vom 1. Juni 2003 bis einschließlich 31. Oktober 2003, wobei er seinen Anspruch jeweils mit 1.988,20 Euro monatlich beziffert hat. Die Beklagte habe ihn ungeachtet des – seiner Ansicht nach zu Unrecht – erteilten Hausverbots anderweitig einsetzen können und müssen. Arbeitslosengeld habe er im entscheidungserheblichen Zeitraum nicht bezogen.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für die Monate Juni bis September 2003 Vergütung von brutto 7.952,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 1.988,20 Euro ab 1. Juli 2003, 1. August 2003, 1. September 2003 sowie 1. Oktober 2003 zu zahlen.
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für Oktober 2003 Vergütung von brutto 1.988,20 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 1. November 2003 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung vom 6. Juni 2003 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Damit stünden dem Kläger, unter Berücksichtigung einer bis zum 6. Juni 2003 erfolgten ordnungsgemäßen Abrechnung des Arbeitsverhältnisses, keine Vergütungsansprüche mehr zu.
Die Vorinstanzen haben die Klage – wie auch die vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage – abgewiesen. Mit seiner vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Zahlungsansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt, da der Senat nicht abschließend beurteilen kann, ob dem Kläger die geltend gemachte Vergütung zusteht, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung – zusammengefasst – wie folgt begründet: Das Arbeitsverhältnis sei durch die fristlose Kündigung der Beklagten, wie in dem Kündigungsrechtsstreit entschieden, beendet worden. Dem Kläger stünden daher über diesen Zeitpunkt hinaus keine weiteren Vergütungsansprüche zu. Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 6. Juni 2003 komme es nicht mehr darauf an, ob sich die Beklagte bei Unwirksamkeit der Kündigung überhaupt in Annahmeverzug befunden habe, insbesondere ob nicht mit der Verhängung des vorläufigen und sodann des endgültigen Hausverbots ein Fall der Leistungsunmöglichkeit iSv. § 297 BGB in der Person des Klägers vorgelegen habe, was den Annahmeverzug des Klägers ausschließe.
II. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
1. Im Umfang der für die Zeit nach Zugang der Kündigung erhobenen Entgeltansprüche ist der Rechtsstreit nicht zur Entscheidung reif. Es steht noch nicht fest, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die dem Kläger am 6. Juni 2003 zugegangene Kündigung mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Der Senat hat in dem Kündigungsrechtsstreit der Parteien durch Urteil vom 18. September 2008 (– 2 AZR 1039/06 –) das die Klage abweisende Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 10. Oktober 2005 (– 10 Sa 1931/04 –) aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die dortigen Entscheidungsgründe Bezug genommen.
a) Erweist sich bei der im Kündigungsrechtsstreit erneut zu treffenden Entscheidung die fristlose Kündigung als gerechtfertigt, besteht für die Zeit nach dem 6. Juni 2003 kein Zahlungsanspruch des Klägers mehr. Ist dagegen die Kündigungsschutzklage des Klägers erfolgreich, bedurfte es ab Zugang der Kündigung zur Begründung eines Annahmeverzugslohnanspruchs des Klägers gemäß § 615 Satz 1 BGB grundsätzlich keines Arbeitsangebots des Klägers. Nach Ausspruch einer unwirksamen fristlosen (Senat 9. August 1984 – 2 AZR 374/83 – BAGE 46, 234, 243 f.) wie ordentlichen (Senat 21. März 1985 – 2 AZR 201/84 – AP BGB § 615 Nr. 35 = EzA BGB § 615 Nr. 44) Kündigung ist ein solches Angebot gemäß § 296 Satz 1 BGB grundsätzlich entbehrlich.
b) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht unabhängig von der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hat ausdrücklich dahinstehen lassen, ob mit der Verhängung des zunächst vorläufigen und sodann endgültigen Hausverbots in der Person des Klägers eine den Annahmeverzug ausschließende Leistungsunmöglichkeit (§ 297 BGB) vorgelegen hat. Auch in dieser Frage kann der Senat keine abschließende Entscheidung treffen.
aa) Nach § 297 BGB kommt der Gläubiger nicht in Verzug, wenn der Schuldner zur Zeit des Angebots oder im Falle des § 296 BGB zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken.
bb) Ein den Verzugslohnanspruch des Arbeitnehmers ausschließendes Leistungshindernis auf Seiten des Arbeitnehmers kann auch dann vorliegen, wenn ihm der Auftraggeber seines Arbeitgebers ein Hausverbot erteilt (vgl. LAG Bremen 24. August 2000 – 4 Sa 68/00 – NZA-RR 2000, 632; Hessisches LAG 26. April 2000 – 13 SaGa 3/00 – NZA-RR 2000, 633; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 12. Aufl. § 95 Rn. 46). Unabhängig von der Frage, ob dies – wofür einiges spricht – voraussetzt, dass der Arbeitnehmer die Erteilung des Hausverbots zu vertreten hat (vgl. ausführlich zur Problematik: Schmiegel/Robrecht FS Löwisch S. 355 ff.), wird der Annahmeverzug durch das Hausverbot jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, wenn es dem Arbeitgeber möglich und zumutbar ist, den Arbeitnehmer auf einem anderen zur Verfügung stehenden Arbeitsplatz einzusetzen (vgl. LAG Bremen 24. August 2000 – 4 Sa 68/00 – aaO; Hessisches LAG 26. April 2000 – 13 SaGa 3/00 – aaO; HWK/Krause 3. Aufl. § 615 BGB Rn. 49; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 12. Aufl. § 95 Rn. 46). Die Beweislast für das Bestehen eines den Verzugslohnanspruch ausschließenden Leistungshindernisses auf Seiten des Arbeitnehmers trägt der Arbeitgeber (Staudinger/Löwisch BGB (2001) § 297 Rn. 19; Palandt/Heinrichs BGB 67. Aufl. § 297 Rn. 3).
cc) Das Landesarbeitsgericht wird daher ggf. im Hinblick auf das dem Kläger erteilte Hausverbot zu prüfen haben, ob die Beklagte – unter Berücksichtigung der im Arbeitsvertrag vereinbarten Versetzungsklausel – berechtigt und verpflichtet war, dem Kläger, der sich auf eine bestehende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ausdrücklich berufen hat, einen Arbeitsplatz auf dem Flughafen H… anzubieten.
dd) Darüber hinaus wird sich der Kläger abschließend, unter Berücksichtigung seines Vorbringens in der Revision, zum Umfang der bezogenen Sozialhilfeleistungen zu erklären haben.
2. Auch eine Entscheidung dazu, ob dem Kläger der geltend gemachte Vergütungsanspruch bis zum Zugang der Kündigung, dh. für die Zeit vom 1. Juni bis einschließlich 6. Juni 2003 zusteht, kann der Senat nicht treffen. Zwar ist dieser Teil der Zahlungsklage nicht vom Ausgang des Kündigungsrechtsstreits abhängig. Es fehlt aber auch insoweit an ausreichenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, die dem Senat eine rechtliche Überprüfung des angefochtenen Berufungsurteils ermöglichen.
a) Soweit der Kläger seinen Lohnanspruch auf einen Annahmeverzug der Beklagten (§ 615 BGB) stützt, wird das Landesarbeitsgericht zunächst der Frage nachzugehen haben, ob überhaupt ein wirksames Arbeitsangebot des Klägers vorlag oder ob ein solches entbehrlich war.
b) Sollte ein Anspruch des Klägers entstanden sein, wird das Landesarbeitsgericht der Behauptung der Beklagten nachzugehen haben, sie habe das Arbeitsverhältnis für die Zeit bis zum 6. Juni 2003 “ordnungsgemäß abgerechnet”. Ob darin – wovon offenbar das Arbeitsgericht ausgegangen ist – der Einwand der Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB) liegt, bedarf seitens der Beklagten der Klarstellung. Der Kläger hat das Vorbringen der Beklagten als unsubstantiiert gerügt. Nähere Einzelheiten hat die Beklagte nicht vorgetragen. Eine Lohnabrechnung liegt nicht vor.
Unterschriften
Schmitz-Scholemann, Linsenmaier, Berger, K. Schierle, Dr. Roeckl
Fundstellen