Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 3; KSchG § 1; PersVG-DDR §§ 82, 116b; BPersVG § 82
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 26.11.1992; Aktenzeichen 2 Sa 94/92) |
KreisG Bautzen (Urteil vom 04.03.1992; Aktenzeichen 1 Ca 2083/91) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 26. November 1992 – 2 Sa 94/92 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 3 des Einigungsvertrages (künftig: Abs. 4 Ziff. 3 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
Die 1941 geborene Klägerin ist ausgebildete Diplom-Pädagogin. Seit 1977 war sie am Sorbischen Institut für Lehrerbildung in Bautzen als Fachschullehrerin im Bereich Kindergärtnerinnenausbildung/Erzieherinnenausbildung tätig und unterrichtete in den Fächern Theorie, Methodik der Kinderliteratur, Literatur und Sprecherziehung. Das Sorbische Institut für Lehrerbildung war eine Fachschule zur Ausbildung von Lehrern unterer Klassen und von Kindergärtnerinnen.
Im Mai 1991 entschied der Sächsische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, daß die bisherige Fachschulausbildung am Sorbischen Institut beendet und das Institut als bisherige Einrichtung zur Ausbildung von Lehrkräften ersatzlos aufgelöst werde. Der Staatsminister bevollmächtigte den Direktor des Sorbischen Instituts, die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Mitarbeiter des Instituts zum 31. August 1991 zu kündigen. Demgemäß kündigte der Institutsdirektor mit Schreiben vom 30. Mai 1991 im Auftrag des Staatsministers auch das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 31. August 1991.
Seit 1. September 1991 betreibt der Beklagte in den Räumen des bisherigen Sorbischen Instituts für Lehrerbildung ein Gymnasium und die Sorbische Fachschule für Sozialpädagogik, in der Erzieher ausgebildet werden. Ein Teil der beim Sorbischen Institut für Lehrerbildung beschäftigten Arbeitnehmer wurde bei der Sorbischen Fachschule für Sozialpädagogik neu eingestellt. Die Klägerin zählte hierzu nicht. Während beim Sorbischen Institut für Lehrerbildung 61 Lehrer beschäftigt waren, sind an der Fachschule für Sozialpädagogik nur noch 19 Lehrer beschäftigt.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung vom 30. Mai 1991 sei unwirksam. Der örtliche Personalrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Das Sorbische Institut für Lehrerbildung sei nicht ersatzlos aufgelöst, sondern bestehe – wenn auch mit teilweise anderem Inhalt – fort. So würden nach wie vor Kindergärtnerinnen ausgebildet. Der Beklagte hätte prüfen müssen, ob sie nicht hätte weiterbeschäftigt werden können. Auch unter sozialen Gesichtspunkten hätte der Beklagte sie als ältere Arbeitnehmerin mit längerer Betriebszugehörigkeit bei der Einstellung in der Fachschule für Sozialpädagogik berücksichtigen müssen.
Die Klägerin hat, soweit in der Revision erheblich, beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 30. Mai 1991 nicht aufgelöst worden sei.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, das Sorbische Institut für Lehrerbildung sei ersatzlos aufgelöst worden. Die neugegründete Sorbische Fachschule für Sozialpädagogik sei mit dem aufgelösten Sorbischen Institut für Lehrerbildung nicht vergleichbar. Während früher Lehrer und Kindergärtnerinnen ausgebildet worden seien, würde nunmehr eine breit angelegte pädagogische Ausbildung vermittelt, die die Absolventen befähige, in allen Tätigkeitsbereichen eines Erziehers mit Kindern und Jugendlichen in allen Altersstufen bis 18 Jahren zu arbeiten.
Die Beteiligung des Personalrats sei nicht erforderlich gewesen. Die Kündigung sei vom Institutsleiter im Namen des Ministers erklärt worden. Ein Hauptpersonalrat habe aber zur Zeit der Kündigung beim Ministerium nicht bestanden. Eine Pflicht, den örtlichen Personalrat zu beteiligen, habe sich daraus nicht ergeben.
Das Kreisgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 30. Mai 1991 zum 31. August 1991 aufgelöst worden.
I. Die Kündigung ist wegen ersatzloser Auflösung der bisherigen Beschäftigungsstelle der Klägerin nach Abs. 4 Ziff. 3 EV gerechtfertigt.
1. Nach Abs. 4 Ziff. 3 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn die bisherige Beschäftigungsstelle ersatzlos aufgelöst wird oder bei Verschmelzung, Eingliederung oder wesentlicher Änderung des Aufbaues der Beschäftigungsstelle die bisherige oder eine anderweitige Verwendung nicht mehr möglich ist. Eine Beschäftigungsstelle wird in diesem Sinne ersatzlos aufgelöst, wenn der Träger öffentlicher Verwaltung die bisherige organisatorische Verwaltungseinheit von materiellen, immateriellen und personellen Mitteln aufgibt und deren Verwaltungstätigkeit dauerhaft einstellt. Dabei kennzeichnet der Begriff „Beschäftigungsstelle” die räumliche Einheit, in der die Bediensteten ihre Arbeitsleistung erbringen. Er umfaßt jede Behörde und Dienststelle des Trägers öffentlicher Verwaltung. Darüber hinaus können auch lediglich räumlich verselbständigte Untereinheiten einer Dienststelle oder einer Behörde als Beschäftigungsstelle aufgelöst werden. Durch den Kündigungstatbestand in Abs. 4 Ziff. 3 EV sollte der denkbaren Auflösung verschiedenster Organisationseinheiten der öffentlichen Verwaltung der ehemaligen DDR Rechnung getragen werden. Dem Begriff der Beschäftigungsstelle kommt eine Auffangfunktion zu, um der Vielfalt möglicher Organisationsformen gerecht zu werden. Eine besondere, über die räumliche Einheit hinausgehende organisatorische Selbständigkeit ist nicht Voraussetzung (Senatsurteil vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 714/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu C I 1 der Gründe; Senatsurteil vom 21. Juli 1994 – 8 AZR 227/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu B III 2 b der Gründe).
2. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die ersatzlose Auflösung der bisherigen Beschäftigungsstelle der Klägerin angenommen.
a) Die bisherige Beschäftigungsstelle der Klägerin war das Sorbische Institut für Lehrerbildung. Dieses Institut wurde durch Beschluß des Sächsischen Staatsministers für Wissenschaft und Kunst aufgelöst. Das Institut hat seine Verwaltungstätigkeit dauerhaft eingestellt. Die Ausbildung von Lehrern für untere Jahrgangsstufen und von Kindergärtnerinnen wurde beendet. Die bestehende organisatorische Verwaltungseinheit des Sorbischen Instituts für Lehrerbildung wurde aufgelöst. Mit der Einrichtung des Gymnasiums und der Fachschule für Sozialpädagogik wurden neue organisatorische Strukturen geschaffen. Die Beschäftigungsstelle der Klägerin wurde damit aufgelöst und nicht – wie die Klägerin meint – unter anderem Namen fortgeführt.
b) Die Auflösung der bisherigen Beschäftigungsstelle der Klägerin erfolgte ersatzlos. Die Sorbische Fachschule für Sozialpädagogik hat das Sorbische Institut für Lehrerbildung nicht ersetzt. Eine Beschäftigungsstelle wird nur dann ersetzt, wenn eine neue Beschäftigungsstelle entsteht, die in räumlichem oder organisatorischem Zusammenhang mit der bisherigen Beschäftigungsstelle im wesentlichen die Aufgaben der bisherigen Beschäftigungsstelle erfüllt. Die Sorbische Fachschule für Sozialpädagogik hat ihre Tätigkeit zwar in den Räumen des bisherigen Instituts für Lehrerbildung aufgenommen. Sie erfüllt jedoch mit der Ausbildung von Erziehern und Erzieherinnen eine andere Aufgabe. Diese Erzieherausbildung ist nach dem vom Beklagten vorgetragenen Konzept weder mit der Lehrerausbildung noch mit der Ausbildung von Kindergärtnerinnen am früheren Sorbischen Institut für Lehrerbildung im wesentlichen gleichzusetzen.
Die Ausbildung zum Erzieher ist danach eine breit angelegte pädagogische Ausbildung, die zum Einsatz in den verschiedensten Bereichen der Erziehungsarbeit befähigt. Erzieher können Kinder und Jugendliche im Alter bis 18 Jahren in den unterschiedlichsten Einrichtungen betreuen. Erzieher können nicht nur Kindergärtnerinnen, sondern z.B. auch Heimerzieher oder Betreuer in der Stadtteilarbeit werden. Die Ausbildung zum Erzieher ist in ihrer Zielsetzung viel umfassender als die Ausbildung zur Kindergärtnerin, so daß es sich um eine gänzlich andere und nicht nur um eine Neuprofilierung der Ausbildung handelt. Allein die Tatsache, daß die Zielsetzung der Erzieherausbildung sich in einem Teilbereich – soweit sie zum Einsatz in Kindergärten befähigt – mit der Kindergärtnerinnenausbildung deckt, genügt nicht für die Annahme, daß die Sorbische Fachschule für Sozialpädagogik im wesentlichen die gleichen Aufgaben erfüllt wie das Sorbische Institut für Lehrerbildung.
c) Die Fachschule für Sozialpädagogik ist nicht deshalb Ersatzeinrichtung, weil dort auch Studentinnen des ehemaligen Sorbischen Instituts für Lehrerbildung ausgebildet werden. Nachdem die bisherige Ausbildungsmöglichkeit mit der Auflösung des Instituts für Lehrerbildung weggefallen war, lag es für die Studentinnen nahe, sich für eine Ausbildung als Erzieherin zu entscheiden, die ihnen sowohl die Verwirklichung des ursprünglichen Berufswunsches Kindergärtnerin als auch noch weitere Einsatzmöglichkeiten eröffnet. Die Studentinnen setzen damit aber nicht eine bereits begonnene Ausbildung fort, sondern streben einen anderen Ausbildungsabschluß an.
3. Entgegen der Ansicht der Revision, ist die Kündigung nicht wegen der Möglichkeit, die Klägerin an einem anderen Arbeitsplatz zu beschäftigen, oder wegen fehlerhafter sozialer Auswahl unwirksam. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die entsprechenden Grundsätze des § 1 Abs. 2 und Abs. 3 KSchG für betriebsbedingte Kündigungen auf Kündigungen nach Abs. 4 Ziff. 3, 1. Alt. EV überhaupt Anwendung finden. Die Klägerin hat nämlich weder eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit noch eine fehlerhafte Sozialauswahl dargelegt.
a) Die Klägerin hat eine reale Beschäftigungsmöglichkeit auf einem anderweiten freien Arbeitsplatz nicht aufgezeigt. Ihr bloßer Hinweis, der Beklagte hätte sie bei der Sorbischen Fachschule für Sozialpädagogik beschäftigen müssen, reicht nicht aus. Die Klägerin hätte zumindest darlegen müssen, wie sie sich die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit vorstellte.
b) Die Klägerin hat auch eine fehlerhafte soziale Auswahl nicht dargelegt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Arbeitgeber im Umfang seiner materiellrechtlichen Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz KSchG auf Verlangen des Arbeitnehmers auch im Kündigungsschutzprozeß die Gründe darzulegen, die ihn zu der getroffenen sozialen Auswahl veranlaßt haben. Im übrigen trägt der Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich ergeben soll, daß der Arbeitgeber bei der Auswahl soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (vgl. BAGE 62, 116, 125 f. = AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu B I 3 b der Gründe).
Der Vortrag der Klägerin erschöpft sich in der Behauptung, der Beklagte hätte sie bei der Einstellung früherer Lehrer des Sorbischen Instituts bei der Fachschule für Sozialpädagogik aus sozialen Gründen (wegen ihres Lebensalters und ihrer längeren Dienstzeit) berücksichtigen müssen. Dieser Vortrag enthält weder die Aufforderung an den Beklagten, er möge die maßgeblichen Gründe für seine Sozialauswahl nennen, noch die Darlegung, daß bestimmte bei der Fachschule für Sozialpädagogik eingestellte Lehrer sozial weniger schutzwürdig seien als die Klägerin.
II. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Kündigung nicht wegen fehlender Personalratsbeteiligung unwirksam.
1. Gemäß § 82 Abs. 1 PersVG-DDR, der wortgleich mit § 82 Abs. 1 BPersVG ist, wäre die Stufenvertretung bei der für die Kündigung zuständigen Dienststelle, die hier das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst war, zu beteiligen gewesen. Unstreitig bestand bei diesem Ministerium keine Stufenvertretung, so daß eine Beteiligung entfiel.
Wie der Senat in vergleichbaren Fällen wiederholt entschieden hat, war keine andere Vertretung, etwa nach § 82 Abs. 6, § 116 b Abs. 2 Nr. 5 PersVG-DDR, zu beteiligen (vgl. z.B. Urteil des Senats vom 21. Juli 1994 – 8 AZR 227/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu B III 2 a aa der Gründe; ebenso Beschluß des Ersten Senats vom 14. Juni 1994 – 1 ABR 55/93 – n. v., zu B II der Gründe).
2. Entgegen der Revision kann die Unwirksamkeit der Kündigung auch nicht daraus abgeleitet werden, daß das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst die Einleitung der Wahl eines Hauptpersonalrates unterlassen haben soll. Eine Rechtsvorschrift, aus der eine solche Folge hergeleitet werden könnte, existiert nicht und kann auch nicht aus der von der Revision zitierten Denkschrift zum Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 entnommen werden. Dem dort geäußerten Anliegen hat das PersVG-DDR bereits Rechnung getragen.
3. Schließlich kann die Klägerin sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß der örtliche Personalrat deshalb zu beteiligen gewesen sei, weil der Direktor des Sorbischen Instituts für Lehrerbildung die Kündigung ausgesprochen habe. In dem Kündigungsschreiben des Institutsdirektors vom 30. Mai 1991 wird die Kündigung „bevollmächtigt durch den Staatsminister für Wissenschaft und Kunst” mitgeteilt. Das Schreiben unterzeichnete der Direktor ausdrücklich „im Auftrage des Staatsministers”. Damit ist klargestellt, daß die Kündigung vom Staatsminister, vertreten durch den Institutsdirektor, ausgesprochen wurde.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Hickler, Rödder
Fundstellen