Entscheidungsstichwort (Thema)
Erschwerniszulage
Orientierungssatz
Wird durch das Tragen einer Schutzkleidung eine konkrete Gesundheitsschädigung verhindert, so entfallen dadurch nicht die Voraussetzungen für die Zahlung der Erschwerniszulage. Die Tarifvertragsparteien haben im Anhang S Ziffer II 1 ALTV 2 ausdrücklich darauf abgestellt, ob die Tätigkeit als solche im besonderen Maße den dort genannten Einflüssen ausgesetzt ist. Dies ist aber auch dann der Fall, wenn die auf die Tätigkeit unmittelbar einwirkenden Einflüsse, wie es vorliegend sogar gesetzlich zwingend geboten war, auf ein gesundheitsverträgliches Maß herabgesetzt werden (BAG Urteil vom 3.9.1986 4 AZR 315/85 = AP Nr 3 zu § 21 TVAL II).
Normenkette
ALTV § 21; ALTV 2 § 21
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Entscheidung vom 09.12.1986; Aktenzeichen 2 Sa 80/85) |
ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 07.05.1985; Aktenzeichen 8 Ca 259/85 A) |
Tatbestand
Der Kläger, der Mitglied der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) ist, ist seit dem 1. März 1973 bei den amerikanischen Stationierungsstreitkräften als Wasserwerker beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TVAL II) kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG).
Zu den Aufgaben des Klägers gehört auch die Aufbereitung von Wasser unter Verwendung von Chlor und Fluor. Dabei trägt der Kläger eine geschlossene Gesichtsmaske mit Filter und Gummihandschuhe. Für diese Tätigkeit erhielt er bis zum Monat Mai 1984 eine Erschwerniszulage in Höhe von 10 v. H. seines Grundlohnes pro Stunde.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß ihm die Erschwerniszulage weiterhin zustehe. Die Beklagte sei zur Zahlung nach dem Anhang S Ziffer II 1 in Verbindung mit § 21 Ziffer 4 b (4) TVAL II verpflichtet, da seine Tätigkeit in besonderem Maße den Einflüssen von Gasen sowie von Ätz- und Giftstoffen ausgesetzt sei. Auch die Schutzkleidung garantiere keinen vollständigen Schutz. Seinen Anspruch auf Zahlung der Erschwerniszulage hat der Kläger für 106 in den Monaten Mai 1984 bis Februar 1986 geleistete Arbeitsstunden geltend gemacht.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn
141,90 DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, daß dem Kläger eine Erschwerniszulage nicht zustehe. Die Verwendung von Chlor und Fluor gehöre zu den üblichen Aufgaben eines Wasserwerkers und stelle keine besondere Arbeitserschwernis dar. Sie werde deshalb mit dem tariflichen Grundlohn abgegolten. Außerdem sei der Kläger den Einflüssen dieser Chemikalien nicht in besonderem Maße ausgesetzt, da die Schutzkleidung schädliche Einflüsse gerade verhindere. Das Tragen der Schutzkleidung sei keine Arbeitserschwernis im tariflichen Sinne.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht erkannt, daß dem Kläger ein Anspruch auf die geltend gemachte Erschwerniszulage nach dem Anhang S Ziffer II 1 TVAL II zusteht.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Vorschriften des TVAL II kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs.1 Satz 1 TVG). Danach sind für den Anspruch des Klägers auf die begehrte Erschwerniszulage folgende tariflichen Vorschriften heranzuziehen:
Anhang S
II. Zulagen für allgemeine Arbeitserschwernisse
1. Tätigkeiten, die in besonderem Maße den
Einflüssen von Schmutz, Schlamm, Hitze,
Kälte, Wasser, Rauch, Dämpfen, Gasen, Säuren,
Ätzstoffen, Giftstoffen, Erschütterungen oder
ähnlichem sowie Witterungseinflüssen ausgesetzt
sind.
Ferner enthält die Vorschrift des § 21 Ziffer 4 TVAL II unter der Überschrift "Erschwerniszulagen" folgende Regelungen:
a) Arbeitserschwernisse - siehe Abschnitt b) sind
grundsätzlich mit dem tarifvertraglich
vereinbarten Lohn oder Gehalt abgegolten,
soweit für sie nicht Erschwerniszulagen im
Anhang S besonders vereinbart sind.
b) Arbeitserschwernisse liegen vor, wenn die
Arbeiten
(1) den Körper oder die eigene Arbeitskleidung
des Arbeitnehmers außerordentlich beschmutzen,
oder
(2) besonders gefährlich, ekelerregend oder gesundheitsschädlich
sind, oder
(3) die Körperkräfte außerordentlich beanspruchen,
oder
(4) unter besonders erschwerenden Umständen ausgeführt
werden müssen.
Anspruchsgrundlage für den der Höhe nach unstreitigen Anspruch auf Zahlung der Erschwerniszulage ist allein der Anhang S Ziffer II 1 TVAL II und nicht die tarifliche Bestimmung des § 21 Ziffer 4 b (4) TVAL II. Dies folgt daraus, daß § 21 Ziffer 4 a auf die besondere Vereinbarung von Erschwerniszulagen im Anhang S verweist. Dabei enthält der Anhang S in Ziffer II 1 auch Beispielsfälle hinsichtlich der Ausführung von besonders gefährlichen und gesundheitsschädlichen Arbeiten im Sinne von § 21 Ziffer 4 b (2) TVAL II. Eine Arbeit kann nämlich dann besonders gefährlich und gesundheitsschädlich im Sinne von § 21 Ziffer 4 b (2) TVAL II sein, wenn die Tätigkeit den Einflüssen von Rauch, Dämpfen, Gasen, Säuren, Ätz- oder Giftstoffen oder Erschütterungen ausgesetzt ist (BAG Urteil vom 3. September 1986 - 4 AZR 315/85 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt). Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß die Tätigkeit des Klägers während der von ihm geltend gemachten Stunden in besonderem Maße den Einflüssen von Gasen, Säuren, Ätz- und Giftstoffen ausgesetzt war, weil der Kläger bei der Wasseraufbereitung Chlor und Fluor verwenden mußte.
Dem ist zuzustimmen. Chlor ist ein stark riechendes und die Atemorgane reizendes Gas, das in größeren Mengen tödlich wirkt (Der Große Brockhaus, 18. Aufl., Stichwort "Chlor"). Bei Fluor handelt es sich um ein stechend riechendes, giftiges Gas, das auf der Haut und Schleimhaut wie ein starkes Ätzgift wirkt (Der Große Brockhaus, 18. Aufl., Stichwort "Fluor, Fluorvergiftung"). Zutreffend nimmt das Landesarbeitsgericht an, daß die Tätigkeit des Klägers bei der Verwendung von Chlor und Fluor in besonderem Maße den Einflüssen von Gasen, Ätz- und Giftstoffen im tariflichen Sinne ausgesetzt ist. Zwar haben die Tarifvertragsparteien nicht im einzelnen bestimmt, wann eine Einflußnahme ein derartiges Maß erreicht, daß sie die Zahlung einer Erschwerniszulage rechtfertigt. Daß die Tätigkeit vorliegend in besonderem Maße den Einflüssen von Gasen, Ätz- und Giftstoffen ausgesetzt ist, ergibt sich aber schon daraus, daß es sich bei Chlor und Fluor um gefährliche Arbeitsstoffe im Sinne der im Anspruchszeitraum noch geltenden Verordnung über gefährliche Arbeitsstoffe (ArbStoffV) vom 11. Februar 1982 (BGBl I, S. 145) handelt (vgl. Anlagenband zum BGBl I, Nr. 42 vom 2. August 1980, Anhang I Nr. 1.1., Tabelle D, Chlor (EG-Nr. 017-001-00-7); Fluor (EG-Nr. 009-001-00-0). Bei Verwendung dieser Stoffe war der Arbeitgeber nach § 12 ArbstoffV zu besonderen Schutzmaßnahmen verpflichtet. Solche waren außerdem für den Umgang mit Fluor im Anhang II Nr. 6 zur ArbStoffV vorgeschrieben. Unter Berücksichtigung dieser gesetzlichen Vorschriften, die auch Eingang in die seit dem 1. Oktober 1986 geltende und die ArbStoffV ablösende Verordnung über gefährliche Stoffe (GefStoffV) vom 26. August 1986 (BGBl I, S. 1470) gefunden haben (vgl. Anlagenband zum BGBl I, Nr. 47 vom 5. September 1986, Anhang VI Chlor Nr. 260, Fluor Nr. 798 kennzeichnungspflichtig mit dem Gefahrensymbol T nach Anhang I Nr. 1.2. für "giftig"), ist die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts zutreffend, daß die besonders gefährlichen und gesundheitsschädlichen Wirkungen dieser Stoffe eine Tätigkeit in besonderem Maße beeinflussen und damit eine zulagenbegründende Arbeitserschwernis im Sinne von Anhang S Ziffer II 1 TVAL II darstellen.
Daß durch die Schutzkleidung eine konkrete Gesundheitsschädigung verhindert wird, rechtfertigt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht den Schluß, daß die Voraussetzungen für die Zahlung der Erschwerniszulage entfallen. Die Tarifvertragsparteien haben im Anhang S Ziffer II 1 TVAL II ausdrücklich darauf abgestellt, ob die Tätigkeit als solche in besonderem Maße den dort genannten Einflüssen ausgesetzt ist. Dies ist aber auch dann der Fall, wenn die auf die Tätigkeit unmittelbar einwirkenden Einflüsse, wie es vorliegend sogar gesetzlich zwingend geboten war, auf ein gesundheitsverträgliches Maß herabgesetzt werden (BAG Urteil vom 3. September 1986 - 4 AZR 315/85 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt). Mit Recht verweist nämlich der Kläger insoweit darauf, daß auch beim Tragen einer geschlossenen Gesichtsmaske mit Filter und von Gummihandschuhen eine Gesundheitsgefährdung durch die mit seiner Tätigkeit verbundenen unmittelbaren Einwirkungen von Chlor und Fluor nicht ausgeschlossen werden kann. So sind Defekte an der Schutzkleidung ebenso möglich wie insbesondere Verätzungen der ungeschützten Körperteile durch Fluor.
Entgegen der Auffassung der Beklagten wird der Anspruch des Klägers auf eine Zulage nach Ziffer II 1 des Anhangs S auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Verwendung von Chlor und Fluor zu den üblichen Aufgaben eines Wasserwerkers gehört. Die Tarifvertragsparteien stellen bei den Voraussetzungen für die Zahlung einer Erschwerniszulage nicht darauf ab, ob die Tätigkeiten dem Berufsbild des Arbeitnehmers entsprechen oder darüber hinausgehende Anforderungen an ihn stellen. Vielmehr ist allein maßgeblich, ob die konkret ausgeübte Tätigkeit - bezogen auf den Zeitraum einer Stunde - den im Anhang S Ziffer II 1 normierten Anforderungen entspricht. Demgemäß hat das Landesarbeitsgericht mit Recht angenommen, daß dem Kläger für die Stunden, während derer er bei seiner Tätigkeit als Wasserwerker Chlor und Fluor zu verwenden hatte, die geltend gemachte Erschwerniszulage zustand.
Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Dr. Neumann Dr. Feller Dr. Freitag
Preuße Prieschl
Fundstellen