Entscheidungsstichwort (Thema)
Gratifikation bei Eigenkündigung
Normenkette
BGB § 611
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 27.10.1989; Aktenzeichen 2 Sa 965/89) |
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 05.07.1989; Aktenzeichen 6 Ca 0982/89) |
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 27. Oktober 1989 – 2 Sa 965/89 – teilweise aufgehoben.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 5. Juli 1989 – 6 Ca 0982/89 – wird zurückgewiesen.
3. Die weitergehende Revision der Klägerin wird zurückgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 4/7 und die Beklagte 3/7.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin eine anteilige betriebliche Sonderzahlung für das Jahr 1988 zusteht.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit 1. April 1986 beschäftigt. Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1988. Auf ihren Wunsch hin wurde das Arbeitsverhältnis einvernehmlich unter Abkürzung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 30. September 1988 beendet.
Nach § 4 des Arbeitsvertrages fanden auf das Arbeitsverhältnis der Manteltarifvertrag für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken (MTV) und eine Betriebsvereinbarung vom 30. Dezember 1982 Anwendung.
§ 10 MTV lautet:
- „Die Arbeitnehmer … haben Anspruch darauf, daß die betrieblichen Sonderzahlungen in einem Kalenderjahr 100 % des monatlichen Tarifgehalts zuzüglich aller tariflichen Zulagen und des Wechselschichtzuschlages … nicht unterschreiten …
- …
- Wenn dem Arbeitnehmer … in dem Kalenderjahr keine Ansprüche auf Gehalt bzw. Vergütung oder Zuschüsse zum Krankengeld … zustehen, entfällt der Anspruch auf die gem. Ziff. 1 garantierte Sonderzahlung. Wenn nur für einen Teil eines Kalenderjahres derartige Ansprüche bestehen, ermäßigt sich der Anspruch auf die gem. Ziff. 1 garantierte Sonderzahlung …”
§ 1 der Betriebsvereinbarung vom 30. Dezember 1982 lautet:
„Die Bank beteiligt ihre im ungekündigten Arbeitsverhältnis stehenden Mitarbeiter angemessen an dem jeweiligen Jahresgewinn durch Gewährung einer Gratifikation, sofern der Präsidialausschuß des Verwaltungsrates der Bank vorher zugestimmt hat. Ein Rechtsanspruch auf Gewährung der Gratifikation besteht nicht. Auch mehrfache Zahlungen dieser freiwilligen Zuwendung begründen keinen Rechtsanspruch auf Leistung gleicher oder ähnlicher Art.”
Die Jahresgewinnbeteiligung, die die Beklagte nach § 1 der Betriebsvereinbarung an ihre im ungekündigten Arbeitsverhältnis stehenden Tarifangestellten zahlt, beläuft sich üblicherweise auf 2 1/4 Monatsgehälter. Der Beschluß der zuständigen Gremien der Beklagten über die Zahlungshöhe wird im Frühjahr eines jeden Jahres gefaßt. Im Vorgriff auf ihn wird ein Monatsgehalt Ende November als Weihnachtssonderzahlung (100 % = sogenanntes 13. Gehalt) und der Rest im April des Folgejahres (125 % = sogenanntes 14. Gehalt) geleistet. Demgemäß wurde der Klägerin im Frühjahr 1988 1 1/4 Gehalt als Beteiligung am Jahresergebnis 1987 ausbezahlt.
Die Klägerin hat gemeint, sie habe gemäß § 10 Abs. 1 MTV Anspruch auf ein anteiliges 13. Monatsgehalt für 1988 in Höhe von 3.147,– DM; die Beklagte könne diesen Anspruch nicht mit der Zahlung im Frühjahr 1988 verrechnen. Außerdem sei die Beklagte zur Zahlung eines anteiligen 14. Gehalts für 1988 in Höhe von 3.933,75 DM verpflichtet. Das Arbeitsverhältnis sei durch Aufhebungsvertrag und nicht durch Kündigung beendet worden. Durch § 1 der Betriebsvereinbarung könnten Arbeitnehmer, die neun Monate am Geschäftserfolg mitgearbeitet hätten, auch dann nicht von der Leistung ausgeschlossen werden, wenn die Gratifikation zugleich einen Anreiz für weitere Betriebstreue darstelle.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 7.080,75 DM brutto zuzüglich 4 v.H. Zinsen aus dem 3.147,– DM entsprechenden Nettobetrag seit dem 11.1.1989 und 4 v.H. Zinsen aus dem 3.933,75 DM brutto entsprechenden Nettobetrag seit dem 1.5.1989 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, für den Anspruch auf Zahlung nach dem MTV gelte das Zuflußprinzip; mit der Zahlung im April 1988 in Höhe von 4.413,– DM sei der tarifliche Anspruch für dieses Jahr erfüllt. Der in § 1 Betriebsvereinbarung geregelte weitere Anspruch stehe der Klägerin nicht zu, weil das Arbeitsverhältnis im Auszahlungszeitpunkt beendet gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung der 3.147,– DM nebst Zinsen verurteilt und im übrigen die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin, mit der diese den Klageantrag in vollem Umfang weiterverfolgt hat, als unbegründet zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat teilweise Erfolg. Sie führt zur teilweisen Aufhebung des berufungsgerichtlichen Urteils und zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klage ist in Höhe von 3.147,– DM nebst Zinsen begründet; im übrigen ist sie unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe weder nach § 10 MTV ein Anspruch auf ein anteiliges 13. Gehalt (9/12 aus 100 % = 3.147,– DM) noch nach § 1 der Betriebsvereinbarung ein Anspruch auf ein anteiliges 14. Gehalt (9/12 aus 125 % = 3.933,75 DM) zu. Durch Zahlung der zweiten Rate in Höhe von 4.413,– DM im Frühjahr 1988 habe die Beklagte den tariflichen Anspruch der Klägerin für 1988 erfüllt. Der weitergehende Anspruch nach der betrieblichen Regelung sei unbegründet, weil gekündigte Arbeitnehmer von der Gratifikationszahlung ausgenommen werden könnten.
II. Diesen Ausführungen ist zuzustimmen, soweit sie den Anspruch nach § 1 Betriebsvereinbarung betreffen. Im übrigen ist ihnen nicht zu folgen.
1. Der Klägerin steht nach § 10 MTV für 1988 ein Anspruch in Höhe von 3.147,– DM brutto (9/12 aus 100 % = sogenanntes 13. Gehalt) nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag seit 11. Januar 1989 zu; diesen Betrag konnte die Beklagte nicht mit der der Klägerin im Frühjahr 1988 zugeflossenen Gratifikation für 1987 in Höhe von 4.413,– DM verrechnen.
Entgegen der Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts läßt sich aus § 10 MTV nicht das von der Beklagten behauptete Zuflußprinzip entnehmen. Entscheidend ist vielmehr, für welches Kalenderjahr die Zahlungen bestimmt waren.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat die Tarifauslegung entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung zunächst von dem Tarifwortlaut auszugehen. Dabei ist jedoch über den reinen Tarifwortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben (vgl. BAG Urteil vom 9. März 1983 – 4 AZR 61/80 – BAGE 42, 86, 89 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Urteil vom 9. Juni 1980 – 4 AZR 560/78 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seeschiffahrt; BAG Urteil vom 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamt Zusammenhang abzustellen. Verbleiben bei Auswertung des Tarifwortlautes und des tariflichen Gesamtzusammenhangs im Einzelfall noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages zurückgegriffen werden.
Weder der Wortlaut des § 10 MTV noch der Gesamtzusammenhang des MTV ergeben Anhaltspunkte dafür, daß die Höhe der einem Arbeitnehmer in einem Kalenderjahr zustehenden Sonderleistungen davon abhängen soll, was dem Arbeitnehmer in diesem Jahr bereits an gleichartigen Leistungen zugeflossen ist. Erst recht läßt die Norm nicht erkennen, daß es dabei auch auf Zuflüsse ankommen soll, deren Zweckbestimmung frühere Kalenderjahre, also andere Bezugs Zeiträume, betrifft.
Die im Frühjahr erbrachte Leistung in Höhe von 4.413,– DM bezog sich nach der von der Beklagten selbst vorgenommenen Zweckbestimmung auf die betriebliche Sonderzahlung für 1987. Ihre Höhe bestimmte sich nach dem Einkommen der Klägerin im Kalenderjahr 1987. Bezugszeitraum der Leistung war das Kalenderjahr 1987. Lediglich der Auszahlungszeitpunkt für die zweite Rate wurde durch Beschlußfassung der zuständigen Gremien der Beklagten in das folgende Kalenderjahr hineinverlagert, was unbedenklich war, da der MTV insoweit nichts bestimmt.
Die Verlegung des Auszahlungszeitpunkts der zweiten Rate der betrieblichen Sonderzahlung für 1987 in das Frühjahr 1988 hatte somit auf die Entstehung des Tarifanspruchs der Klägerin für 1988 keinen Einfluß.
Insofern ist die Klage begründet und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
2. Dagegen ist dem Berufungsgericht zuzustimmen, soweit es einen weitergehenden Anspruch der Klägerin auf Gratifikation in Höhe von 3.933,75 DM (9/12 aus 125 % = sogenanntes 14. Gehalt) nach § 1 der Betriebsvereinbarung abgelehnt hat.
Die Gratifikation war nicht nur dazu bestimmt, die erbrachte Arbeitsleistung abzugelten, sondern sollte auch Gegenleistung für erbrachte und erwartete Betriebstreue sein. Diese Leistung hat die Beklagte daher zulässigerweise vom ungekündigten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängig gemacht.
Grundsätzlich ist es zulässig, in Gratifikationen vergangenheits- und zukunftsbezogene Zweckbestimmungen miteinander zu verbinden (BAG Urteil vom 29. Juni 1954 – 2 AZR 13/53 – BAGE 1, 36 = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG Urteil vom 10. Mai 1962 – 5 AZR 452/61 – BAGE 13, 129, 132 ff. = AP Nr. 22 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 2 der Gründe; BAG Urteil vom 21. Februar 1974 – 5 AZR 302/73 – AP Nr. 81 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 2 der Gründe). Arbeitnehmer in gekündigter Stellung können von einer Gratifikationsgewährung ausgeschlossen werden. Somit haben die Betriebspartner die in § 1 Betriebsvereinbarung vom 30. Dezember 1982 enthaltene Anspruchsvoraussetzung rechtswirksam vereinbart (BAG Urteil vom 21. Februar 1974 – 5 AZR 302/73 – AP, a.a.O., zu 2 der Gründe und BAG Urteil vom 4. September 1985 – 5 AZR 655/81 – BAGE 49, 281, 283 ff. = AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation, zu II 1 der Gründe).
Wie beide Vorinstanzen zutreffend angenommen haben, hat die Klägerin die Anspruchsvoraussetzung „im ungekündigten Arbeitsverhältnis” für die anteilige Gratifikation 1988, die sie verlangt, nicht erfüllt. Durch die Kündigung der Klägerin vom 13. Mai 1988 wurde das Arbeitsverhältnis auf Betreiben der Klägerin zum 31. Dezember 1988 beendet. Daran ändert nichts, daß die Klägerin der Kündigungserklärung das Angebot hinzugefügt hatte, das Arbeitsverhältnis bereits früher aufzulösen. Indem die Beklagte darauf einging und mit der Beendigung zum 30. September 1988 einverstanden war, stimmte sie nicht einer Änderung des Beendigungstatbestandes, sondern einem anderen Beendigungszeitpunkt zu.
Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz, auf den sich die Klägerin beruft, ist nicht verletzt. Er gebietet lediglich, Arbeitnehmer nicht willkürlich vom Leistungsbezug auszuschließen. Der Ausschluß von Arbeitnehmern, die sich im gekündigten Arbeitsverhältnis befinden, ist – wie dargelegt – zulässig und daher nicht willkürlich. Daß nur die Klägerin betroffen gewesen sei, während die Beklagte an andere Arbeitnehmer im gekündigten Arbeitsverhältnis die anteilige Gratifikation nach § 1 Betriebsvereinbarung gezahlt habe, hat die Klägerin nicht behauptet.
Der Anspruch kann auch nicht auf betriebliche Übung gestützt werden. Hierzu hat die Klägerin nichts vorgetragen. Sowohl im Arbeitsvertrag wie auch in der Betriebsvereinbarung wird zum Ausdruck gebracht, daß ein Rechtsanspruch auf Gratifikation nicht bestehe. Bei dieser Sachlage hätte die Klägerin Tatsachen vortragen müssen, aus denen sich ergab, daß die Beklagte sich durch wiederholte Leistungen dennoch binden wollte.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Dr. Gehrunger, Stenzel
Fundstellen