Entscheidungsstichwort (Thema)
Orchestermusiker. Lohnabzug bei Streik
Normenkette
AZO § 3; BGB § 398
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 12.09.1989; Aktenzeichen 3 Sa 53/89) |
ArbG Berlin (Urteil vom 10.04.1989; Aktenzeichen 19 Ca 127/88) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 12. September 1989 – 3 Sa 53/89 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Vergütung für die Dauer eines dreistündigen Streiks von Orchestermusikern.
Die Klägerin, eine Gewerkschaft, macht abgetretene Gehaltsansprüche von 54 Orchestermusikern der Deutschen Oper Berlin geltend. Die Orcherstermusiker, auf deren Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern (TVK) anwendbar ist, traten am Dienstag, dem 21. Juni 1988 während der für 10.00 bis 13.00 Uhr anberaumten Orchester-Sitzprobe für die Oper „Carmen” in einen rechtmäßigen Streik. Die Beklagte behielt den 34,784 ten Teil der Monatsvergütung für August 1988 für die durch den Streik ausgefallene Arbeitszeit ein.
Die Klägerin hat gemeint, die einbehaltenen Beträge seien überhöht. Die Beklagte habe die Tagesgage von 1/30 der Monatsvergütung zugrundezulegen und von acht Arbeitsstunden pro Tag ausgehen müssen. Nur der so errechnete Lohn für die drei ausgefallenen Stunden sei den Musikern abzuziehen gewesen. Bei dieser Berechnung stünden den Musikern insgesamt noch 6.149,18 DM zu. Diese habe die Beklagte zu Unrecht von den Löhnen für August 1988 abgezogen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.149,18 DM nebst 4 % gesetzliche Zinsen hieraus ab 15. August 1988 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, es könne nicht nach Stunden abgerechnet werden, weil die Musiker die Teilnahme an Diensten (Aufführungen und Proben) schuldeten, und zwar höchstens acht Dienste pro Woche, im Durchschnitt also 34,784 Dienste pro Monat. Deshalb sei die Vergütung für die im Juni ausgefallene Probe im Umfang des einem Dienst entsprechenden 34,784 ten Teil der Monatsvergütung anzusetzen gewesen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagen zurückgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während die Klägerin um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben.
I. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, der Klägerin stehe die abgetretene Forderung zu, weil die Beklagte die anteilige Vergütung für die durch Streik ausgefallene Arbeitszeit auf Stundenbasis zu berechnen habe. Die in § 15 TVK geregelten Dienste (Aufführungen und Proben) seien nicht die maßgebliche Bezugsgröße für die Verdienstberechnung, denn Orchestermusiker seien u.a. zum häuslichen Üben verpflichtet. Aus den Tarifvorschriften der §§ 28 und 39 TVK und aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze, wie sie in der Arbeitszeitordnung (AZO) ihren Niederschlag gefunden hätten, sei von einem Achtstundentag der Musiker auszugehen, so daß die Tagesgage von 1/30 des Grundgehalts durch 8 zu teilen sei, um den auf eine Stunde entfallenden Anteil zu ermitteln.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind frei von Rechtsirrtum. Das Landesarbeitsgericht folgt damit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Höhe der Vergütung für unzulässige Mehrarbeit bei Proben (BAGE 38, 383 ff. = AP Nr. 20 zu § 611 BGB Bühnenengagementvertrag) und zur Höhe des Abzugs von der Tagesgage bei einem Streik, der sich nur auf einen Teil eines Arbeitstages erstreckt hat (BAG Urteil vom 21. März 1984 – 4 AZR 375/83 – BAGE 45, 238 = AP Nr. 22 zu § 611 BGB Bühnenengagementvertrag). Von dieser Rechtsprechung abzuweichen, besteht kein Anlaß. Zwar betrafen die genannten Entscheidungen Arbeitnehmer, für deren Arbeitsverhältnisse der Normalvertrag Chor galt. Im vorliegenden Fall gelten jedoch die gleichen Grundsätze.
II. Der Klägerin steht ein durch Abtretung (§ 398 BGB) auf sie übergegangener tariflicher Anspruch auf Vergütung der 54 Orchestermusiker in der eingeklagten Höhe zu.
1. Der auf die Arbeitsverhältnisse der Musiker anwendbare TVK enthält keine ausdrückliche Regelung darüber, welche Arbeitszeit der monatlichen Vergütung zugrundeliegt; in §§ 21 ff. TVK ist nur die Höhe der gesamten monatlichen Vergütung geregelt. Die Methode für die Berechnung der wegen des dreistündigen Streiks abzuziehenden Vergütung kann nur aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang und ergänzend aus den Grundsätzen der Arbeitszeitordnung ermittelt werden. Danach ist von einer Tagesgage in Höhe von 1/30 des Monatsverdienstes und von einem Achtstundentag auszugehen.
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Auffassung der Beklagten zurückgewiesen, die Arbeitszeit der Musiker sei in § 15 TVK geregelt. Der Lohn für die streikbedingt ausgefallene Probe ergebe sich, indem man den Monatslohn durch die Zahl der monatlichen Dienste teile.
§ 15 TVK regelt lediglich, wie oft die Musiker zu den Diensten, also zur Mitwirkung bei Aufführungen und Proben (§ 15 Abs. 1 TVK), herangezogen werden dürfen. Neben dieser Verpflichtung obliegt dem Musiker noch die Instrumentenpflege (§ 12 TVK) und die Erreichbarkeit (§ 14 TVK). Weitergehende Pflichten des Musikers enthält der TVK zwar nicht ausdrücklich, insbesondere enthält er keinen Hinweis darauf, daß der Musiker zum häuslichen Üben verpflichtet ist. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht jedoch davon aus, daß § 15 TVK lediglich Vorschriften über die dienstliche Inanspruchnahme der Musiker bei Proben und Aufführungen enthält. Dadurch ist jedoch nicht bestimmt, daß allein die tarifgemäße Teilnahme an Proben und Aufführungen die vom Musiker geschuldete Arbeitsleistung ist, für die das Monatsgehalt gezahlt wird.
Zur ordnungsgemäßen Ausführung der tariflich geregelten Dienste des Orchestermusikers bedarf es auch der individuellen Vorbereitung durch häusliches Proben und Üben. Die Tarifvertragsparteien setzen dies als selbstverständlich voraus, wie sich aus § 15 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 3 TVK ergibt. Danach ist der Musiker im Ausgleichs Zeitraum im Durchschnitt zu wöchentlich höchstens sieben Diensten (normal sind acht) verpflichtet, wenn der Ausgleichs Zeitraum in acht Kalenderwochen zahlenmäßig überwiegend Aufführungen von Werken enthält, die nach der Partitur als schwierig zu beurteilen sind. Daraus folgt, daß bei schwierigen Partituren eine zeitintensivere häusliche Vorbereitung ermöglicht werden soll. Im übrigen geht offenbar auch die Revision davon aus, daß sich die Musiker zu Hause auf die Proben und Aufführungen vorbereiten.
Der Orchestermusiker schuldet somit nicht nur die Ableistung der in § 15 TVK genannten Dienste, sondern außerdem für seine häuslichen Vorbereitungen so viel an Arbeitszeit, wie er individuell benötigt, um dem Qualitätsstandard des Orchesters zu genügen (vgl. bereits Senatsurteil vom 31. Juli 1986 – 6 AZR 146/85 – nicht veröffentlicht).
3. Da die Tarifvertragsparteien davon abgesehen haben, im TVK eine feste Tages-, Wochen- oder Monatsarbeitszeit für die Orchestermusiker zu regeln, muß nach anderen Rechtsgrundsätzen bestimmt werden, welchen Abzug das beklagte Land von der monatlichen Vergütung für die Teilnahme an dem dreistündigen Streik vornehmen durfte, wobei möglichst an die tariflichen Normen anzuknüpfen ist.
a) Ein Anhaltspunkt ergibt sich aus § 39 Abs. 2 TVK, wonach für jeden abzugeltenden Urlaubstag ein Dreißigstel der monatlichen Vergütung nach § 21 TVK gezahlt wird. Damit lassen die Tarifvertragsparteien ihre Absicht erkennen, daß zur Bestimmung der Tagesgage die monatliche Gage durch 30 zu dividieren ist, wobei kein Unterschied zwischen freien Tagen und Arbeitstagen und zwischen Werktagen und Sonn- und Feiertagen zu machen ist.
b) Dagegen fehlt es im TVK an Anhaltspunkten dafür, wie viele Arbeitsstunden durch eine Tagesgage abgegolten werden. Der Rückgriff auf die Regelungen über die wöchentliche und die tägliche Arbeitszeit, die sich in anderen Tarifverträgen des öffentlichen Rechts befinden, kommt nicht in Betracht, weil darin ein unzulässiger Eingriff in die Rechtssetzungsautonomie der Tarifvertragsparteien des TVK läge (so auch BAG Urteil vom 21. März 1984 – 4 AZR 375/83 – a.a.O.). Deshalb kann der Senat sich nur auf die Grundsätze des in der AZO geregelten staatlichen Arbeitszeitrechts stützen. Da die AZO auch auf die Arbeitsverhältnisse der Musiker in Kulturorchestern Anwendung findet (vgl. § 18 TVK; Meisel/Hiersemann, AZO, 2. Aufl. 1977, § 1 Rz 3), ist dies möglich und führt zur Gewinnung brauchbarer Kriterien (vgl. BAG Urteil vom 21. März 1984 – 4 AZR 375/83 – a.a.O.). Mangels anderweitiger Anhaltspunkte sind die Höchstarbeitszeiten der AZO zugrunde zu legen. Dazu zählen die Sechstagewoche und der Achtstundentag (§ 3 AZO), wobei die Sechstagewoche auch aufgrund tariflicher Regelung (§ 16 Abs. 1 TVK) für die Musiker in Kulturorchestern gilt. Auf dieser Grundlage ist rechnerisch von einem Achtstundentag der betroffenen Musiker auszugehen, so daß die mit 1/30 des Grundgehaltes ermittelten Tagesgagen nochmals durch acht zu dividieren sind, um die Stundenvergütung zu errechnen. Aus deren Zusammenrechnung ergibt sich schließlich der Betrag, der von der Beklagten einbehalten werden durfte. Die rechnerisch unstreitige Differenz zu dem tatsächlich einbehaltenen Betrag ist von der Beklagten zurückzuzahlen.
III. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Dr. Gehrunger, Stenzel
Fundstellen