Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichstellungsabrede bei Verbandsaustritt des Arbeitgebers; Bezugnahmeklausel; Voraussetzungen für ihre Auslegung als Gleichstellungsabrede; Tarifrecht
Orientierungssatz
- Eine dynamische Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge in einem vom tarifgebundenen Arbeitgeber vorformulierten Vertrag ist typischerweise eine Gleichstellungsabrede.
- Eine Gleichstellungsabrede erfaßt keine Tarifregelungen oder deren Änderungen, die erst nach Beendigung der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers entstehen bzw. abgeschlossen werden.
Normenkette
BGB §§ 133, 157; TVG §§ 3-4
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger für die Monate Januar bis März 1999 zustehenden Vergütung.
Der Kläger ist bei der Beklagten, einem Unternehmen der Metallindustrie mit Sitz in Hamburg, seit dem 2. Juli 1973 als Schaltmechaniker beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag der Parteien vom 26. Juni 1973 ist, soweit hier von Interesse, vereinbart:
…
Dem Arbeitsverhältnis liegt der jeweils gültige Manteltarifvertrag für Angestellte der Metallindustrie Hamburg einschließlich der hierzu ergangenen Zusatzabkommen zugrunde …
Sie werden in die Gehaltsgruppe T 4/1 eingestuft; Sie gehören aber dennoch zur Invalidenversicherung. Ihr Gehalt setzt sich wie folgt zusammen:
a) |
monatlich nach Tarifgruppe T 4/1 |
DM |
1.309,-- |
b) |
jederzeit anrechenbare außertarifliche Zulage |
DM |
191,-- |
|
insgesamt brutto |
DM |
1.500,-- |
…
Bei der Beklagten, die vom 24. September 1956 bis zum 30. Juni 1998 Mitglied im tarifvertragschließenden Arbeitgeberverband Nordmetall war, wird seit jeher mit allen Arbeitnehmern ohne Rücksicht auf deren – auch im Falle des Klägers – der Beklagten bei Vertragsschluß auch nicht bekannter etwaiger Gewerkschaftszugehörigkeit die Anwendung der einschlägigen Tarifverträge einzelvertraglich vereinbart. Die Beklagte verwandte in den Arbeitsverträgen für die Verweisung auf tarifrechtliche Regelungen verschiedene Formulierungen.
Mit Wirkung ab 1. Januar 1999 trat der Gehaltstarifvertrag für die Angestellten in der Metallindustrie Hamburgs und Umgebung vom 2. März 1999 in Kraft – nachfolgend: GTV 99 –. Der Kläger, vergütet nach dem bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Gehaltstarifvertrag vom 1. April 1998, beansprucht von der Beklagten die sich aus dem GTV 99 ergebenden Einmalzahlungen und die lineare Tarifgehaltserhöhung für die Monate Januar bis März 1999. Diese Ansprüche des Klägers belaufen sich unstreitig auf 1.146,52 DM brutto.
Im Mai 1999 gewährte die Beklagte allen ihren Beschäftigten entsprechend dem Aushang 12/99 eine Sonderzahlung für das Jahr 1998, im Falle des Klägers in Höhe von 525,00 DM brutto. In dem Aushang heißt es ua., daß die Geschäftsleitung mit Befürwortung des Betriebsrats beschlossen habe, “in Anbetracht des positiven Ergebnisses des vergangenen Geschäftsjahres” eine Sonderzahlung zu gewähren. Weiter heißt es in dem Aushang:
…
Diese Sonderzahlung ist nicht als Ausgleich für die von einigen Mitarbeiter(inne)n geforderte Tariferhöhung gedacht. Den Mitarbeiter(inne)n, die ihren vermeintlichen Anspruch auf Tariferhöhung durch eine erfolgreiche Klage bestätigt bekommen, wird diese Sonderzahlung auf ihren vermeintlichen Anspruch angerechnet. Die Sonderzahlung ist ausdrücklich an diese Bedingung geknüpft.
…
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Auslegung der vertraglichen Bezugnahmeklausel ergebe, daß eine dynamische und konstitutive Bezugnahme auf die jeweils geltenden Tarifverträge einschließlich der tariflichen Gehaltsregelungen gewollt gewesen sei. Denn die Wirksamkeit dieser Bezugnahmeklausel sei nicht von der Tarifgebundenheit einer der beiden Arbeitsvertragsparteien abhängig gemacht worden. Die Verbandszugehörigkeit der Beklagten bei Abschluß des Arbeitsvertrages sei ihm nicht bekannt gewesen. Da auch der Beklagten die Tarifgebundenheit der von ihr eingestellten Arbeitnehmer nicht bekannt sei, müsse sie die Bezugnahme auf tarifvertragliche Regelungen konstitutiv ausgestalten, um die von ihr insoweit erstrebte Gleichstellung aller Arbeitnehmer zu erreichen. Die Auslegung der einschlägigen Vertragsbestimmungen führe demgemäß mit dem Verbandsaustritt der Beklagten nicht zu einer statischen Bezugnahme. Anders als in der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 4. September 1996 (– 4 AZR 135/95 – BAGE 84, 97 = AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 5) habe der Verbandsaustritt der Beklagten vorliegend nicht zur Folge, daß auf Grund der Bezugnahmeklausel ggf. unterschiedliche Tarifverträge für die der Klausel unterworfenen Beschäftigten gelten müßten, denn es liege eben kein Verbandswechsel auf der Arbeitgeberseite vor. Für eine ergänzende Vertragsauslegung sei kein Raum. Es bestehe auch keine Notwendigkeit, eine Anpassung des Arbeitsvertrages nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vorzunehmen.
Eine Anrechnung der Sonderzahlung auf seine Ansprüche nach dem GTV 99 – so der Kläger weiter – könne nicht erfolgen. Die von der Beklagten mit der Zahlung der Sonderzahlung verknüpfte Bedingung sei kein zulässiger sachlicher Grund für die Gewährung oder Nichtgewährung einer Sonderzahlung.
Der Kläger hat zuletzt – im Berufungsrechtszug – beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.146,52 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, stelle man mit dem Kläger streng auf den Wortlaut seiner Bezugnahmeklausel ab, kämen lediglich der Manteltarifvertrag und die Zusatzabkommen, nicht aber der Gehaltsrahmen- und der Gehaltstarifvertrag zur Anwendung. Abgesehen davon habe ihr – der Beklagten – Verbandsaustritt zur Folge gehabt, daß die im Arbeitsvertrag des Klägers enthaltene ursprünglich dynamische Bezugnahmeklausel mit Ablauf ihrer Nachbindung statisch geworden sei. Diese rechtliche Argumentation beruhe auf der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, insbesondere auf der vom Kläger genannten Entscheidung. Mit dem Bundesarbeitsgericht sei davon auszugehen, daß eine Bezugnahmeklausel gegenüber organisierten Arbeitnehmern nur deklaratorischen Charakter haben könne. Sinn und Zweck der Bezugnahmeklausel sei eine Gleichstellungsabrede, die bei anderer Auslegung zu einer Ungleichbehandlung zu Lasten der organisierten Arbeitnehmer führe. Zutreffend habe das Bundesarbeitsgericht auch in der Entscheidung vom 4. August 1999 (– 5 AZR 642/98 – BAGE 92, 171 = AP TVG § 1 Tarifverträge: Papierindustrie Nr. 14) festgestellt, daß die Bezugnahme nur widerspiegeln solle, was tarifrechtlich gelte. Die Bezugnahme ersetze lediglich die fehlende Mitgliedschaft eines Arbeitnehmers in der tarifschließenden Gewerkschaft und stelle ihn so, als wäre er tarifgebunden. Werde die Bezugnahmeklausel nicht in diesem Sinne ausgelegt, sei der Klageanspruch wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage infolge ihres Verbandsaustritts nicht gegeben. Ihr Austritt aus dem Tarifträgerverband sei aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus zur Rettung der Existenz ihres Betriebs erfolgt. Letztlich sei die im Mai 1999 an den Kläger geleistete Sonderzahlung auf den Klageanspruch anzurechnen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben und die Revision zugelassen. Die Beklagte beantragt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Arbeitsgerichts.
Unterschriften
Schliemann, Friedrich, Bott, Pfeil, Münter
Fundstellen
Haufe-Index 781876 |
DB 2002, 1999 |
NZA 2003, 933 |
SAE 2002, 352 |
ZTR 2002, 580 |
EzA-SD 2002, 23 |
EzA |
ArbRB 2002, 297 |
BAGReport 2002, 354 |