Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschäftigungszeit – persönliche Systemnähe
Leitsatz (amtlich)
1. Zeiten einer Tätigkeit, die dem Angestellten aufgrund besonderer persönlicher Systemnähe übertragen worden war, sind nach Nr. 4 Buchst. c der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen. Eine besondere persönliche Systemnähe wird vermutet, wenn der Angestellte Absolvent der Akademie für Staat und Recht oder einer vergleichbaren Bildungseinrichtung war (Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. dd der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O).
2. Ob eine Bildungseinrichtung mit der Akademie für Staat und Recht „vergleichbar” war, hängt insbesondere von Inhalt und Ziel der Ausbildung ab. Diente diese dazu, Staatsfunktionäre und Kader des Staatsapparats der DDR in ideologischer Hinsicht für ihre Tätigkeit im Staatswesen zu schulen, ist Vergleichbarkeit im Sinne der Tarifbestimmung gegeben.
3. Die Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” in Weimar war eine der Akademie für Staat und Recht vergleichbare Bildungseinrichtung, da beide Ausbildungen hinsichtlich des Lehrstoffs, der im wesentlichen Fächer der sozialistischen Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftslehre betraf, und des Ziels der Ausbildung, das in beiden Fällen auf die Vermittlung des ideologischer Rüstzeugs für die Tätigkeit im Staatswesen der DDR gerichtet war, wesentliche Gemeinsamkeiten aufwiesen. Darauf, daß die Ausbildung an der Fachschule anders als die an der Akademie nicht auf besonders hoch angesiedelte Positionen in der Hierarchie des Staatsapparats abzielte, kommt es nicht an.
Normenkette
BAT-O § 19
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 18. Juni 1997 – 4 Sa 114/96 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 12. Dezember 1995 – 3 Ca 370/94 – wird zurückgewiesen.
3. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung und der Revision.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Anrechnung von Beschäftigungszeiten der Klägerin nach § 19 BAT-O.
Die Klägerin war vom 1. April 1975 bis zum 14. Mai 1990 beim Rat der Stadt Erfurt in der Abteilung Finanzen beschäftigt. Vom 1. April 1975 bis zum 31. Dezember 1979 war sie als Kreisbeauftragte für Lohn und Gehalt für die Koordination aller Lohn- und Gehaltsfragen zwischen dem Rat der Stadt Erfurt und der zentralen Lohn- und Gehaltsstelle zuständig. 1980 wurde sie Leiterin der Innenrevision. Von 1979 bis 1981 absolvierte die Klägerin im sog. organisierten Selbststudium an der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” in Weimar ein Fernstudium und schloß dieses als Staatswissenschaftlerin ab. Von Januar 1983 bis Mai 1990 war sie Leiterin des Arbeitsbereichs Steuern und Abgaben. Durch Überleitungsvertrag vom 3. Juli 1990 wurde sie vom Rat der Stadt Erfurt in das Finanzamt Erfurt übernommen. Seit dem 1. Juli 1990 ist sie dort als Abteilungsleiterin beschäftigt.
Nachdem der Beklagte zunächst die Zeit seit dem 1. April 1975 als Beschäftigungszeit der Klägerin nach § 19 des Tarifvertrags zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 anerkannt hatte, setzte er mit Bescheid vom 3. September 1993 den Beginn der Beschäftigungszeit der Klägerin auf den 15. Mai 1990 fest und begründete dies damit, daß Absolventen der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” in Weimar mit dem Abschluß „Staatswissenschaftler” den Vermutungstatbestand der persönlichen Systemnähe nach Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. dd der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O für Zeiten vor dem 1. Januar 1991 (fortan: Übergangsvorschriften) erfüllten.
§ 19 BAT-O lautet, soweit hier von Interesse, wie folgt:
„Beschäftigungszeit
(1) Beschäftigungszeit ist die bei demselben Arbeitgeber nach Vollendung des 18. Lebensjahres in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist.
…
(2) Übernimmt ein Arbeitgeber eine Dienststelle oder geschlossene Teile einer solchen von einem Arbeitgeber, der von diesem Tarifvertrag erfaßt wird oder diesen oder einen Tarifvertrag wesentlich gleichen Inhalts anwendet, so werden die bei der Dienststelle bis zur Übernahme zurückgelegten Zeiten nach Maßgabe des Abs. 1 als Beschäftigungszeit angerechnet.
…
Übergangsvorschriften für Zeiten vor dem 1. Januar 1991:
- Als Übernahme im Sinne des Absatzes 2 gilt auch die Überführung von Einrichtungen nach Artikel 13 des Einigungsvertrages.
- Ist infolge des Beitritts der DDR der frühere Arbeitgeber weggefallen, ohne daß eine Überführung nach Art. 13 des Einigungsvertrages erfolgt ist, gelten als Beschäftigungszeit nach Maßgabe des Absatzes 1
…
für Angestellte der Länder
Zeiten der Tätigkeit bei zentralen oder örtlichen Staatsorganen und ihren nachgeordneten Einrichtungen oder sonstigen Einrichtungen oder Betrieben, soweit das Land deren Aufgaben bzw. Aufgabenbereiche derselben ganz oder überwiegend übernommen hat,
- …
Von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit sind ausgeschlossen
- Zeiten jeglicher Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit (einschließlich der Verpflichtung zu informeller/inoffizieller Mitarbeit),
- Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR,
Zeiten einer Tätigkeit, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden war.
Die Übertragung der Tätigkeit aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe wird insbesondere vermutet, wenn der Angestellte
- vor oder bei Übertragung der Tätigkeit eine hauptamtliche oder hervorgehobene ehrenamtliche Funktion in der SED, dem FDGB, der FDJ oder einer vergleichbar systemunterstützenden Partei oder Organisation innehatte,
- als mittlere oder obere Führungskraft in zentralen Staatsorganen, als obere Führungskraft beim Rat eines Bezirkes, als Vorsitzender des Rates eines Kreises oder einer kreisfreien Stadt (Oberbürgermeister) oder in einer vergleichbaren Funktion tätig war,
hauptamtlich Lehrender an den Bildungseinrichtungen der staatstragenden Parteien oder einer Massen- oder gesellschaftlichen Organisation war,
oder
- Absolvent der Akademie für Staat und Recht oder einer vergleichbaren Bildungseinrichtung war.
Der Angestellte kann die Vermutung widerlegen.
Von einer Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen sind auch die Zeiten, die vor einer Tätigkeit im Sinne der Buchstaben a bis c zurückgelegt worden sind.”
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auch die Zeit vom 1. April 1975 bis zum 14. Mai 1990 sei als Beschäftigungszeit im Sinne des § 19 BAT-O anzurechnen. Die Tätigkeit als Leiterin des Arbeitsbereichs Steuern und Abgaben sei ihr nicht aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden. Der Vermutungstatbestand der Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. dd der Übergangsvorschriften liege nicht vor, denn die Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” sei keine mit der Akademie für Staat und Recht vergleichbare Bildungseinrichtung gewesen. An der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” seien lediglich Verwaltungsangestellte der untersten Ebene bis zur Ebene eines Bürgermeisters ausgebildet worden, während an der Akademie für Staat und Recht Staatsfunktionäre auch für zentrale Staatsorgane durch ein Hochschulstudium ausgebildet und leitende Kader von (zentralen) Staatsorganen weitergebildet und qualifiziert worden seien. Zwar seien an beiden Instituten zum Teil die gleichen Lehrfächer unterrichtet worden. Das Niveau der Ausbildung an der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” habe in den betreffenden Fächern aber wesentlich unter dem Niveau der Ausbildung an der Akademie für Staat und Recht gelegen. Außerdem sei die Fortbildung an der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” keine Auszeichnung für besonders systemtreue DDR-Bürger gewesen, vielmehr sei entsprechend dem Studienschlüssel eine bestimmte Anzahl von Mitarbeitern der Staatsorgane delegiert worden.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, die Tätigkeitszeiten vom 1. April 1975 bis 14. Mai 1990 als Beschäftigungszeiten gemäß § 19 BAT-O anzuerkennen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die von der Klägerin vor dem 15. Mai 1990 zurückgelegten Zeiten seien nicht als Beschäftigungszeit im Sinne des § 19 BAT-O anzurechnen. Nach Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. dd der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O sei zu vermuten, daß der Klägerin die Stelle als Leiterin des Arbeitsbereichs Steuern und Abgaben im Januar 1983 wegen ihrer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden sei. Die Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” sei eine mit der Akademie für Staat und Recht vergleichbare Bildungseinrichtung gewesen. Dies ergebe sich aus den Übereinstimmungen hinsichtlich der Zugangsvoraussetzungen, Zielsetzungen und Lehrstoffinhalte. Beide Bildungseinrichtungen seien auch organisatorisch miteinander verflochten gewesen, denn die Akademie für Staat und Recht sei nach ihrem Statut zur pädagogischen Unterstützung der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” verpflichtet gewesen. Daß die Ausbildung an der Akademie für Staat und Recht eher zu Führungsaufgaben habe befähigen sollen als die Ausbildung an der mehr praxisorientierten Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle”, sei unerheblich.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils stattgegeben. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Wiederherstellung der erstinstanzlichen klageabweisenden Entscheidung.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Zeit vom 1. April 1975 bis zum 14. Mai 1990 sei als Beschäftigungszeit der Klägerin nach § 19 BAT-O anzurechnen. Der Beklagte habe die Abteilung Finanzen des Rates der Stadt Erfurt nach Nr. 2 Buchst. b der Übergangsvorschriften übernommen. Die Berücksichtigung der vor dem 15. Mai 1990 liegenden Zeit sei nicht nach Nr. 4 Buchst. c der Übergangsvorschriften ausgeschlossen, denn der Klägerin sei die Tätigkeit als Leiterin des Arbeitsbereichs Steuern und Abgaben nicht aufgrund besonderer persönlicher Systemnähe übertragen worden. Der Vermutungstatbestand der Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. dd der Übergangsvorschriften sei nicht erfüllt. Die Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” sei keine mit der Akademie für Staat und Recht vergleichbare Bildungseinrichtung gewesen, da die Ausbildung an der Akademie für Staat und Recht eher zu Führungsaufgaben befähigt habe als die Ausbildung an der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle”. Nach Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. bb der Übergangsvorschriften werde die Übertragung einer Tätigkeit aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe vermutet, wenn der Angestellte als mittlere oder obere Führungskraft in zentralen Staatsorganen, als obere Führungskraft beim Rat eines Bezirkes, als Vorsitzender des Rates eines Kreises oder einer kreisfreien Stadt (Oberbürgermeister) oder in einer vergleichbaren Funktion tätig war. Dieser Vermutungstatbestand setze eine bestimmte Hierarchiestufe der anrechnungsschädlichen Leitungspositionen voraus. Entsprechendes müsse auch für den Vermutungstatbestand in Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. dd gelten, denn es sei widersprüchlich, als Voraussetzung für die Vermutung einer besonderen persönlichen Systemnähe einerseits die Ausübung mittlerer oder oberer Führungsposition in zentralen Staatsorganen zu verlangen, andererseits aber bereits eine Ausbildung genügen zu lassen, deren Abschluß gerade nicht zu solchen Führungspositionen befähigt.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Zeit vor dem 15. Mai 1990 ist nicht als Beschäftigungszeit der Klägerin im Sinne des § 19 BAT-O anzurechnen. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts wird vermutet, daß der Klägerin die Stelle als Leiterin des Arbeitsbereichs Steuern und Abgaben im Januar 1983 aufgrund ihrer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen wurde. Als Absolventin der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” erfüllt sie den Vermutungstatbestand der Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. dd der Übergangsvorschriften, denn bei dieser Fachschule handelt es sich um eine der Akademie für Staat und Recht vergleichbare Bildungseinrichtung im Sinne der tariflichen Bestimmung. Diese Vermutung hat die Klägerin nicht nach Nr. 4 Satz 3 der Übergangsvorschriften widerlegt. Nach Nr. 4 Satz 4 der Übergangsvorschriften sind auch die vor dem 1. Januar 1983 liegenden Zeiten von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen.
1. Die Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” war eine mit der Akademie für Staat und Recht vergleichbare Bildungseinrichtung im Sinne der Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. dd der Übergangsvorschriften. Dies ergibt die Auslegung des Tarifvertrags.
Der Wortlaut der tariflichen Regelung, von dem bei der Tarifauslegung in erster Linie auszugehen ist (st. Rspr., vgl. BAG 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – BAGE 46, 308; 20. März 1996 – 4 AZR 906/94 – AP BAT Nr. 36; 30. Januar 1997 – 6 AZR 784/95 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 22 = EzA TVG § 4 Personalabbau Nr. 8, zu II 2 der Gründe; vom 28. Mai 1998 – 6 AZR 349/96 – AP BGB § 611 Bühnenengagementsvertrag NR 52 = EzA TVG § 4 Bühnen Nr. 5, zu II 2 a der Gründe; vom 16. Juli 1998 – 6 AZR 672/96 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 27, zu II 2 a der Gründe), ist nicht eindeutig. Durch das Wort „vergleichbar” haben die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck gebracht, daß ein gewisses Maß an Übereinstimmung zwischen beiden Bildungseinrichtungen bestehen muß. Hinsichtlich welcher Aspekte und in welchem Umfang die Übereinstimmung vorliegen muß, ergibt sich aus dem bei der Tarifauslegung ebenfalls zu berücksichtigenden Gesamtzusammenhang der tariflichen Bestimmungen sowie aus dem daraus zu entnehmenden Sinn und Zweck der Regelung.
Zu berücksichtigen ist, daß die Vermutungstatbestände in Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. aa bis dd der Übergangsvorschriften zur Konkretisierung des übergeordneten Begriffs der besonderen persönlichen Systemnähe dienen. Die Tarifvertragsparteien sehen Absolventen der Akademie für Staat und Recht im Regelfall als besonders systemnah an. Da in Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. dd der Übergangsvorschriften ausschließlich auf das Studium abgestellt wird, ergibt sich die Systemnähe aus der Ausbildung selbst. Eine Ausbildung wird insbesondere charakterisiert durch die Lehrinhalte und das Ausbildungsziel. Eine Bildungseinrichtung ist der Akademie für Staat und Recht daher vergleichbar im Sinne der tariflichen Bestimmung, wenn sie hinsichtlich des Lehrstoffs und des Ziels der Ausbildung wesentliche Gemeinsamkeiten mit dieser aufweist. Dies ist bei der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” der Fall.
An der Akademie für Staat und Recht wurden Staatsfunktionäre ausgebildet und leitende Kader der Staatsorgane qualifiziert. Das „Statut der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR” (Beschluß des Ministerrats vom 31. Januar 1985, GBl. – DDR I S 73) enthält dazu folgende Bestimmungen:
„§ 1
(1) Die Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR (nachstehend Akademie genannt) ist eine wissenschaftliche Bildungs- und Forschungseinrichtung des sozialistischen Staates.
(2) Die Akademie ist verantwortlich für die Hochschulausbildung von Staatsfunktionären und die Qualifizierung leitender Kader der Staatsorgane. Entsprechend den Erfordernissen der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft erfüllt sie Forschungsaufgaben zur Weiterentwicklung der sozialistischen Staats- und Rechtsordnung sowie zur Erhöhung der Qualität und Effektivität der Tätigkeit der Staatsorgane. …
(3) Die Akademie untersteht dem Ministerrat.
(4) Grundlage der Tätigkeit der Akademie sind das Programm und die Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse, die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik sowie die Gesetze und anderen Rechtsvorschriften, die Lehr- und Forschungsarbeit erfolgt in Durchführung der vom Ministerrat festgelegten Aufgaben.
(5) Die Akademie arbeitet bei der Lösung ihrer Aufgaben eng mit den zuständigen Staatsorganen, den wissenschaftlichen Institutionen der DDR und der sozialistischen Bruderländer zusammen. Bei der Lösung von Forschungsaufgaben und der Überführung ihrer Ergebnisse in die Praxis organisiert sie eine enge Zusammenarbeit mit erfahrenen Staats- und Wirtschaftsfunktionären.
…
§ 2
(1) Die Akademie hat die Aus- und Weiterbildung von Staatsfunktionären auf hohem politischem Niveau im Interesse der ständigen klassenmäßigen Stärkung des sozialistischen Staatsapparates zu gewährleisten. Die Bildung und Erziehung an der Akademie dienen der Erhöhung der marxistisch-leninistischen Kenntnisse der Leiter und Mitarbeiter der Staatsorgane und der Entwicklung ihrer politischen und fachlichen Fähigkeit, schöpferisch die Politik der SED im Interesse der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten zur weiteren Festigung der Arbeiter- und Bauernmacht und ständigen Erhöhung ihres internationalen Ansehens zu verwirklichen. …
(2) Die Akademie bildet Staatsfunktionäre für örtliche und zentrale Staatsorgane im Direkt- und Fernstudium aus. Für die Effektivität des staatswissenschaftlichen Studiums ist eine hohe Qualität der Ausbildung im Marxismus-Leninismus und die ökonomische Durchdringung der juristischen Vorlesungen durchzusetzen.
(3) Die Weiterbildung erfolgt durch zyklische Weiterbildung leitender Kader örtlicher und zentraler Staatsorgane. (…) Es ist zu gewährleisten, daß in den Vorträgen der leitenden Kader und Wissenschaftler die Strategie der SED gründlich erläutert und die fortgeschrittenen Erfahrungen der staatlichen Arbeit anschaulich vermittelt werden. …
(4) Die Akademie unterstützt die Qualifizierung der Abgeordneten sowie die marxistisch-leninistische Weiterbildung der Leiter und Mitarbeiter des Staatsapparates. Entsprechend den Festlegungen der zuständigen Staatsorgane hat sie die dazu erforderlichen Materialien auszuarbeiten und den zentralen sowie den örtlichen Staatsorganen rechtzeitig zur Verfügung zu stellen.
…
(6) Die Akademie unterstützt die Fachschule für Staatswissenschaften „Edwin Hoernle”, Weimar, bei der Gewährleistung eines hohen wissenschaftlichen Niveaus der Fachschulausbildung. …”
An der Akademie für Staat und Recht wurden u.a. die Fächer marxistisch-leninistische Philosophie, insbesondere dialektischer und historischer Materialismus, marxistisch-leninistische politische Ökonomie, Kulturpolitik, Ästhetik sowie Grundfragen der internationalen Beziehungen und der sozialistischen Außenpolitik, marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie, Staatsrecht, Gerichtsverfassungs- und Staatsanwaltschaftsrecht, Verwaltungsrecht sowie staatliche Leitung und Bewußtseinsbildung gelehrt. Die Teilnehmer der Ausbildung an der Akademie für Staat und Recht erhielten also eine intensive ideologische Schulung zur Vorbereitung auf ihre (künftige) Leitungsfunktion im sozialistischen Staatswesen bzw. zur weiteren Qualifizierung, sofern sie bereits leitende Kader waren.
Auch an der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” wurden Kader des Staatsapparates im Direktstudium und im organisierten Selbststudium in ideologischer Hinsicht für ihre Tätigkeit im Staatswesen der DDR ausgebildet. Dies ergibt sich aus der Broschüre „Fachschulberufe Teil 4, 1981” von Herbert Thur. Dort heißt es u. a.:
„An der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” in Weimar wird die staats- und rechtswissenschaftliche Fachschulausbildung für Kader des Staatsapparates im Direktstudium und im organisierten Selbststudium durchgeführt.
Die staats- und rechtswissenschaftliche Ausbildung vermittelt umfassende Grundkenntnisse auf dem Gebiet des Marxismus-Leninismus, der Staats- und Rechtstheorie, des Staats- und Verwaltungsrechts, der Wirtschaftspolitik und Volkswirtschaftsplanung, Territorialökonomie und -planung, zu ausgewählten Problemen des Wirtschafts-, Arbeits-, Agrar-, Familien-, und Zivilrechts, zu pädagogisch-psychologischen Grundfragen der staatlichen Leitung sowie der wissenschaftlichen Organisation der staatlichen Leitung.
Lehrgebiete: Marxismus-Leninismus, Deutsch/Kulturpolitik, Russisch, Sport, marxistisch-leninistische Theorie des Staats und des Rechts, Staatsrecht der DDR, Verwaltungsrecht der DDR, Wirtschaftsrecht, ausgewählte Probleme aus dem Arbeits-, Agrar-, Boden-, Familien- und Zivilrecht, Wirtschafts- und Volkswirtschaftsplanung, Territorialökonomie und -planung, wissenschaftliche Organisation der sozialistischen staatlichen Leitung, pädagogisch-psychologische Grundfragen der staatlichen Leitung.
Das Direktstudium beträgt drei Jahre. Die Studiendauer im organisierten Selbststudium ist fünf Jahre.
Anforderungen: Abgeschlossene Berufsausbildung und Berufspraxis, Nachweis aktiver gesellschaftlicher Tätigkeiten.
Zum Direktstudium ist grundsätzlich eine Delegierung durch die zentralen Staatsorgane bzw. die Räte der Bezirke erforderlich. Es werden vor allem junge Kader aus der Arbeiterklasse und der Klasse der Genossenschaftsbauern zugelassen.
An der staats- und rechtswissenschaftlichen Ausbildung im organisierten Selbststudium können ohne Unterbrechung der Arbeit vor allem Staatsfunktionäre, Kader aus gesellschaftlichen Organisationen und der Volkswirtschaft sowie Abgeordnete der Volksvertretungen teilnehmen. Die Teilnahme am organisierten Selbststudium wird durch Bewerbung und Zulassung an der Betriebsakademie eines Rates des Bezirkes, des Magistrats der Hauptstadt der DDR oder eines Rates des Kreises begründet.”
Daraus ergeben sich wesentliche Gemeinsamkeiten der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” und der Akademie für Staat und Recht hinsichtlich der Zugangsvoraussetzungen, der Lehrinhalte und des Ausbildungsziels. Das Ausbildungsziel bestand in beiden Einrichtungen in der Aus- und Weiterbildung von Staatsfunktionären und Kadern des Staatsapparats im Direkt- und Fernstudium für ihre Tätigkeit im Staatswesen und in der sozialistischen Gesellschaft der DDR. Der Teilnehmerkreis war vergleichbar. An der Akademie für Staat und Recht wurden Staatsfunktionäre und leitende Kader der Staatsorgane bzw. Leiter und Mitarbeiter der Staatsorgane sowie Abgeordnete aus- und weitergebildet, an der staats- und rechtswissenschaftlichen Ausbildung im organisierten Selbststudium an der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle”, das die Klägerin absolviert hat, nahmen vor allem Staatsfunktionäre, Kader aus gesellschaftlichen Organisationen und der Volkswirtschaft sowie Abgeordnete der Volksvertretungen teil. Die Teilnahme am organisierten Selbststudium setzte voraus, daß der Bewerber durch den Rat eines Bezirkes oder eines Kreises oder des Magistrats der Hauptstadt der DDR zugelassen worden war. Insbesondere bei den Lehrinhalten fanden sich weitgehende Übereinstimmungen. An beiden Einrichtungen wurden im wesentlichen Fächer der sozialistischen Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftslehre unterrichtet. Dadurch sollte den Teilnehmern beider Ausbildungen das ideologische Rüstzeug für ihre (künftige) Tätigkeit im Staatswesen der DDR vermittelt werden. Im Hinblick darauf ist unerheblich, daß an der Akademie für Staat und Recht, wie auch das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, das wissenschaftliche Niveau höher war als an der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle”. Entscheidend für die Vergleichbarkeit im Tarifsinn ist, daß an beiden Einrichtungen eine intensive ideologische Schulung, insbesondere in den Fächern dialektischer und historischer Materialismus, marxistisch-leninistische Ökonomie sowie im Bereich Staat und Recht stattfand. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist ebenfalls unerheblich, daß die Studenten der Akademie für Staat und Recht für höhere Positionen im sozialistischen Staatswesen ausgebildet wurden als die Absolventen der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle”. Die Auffassung des Berufungsgerichts läßt sich insbesondere nicht aus einem Vergleich mit dem Vermutungstatbestand in Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. bb der Übergangsvorschriften herleiten. Gerade daraus, daß dort ausdrücklich an bestimmte hierarchische Ebenen angeknüpft wird, in der hier maßgeblichen Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. dd der Übergangsvorschriften jedoch nicht, ergibt sich, daß hier Inhalt und Ziel der Ausbildung die Vermutung der Systemnähe begründen. Deshalb ist entscheidend, daß die Absolventen der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” – ebenso wie die Studenten der Akademie für Staat und Recht – für ihre Tätigkeit im Staatswesen der DDR in ideologischer Hinsicht eingehend geschult und auf das System „eingeschworen” wurden. Für die Identifikation mit dem System der DDR, die für das Tarifmerkmal der „besonderen persönlichen Systemnähe” kennzeichnend ist, ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung, daß die Ausbildung nicht auf einen Einsatz in den obersten Ebenen der Staatshierarchie abzielte. Eine besondere persönliche Identifizierung mit dem Staatsapparat, auf die Systeme wie das der ehemaligen DDR angewiesen sind, wurde grundsätzlich auf allen Hierarchieebenen erwartet. Dazu diente die Ausbildung an der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” ebenso wie diejenige an der Akademie für Staat und Recht.
2. Die Tätigkeit als Leiterin des Arbeitsbereichs Steuern und Abgaben wurde der Klägerin aufgrund ihrer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen.
Die Ursächlichkeit der besonderen persönlichen Systemnähe für die Übertragung dieser Tätigkeit wird vermutet, weil die Klägerin den Tatbestand der Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. dd der Übergangsvorschriften erfüllt (Senatsurteil vom 18. April 1996 – 6 AZR 565/95 – BAGE 83, 21, 25). Die Möglichkeit, diese Vermutung zu widerlegen (Nr. 4 Satz 3 Übergangsvorschriften), hat die Klägerin nicht genutzt.
Nicht erforderlich ist, daß die besondere persönliche Systemnähe alleinige Ursache für die Übertragung der Tätigkeit war, vielmehr genügt Mitursächlichkeit (Senatsurteil vom 30. Mai 1996 – 6 AZR 632/95 – BAGE 83, 149, 157). Dementsprechend hätte die Klägerin Umstände vortragen müssen, die den Schluß zulassen, daß ihr Studium an der Fachschule für Staatswissenschaft „Edwin Hoernle” auch nicht mitursächlich für die Übertragung der Tätigkeit war. Dazu reichte der Hinweis auf den zeitlichen Abstand zwischen dem Ende des organisierten Selbststudiums und der Übertragung der Tätigkeit als Leiterin des Arbeitsbereichs Steuern und Abgaben nicht aus. Das Zeugnis über den Fachschulabschluß der Klägerin datiert vom 31. August 1981. Die Tätigkeit als Leiterin des Arbeitsbereichs Steuern und Abgaben wurde ihr zum 1. Januar 1983 übertragen. Allein aus dem Zeitablauf von einem Jahr und vier Monaten bis zur Übertragung der Tätigkeit ergibt sich noch nicht zwingend ein fehlender Zusammenhang zwischen dem Erwerb der Qualifikation und der Beförderung der Klägerin. Die Klägerin hätte vielmehr vortragen müssen, welche anderen Umstände zwischen dem 31. August 1981 und dem 1. Januar 1983 eingetreten waren, auf denen allein und ausschließlich die Übertragung der Tätigkeit beruht.
3. Von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ist nach Nr. 4 Satz 4 der Übergangsvorschriften auch die Zeit vor dem 1. Januar 1983 ausgeschlossen. Diese tarifliche Bestimmung verstößt, soweit sie den Ausschluß von Vordienstzeiten in den Fällen der Übertragung einer Tätigkeit aufgrund besonderer persönlicher Systemnähe vorsieht, nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen den Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG (st. Rspr. des erkennenden Senats, vgl. 30. Mai 1996 – 6 AZR 632/95 – BAGE 83, 149, 159).
III. Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO trägt die Klägerin die Kosten der Berufung und der Revision.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Unterschriften
Dr. Peifer, Richter Dr. Armbrüster hat Erholungsurlaub und kann daher nicht unterzeichnen Dr. Peifer, Gräfl, H. Schmidt, W. Zuchold
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 20.05.1999 durch Schneider, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2000, 52 |
DB 1999, 1169 |
DB 2000, 577 |
NJW 2000, 1516 |
FA 1999, 273 |
FA 1999, 380 |
NZA 2000, 219 |
ZAP-Ost 2000, 70 |
ZTR 2000, 122 |
AP, 0 |
AuA 2000, 233 |
NJ 1999, 354 |
NJ 2000, 274 |
RiA 2000, 63 |
AUR 2000, 35 |