Entscheidungsstichwort (Thema)
Provisionsanspruch bei unterjähriger Beschäftigung
Leitsatz (amtlich)
Eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, nach der ein angestellter Außendienstmitarbeiter neben seinem Fixum Provisionen nach Erreichen einer Jahressollvorgabe erhält, kann bei Fehlen einer Regelung für den Fall unterjähriger Beschäftigung durch Vertragsauslegung zu ergänzen sein.
Da Arbeitsvertragsparteien regelmäßig keine rechtswidrigen oder nichtigen Arbeitsvertragsbedingungen verabreden wollen, ist eine ergänzende Vertragsauslegung geboten, wenn die Vereinbarung der Parteien ohne die Ergänzung gegen § 622 Abs. 6 BGB verstößt. Davon ist auszugehen, wenn der Angestellte bei Ausübung des gesetzlichen Kündigungsrechts zum Ende des ersten Halbjahres wegen der Höhe der Jahressollvorgabe keinerlei Provisionsansprüche erwirbt.
Normenkette
HGB §§ 59, 65, 64 Abs. 2, § 87 Abs. 1, 3, § 87c; BGB § 622 Abs. 6, §§ 133, 157
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.12.1994; Aktenzeichen 2 Sa 65/94) |
ArbG Stuttgart (Urteil vom 19.04.1994; Aktenzeichen 14 Ca 8315/93) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 14. Dezember 1994 – 2 Sa 65/94 – aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 19. April 1994 – 14 Ca 8315/93 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Provisionansprüche.
Die Beklagte vertreibt Dentalgold und sogenannte Spezialitäten, Hilfsteile und Fräsgeräte insbesondere an Zahnärzte und Dentallabors. Sie beschäftigt dazu Außendienstmitarbeiter, die in einem ihnen zugewiesenen Verkaufsgebiet Kunden besuchen und Verkäufe tätigen. Die Bestellungen werden noch am selben Tag ausgeführt, wenn sie bis 17.00 Uhr bei der Beklagten vorliegen, sonst am nächsten Tag.
Der Kläger war seit 1989 bei der Beklagten als Verkäufer tätig. Sein Verkaufsgebiet war der Großraum Düsseldorf. Die beiderseitigen Rechte und Pflichten der Parteien sind in einem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 21. Mai 1989 nebst zwei Anhängen festgehalten. Der jährlich neu gefaßte Anhang 2 enthält die Gehalts- und Provisionsregelung und lautet für 1993 auszugsweise wie folgt:
“
Grundgehalt
Das Grundgehalt beträgt während der Vertragsperiode DM 3.800 brutto pro Monat.
Leistungsprovision
Die Leistungsprovision beruht auf der Sollvorgabe von 135 Kg für 1993 und berechnet sich wie folgt:
65 % aus 135 Kg = 87,75 Kg
dafür erhalten Sie monatlich nachzahlbar DM 800,-- brutto als Provisionsgarantie
Zusätzlich erhalten Sie monatlich nachzahlbar als Provisions-Vorauszahlung DM 400,--. Diese Provision wird mit Ihren Umsätzen verrechnet und kann bei Nichterreichung zurückbelastet werden.
Für jedes weitere volle Kg. Legierung/Lote erhalten Sie bis 90 % aus Ihrer Sollvorgabe
DM 400,-- brutto.
Für jedes weitere volle Kg. Legierung/Lote erhalten Sie ab 90 % aus Ihrer Sollvorgabe
DM 600,-- brutto.
Die Provision wird im Folgemonat jeweils verrechnet.
Für Spezialitäten, Hilfsteile und Fräsgeräte beträgt die Provision 5 % vom Netto-Umsatz.
Zustande gekommene Verkäufe
In der monatlichen Abrechnung werden die Verkäufe laut Verkaufsstatistik (beruhend auf der Fakturierung) berechnet. Tatsächlich zustande gekommen ist ein Verkauf jedoch erst, wenn er auch bezahlt ist und wenn die Ware später nicht wieder zurückgenommen werden muß. Provisionen, die bereits ausbezahlt sind, aber infolge Rücklieferung oder Zahlungsunfähigkeit des Kunden hinfällig werden, werden bei einer späteren Provisionsauszahlung verrechnet.
”
Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 13. Mai 1993 fristgerecht zum Ende des zweiten Quartals. Die Beklagte stellte ihn darauf unter Fortzahlung des Grundgehalts von 3.800,00 DM brutto, der Provisionsgarantie von 800,00 DM und der Provisionsvorauszahlung von 400,00 DM von der Arbeit frei.
Der Kläger hat nach einer von der Beklagten gefertigten Verkäufer-Soll-Ist-Liste vom 30. Juni 1993 im ersten Halbjahr dieses Jahres 89.428,64 Gramm Gold verkauft. Er verlangt Nachzahlung von Provisionen für das erste Halbjahr 1993 und Erteilung einer Abrechnung und Buchauszug über seine Provisionsansprüche für die zweite Jahreshälfte 1993 und Auszahlung der sich daraus ergebenden Provisionen. Bei der Berechnung seines Anspruchs für die Zeit Januar bis Juni 1993 ist der Kläger von einer Umrechnung der Jahressollvorgabe von 135 Kg auf sechs Monate = 66 Kg ausgegangen. Die für die Provisionen maßgebenden Grenzen von 65 % und 90 % lagen danach bei 40,92 Kg und 59,40 Kg. Erstere hat er um 18,48 Kg und letztere um 30,02864 Kg überschritten, wofür er sich unter Abzug der Provisionsvorschüsse für 6 Monate einen Anspruch von 23.009,18 DM errechnet hat.
Der Kläger hat beantragt,
- die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 23.009,18 brutto nebst 4 % Zinsen seit Rechtsanhängigkeit zu bezahlen,
- die Beklagte wird verurteilt, die von dem Kläger in der Zeit vom 30. Juni 1993 bis 31. Dezember 1993 verdienten Provisionen abzurechnen,
- dem Kläger über die in dieser Zeit verdienten Provisionen einen Buchauszug zu erteilen.
- dem Kläger die sich aus der Abrechnung ergebenden Provision zu bezahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Das Arbeitsgericht hat den Klageanträgen zu 1. und 2. stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten, mit der sie zugleich widerklagend die Rückzahlung von überzahlten Provisionsleistungen in Höhe von 1.728,54 DM verlangt hat, hat das Landesarbeitsgericht die Klageanträge zu 1. und 2. abgewiesen und der Widerklage entsprochen. Mit der Revision verlangt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils und die Abweisung der Widerklage. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Er hat gegen die Beklagte einen vertraglichen Anspruch auf Provisionen für seine Tätigkeit im ersten Halbjahr 1993. Er hat ferner einen Anspruch auf Abrechnung über denkbare Ansprüche aus der zweiten Jahreshälfte 1993 nach den §§ 59, 65, 87 Abs. 3, § 87c Abs. 1 HGB.
I. Der Anspruch des Klägers auf Provisionen für den von ihm vermittelten Verkauf von 89.428,64 Gramm Gold beruht auf einer ergänzenden Vertragsauslegung des Arbeitsvertrags der Parteien und seiner Anhänge.
1. Bei dem Vertrag der Parteien handelt es sich um eine nichttypische, einzelfallbezogene Vereinbarung, deren Auslegung revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt lediglich, ob das Berufungsgericht allgemeine Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB verletzt hat, Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze vorliegen oder wesentlicher Auslegungsstoff unberücksichtigt geblieben ist (ständige Rechtsprechung aller Senate des Bundesarbeitsgerichts; zuletzt Senatsurteil vom 23. Januar 1996 – 9 AZR 564/93 – nicht veröffentlicht; Senatsurteil vom 26. Mai 1992 – 9 AZR 27/91 – AP Nr. 63 zu § 74 HGB).
Auch diesem eingeschränkten Überprüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand.
2. Das Landesarbeitsgericht hat zunächst zu Recht erkannt, daß die Parteien keine Regelung über die Leistung von Provisionen bei unterjähriger Beschäftigung des Klägers getroffen haben. Unzutreffend ist jedoch der daraus folgende Schluß, die im Anhang 2 zum Arbeitsvertrag getroffene Vergütungsregelung solle ersichtlich auch in dem Falle gelten, daß das Arbeitsverhältnis eines Verkäufers im Laufe eines Kalenderjahres ende. Das Berufungsgericht hat nämlich den Erfahrungssatz unberücksichtigt gelassen, daß Arbeitsvertragsparteien regelmäßig keine Vereinbarungen treffen wollen, die zu rechtswidrigen oder nichtigen Arbeitsvertragsbedingungen führen. So verhielte es sich aber im Streitfall, wenn der Anspruch auf Leistungsprovisionen bei unterjähriger Beschäftigung ganz entfallen solle, sofern der Arbeitnehmer das maßgebende Quorum der Jahressollvorgabe nicht erreicht hat. Darin läge ein Verstoß gegen § 622 Abs. 6 BGB. Nach dieser Vorschrift darf für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer einzelvertraglich keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung ist nach ihrem Sinn und Zweck nicht nur dann gegeben, wenn einzelvertraglich für den Arbeitnehmer längere Kündigungsfristen oder ungünstigere Kündigungstermine festgelegt werden als für den Arbeitgeber, sondern bereits dann anzunehmen, wenn die Kündigung des Arbeitnehmers gegenüber der des Arbeitgebers erschwert ist. Daher sind Kündigungsbeschränkungen zu Lasten des Arbeitnehmers als unzulässig anzusehen (BAG Urteil vom 6. September 1989 – 5 AZR 586/88 – AP Nr. 27 zu § 622 BGB, m.w.N.). Das gilt auch für eine Mindestumsatzgrenze bei einer Provisionszusage. Die Auslegung, daß eine Provision nur jahresbezogen zu berechnen sei, führte zu einer erheblichen Benachteiligung des Arbeitnehmers. Dieser könnte praktisch nur einmal jährlich kündigen, wollte er nicht erhebliche Verdiensteinbußen hinnehmen (BAG Urteil vom 25. April 1989 – 3 AZR 414/87 – n.v.; BAG Urteil vom 12. Januar 1973 – 3 AZR 211/72 – AP Nr. 4 zu § 87a HGB). Im Streitfall wird das besonders deutlich. Der Kläger hat 1992 ein Fixum vom 55.200,00 DM erhalten und Provisionen von 70.000,00 DM verdient. Für das Jahr 1993 hätte er unter Berücksichtigung seines tatsächlichen Verdienstes in der ersten Jahreshälfte 1993 im gesamten Jahr knapp 48.000,00 DM an Provisionen verdienen können. Der Kläger müßte also etwa auf die Hälfte seines Jahresverdienstes verzichten, wollte er von seinem gesetzlichen Recht der fristgerechten Kündigung Gebrauch machen.
3. Angesichts dessen kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Vergütungsregelung auch in dem Fall gelten soll, daß das Arbeitsverhältnis eines Verkäufers im Laufe eines Kalenderjahres endet. Der insoweit unvollständige Arbeitsvertrag der Parteien ist im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung so zu interpretieren, daß er im Ergebnis mit dem Gesetz vereinbar ist. Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu untersuchen, wie die Parteien bei redlichem Verhalten den offengebliebenen Punkt geordnet hätten, wenn sie ihn bedacht hätten (BAG Urteil vom 25. April 1989 – 3 AZR 414/87 – n.v.). Im Streitfall führt die ergänzende Vertragsauslegung zu dem Ergebnis, daß bei unterjähriger Beschäftigung die Jahresumsatzgrenze auf die Beschäftigungsdauer umgerechnet werden kann (BAG Urteil vom 25. April 1989, aaO). Andere Gesichtspunkte als die Anpassung der Jahresvorgabe und entsprechend der Quoren an die Dauer des Arbeitsverhältnisses im laufenden Jahr sind nicht ersichtlich.
4. Im einzelnen ist dabei die Berechnung des Klägers zugrundezulegen, die die Beklagte weder hinsichtlich des Ausgangswertes noch hinsichtlich der darauf beruhenden Daten bei den Quoren und bei den Geldbeträgen substantiiert gerügt hat. Der pauschale Hinweis der Beklagten zu Beginn der Berufungsbegründung, Berechnung und Höhe der Provisionszahlung seien nicht unstreitig, genügt den Anforderungen des § 138 Abs. 2 ZPO nicht.
II. Der Abrechnungsanspruch des Klägers folgt aus den §§ 59, 65, 84 Abs. 2, § 87 Abs. 3 Nr. 1 und § 87c Abs. 1 HGB.
1. Das Landesarbeitsgericht hat die Vereinbarung der Parteien nach Anhang 2 als Ausschluß des Anspruchs auf sog. Überhangprovisionen bewertet und dabei auf den Wortlaut und die praktische Handhabung der Fakturierung (Sofortgeschäfte) abgestellt. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Vertrag diesen Inhalt hat oder nicht. Denn der Ausschluß des Anspruches aus § 87 Abs. 3 Nr. 1 HGB wäre nicht wirksam. Die Regelung des § 87 Abs. 3 HGB ist für den Handelsvertreter dispositiv, weil ihm der Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB zusteht. Einen solchen Anspruch hat der Angestellte nicht. Deshalb ist der Überhanganspruch des Arbeitnehmers nach § 87 Abs. 3 HGB nicht abdingbar (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts; Urteil vom 20. Juli 1973 – 3 AZR 359/72 – AP Nr. 7 zu § 65 HGB, m.w.N.). Eine Vereinbarung zwischen einem Arbeitgeber und einem auf Provisionsbasis tätigen angestellten Vertreter, durch die diesem bereits erarbeitete, aber erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällige Provisionen abgeschnitten werden, ist nur wirksam, wenn der Ausschluß der Provisionen durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Die darlegungspflichtige Beklagte hat zu einem sachlichen Grund für die Abbedingung der gesetzlich vorgesehenen Ansprüche nichts vorgetragen. Sie hat weder einen finanziellen Ausgleich behauptet noch Zahlungen an den Kläger aus der Vorarbeit seines Vorgängers noch Nacharbeiten seines Nachfolgers angeführt (BAG, aaO).
2. Unbeachtlich ist auch der Einwand der Beklagten, bei den zu verprovisionierenden Kaufabschlüssen handele es sich durchweg um Sofortgeschäfte, weshalb zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien am 30. Juni 1993 nach Freistellung des Klägers bereits am 17. Mai 1990 selbst bei Anwendbarkeit des § 87 Abs. 3 HGB keine Geschäftsabschlüsse denkbar seien, die auf eine Tätigkeit des Kläges zurückführbar sein könnten. Damit wendet sich die Beklagte nicht gegen den Bestand des Anspruchs, sondern sie erklärt sich zum Inhalt der Auskunft. Soweit die Beklagte damit zugleich erklären will, sie erfülle den Anspruch durch die Auskunft “0”, handelt es sich um das Vorbringen neuer Tatsachen, die in der Revisionsinstanz unberücksichtigt bleiben müssen. Die Beklagte wird diese Tatsachen im noch anhängigen Teil des Rechtsstreits vor dem Arbeitsgericht vorbringen können.
III. Die Widerklage der Beklagten ist aus den unter I. genannten Gründen unbegründet.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dörner, Düwell, Bott, Dr. Pühler, Ott
Fundstellen
Haufe-Index 884846 |
BAGE, 17 |
NJW 1997, 541 |
NZA 1996, 1151 |
ZIP 1996, 1912 |
VersR 1998, 659 |