Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerbegriff. Handelsvertreter
Leitsatz (redaktionell)
Die Darlegungs- und Beweislast zur Frage der Freiheit der Arbeitszeitgestaltung im Streit um die Arbeitnehmereigenschaft trifft die Klagepartei, die sich auf die Arbeitnehmereigenschaft stützt.
Normenkette
HGB §§ 84, 86; BUrlG § 2 S. 2, § 7 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 04.12.2001; Aktenzeichen 8 Sa 43/01) |
ArbG München (Urteil vom 17.11.2000; Aktenzeichen 3 Ca 12631/00) |
Tenor
- Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 4. Dezember 2001 – 8 Sa 43/01 – aufgehoben.
- Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und hierbei insbesondere über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger war bei der beklagten Versicherung seit dem 15. Oktober 1981 beschäftigt. Nach einer schriftlichen Vereinbarung vom 7. Dezember 1982 sollte der Kläger als Bezirksleiter tätig werden. Aufgabe des Klägers war die Vermittlung von Kranken-, Lebens-, Unfall- und Sachversicherungen der Beklagten sowie die Pflege und Ausweitung des Bestands. Die Vergütung des Klägers betrug nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zuletzt durchschnittlich 12.575,00 DM im Monat.
Die Beklagte schickte dem Kläger regelmäßig Besuchs- und Inkassoaufträge sowie Terminlisten. In den Schreiben waren jeweils der Kunde, die Auftragsart und ein Termin genannt. Nicht alle Aufträge erforderten einen Besuch beim Kunden; sie konnten auch telefonisch oder schriftlich erledigt werden. Konnte ein Auftrag nicht termingerecht erledigt werden, wurde dem Kläger eine Verlängerung gewährt. Im unteren Teil des Schreibens war Raum für die Eintragung des Besuchsergebnisses.
Mit Schreiben vom 30. Juli 1999 äußerte die Beklagte ihre Unzufriedenheit über das Produktionsergebnis des Klägers. In dem Schreiben heißt es:
“Ihr Produktionsergebnis im Monat Juli 99 beträgt ./. 42,34 Punkte.
Mit diesem Ergebnis bin ich nicht zufrieden, da es keinerlei Gründe gibt, die Mindestproduktion von + 750 Punkten je Monat nicht zu erreichen.
Aus diesem Grund erwarte ich von Ihnen eine schriftliche Stellungnahme, wie es zu diesem unakzeptablen Produktionsergebnis kam. Darüber hinaus erstellen Sie bitte eine 3-Monats-Produktionsvorschau, aufgeteilt nach den einzelnen Produktionssparten mit einer seriösen Prognose der prozentualen Gewichtung der Abschlußchance je Kunde.”
Mit Schreiben vom 4. Juli 2000 kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis zum 31. Januar 2001. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 16. Juni 2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.
Der Kläger hat geltend gemacht, in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten zu stehen. Er sei in der Gestaltung seiner Tätigkeit und der Einteilung seiner Arbeitszeit nicht frei gewesen. Er habe bis zu zehn Besuchs- und Inkassoaufträge täglich erhalten. Über die Besuchsergebnisse habe er schriftlich berichten müssen. Mehrere Jahre sei er zum Telefondienst in der Bezirksdirektion eingeteilt worden. Er habe an wöchentlichen Besprechungen sowie an Schulungen teilnehmen und Messestände besetzen müssen. Er sei verpflichtet gewesen, Krankmeldungen bei der Beklagten einzureichen. Urlaub habe er sich genehmigen lassen müssen. Für die Zeiten der Beitragssanierung habe die Beklagte mehrmonatige Urlaubssperren verhängt.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 4. Juli 2000 aufgelöst wurde.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei nicht Arbeitnehmer, sondern selbständiger Handelsvertreter. Sie hat vorgetragen, der Kläger sei im wesentlichen frei von Weisungen gewesen. In der Zeit von Januar 1997 bis Juni 2000 habe der Kläger durchschnittlich 2,59 Besuchsaufträge je Woche erhalten. Eine Sanktion bei Nichterfüllung der Aufträge habe es nicht gegeben. Der Telefondienst sei freiwillig geleistet worden. Seit 1991 habe der Kläger nicht mehr daran teilgenommen. Bei den wöchentlichen Besprechungen habe er nicht anwesend sein müssen. Der Kläger habe keinen Einschränkungen bei der Urlaubsnahme unterlegen. Eine Urlaubssperre habe es für die selbständigen Außendienstmitarbeiter nicht gegeben.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in dem noch anhängigen Umfang stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts. Ob zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat und deshalb die Kündigungsschutzklage erfolgreich ist, kann auf Grund der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden.
I. Arbeitnehmer ist, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (Senat 16. Februar 2000 – 5 AZB 71/99 – BAGE 93, 310; 26. September 2002 – 5 AZB 19/01 – AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 83 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 57). Das Arbeitsverhältnis ist ein auf den Austausch von Arbeitsleistung und Vergütung gerichtetes Dauerschuldverhältnis. Die vertraglich geschuldete Leistung ist im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, daß der Beschäftigte einem Weisungsrecht seines Vertragspartners (Arbeitgebers) unterliegt. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (Senat 22. April 1998 – 5 AZR 342/97 – BAGE 88, 263 mwN; 19. Januar 2000 – 5 AZR 644/98 – BAGE 93, 218, 222). Selbständig ist dagegen, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann, § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB. Für die Abgrenzung hat sich das Gesetz im Bereich der Vermittlung von Geschäften und Versicherungen für Dritte auf diese beiden Kriterien beschränkt. Zwar sind dabei alle Umstände des Falles in Betracht zu ziehen und schließlich in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Die heranzuziehenden Anknüpfungspunkte müssen sich jedoch diesen gesetzlichen Unterscheidungsmerkmalen zuordnen lassen. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist das letztere maßgebend. Dabei kommt es auf eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls an (Senat 6. Mai 1998 – 5 AZR 347/97 – BAGE 88, 327, 335; 15. Dezember 1999 – 5 AZR 566/98 – AP HGB § 84 Nr. 9 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 78; 20. September 2000 – 5 AZR 271/99 – BAGE 95, 324).
II. In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze rechtfertigen allein die vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht den Schluß, zwischen den Parteien habe ein Arbeitsverhältnis bestanden.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Schreiben vom 30. Juli 1999 sei “vom Ton her eindeutig”. Die Beklagte habe hiermit den Kläger in der Gestaltung seiner Tätigkeit und Bestimmung seiner Arbeitszeit wesentlich eingeschränkt. In dem Schreiben komme zum Ausdruck, daß die Beklagte von einer ihr zustehenden Eingriffsmöglichkeit ausgehe. Der zeitliche Spielraum des Klägers sei durch die Vielzahl der erteilten Besuchsaufträge deutlich eingeengt gewesen. Die Beklagte habe sich nur für die Zeit nach dem Januar 1997 zur Zahl der Besuchsaufträge geäußert und nicht für die Jahre zuvor.
2. Das Landesarbeitsgericht hat damit die Darlegungs- und Beweislast zur Freiheit der Arbeitszeitgestaltung verkannt. Zum Umfang des Spielraums bei der Arbeitszeit ist nicht die Beklagte, sondern der Kläger darlegungs- und beweisbelastet (Senat 15. Dezember 1999 – 5 AZR 169/99 – BAGE 93, 132, 142).
3. Der Senat ist auf Grund der unzureichenden Tatsachenfeststellungen des Landesarbeitsgerichts an einer eigenen Sachentscheidung gehindert. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung nicht den gesamten Vortrag der Parteien und die im ersten Rechtszug durchgeführte Beweisaufnahme zugrunde gelegt, sondern nur einen Teil davon berücksichtigt. Auf der Grundlage des vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalts kann der Senat nicht selbst beurteilen, ob der Kläger Arbeitnehmer war.
a) Das Landesarbeitsgericht hat das Schreiben der Beklagten vom 30. Juli 1999 nur unvollständig gewürdigt. Es hat auf den “Ton” des Schreibens abgestellt, ohne sich mit dessen Inhalt im einzelnen auseinanderzusetzen. Hierbei ist insbesondere der letzte Satz des Schreibens von Bedeutung. Dort wird von dem Kläger eine Dreimonatsproduktionsvorschau, aufgeteilt nach einzelnen Produktionssparten, mit einer seriösen Prognose der prozentualen Gewichtung der Abschlußchance je Kunde verlangt. Diese Weisung geht über die nach § 86 Abs. 1 HGB eingeräumte Befugnis, vom selbständigen Handelsvertreter das Bemühen um Vermittlung und Abschluß von Geschäften verlangen zu können, hinaus.
b) Weiterhin hat das Landesarbeitsgericht die zwischen den Parteien streitige Anordnung von Urlaubssperren durch die Beklagte unberücksichtigt gelassen. Der Vortrag des Klägers hierzu ist erheblich, weil der Kläger durch eine Urlaubssperre in der Bestimmung der Arbeitszeit eingeschränkt gewesen wäre. Entgegen der Auffassung der Beklagten wäre eine solche Einschränkung der Arbeitszeit nicht durch eine entsprechende Anwendung des § 7 Abs. 1 BUrlG auf arbeitnehmerähnliche Personen (§ 2 Abs. 2 BUrlG) gerechtfertigt. Ein selbständiger Handelsvertreter braucht seinen Urlaub nicht geltend zu machen, um eine Urlaubserteilung durch den Unternehmer nach § 7 Abs. 1 BUrlG zu erwirken. Dies wäre mit der Selbständigkeit nicht vereinbar. Der Selbständige kann grundsätzlich nach seinem Belieben Urlaub nehmen. Einschränkungen für selbständige Handelsvertreter können sich nur aus der Interessenwahrnehmungspflicht des § 86 Abs. 1 HGB ergeben.
Bei der neuen Verhandlung wird das Landesarbeitsgericht nicht allein auf das von dem Kläger vorgelegte Schreiben vom 29. September 1995 abzustellen haben, sondern insbesondere die Aussagen der vom Arbeitsgericht hierzu vernommenen Zeugen zu würdigen haben. In diesem Zusammenhang wird weiterhin zu beachten sein, daß der Kläger erstinstanzlich weitere Zeugen benannt hat, auf deren Vernehmung er nur für die erste Instanz verzichtet hat.
c) Die von dem Kläger behaupteten Besuchsaufträge bedürfen einer sorgfältigen Betrachtung. Insoweit wird das Landesarbeitsgericht der Behauptung des Klägers nachzugehen haben, Inkassotätigkeiten seien sofort auszuführen gewesen. Hierzu werden die vom Arbeitsgericht erhobenen Beweise zu würdigen sein. Das Landesarbeitsgericht wird zu erwägen haben, ob die Zeugen wegen nicht hinreichend präzise protokollierter Aussagen erneut vernommen werden müssen.
4. Der Senat hat wegen der Behandlung der Rechtssache durch das Berufungsgericht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache nach § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO aF an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückzuverweisen.
5. Bei der neuen Entscheidung hat das Landesarbeitsgericht auch über die Kosten der Revision zu befinden.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Kessel, Zoller
Fundstellen