Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnung wegen religiöser Bekundung in der Schule. Abmahnung wegen Verstoßes gegen das Verbot religiöser Bekundungen in nordrhein-westfälischen Schulen. Gefährdung des religiösen Schulfriedens. Glaubensfreiheit. Diskriminierungsverbot
Leitsatz (amtlich)
1. Das Verbot religiöser Bekundungen in der Schule gem. § 57 Abs. 4, § 58 Schulgesetz Nordrhein-Westfalen erfasst auch das Tragen einer Haaransatz und Ohren vollständig bedeckenden Mütze durch eine Sozialpädagogin muslimischen Glaubens.
2. Das landesgesetzliche Bekundungsverbot verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Orientierungssatz
1. § 57 Abs. 4, § 58 SchulG NRW verbieten religiöse Bekundungen in der Schule durch Lehrer(innen) und Sozialpädagog(inn)en, die geeignet sind, den religiösen Schulfrieden zu gefährden. Ob das Tragen eines bestimmten Kleidungsstücks die nach außen gerichtete Kundgabe einer religiösen Überzeugung ist, richtet sich nach den Deutungsmöglichkeiten, die insbesondere für Schüler und Eltern objektiv naheliegen. Dabei muss sich der fragliche Symbolcharakter nicht schon aus dem Kleidungsstück als solchem ergeben.
2. Trägt eine Sozialpädagogin muslimischen Glaubens in der Schule zu jeder Zeit eine (Woll-)Mütze, die Haare, Haaransatz und Ohren vollständig bedeckt, kann darin die Kundgabe einer religiösen Überzeugung liegen.
3. Das Bekundungsverbot knüpft an einen abstrakten Gefährdungstatbestand an. Er erfasst nicht erst Bekundungen, die den religiösen Schulfrieden konkret gefährden.
4. § 57 Abs. 4 SchulG NRW verstößt weder gegen Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen Art. 9 EMRK oder § 7 AGG.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; EMRK Art. 9; AGG §§ 1, 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1; BGB §§ 242, 1004; Schulgesetz Nordrhein-Westfalen § 57 Abs. 4, § 58 S. 2
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 10. April 2008 – 5 Sa 1836/07 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Abmahnung.
Rz. 2
Die Klägerin ist muslimischen Glaubens. Sie ist ausgebildete Sozialpädagogin und seit dem 7. Oktober 1997 beim beklagten Land beschäftigt. Sie ist an einer Gesamtschule zur Schlichtung von Schulkonflikten eingesetzt. Dabei kommt sie mit Schülern unterschiedlicher Nationalitäten und Religionen in Kontakt. Seit dem 1. August 2006 gilt in Nordrhein-Westfalen ein neues Schulgesetz (SchulG NRW). Dessen Regelungen sehen für die an der Bildungs- und Erziehungsarbeit mitwirkenden pädagogischen und sozialpädagogischen Mitarbeiter die Anwendbarkeit des § 57 Abs. 4 SchulG NRW vor. Diese Bestimmung lautet:
“Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Schülerinnen und Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrerin oder ein Lehrer gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Artikel 7 und 12 Abs. 6 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1. Das Neutralitätsgebot des Satzes 1 gilt nicht im Religionsunterricht und in den Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen.”
Rz. 3
Im August 2006 forderte das beklagte Land die Klägerin auf, das von ihr bislang während des Dienstes getragene “islamische Kopftuch” abzulegen. Die Klägerin kam der Aufforderung nach. Seitdem trägt sie eine Mütze mit Strickbund, die Haare, Haaransatz und Ohren vollständig bedeckt. Die Frage, warum sie diese Kopfbedeckung trage, ließ die Klägerin im Rahmen eines Personalgespräches unbeantwortet. Mit Schreiben vom 19. Dezember 2006 erteilte das beklagte Land ihr eine Abmahnung. In dem Schreiben heißt es ua.:
“Durch das religiös motivierte Tragen einer kopftuchähnlichen Kopfbedeckung (als Ersatz des islamischen Kopftuches) in der Schule verstoßen Sie gegen § 57 Abs. 4 SchulG. Ihr Verhalten stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Ihnen obliegenden Dienst- und Arbeitspflichten als Sozialpädagogin dar.
Aus diesem Grunde mahne ich Sie aufgrund der oben genannten verhaltensbedingten Gründe ab und fordere Sie auf, ab sofort auf das Tragen einer kopftuchähnlichen Kopfbedeckung, insbesondere auch auf die derzeit gewählte Wollmütze, in der Schule zu verzichten.
Sollten Sie meiner Aufforderung nicht nachkommen, ist der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet.”
Rz. 4
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin die Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte. Sie hat die Auffassung vertreten, sie habe das Bekundungsverbot des § 57 Abs. 4 SchulG NRW nicht verletzt. Sie trage keine dem islamischen Kopftuch ähnliche Kopfbedeckung, sondern eine “religionsneutrale Baskenmütze”. Das beruhe nicht auf religiösen Motiven. Da sie 18 Jahre lang ein Kopftuch getragen habe, fühle sie sich ohne eine Kopfbedeckung nicht vollständig bekleidet. Im Übrigen sei das Neutralitätsgebot des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes verfassungs- und europarechtswidrig und verstoße gegen Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Es führe zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der Glaubensrichtungen und einer mittelbaren Frauendiskriminierung.
Rz. 5
Die Klägerin hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, die ihr mit Schreiben vom 19. Dezember 2006 erteilte Abmahnung aus ihrer Personalakte zu entfernen.
Rz. 6
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Klägerin verletze das gesetzliche Neutralitätsgebot. Sie trage die nunmehr benutzte Wollmütze aus religiösen Gründen und als Kopftuchersatz.
Rz. 7
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt diese ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin kann nicht verlangen, dass die Abmahnung vom 19. Dezember 2006 aus ihrer Personalakte entfernt wird. Sie ist nicht zu Unrecht abgemahnt worden. Das beklagte Land rügt zu Recht einen Verstoß gegen bestehende Pflichten. Die Klägerin hat gegen das Bekundungsverbot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW verstoßen. Diese Bestimmung verletzt kein höherrangiges Recht.
Rz. 9
I. Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte besteht (Senat 27. November 2008 – 2 AZR 675/07 – Rn. 16 mwN, AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 33 = EzA BGB 2002 § 314 Nr. 4). Keine dieser Voraussetzungen liegt vor.
Rz. 10
1. Die Abmahnung vom 19. Dezember 2006 enthält keine unrichtigen Tatsachenbehauptungen und ist hinreichend bestimmt. In dem Schreiben vom 19. Dezember 2006 werden die mögliche Pflichtverletzung der Klägerin und das von ihr in Zukunft erwartete Verhalten hinreichend genau beschrieben. Der Klägerin wird ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot des § 57 Abs. 4 SchulG NRW vorgeworfen. Für sie ist erkennbar, welches Verhalten das beklagte Land rügt und welches Verhalten es in Zukunft von ihr erwartet. Sie soll auf eine “kopftuchähnliche Kopfbedeckung” verzichten. Eine nähere Beschreibung der Voraussetzungen, unter denen eine Kopfbedeckung als “kopftuchähnlich” bezeichnet werden kann, ist für das Verständnis der Rüge nicht erforderlich.
Rz. 11
2. Das beklagte Land hat das Verhalten der Klägerin zu Recht als Pflichtverletzung gewertet. Die Klägerin hat gegen das Neutralitätsgebot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW verstoßen.
Rz. 12
a) Nach dieser Bestimmung dürfen Lehrerinnen und Lehrer in der Schule keine religiösen Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern oder den religiösen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Dies gilt nach § 58 Satz 2 SchulG NRW auch für im Landesdienst stehende pädagogische und sozialpädagogische Mitarbeiter.
Rz. 13
b) Die Klägerin hat dieses Neutralitätsgebot verletzt. Sie ist als Sozialpädagogin in einer Gesamtschule zur Schlichtung von Schulkonflikten beschäftigt. Sie ist damit eine an der Bildungs- und Erziehungsarbeit mitwirkende sozialpädagogische Mitarbeiterin iSv. § 58 Satz 2 SchulG NRW. Die bewusste Wahl einer religiös bestimmten Kleidung fällt unter das Verbot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW. Das dauernde Tragen einer Strickmütze stellt im Streitfall eine religiöse Bekundung im Sinne dieser Vorschrift dar. Die entsprechende Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 14
aa) Eine religiöse Bekundung iSv. § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW ist die bewusste, an die Außenwelt gerichtete Kundgabe einer religiösen Überzeugung (BVerwG 16. Dezember 2008 – 2 B 46.08 – zu 1a der Gründe, ZTR 2009, 167; 24. Juni 2004 – 2 C 45.03 – zu 2a der Gründe, BVerwGE 121, 140). Zur Bestimmung des Erklärungswerts einer Kundgabe ist auf diejenige Deutungsmöglichkeit abzustellen, die für eine nicht unerhebliche Zahl von Betrachtern naheliegt. Im vorliegenden Zusammenhang kommt es insbesondere auf die Deutung durch Schüler und Eltern aus der Sicht eines objektiven Betrachters an (BVerfG 24. September 2003 – 2 BvR 1436/02 – zu B II 5a der Gründe, BVerfGE 108, 282). Ob einer bestimmten Bekleidung ein religiöser Aussagegehalt nach Art eines Symbols zukommt, hängt von der Wirkung des verwendeten Ausdrucksmittels ab. Dabei sind alle sonstigen in Betracht kommenden Deutungsmöglichkeiten ebenfalls zu berücksichtigen (BVerfG 24. September 2003 – 2 BvR 1436/02 – aaO).
Rz. 15
Der Symbolcharakter muss sich nicht aus dem Kleidungsstück als solchem ergeben. Eine religiöse Bekundung kann auch darin liegen, dass dem Kleidungsstück für den Träger offensichtlich eine besondere Bedeutung zukommt, etwa weil es erkennbar aus dem Rahmen der in der Schule üblichen Bekleidung fällt und ausnahmslos zu jeder Zeit getragen wird. Ein solch weitgehendes Verständnis entspricht dem Zweck des Bekundungsverbots. Dieses will religiös-weltanschauliche Konflikte an öffentlichen Schulen schon im Ansatz verhindern und die Neutralität des Landes auch nach außen wahren. Das verbietet eine Differenzierung zwischen Kleidungsstücken, deren religiöse oder weltanschauliche Motivation offen zutage tritt, und solchen, deren Tragen in der Schule immerhin einen entsprechenden Erklärungsbedarf auslöst (zur gleichlautenden Regelung des § 38 Abs. 2 Satz 1 SchulG BW BVerwG 16. Dezember 2008 – 2 B 46.08 – zu 1a der Gründe, ZTR 2009, 167).
Rz. 16
bb) Danach liegt im Tragen der Wollmütze eine religiöse Bekundung der Klägerin. Die entsprechende Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin trägt zwar eine handelsübliche Mütze. Gleichwohl erweckt diese unter den gegebenen Umständen bei Dritten, insbesondere bei Schülern und Eltern, den Eindruck, es handele sich um ein religiöses Symbol, mit dem sich die Klägerin zum Islam bekenne. Der religiöse Bedeutungsgehalt ergibt sich daraus, dass die Mütze Haare, Haaransatz und Ohren der Klägerin komplett bedeckt und ein stets zugleich getragener gleichfarbiger Rollkragenpullover auch ihren Hals umschließt. Hinzu kommt, dass die Klägerin das von ihr bisher – aus religiösen Gründen – getragene Kopftuch nahtlos durch die jetzige Mütze ersetzt hat. Sie ist nicht ein einziges Mal ohne diese Kopfbedeckung in der Schule erschienen. Sie trägt die Mütze auch bei großer Hitze und unabhängig von den Jahres- und Tageszeiten. Für einen objektiven Betrachter wird damit die Nähe zu einem sog. islamischen Kopftuch offenbar. Das Landesarbeitsgericht hat die Behauptung der Klägerin, sie trage die Mütze allein aus modischen Gründen, im Widerspruch zu diesen objektiven Umständen stehend und als durch diese widerlegt angesehen. Seine Würdigung lässt Rechtsverstöße nicht erkennen.
Rz. 17
c) Das Verhalten der Klägerin ist geeignet, die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern und den religiösen Schulfrieden zu gefährden.
Rz. 18
Das Verbot in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW knüpft an einen abstrakten Gefährdungstatbestand an. Es erfasst nicht erst Bekundungen, die die Neutralität des Landes oder den religiösen Schulfrieden konkret gefährden oder gar stören. Das Verbot soll schon einer abstrakten Gefahr vorbeugen, um konkrete Gefährdungen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Im Gesetzeswortlaut kommt dies darin zum Ausdruck, dass religiöse Bekundungen bereits dann verboten sind, wenn sie “geeignet” sind, die genannten Schutzgüter zu gefährden (für die insoweit inhaltsgleiche Vorschrift des § 59b Abs. 4 BremSchulG BVerfG 22. Februar 2006 – 2 BvR 1657/05 – zu III 2b der Gründe mwN, BVerfGK 7, 320; zur gleichlautenden Vorschrift des § 38 Abs. 2 SchulG BW BVerwG 24. Juni 2004 – 2 C 45.03 – zu 2b der Gründe, BVerwGE 121, 140). Der Landesgesetzgeber wollte ersichtlich darauf Bedacht nehmen, dass die Schule ein Ort ist, an dem unterschiedliche politische und religiöse Auffassungen unausweichlich aufeinandertreffen, deren friedliches Nebeneinander der Staat zu garantieren hat. Die religiöse Vielfalt in der Gesellschaft hat zu einem vermehrten Potenzial von Konflikten auch in der Schule geführt. In dieser Lage ist der religiöse Schulfrieden schon durch die berechtigte Sorge der Eltern vor einer ungewollten religiösen Beeinflussung ihrer Kinder gefährdet. Dazu kann das religiös bedeutungsvolle Erscheinungsbild des pädagogischen Personals Anlass geben (BVerwG 24. Juni 2004 – 2 C 45.03 – aaO).
Rz. 19
d) Die Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NRW verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Rz. 20
aa) Das Bekundungsverbot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW ist nicht verfassungswidrig. Der Landesgesetzgeber durfte die Pflichten der bei ihm beschäftigten Lehrkräfte konkretisieren und ihnen ua. das Tragen von solcher Kleidung oder Zeichen in der Schule untersagen, die ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft erkennen lassen.
Rz. 21
(1) Der Landesgesetzgeber war zuständig und berechtigt, ein Gesetz zu erlassen, das einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen und Grundrechte von Lehrkräften, pädagogischem Personal, Schülern und Eltern sowie des Staates als des Trägers des allgemeinen Erziehungsauftrags regelt (BVerfG 24. September 2003 – 2 BvR 1436/02 – zu B II 6 der Gründe, BVerfGE 108, 282; BVerwG 24. Juni 2004 – 2 C 45.03 – zu 4b der Gründe, BVerwGE 121, 140).
Rz. 22
(2) Die Lösung des verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnisses durch § 57 Abs. 4 SchulG NRW verletzt nicht die Grundsätze der praktischen Konkordanz der betroffenen Grundrechtspositionen. Die Regelung liegt im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers. Dieser durfte die positive Glaubensfreiheit und die Berufsausübungsfreiheit eines pädagogischen Mitarbeiters hinter die staatliche Pflicht zur weltanschaulichen Neutralität, das Erziehungsrecht der Eltern und die negative Glaubensfreiheit der Schüler zurücktreten lassen, um die Neutralität der Schule und den Schulfrieden zu sichern. Die Vermeidung religiös-weltanschaulicher Konflikte in öffentlichen Schulen stellt ein gewichtiges Gemeingut dar (BVerfG 24. September 2003 – 2 BvR 1436/02 – zu B II 6 der Gründe, BVerfGE 108, 282; BVerwG 26. Juni 2008 – 2 C 22.07 – Rn. 13 f., BVerwGE 131, 242). Zu diesem Zweck sind gesetzliche Einschränkungen der Glaubensfreiheit rechtlich zulässig (BVerwG 16. Dezember 2008 – 2 B 46.08 – zu 1a der Gründe, ZTR 2009, 167; 24. Juni 2004 – 2 C 45.03 – zu 4c der Gründe, BVerwGE 121, 140). Dabei ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die landesgesetzliche Regelung religiöse Bekundungen von Lehrern in öffentlichen Schulen ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls untersagt. Der Gesetzgeber darf Gefährdungen des Schulfriedens auch dadurch vorbeugen, dass er Lehrern bereits das Tragen religiös bedeutsamer Kleidungsstücke oder Symbole verbietet und muss konfliktvermeidende Regelungen nicht an die konkrete Gefahr einer drohenden Auseinandersetzung knüpfen (BVerwG 26. Juni 2008 – 2 C 22.07 – aaO; 16. Dezember 2008 – 2 B 46.08 – aaO).
Rz. 23
(3) Das Neutralitätsgebot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Es behandelt die verschiedenen Religionen nicht unterschiedlich. Die gesetzliche Regelung erfasst jede Art religiöser Bekundung unabhängig von deren Inhalt (zu § 38 Abs. 2 SchulG BW BVerwG 24. Juni 2004 – 2 C 45.03 – zu 4c cc der Gründe, BVerwGE 121, 140). Christliche Glaubensbekundungen werden nicht bevorzugt. Dies gilt auch mit Blick auf § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NRW. Nach dieser Bestimmung widerspricht die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Art. 7 und Art. 12 Abs. 6 Landesverfassung Nordrhein-Westfalen und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen nicht dem Verhaltensgebot nach § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW. Gegenstand der Regelung in Satz 3 der Vorschrift ist die Darstellung, nicht die Bekundung christlicher Werte. Bestimmte Werte darzustellen heißt, sie zu erörtern und zum Gegenstand einer Diskussion zu machen. Das schließt die Möglichkeit der Rückfrage und Kritik ein. Die Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte ist nicht gleichzusetzen mit der Bekundung eines individuellen Bekenntnisses. Bei ihr geht es nicht um die Kundgabe innerer Verbindlichkeiten, die der Darstellende für sich anerkannt hätte (zu § 38 Abs. 2 Satz 3 SchulG BW VGH Baden-Württemberg 14. März 2008 – 4 S 516/07 –). Außerdem bezeichnet der Begriff des “Christlichen” – ungeachtet seiner Herkunft aus dem religiösen Bereich – eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus der Tradition der christlich-abendländischen Kultur hervorgegangene Wertewelt, die erkennbar auch dem Grundgesetz zugrunde liegt und unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beansprucht. Der Auftrag zur Weitergabe christlicher Bildungs- und Kulturwerte verpflichtet und berechtigt die Schule deshalb nicht zur Vermittlung bestimmter Glaubensinhalte, sondern betrifft Werte, denen jeder Beschäftigte des öffentlichen Dienstes unabhängig von seiner religiösen Überzeugung vorbehaltlos zustimmen kann (so BVerwG 16. Dezember 2008 – 2 B 46.08 – zu 1a der Gründe, ZTR 2009, 167; 24. Juni 2004 – 2 C 45.03 – aaO).
Rz. 24
Die Regelung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW behandelt die Klägerin auch nicht wegen ihres Geschlechts ungleich. Die Vorschrift verbietet religiöse Bekundungen unabhängig vom Geschlecht. Sie richtet sich nicht etwa speziell gegen das von Frauen getragene islamische Kopftuch oder entsprechende Kopfbedeckungen (zu § 38 SchulG BW VGH Baden-Württemberg 14. März 2008 – 4 S 516/07 –).
Rz. 25
bb) Das Neutralitätsgebot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW verstößt nicht gegen Art. 9 EMRK. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass ein Verbot, während des Unterrichts an öffentlichen Schulen religiöse Symbole zu tragen, eine gem. Art. 9 Abs. 2 EMRK notwendige Einschränkung der nach Abs. 1 der Bestimmung gewährleisteten Religionsfreiheit eines Lehrers ist, welches wegen der möglichen Beeinträchtigung der Grundrechte der Schüler und Eltern ausgesprochen wird, um die Neutralität des Unterrichts zu gewährleisten. Dabei ist den Konventionsstaaten ein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Die Regelungen können entsprechend den jeweiligen Traditionen und den Erfordernissen zum Schutz der Rechte anderer und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung von Staat zu Staat verschieden sein. Auf dieser Grundlage hat der Gerichtshof das Verbot für eine Lehrerin in einer Schweizer Grundschule, während des Unterrichts ein islamisches Kopftuch zu tragen, ebenso als mit der Religionsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 EMRK vereinbar angesehen wie das generelle, nicht nur für Dozentinnen, sondern auch für Studentinnen geltende Verbot, ein solches Kopftuch an türkischen Hochschulen zu tragen. Darin liegt keine Diskriminierung von Frauen, wenn auch Verbotsmaßnahmen gegen Männer vorgesehen sind, falls diese ihre religiöse Überzeugung unter den gleichen Umständen durch das Tragen von Kleidungsstücken bekunden (EGMR 10. November 2005 – 44774/98 – NVwZ 2006, 1389; 15. Februar 2001 – 42393/98 – NJW 2001, 2871).
Rz. 26
cc) § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW verletzt als landesrechtliche Vorschrift nicht das bundesgesetzliche Diskriminierungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG. Zwar kann das Bekundungsverbot zu einer unmittelbaren Benachteiligung der Lehrkraft aus Gründen der Religion iSv. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 AGG führen. Eine unterschiedliche Behandlung aus religiösen Gründen zur Erfüllung einer wesentlichen beruflichen Anforderung ist gem. § 8 Abs. 1 AGG aber zulässig, wenn der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Dies ist hier gegeben. Im Streitfall ist zwar nicht eine bestimmte Religionszugehörigkeit oder gerade deren Fehlen als ein in § 1 AGG genannter Grund Voraussetzung für die Ausübung der fraglichen Tätigkeit. Gleichwohl liegt ein Anwendungsfall von § 8 Abs. 1 ArbGG vor. Der Klägerin gereicht eine bestimmte Form ihrer Religionsausübung zum Nachteil. Deren Unterlassung wiederum ist wegen der Bedingungen der Ausübung ihrer Tätigkeit eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung. Der damit verfolgte Zweck ist rechtmäßig und die Anforderung angemessen.
Rz. 27
(1) Der von § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW verfolgte Zweck, die Neutralität des Landes und den religiösen Schulfrieden zu garantieren, ist rechtmäßig.
Rz. 28
(2) Die gesetzliche Anforderung, religiöse Bekundungen in der Schule zu unterlassen, ist angemessen. Sie untersagt eine äußere Kundgabe der eigenen religiösen Überzeugung lediglich während des Aufenthalts im Bereich der Schule und besteht ausschließlich um der – negativen – Religionsfreiheit Anderer willen. Der Begriff der Angemessenheit erfordert es nicht, das Tragen religiös bedeutungsvoller Kleidungsstücke nur mit Blick auf die konkreten Umstände und Verhältnisse der jeweiligen Schule zu untersagen (BVerwG 16. Dezember 2008 – 2 B 46.08 – zu 1c der Gründe, ZTR 2009, 167; aA Walter/von Ungern-Sternberg DVBl. 2008, 880). Eine landesgesetzliche Bestimmung, die sich als verfassungsgemäßer Ausgleich widerstreitender Grundrechtspositionen erweist, ist zugleich angemessen im Sinne der bundesgesetzlichen Regelung des § 8 Abs. 1 AGG.
Rz. 29
3. Sonstige Gründe für eine mögliche Unwirksamkeit der Abmahnung sind nicht ersichtlich.
Rz. 30
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Unterschriften
Kreft, Eylert, Schmitz-Scholemann, Bartel, Torsten Falke
Fundstellen
Haufe-Index 2284290 |
BAGE 2011, 1 |