Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltendmachen und Erlöschen eines tariflichen Urlaubsanspruchs
Normenkette
BUrlG § 7
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 16.09.1993; Aktenzeichen 12 Sa 969/93) |
ArbG Solingen (Urteil vom 05.05.1993; Aktenzeichen 2 Ca 313/93) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 16. September 1993 – 12 Sa 969/93 – aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 5, Mai 1993 – 2 Ca 313/93 – wird hinsichtlich eines Anspruchs auf Gewährung von 17 Urlaubstagen zurückgewiesen.
Im übrigen wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Urlaubsansprüche des Klägers aus dem Jahr 1991.
Der Kläger ist seit 1968 als Chemiewerker bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind aufgrund beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die chemische Industrie anzuwenden.
In § 12 I des MTV für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte vom 24. März 1979 in der vom 1. Juli 1990 an geltenden Fassung ist u.a. bestimmt:
…
1. Der Arbeitnehmer hat für jedes Kalenderjahr Anspruch auf einen bezahlten Urlaub.
2. Das Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.
…
7. Eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesen wird, unterbricht den Urlaub. Der Arbeitnehmer muß mit dem Arbeitgeber vereinbaren, wann er den Resturlaub nehmen kann.
…
10. Der Urlaub ist spätestens bis 31. März des folgenden Kalenderjahres zu gewähren.
Der Urlaubsanspruch erlischt, wenn er nicht bis dahin geltend gemacht worden ist.
Der Kläger war vom 1. Oktober 1991 bis 3. Februar 1992 arbeitsunfähig erkrankt. Hieran schlossen sich eine mehrwöchige Kur mit Schonzeit sowie vom 24.–26. März 1992 schichtfreie Zeit an. Am 27. März 1992 trat der Kläger seine Arbeit wieder an. Er beantragte mündlich beim Vertreter seines im Urlaub befindlichen Schichtmeisters seinen Resturlaub aus 1991 von unstreitig 22 Tagen. Der stellvertretende Schichtmeister verwies den Kläger auf den regulären Schichtmeister, der am 30. März aus dem Urlaub zukehren werde. Am 30. März 1992 wiederholte der Kläger seinen Urlaubswunsch gegenüber dem Schichtmeister, der ihn an diesem Tag an die Personalabteilung weiterleitete. Die Beklagte gewährte dem Kläger für den 31. März 1992 einen Tag Urlaub. Die Erfüllung des weitergehenden Anspruchs lehnte sie wegen Verfalls des Urlaubsanspruchs ab.
Der Kläger hat gemeint, nach § 12 I Nr. 10 MTV sei für die Erhaltung des Urlaubsanspruchs die Geltendmachung vor dem 31. März ausreichend.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger 21 Tage Urlaub für das Jahr 1991 nachzugewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Gewährung von mehr als vier Arbeitstagen Urlaub aus dem Jahr 1991. Deshalb war die Klage auf Gewährung von 17 Arbeitstagen Urlaub abzuweisen. Hinsichtlich der verbleibenden vier Tage war die Sache an das Landesarbeitsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann nicht darüber entschieden werden, ob der Kläger noch einen Anspruch auf Gewährung von vier Tagen Urlaub hat oder ob auch dieser Anspruch erloschen ist.
I. Der Kläger hatte bei Wiederaufnahme seiner Tätigkeit am 27. März 1992 lediglich noch einen erfüllbaren Anspruch auf Urlaub i.H.v. fünf Arbeitstagen, wovon ihm die Beklagte einen Arbeitstag gewährte. Der weitergehende Anspruch war erloschen (BAG Urteil vom 7. Dezember 1993 – 9 AZR 683/92 – AP Nr. 15 zu § 7 BurlG, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; BAGE 68, 304 = AP Nr. 2 zu § 17 BErzGG).
1. Der Resturlaubsanspruch aus dem Jahr 1991 in unstreitiger Höhe von zunächst 22 Arbeitstagen war wegen der ab 1. Oktober 1991 bis zum Jahresende 1991 andauernden Erkrankung des Klägers auf das nächste Kalenderjahr übertragen worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob der § 12 I MTV eine Übertragung unabhängig von den gesetzlichen Übertragungsvoraussetzungen ermöglicht (so noch BAG Urteil vom 31. Oktober 1986 – 8 AZR 244/84 – BAGE 53, 304 = AP Nr. 25 zu § 13 BUrlG) oder ob die Bestimmung entsprechend § 7 Abs. 3 BurlG einen Übertragungsgrund voraussetzt, wie die Tarifvertragsparteien in ihrer in der Form eines Tarifvertrages abgegebenen authentischen Interpretation vom 23. März 1984 gemeint haben (BAG Urteil vom 13. Juni 1991 – 8 AZR 360/90 – AuR 1991, 248). Der Kläger erfüllt nämlich auch die engeren Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 BurlG. Die andauernde Erkrankung des Klägers war ein in der Person liegender Grund, der den Übergang des Anspruchs bewirkte (ständige Rechtsprechung des BAG, zuletzt Urteil vom 24. November 1992 – 9 AZR 549/91 – AP Nr. 23 zu § 1 BurlG).
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist der Urlaub nicht auf das gesamte Kalenderjahr 1992 übergegangen, sondern nur auf das erste Quartal 1992, wie der Sechste und Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts in ständiger Rechtsprechung zu § 12 I Nr. 10 MTV entschieden haben (BAG Urteil vom 13. Mai 1982 – 6 AZR 12/80 – n.v.; BAGE 53, 304 = AP Nr. 25 zu § 13 BurlG; Urteil vom 4. September 1987 – 8 AZR 552/85 – n.v.). Daran wird festgehalten. § 12 I Nr. 10 Satz 1 MTV befristet ebenso wie § 7 Abs. 3 BUrlG den aus dem Vorjahr übertragenen Urlaub bis zum Ablauf des ersten Quartals. Das folgt aus der Formulierung, daß der Urlaub „spätestens bis zum 31. März zu gewähren ist”. Damit wird weder etwas „unterstellt”, noch beruht die Auslegung auf einem „ungewöhnlichen Gedanken”, noch liegt gar eine Belohnung für „pflichtwidrige Säumigkeit” des Schuldners vor, wie das Landesarbeitsgericht meint. Die unzutreffende Auslegung des Landesarbeitsgerichts beruht auf der unrichtigen Prämisse, auch das Bundesurlaubsgesetz kenne keine Befristung des Urlaubsanspruchs. Im übrigen verkennt das Landesarbeitsgericht zum wiederholten Mal die Pflichten eines Schuldners, dessen Gläubiger die Leistung nicht abfordert oder nicht abfordern kann.
3. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts und des Klägers folgt auch nicht aus § 12 I Nr. 10 Satz 2 MTV der Fortbestand des Urlaubsanspruchs über das erste Quartal des Folgejahres, wenn er nur bis zum 31. März verlangt wird, aber nicht mehr wegen Krankheit und Zeitablauf (insgesamt) erfüllt werden kann. Auch in diesem Fall erlischt der Anspruch nach § 12 I Nr. 10 MTV. Denn eine wirksame Geltendmachung i.S. des § 12 I Nr. 10 Satz 2 MTV setzt voraus, daß der Urlaub vor Eintritt der Befristung noch erfüllt werden kann (BAG Urteil vom 15. Januar 1987 – 8 AZR 174/85 – n.v.; zu einer ähnlich lautenden Vorschrift in der Metallindustrie BAGE 50, 112 = AP Nr. 8 zu § 7 BurlG Übertragung). Die Vorschrift enthält keine Regelung, wonach der Jahresurlaubsanspruch auch nach dem 31. März des Folgejahres erfüllt werden muß, wenn er nur vom Arbeitnehmer vor dem 31. März verlangt worden ist. § 12 I Nr. 10 Satz 2 MTV ist lediglich die Ergänzung zur Befristungsvorschrift des § 12 I Nr. 10 Satz 1 MTV. Er enthält nur den Hinweis, daß ohne wirksame Geltendmachung der Rechtsverlust droht. Auch das folgt aus der Tarifvorschrift ohne Zuhilfenahme der authentischen Interpretation des § 12 I Nr. 10 MTV durch die Tarifvertragsparteien. Diese verhält sich nämlich zur Frage der Befristung bis zum 31. März des Folgejahres nicht, sondern befaßt sich nur mit dem Übertragungstatbestand.
Die Auslegung des Senats führt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch nicht zu einer Ungleichbehandlung gegenüber den Arbeitnehmern, die nach § 12 I Nr. 7 Satz 2 MTV einen Anspruch auf Nachgewährung des Urlaubs wegen Erkrankung während des gewährten Urlaubs haben. Das Landesarbeitsgericht verkennt, daß auch dieser Anspruch, bei dem wegen der zwischenzeitlichen Erkrankung der Erfüllungserfolg nicht eintreten konnte, bis zum Ende des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraums befristet ist (BAG Urteil vom 31. Mai 1990 – 8 AZR 184/89 – AP Nr. 12 zu § 9 BUrlG).
4. Der Kläger hat nach den gesetzlichen Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes auch keinen höheren Anspruch als höchstens vier Urlaubstage. Denn auch nach dem Gesetz ist der Urlaubsanspruch bis längstens zum 31. März des Folgejahres befristet. Die gegenteilige Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist rechtsfehlerhaft, wie der Senat in einer Reihe von Entscheidungen ausgeführt hat (vgl. z.B. BAG Urteil vom 7. Dezember 1993 – 9 AZR 683/92 – AP Nr. 15 zu § 7 BurlG, m.w.N.). Das angefochtene Urteil enthält dazu keine neuen Gesichtspunkte.
5. Dasselbe gilt für die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stehe Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über den bezahlten Jahresurlaub vom 24. Juni 1970 entgegen. Dazu hat der Senat im Urteil vom 7. Dezember 1993 (a.a.O.) ausführlich Stellung genommen und festgestellt, daß die Befristung des Bundesurlaubsgesetzes mit den Anforderungen des das Abkommen ratifizierenden Gesetzes übereinstimmt. Daran wird festgehalten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens Nr. 132 der IAO, wie der Kläger meint. Diese Bestimmung enthält weder eine Regelung, die eine Befristung in einem nationalen Gesetz verbietet, noch läßt sich daraus ableiten. Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens setze Mindestfristen.
Entgegen der Auffassung den Landesarbeitsgerichts ist Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der IAO kein unmittelbar zugunsten des Klägers wirkendes Recht. (BAG Urteil vom 7. Dezember 1993, a.a.O.).
II. Der dem Kläger bei Wiederaufnahme der Arbeit erfüllbare Urlaubsanspruch von zunächst fünf Tagen ist i.H. eines Tages durch Erfüllung am 31. März 1992 erloschen. Ob der Kläger an den verbleibenden vier Tagen vor Ablauf des 31. März 1992 von der Arbeit hätte freigestellt werden können, kann nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch nicht beurteilt werden. Deshalb muß die Sache insoweit zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen werden.
1. Es ist zunächst festzustellen, ob der Kläger an allen Tagen vom 27. bis 30. März 1992 zur Arbeit verpflichtet war. Das ist deshalb nicht zwingend, weil es sich bei dem 28. und 29. März 1992 um einen Samstag und einen Sonntag handelte, die regelmäßig arbeitsfrei sind. Allerdings arbeitete der Kläger in Schichten, so daß er an diesen Wochenendtagen eine Arbeitsverpflichtung gehabt haben könnte, von der er hätte freigestellt werden können. Dafür spricht, daß er in den Tagen vor dem 27. März 1992 „schichtfrei” gehabt hatte.
2. Das Landesarbeitsgericht wird weiter aufzuklären haben, ob der Kläger seinen Urlaub ordnungsgemäß von der Beklagten verlangt hat. Das setzt voraus, daß er sich an den für seine Urlaubsgewährung zuständigen Mitarbeiter gewandt hat oder daß nach der Organisation der Beklagten Urlaubsanträge beim unmittelbaren Fachvorgesetzten einzureichen sind. Es ist daher zu klären, ob der stellvertretende Schichtmeister die Befugnis gehabt hat. Urlaubsanträge entgegenzunehmen, und verpflichtet war, sie an die zuständige Personalstelle weiterzuleiten. War der stellvertretende Schichtmeister für die Entgegennahme und Weiterleitung dos Antrags nicht zuständig, ist von der Beklagten für die Zeit vom 27.–29. März keine Urlaubsgewährung verlangt, worden. Dann wäre der Anspruch für drei weitere Arbeitstage verfallen.
3. Der Kläger hat für den 27. März 1992 auch nur dann ordnungsgemäß Urlaub verlangt, wenn er seinen Antrag vor oder bei der Arbeitsaufnahme gestellt hat. Sollte er ihn erst im Laufe der Schicht gestellt haben, so konnte er für diesen Tag nicht mehr freigestellt werden, weil die Beklagte nur verpflichtet ist, Urlaubstage zu gewähren, nicht aber Bruchteile von Urlaubstagen. Deshalb ist festzustellen, wann der Kläger bei seinem stellvertretenden Schichtmeister seinen Urlaubswunsch angemeldet hat.
4. Sollte der Kläger für die Tage vom 27.–29. März 1992 nicht ordnungsgemäß Urlaub verlangt haben, könnte er allenfalls für den 30. März 1992 ordnungsgemäß um Urlaub nachgesucht haben, wenn er seinen aus dem Urlaub zurückgekehrten Schichtmeister vor oder bei Arbeitsbeginn um Urlaub gebeten hat und dieser für die Entgegennahme und Weiterleitung des Antrags oder sogar für die Gewährung des Urlaubs zuständig war.
Unterschriften
Leinemann, Düwell, Dörner, Fox, Kappes
Fundstellen