Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung nach Einigungsvertrag. mangelnde Eignung
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 20; BPersVG §§ 79, 72, 82 Abs. 4
Verfahrensgang
Thüringer LAG (Urteil vom 19.04.1994; Aktenzeichen 5/4 Sa 193/93) |
KreisG Suhl (Urteil vom 28.10.1992; Aktenzeichen 6 a Ca 570/92) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 19. April 1994 – 5/4 Sa 193/93 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 Einigungsvertrag (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
Der im Jahre 1944 geborene Kläger war seit dem 1. August 1968 als Lehrer im Schuldienst tätig. Zunächst unterrichtete er Geschichte und Sport. Nach einem Zusatz Studium ab 1976 auch Staatsbürgerkunde. Der Kläger trat im Jahre 1977 der SED bei. Die Kreisparteischule besuchte er 1978. Im Jahre 1979 vertrat er den erkrankten Sekretär der Ortsparteileitung seines Heimatortes O. Seit 1982 war der Kläger Ortsausschußvorsitzender der Nationalen Front. Von 1982 bis 1989 war er Mitglied der SED-Ortsparteileitung von O. Die Bezirksparteischule besuchte er im Jahre 1982, 1989 wurde er zum Oberlehrer ernannt. Ihm wurde die Ehrenmedaille zum 40. Jahrestag der DDR verliehen.
Nach Verabschiedung des Vorläufigen Bildungsgesetzes vom 25. März 1991 (GVBl. Thüringen S. 61) wurden an den Schulämtern des Beklagten Kommissionen zur Überprüfung der übernommenen Lehrer eingesetzt. Diese Kommissionen machten in etwa 4.500 Fällen, zu denen auch der des Klägers gehörte, gegenüber dem Kultusministerium Bedenken geltend. Beim Kultusministerium wurde im August 1991 eine zweite Kommission mit Sitz in Weimar eingerichtet. Diese bestand aus mehreren Arbeitsgruppen, die jeweils mit zwei Lehrern aus Thüringen und einem Volljuristen besetzt waren. Bei der Prüfung nach Aktenlage kam diese Kommission zu dem Ergebnis, daß in 1.500 Fällen die Bedenken nicht aufrecht zu erhalten seien. Daraufhin wurden 3.000 Bedienstete mündlich angehört. In mehr als 1.000 Fällen führte die Anhörung zum Wegfall der Zweifel.
Am 18. Februar 1992 verabschiedete die Landesregierung des Beklagten „Richtlinien für die ordentliche Kündigung von Arbeitsverhältnissen von Lehrern und Erziehern wegen mangelnder persönlicher Eignung für den Landesdienst” (Staatsanzeiger des Landes Thüringen 1992 S. 359). In diesen Richtlinien heißt es wörtlich:
„Zur Beurteilung der persönlichen Eignung sind die gesamten Umstände des Einzelfalles unter Einbeziehung des Ergebnisses der Anhörung des Bediensteten vor der Überprüfungskommission bei dem Thüringer Kultusministerium abzuwägen. Dabei ist auch zu prüfen, ob ein Bruch einer Identifikation mit dem System der DDR durch Entbindung von einer Funktion, durch Beendigung einer Funktion aus eigenem Entschluß, durch langen Zeitablauf nach Beendigung der Funktion oder durch einen anderen Umstand gegeben ist.”
Nachdem die zur Überprüfung der Lehrer gebildete Kreiskommission Bedenken gegen die Weiterbeschäftigung des Klägers erhoben hatte, wurde dem Kläger am 29. August 1991 Gelegenheit gegeben, vor der „Weimarkommission” zu den gegen seine persönliche Eignung für den Lehrerberuf bestehenden Bedenken Stellung zu nehmen. Die Kommission empfahl dem Kultusministerium den Ausspruch der Kündigung. Mit Schreiben des Staatssekretärs des Kultusministeriums vom 11. März 1992, das am 15. April 1992 dem Hauptpersonalrat beim Kultusministerium zuging, wurde das Beteiligungsverfahren eingeleitet. Auf Wunsch des Hauptpersonalrats fand eine mündliche Erörterung am 4. Mai 1992 statt. Nachdem der Hauptpersonalrat mit Schreiben ohne Datum Widerspruch gegen die beabsichtigte Kündigung erhoben hatte, kündigte der Beklagte mit Schreiben vom 22. Mai 1992, das dem Kläger am 29. Mai 1992 zuging, das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 1992. Mit Schreiben vom 27. Mai 1992 teilte das Kultusministerium dem Hauptpersonalrat mit, es halte an der Kündigungsabsicht fest.
Mit der am 12. Juni 1992 beim Kreisgericht eingereichten Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung sei wegen Fehlens eines Kündigungsgrundes unwirksam. Der Kläger hat zunächst die ordnungsgemäße Beteiligung des Hauptpersonalrats bestritten. In der Berufungsinstanz hat er seine Rüge dahingehend eingeschränkt, daß er lediglich die Nichteinhaltung der Äußerungsfrist rüge.
Der Kläger hat weiter geltend gemacht, er habe das Staatsbürgerkundestudium aus gesundheitlichen Gründen durchgeführt, weil ihm die Fortsetzung seiner Tätigkeit als Sportlehrer zweifelhaft erschienen sei. In den Jahren 1987 bzw. 1988 habe er um die Entbindung von den Funktionen in der Nationalen Front und der Ortsparteileitung gebeten. Nach Ausübung von Druck und aus Angst um die eigene Existenz habe er aber dann bis zur Wende in diesen Funktionen weitergemacht. Im November 1989 habe er um die Abberufung als Staatsbürgerkundelehrer gebeten und sei aus der SED ausgetreten.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 22. Mai 1992, zugestellt am 29. Mai 1992, nicht beendet wird, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht,
für den Fall, daß der Kläger mit dem Feststellungsantrag obsiegt, den Beklagten zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Würdigung der gesamten Umstände des beruflichen und politischen Werdegangs des Klägers unter Einbeziehung des Ergebnisses seiner Anhörung vor der Überprüfungskommission habe ergeben, daß er nicht die persönliche Eignung für die Tätigkeit als Lehrer im Dienste des Beklagten aufweise. Er habe eine leitende Funktion in der SED wahrgenommen, indem er 1979 als Sekretär der Ortsparteileitung tätig und von 1981 bis 1989 Mitglied der Ortsparteileitung gewesen sei. Darüber hinaus habe er als Lehrer mit besonderem politischen Einsatz gearbeitet, indem er 14 Jahre Staatsbürgerkunde unterrichtet habe. Die langjährige Tätigkeit für die Nationale Front, die u.a. für die Wahlmanipulationen in der DDR verantwortlich gewesen sei, müsse in die Gesamtbeurteilung einbezogen werden. Einen Bruch mit dieser Identifikation habe der Beklagte nicht feststellen können.
Das Kreisgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Zurückweisung der Berufung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung (§ 565 ZPO).
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Die Kündigung vom 22. Mai 1992 habe das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 30. September 1992 aufgelöst. Die Kündigung sei wirksam. Das Vorbringen des Beklagten habe Zweifel an der Fähigkeit des Klägers begründet, den ihm anvertrauten Kindern und Jugendlichen glaubwürdig die Grundwerte der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland vermitteln zu können. Der Kläger habe keine Umstände geltend gemacht, die diese Zweifel ausräumen könnten. Die Tätigkeit als Staatsbürgerkundelehrer und als Mitglied der Ortsparteileitung rechtfertigten in der Häufung mit der Position des Ortsausschußvorsitzenden der Nationalen Front und dem Besuch der Bezirksparteischule und der Ernennung zum Oberlehrer eine schlüssige SED-Funktionärskarriere, die entsprechende Zweifel an der Eignung des Klägers begründeten. Es sei allgemein bekannt, daß die Ortsparteileitung sicherzustellen gehabt habe, daß das gesamte Leben in dem jeweiligen Ort den politisch-ideologischen Zielsetzungen des SED-Staates entsprochen hätte. Wer in der Ortsparteileitung tätig gewesen sei, habe sich durch sein Engagement deutlich von einem „Nur–SED–Parteimitglied” abgehoben und gezeigt, daß er aktiv für die demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Staatsziele der DDR eingetreten sei.
Verwertbaren Entlastungsvortrag habe der Kläger nicht vorgetragen. Seine Behauptung, er hätte wegen einer Schulterverletzung das Studium der Staatsbürgerkunde absolvieren und dieses Fach unterrichten müssen, sei nicht glaubhaft, denn er habe bis zur Wende noch das Fach Sport unterrichtet. Der Wunsch nach Entbindung von den Funktionen in der Ortsparteileitung und in der Nationalen Front sei, seine Richtigkeit unterstellt, nicht geeignet, den Kläger zu entlasten, denn der Kläger habe trotz dieses Wunsches bis zum Zusammenbruch der DDR in diesen Funktionen weitergemacht. Hätte er seinen Wunsch durchgesetzt, dann wäre dadurch nicht seine berufliche Existenz gefährdet, sondern nur seine Karriere beendet gewesen. Die weiteren Ausführungen des Klägers, die er selbst bzw. als Anlage von Schriftsätzen seiner Prozeßbevollmächtigten zu den Akten gereicht habe, könnten nicht berücksichtigt werden, weil der Kläger im Berufungsrechtszug durch einen Rechtsanwalt oder einen Verbandsvertreter vertreten sein müsse. Er könne selbst keine Prozeßhandlungen vornehmen.
Die Äußerungsfrist des Hauptpersonalrats sei ebenso wie die sich aus § 55 AGB-DDR ergebende Kündigungsfrist gewahrt worden.
B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
I. Der Feststellungsantrag des Klägers umfaßt allein den punktuellen Streitgegenstand der §§ 4, 7 KSchG. Die Antragsbegründung behandelt ausschließlich die Frage, ob die Kündigung vom 22. Mai 1992 wirksam ist. Die Auslegung des Klagantrages ergibt daher, daß der Kläger nur eine Kündigungsschutzklage, jedoch keine weitergehende Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO erhoben hat (vgl. Senatsurteil vom 16. März 1994 – 8 AZR 97/93 – AP Nr. 29 zu § 4 KSchG 1969).
II. Die Wirksamkeit der Kündigung kann noch nicht abschließend beurteilt werden.
1. Der Wirksamkeit der Kündigung stehen personalvertretungsrechtliche Gründe nicht entgegen. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz die erstinstanzlich erhobene Rüge der fehlerhaften Personalratsbeteiligung nicht aufrechterhalten, sondern auf die Rüge beschränkt, die Äußerungsfrist des Hauptpersonalrats sei nicht gewahrt worden. Diese Rüge ist unbegründet, denn die Kündigung ist erst nach Abschluß des gemäß §§ 82 Abs. 4, 79, 72 BPersVG in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 15 Buchst. c) EV durchzuführenden Beteiligungsverfahrens ausgesprochen worden. Der Hauptpersonalrat hat ausweislich seines undatierten Widerspruchsschreibens nach mündlicher Erörterung der Sache mit dem Vertreter des Ministeriums in der Sitzung vom 4. Mai 1992 beschlossen, Widerspruch gegen die beabsichtigte Kündigung zu erheben. Diesem Beschluß folgend ist das undatierte Widerspruchsschreiben dem Kultusministerium zugeleitet worden. Dieses ist zeitlich vor Ausspruch der Kündigung dem Kultusministerium zugegangen und in Abschrift dem Kündigungsschreiben als Anlage beigefügt worden. Damit ist die Kündigung erst nach Zugang des Widerspruchs bei der kündigenden Stelle erklärt worden. Mit dem Zugang des Widerspruchs als abschließender Stellungnahme des Hauptpersonalrats bestand keine rechtliche Veranlassung, den weiteren Ablauf der Äußerungsfrist des Hauptpersonalrats abzuwarten. Da die Kündigung von einem Ministerium ausgesprochen wurde, kam ein weiteres Mitwirkungsverfahren (§ 72 Abs. 4 BPersVG) nicht in Betracht.
Aus diesem Grunde ist es auch unerheblich, ob das Ministerium mit seinem Schreiben vom 27. Mai 1992 das Beteiligungsverfahren ordnungsgemäß abgeschlossen hat. Die abschließende Mitteilung an die Personalvertretung gemäß § 72 Abs. 3 BPersVG ist jedenfalls bei Kündigungen durch oberste Dienstbehörden keine Wirksamkeitsvoraussetzung (BAG Urteil vom 5. Oktober 1995 – 2 AZR 909/94 – zur Veröffentlichung bestimmt und Urteil vom 18. Januar 1996 – 8 AZR 868/93 – nicht veröffentlicht –, im Anschluß an BVerwG Urteil vom 26. Juli 1984 – 1 D 57.83 – BVerwGE 76, 181 = PersV 1986, 110).
Beendet ist das Mitwirkungsverfahren an sich auch bei obersten Dienstbehörden erst mit der schriftlichen Mitteilung des Leiters der obersten Dienstbehörde an den Personalrat über das Festhalten an seiner Kündigungsabsicht (KR-Etzel, 4. Aufl., §§ 72, 79, 108 BPersVG Rz 47; Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl., § 72 Rz 31). Die „Verletzung” der Mitteilungspflicht nach § 72 Abs. 3 BPersVG hat aber keine rechtlichen Auswirkungen, wenn der beteiligten Personalvertretung im Organisationsaufbau keine weitere Personalvertretung vorgeht (BVerwG Urteil vom 26. Juli 1984 – 1 D 57.83 – BVerwGE 76, 181 = PersV 1986, 110; BAG Urteil vom 5. Oktober 1995, a.a.O.; BAG Urteil vom 18. Januar 1996, a.a.O.). Die Mitteilungspflicht nach § 72 Abs. 3 BPersVG ist im Zusammenhang mit § 72 Abs. 4 BPersVG zu sehen, der dem Personalrat einer nachgeordneten Stelle die Möglichkeit gibt, die Angelegenheit binnen drei Arbeitstagen nach Zugang der Mitteilung den übergeordneten Dienststellen mit dem Antrag auf Entscheidung vorzulegen. Ist die zur Unterrichtung verpflichtete Dienststelle indes die oberste Dienstbehörde selbst, so entfällt die Möglichkeit, eine übergeordnete Dienststelle mit der Angelegenheit zu befassen (vgl. auch Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 8. Aufl., § 72 Rz 14).
2. Soweit das Landesarbeitsgericht die Kündigung gemäß Abs. 4 Ziff. 1 EV für gerechtfertigt erachtet hat, tragen seine tatsächlichen Feststellungen die Entscheidung bislang nicht.
a) Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I vereinbarten Regelungen. Der Kläger unterrichtete zum Zeitpunkt des Beitritts an einer öffentlichen Schule, gehörte daher dem öffentlichen Dienst an.
b) Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Der Senat hat in seinen Entscheidungen vom 18. März 1993 und 4. November 1993 (– 8 AZR 356/92 – BAGE 72, 361 = AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX und – 8 AZR 127/93 – BAGE 75, 46 = AP Nr. 18, a.a.O., mit weiteren Nachweisen) die Wirksamkeit der Kündigung nach einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen Einzelfallprüfung beurteilt und hierzu im einzelnen folgende Grundsätze entwickelt:
Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volks Souveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.
Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht.
Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers zunächst zu erproben. Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen; denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.
Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist. Eine Umkehr der im Kündigungsschutzprozeß allgemein bestehenden Beweislast findet nicht statt (vgl. Senatsurteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – AP Nr. 22 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung bestimmt, zu B II 3 b der Gründe).
c) Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, daß die langjährigen Tätigkeiten des Klägers als Lehrer für Staatsbürgerkunde, Ortsausschußvorsitzender der Nationalen Front und als Mitglied der Ortsparteileitung sowie sein Besuch der Bezirksparteischule und die ihm zuteil gewordene Ernennung zum Oberlehrer in ihrer Gesamtheit Zweifel an der Eignung des Klägers begründen, als Lehrer im Schuldienst des Beklagten tätig sein zu können. Die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen diese Annahme nicht.
aa) Dies gilt insbesondere für die Tätigkeit des Klägers als Ortsausschußvorsitzender der Nationalen Front. Hierzu hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen getroffen. Dieses wird es nachzuholen haben. Insbesondere wird es dem Beklagten Gelegenheit geben müssen, seine Darlegung zur Verantwortung der Nationalen Front für die in der DDR manipulierten Wahlen und die Stellung sowie Bedeutung eines Ortsausschußvorsitzenden dieser Vereinigung unter Beweisantritt zu konkretisieren.
bb) Die Feststellung des Berufungsgerichts, die Ortsparteileitung habe sicherzustellen gehabt, daß das gesamte Leben vor Ort den politisch-ideologischen Zielsetzungen des SED-Staates entsprochen habe, genügt allein nicht als Grundlage für die Feststellung, daß ein Mitglied der Ortsparteileitung allein durch diese Mitgliedschaft aktiv für die demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Staatsziele der DDR eingetreten sei. Vielmehr ist nach der Rechtsprechung des Senats für eine Indizierung der mangelnden persönlichen Eignung erforderlich, daß sich der Beschäftigte in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifizierte. Hierzu bedürfte es einer genaueren Beurteilung der der SED-Ortsparteileitung zugewiesenen Aufgaben und Funktionen. Sollte das Berufungsgericht auch insofern allgemeinkundige Tatsachen berücksichtigen wollen, müßte es diese im einzelnen bezeichnen.
cc) Die Tätigkeit als Lehrer für Staatsbürgerkunde als solche ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht geeignet, allein die mangelnde Eignung zu indizieren (Urteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 710/92 – nicht veröffentlicht, zu B II 2 a der Gründe).
dd) Sollten die weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben, daß die Funktionen eines Mitglieds der SED-Ortsparteileitung und/oder eines Ortsausschußvorsitzenden der Nationalen Front aufgrund ihrer Exponiertheit oder Aufgabenzuweisung regelmäßig eine Mitwirkung an der Umsetzung der SED-Ideologie bedingten, wäre im Falle des Klägers wegen seiner langjährigen Mitwirkung in diesen Funktionen die Nichteignung für den Beruf des Lehrers indiziert. In diesem Falle wäre dem Kläger Gelegenheit zu geben, sich durch substantiierten Sachvortrag zu entlasten. Insofern kann der Senat nicht zugunsten des Klägers abschließend entscheiden. Die Annahme des Berufungsgerichts, der ursächliche Zusammenhang zwischen einer Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers und der Übernahme der Funktion eines Lehrers für Staatsbürgerkunde sei nicht glaubhaft, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Hingegen sind die vom Kläger behaupteten Bemühungen um Abberufung von den Funktionen in der Ortsparteileitung und in der Nationalen Front berücksichtigungsfähig. Die Indizwirkung der ausgeübten Funktion wird weniger durch den Erfolg eines Abberufungsbemühens als vielmehr durch die nach außen erklärte Motivation beeinflußt. Insofern sind weitere Feststellungen erforderlich.
III. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Kündigungsfrist entsprechen der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Danach fand weder die Kündigungsfrist des § 9 der Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte noch die des § 53 Abs. 2 BAT-O Anwendung (vgl. nur Senatsurteil vom 28. April 1994, a.a.O., zu B III der Gründe). Der Beklagte hat die gemäß § 55 Abs. 2 AGB-DDR maßgebende dreimonatige Kündigungsfrist zum Ende eines Kalendervierteljahres eingehalten.
IV. Das Landesarbeitsgericht hat von seinem Standpunkt aus konsequent nicht über den Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers entschieden. Sofern sich im erneuten Berufungsverfahren die Unwirksamkeit der Kündigung ergeben sollte, wird das Landesarbeitsgericht über den Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung nach den Grundsätzen der Entscheidung des Großen Senats vom 27. Februar 1985 (– GS 1/84 – BAGE 48, 122 ff. = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) zu befinden haben.
Unterschriften
Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch, Plenge, E. Schmitzberger
Fundstellen