Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung verlängerter Arbeitszeit
Normenkette
BAT § 15; Richtlinie 93/104/EG vom 23. November 1993 Art. 6 Nr. 2; ArbZG a.F. § 1; BGB § 612 Abs. 1-2, § 823 Abs. 2, § 812 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Vergütung verlängerter Arbeitszeit.
Der Kläger ist beim Beklagten als Rettungsassistent beschäftigt. Sein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt 2.900,00 Euro. Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach den Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) in der für die kommunalen Arbeitgeber jeweils geltenden Fassung. Im BAT ist geregelt:
“§ 15 Regelmäßige Arbeitszeit
…
(1) Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen durchschnittlich 38 ½ Stunden wöchentlich.
…
(2) Die regelmäßige Arbeitszeit kann verlängert werden:
…
b) bis zu elf Stunden täglich (durchschnittlich 54 Stunden wöchentlich), wenn in sie regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich fällt,
…”
Der Beklagte verlängerte die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers ab dem 1. Januar 1997 auf durchschnittlich 54 Stunden wöchentlich.
Der Kläger hat gemeint, die Verlängerung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf 54 Stunden wöchentlich habe gegen die Richtlinie 93/104/EG vom 23. November 1993 verstoßen. Danach dürfe eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden nicht überschritten werden. Für ihn gelte deshalb die in § 15 Abs. 1 Satz 1 BAT geregelte wöchentliche Arbeitszeit von 38 ½ Stunden. Der Beklagte schulde für die von ihm vom 1. Juli 2000 bis zum 31. Dezember 2003 über dieses Stundenmaß hinaus geleisteten 2.821 Stunden auf Grund seiner Stundenvergütung von jedenfalls 11,00 Euro brutto eine zusätzliche Vergütung iHv. 31.031,00 Euro brutto.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 31.031,00 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 20. April 2004 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, für den Klageanspruch bestehe keine Anspruchsgrundlage. Auch wenn er die Arbeitszeit nicht über 48 Stunden wöchentlich hinaus hätte verlängern dürfen, wirkte sich dies vergütungsrechtlich nicht zu Gunsten des Klägers aus.
Die Vorinstanzen haben die Klage – soweit für die Revision von Interesse – abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Es besteht für die vom Kläger für die Zeit vom 1. Juli 2000 bis zum 31. Dezember 2003 geltend gemachte Entgeltforderung keine Anspruchsgrundlage.
I. Soweit der Kläger der Berechnung des Klageanspruchs eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 38 ½ Stunden zugrunde legt, steht dem Anspruch bereits entgegen, dass seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Anspruchszeitraum nicht gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 BAT durchschnittlich 38 ½ Stunden betragen hat.
1. Der Beklagte hat die Arbeitszeit ab dem 1. Januar 1997 nach § 15 Abs. 2 Buchst. b BAT auf wöchentlich 54 Stunden verlängert. Der Kläger hat das Vorliegen der in der Tarifvorschrift genannten Voraussetzung für die Verlängerung der Arbeitszeit in den Vorinstanzen nicht bestritten, obwohl der Beklagte in seiner Berufungsbeantwortung diesen Punkt angesprochen hatte. Erst im Schriftsatz vom 15. April 2005 hat der Kläger – ersichtlich unter dem Eindruck der Entscheidung des Fünften Senats vom 9. März 2005 (– 5 AZR 385/02 –) – vorgetragen, die tariflichen Voraussetzungen für die Verlängerung der Arbeitszeit hätten nicht vorgelegen. Das ist ein Vorbringen, das in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden darf (§ 559 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann deshalb nur berücksichtigen, dass der Kläger die tarifliche Regelung auch für unwirksam hält.
2. Die unmittelbare Wirkung des Art. 6 Nr. 2 der im Anspruchszeitraum gültigen Arbeitszeit-Richtlinie 93/104/EG begründet keinen Anspruch auf Einhaltung einer Arbeitszeit von 38 ½ Stunden (vgl. Senat 14. Oktober 2004 – 6 AZR 535/03 – ZTR 2005, 144, zu I 1 der Gründe; – 6 AZR 536/03 –, zu I 1 der Gründe; – 6 AZR 563/03 –, zu I 1 der Gründe und – 6 AZR 564/03 – DB 2005, 834, zu I 2 der Gründe). Danach darf die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentagezeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreiten. Da der Beklagte als Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts ein staatlicher Arbeitgeber ist, demgegenüber sich der Kläger auf Art. 6 Nr. 2 Arbeitszeit-Richtlinie 93/104/EG berufen konnte, hat diese Bestimmung zwar Vorrang gegenüber § 15 Abs. 2 Buchst. b BAT. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht besteht nicht nur gegenüber staatlich gesetztem Recht, sondern auch gegenüber Tarifnormen (EuGH 7. Februar 1991 – C-184/89 – [Nimz] EuGHE I, 1991, 297, 320 f., zu Nr. 17, 19 der Gründe). Ist eine Norm des nationalen Rechts mit Gemeinschaftsrecht unvereinbar, führt das jedoch nicht zu ihrer Nichtigkeit, sondern zu ihrer Unanwendbarkeit (BAG 18. Februar 2003 – 1 ABR 2/02 – BAGE 105, 32, zu B IV 4b der Gründe mwN). Nur soweit die nach § 15 Abs. 2 Buchst. b BAT auf 54 Wochenstunden verlängerte Arbeitszeit die in Art. 6 Nr. 2 Arbeitszeit-Richtlinie 93/104/EG festgelegte wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden überschritten hat, war die Tarifbestimmung somit unanwendbar. Der Kläger durfte danach im Anspruchszeitraum zwar nicht über 48 Stunden im Durchschnitt wöchentlich eingesetzt werden. Ein zeitlich weitergehendes Einsatzhindernis bestand jedoch nicht.
II. Der Kläger hat auch für die über 48 Stunden hinaus erbrachte Arbeitsleistung keinen Anspruch auf zusätzliche Vergütung.
1. Eine Vergütungspflicht des Beklagten wird insoweit nicht dadurch begründet, dass die im Anspruchszeitraum gültige Arbeitszeit-Richtlinie 93/104/EG vom 23. November 1993 in Art. 6 Nr. 2 die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit auf 48 Stunden begrenzt hat. Auch wenn der Beklagte als staatlicher Arbeitgeber den Kläger über dieses Stundenmaß hinaus nicht zur Arbeitsleistung heranziehen durfte, wirkt sich das vergütungsrechtlich nicht zu Gunsten des Klägers aus. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (14. Oktober 2004 – 6 AZR 564/03 – DB 2005, 834, zu II 2a der Gründe; 5. Juni 2003 – 6 AZR 114/02 – BAGE 106, 252, zu B II 2a der Gründe; 19. Februar 2004 – 6 AZR 211/03 – ZTR 2004, 417, zu III der Gründe; 28. Januar 2004 – 5 AZR 530/02 – AP BGB § 611 Bereitschaftsdienst Nr. 10 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitsbereitschaft Nr. 2, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu IV 1 der Gründe; 22. November 2000 – 4 AZR 612/99 – BAGE 96, 284, 291; 24. Oktober 2000 – 9 AZR 634/99 – AP BUrlG § 11 Nr. 50 = EzA BUrlG § 11 Nr. 48) betrifft die Arbeitszeit-Richtlinie 93/104/EG den öffentlichrechtlichen Arbeitsschutz und sieht bei Verstößen gegen ihre Regelungen keine finanziellen Ansprüche vor. Dafür fehlte es auch an einer Kompetenzgrundlage. Die Arbeitszeit-Richtlinie 93/104/EG diente der Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer. Sie war nach ihren Erwägungsgründen auf Art. 118a EG-Vertrag gestützt, der den Rat berechtigt, durch Richtlinien Mindestvorschriften festzusetzen, die eine Verbesserung der Arbeitsumwelt fördern, um die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer verstärkt zu schützen. Mindestvorschriften über Vergütungspflichten sah diese Rechtsgrundlage nicht vor. Darüber hinaus regelt der EG-Vertrag auch keine entsprechende Primärkompetenz der Gemeinschaft (BAG 5. Juni 2003 – 6 AZR 114/02 – BAGE 106, 252, zu B II 2a der Gründe).
2. Dem Arbeitszeitgesetz in der im Anspruchszeitraum gültigen Fassung (ArbZG aF) lässt sich ebenfalls keine Anspruchsgrundlage für Vergütungsansprüche entnehmen (BAG 28. Januar 2004 – 5 AZR 530/02 – AP BGB § 611 Bereitschaftsdienst Nr. 10 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitsbereitschaft Nr. 2, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu IV 2 der Gründe). Wie die Arbeitszeit-Richtlinie 93/104/EG beschränkt es sich auf den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz. Nach § 1 ArbZG ist es Zweck des Gesetzes, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung zu gewährleisten und die Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten zu verbessern sowie den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung der Arbeitnehmer zu schützen.
3. Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich der Anspruch nicht aus § 612 Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Das betrifft Fälle, in denen weder durch Gesetz, Tarifvertrag oder einzelvertragliche Vereinbarung noch auf sonstiger Grundlage eine Vergütung festgelegt ist (BAG 28. Januar 2004 – 5 AZR 530/02 – AP BGB § 611 Bereitschaftsdienst Nr. 10 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitsbereitschaft Nr. 2, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu IV 3 der Gründe). § 612 Abs. 1 BGB greift auch dann ein, wenn über die vertraglich geschuldete Tätigkeit hinaus eine Sonderleistung erbracht wird, die durch die vereinbarte Vergütung nicht abgegolten ist und weder einzelvertraglich noch tarifvertraglich geregelt ist, wie diese Dienste zu vergüten sind (BAG 29. Januar 2003 – 5 AZR 703/01 – AP BGB § 612 Nr. 66; 21. März 2002 – 6 AZR 456/01 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Musiker Nr. 17 = EzA TVG § 4 Musiker Nr. 2). Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestimmt sich nach dem BAT und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Der Kläger wird nach BAT vergütet. Ein Rückgriff auf § 612 Abs. 1 BGB scheidet damit aus.
4. Auch aus § 612 Abs. 2 BGB folgt der Anspruch nicht. Nach dieser Bestimmung ist in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen, wenn die Höhe der Vergütung nicht bestimmt ist. Diese Vorschrift ist auch anwendbar, wenn die Vergütungsvereinbarung unwirksam ist (BAG 28. September 1994 – 4 AZR 619/93 – AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 38 = EzA BGB § 612 Nr. 17). Daran fehlt es. Die Vergütungsabrede der Parteien ist wirksam. Ein Verstoß der über 48 Stunden hinausgehenden Arbeitsleistung des Klägers gegen öffentlich-rechtliche Arbeitsschutzvorschriften führt nicht zur Nichtigkeit der Vergütungsvereinbarung (BAG 28. Januar 2004 – 5 AZR 530/02 – AP BGB § 611 Bereitschaftsdienst Nr. 10 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitsbereitschaft Nr. 2, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu IV 3 der Gründe).
5. Der Beklagte ist nach § 823 Abs. 2 BGB iVm. Art. 6 Nr. 2 Arbeitszeit-Richtlinie 93/104/EG nicht zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet. Ungeachtet der Frage, ob der Kläger einen Schaden in Höhe der beanspruchten zusätzlichen Vergütung erlitten hat, fehlt es an dem von § 823 Abs. 2 BGB vorausgesetzten Verstoß gegen ein den Schutz eines anderen bezweckenden Gesetzes. Art. 6 Nr. 2 der Arbeitszeit-Richtlinie 93/104/EG ist kein Schutzgesetz im Sinne dieser Vorschrift (BAG 5. Juni 2003 – 6 AZR 114/02 – BAGE 106, 252, zu B II 2d der Gründe).
6. Der Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 812 Abs. 1 BGB. Es errechnet sich kein Saldo zu Gunsten des Klägers, was diese Bestimmung voraussetzt. Soweit die Arbeitsleistung des Klägers im Anspruchszeitraum wöchentlich 48 Stunden überschritten hat, ist dem Beklagten eine Herausgabe dieser Arbeitsleistung nicht möglich, so dass er nach § 818 Abs. 2 BGB nur Wertersatz schuldet, wenn zu Gunsten des Klägers eine ungerechtfertigte Bereicherung des Beklagten unterstellt wird. Der Umfang des Wertersatzanspruchs bestimmt sich bei Arbeitsleistungen nach der dafür üblichen Vergütung oder mangels einer solchen nach der angemessenen Vergütung (BAG 12. Februar 1992 – 5 AZR 297/90 – BAGE 69, 324, 330). Da die Bereicherungsansprüche in besonderem Maße unter den Grundsätzen von Treu und Glauben stehen, kann der Kläger als Bereicherungsausgleich jedenfalls nicht mehr beanspruchen, als im Beschäftigungsverhältnis vereinbart war (BAG 28. Januar 2004 – 5 AZR 530/02 – AP BGB § 611 Bereitschaftsdienst Nr. 10 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitsbereitschaft Nr. 2, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu IV 5 der Gründe). Die für eine auf wöchentlich 54 Stunden verlängerte Arbeitszeit tariflich vorgesehene Vergütung hat er erhalten.
III. Der Kläger hat zwar vorgetragen, ab der 49. Stunde Arbeit geleistet zu haben. Nach eigenem Vortrag kann der Kläger aber nicht darlegen, wann welche Stunden mit welcher Arbeit belegt waren. Schon deshalb ist ein Anspruch auf Vergütung von Arbeit ab der 49. Stunde nicht gegeben.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Fischermeier, Dr. Armbrüster, Friedrich, Gebert, Schneider
Fundstellen