Entscheidungsstichwort (Thema)

Versorgungszusage und ablösender Tarifvertrag

 

Orientierungssatz

Versorgung nach beamtenähnlichen Grundsätzen (Dauerdienstangestellte). Ablösender Haustarifvertrag mit ungünstiger Anrechnungsregelung aber Besitzstandswahrung zugunsten früherer Zusagen.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 242

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 09.11.1982; Aktenzeichen 6 Sa 941/82)

ArbG Dortmund (Entscheidung vom 11.03.1982; Aktenzeichen 7 Ca 1979/81)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Sozialversicherungsrente des Klägers in voller Höhe auf das von der Beklagten zu zahlende betriebliche Ruhegeld anzurechnen ist.

Der Kläger, geboren am 18. November 1919, war vom 4. Januar 1946 bis zum 1. Dezember 1980 bei der Beklagten als Angestellter tätig. Zuvor war er mit den aus dem Klageantrag ersichtlichen Unterbrechungen durch Kriegs- und Reichsarbeitsdienst in der Privatwirtschaft beschäftigt. Am 14. Januar 1953 schlossen die Parteien einen schriftlichen Arbeitsvertrag als "Dauerdienstvertrag" auf Lebenszeit, der vom Kläger mit einer Frist von drei Monaten und von der Beklagten nur aus wichtigem Grund kündbar war. Darin wurde eine betriebliche Altersversorgung zugesagt. Wegen der Einzelheiten ist insoweit auf die jeweils geltenden bundesgesetzlichen Bestimmungen verwiesen. § 7 des Vertrages sieht vor, daß der Kläger in der gesetzlichen Sozialversicherung bleibt und die Beklagte sämtliche Beiträge einschließlich des Arbeitnehmeranteils trägt. Weiter heißt es in § 7 Abs. 2:

"Die D Aktiengesellschaft ist

berechtigt, die aus diesen Sozialversiche-

rungen gewährten Renten auf das von ihr zu

zahlende Ruhegehalt oder die Hinterbliebenen-

bezüge anzurechnen. Diese Berechtigung zur An-

rechnung erstreckt sich auf alle Rententeile,

die auf Tätigkeiten im öffentlichen Dienst zu-

rückzuführen sind."

Dauerdienstverträge dieser Art, jedoch mit unterschiedlichen Regelungen der Altersversorgung, schloß die Beklagte seit 1953 mit rund 200 Mitarbeitern, von denen inzwischen etwa ein Drittel ausgeschieden ist.

Am 7. November 1969 vereinbarten die Beklagte und die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr mit Wirkung vom 1. Januar 1969 einen Tarifvertrag über die Alters- und Hinterbliebenenversorgung für die Dauerangestellten der Beklagten. Die Altersversorgung ist beamtenähnlich geregelt. Gemäß § 6 des Tarifvertrages beträgt das Ruhegehalt bis zur Vollendung einer zehnjährigen ruhegehaltsfähigen Dienstzeit 35 v. H. der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge; es steigt von da ab je Dienstjahr um 2 v. H. bis zum vollendeten 25. Dienstjahr und anschließend um 1 v. H. bis zum Höchstsatz von 75 v. H. Gemäß § 13 Abs. 1 TV ist die Beklagte berechtigt, die aus der Sozialversicherung gewährten Renten in voller Höhe anzurechnen. § 13 Abs. 2 TV sieht vor, daß bestimmte Rententeile, die im vorliegenden Rechtsstreit nicht umstritten sind, nicht angerechnet werden, wobei jedoch wiederum durch die Belassung einzelner Rententeile der Höchstsatz von 75 v. H. nicht überschritten werden darf. Die §§ 14 und 15 des Tarifvertrages sehen vor, daß ein Mindestruhegeld und eine Mindestgesamtversorgung nicht unterschritten werden dürfen. § 19 TV enthält einen Vorbehalt für abweichende vertragliche Zusagen. Die Bestimmung lautet:

"Sofern in Dauerdienstverträgen für die Dauerange-

stellten günstigere Regelungen vereinbart sind,

bleiben diese unberührt."

Die Beklagte gewährt dem Kläger ein Ruhegehalt von 75 v. H. seiner ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge, rechnet hierauf jedoch die Sozialversicherungsrente in voller Höhe an.

Der Kläger will dies nicht hinnehmen, soweit seine Sozialversicherungsrente auf Beschäftigungszeiten beruht, die er außerhalb des öffentlichen Dienstes verbracht hat. Er beruft sich auf § 7 seines Dauerdienstvertrages, den er so versteht, daß nur die Rententeile, die auf Tätigkeiten im öffentlichen Dienst zurückzuführen sind, angerechnet werden dürfen. Der Tarifvertrag, so der Kläger, habe zwar eine weitergehende Anrechnungsbefugnis eingeführt, seine günstigere Vertragsgestaltung jedoch aufrechterhalten.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte ver-

pflichtet sei, die Ruhegehaltsbezüge

mit Wirkung vom 1.3.1981 in der Höhe

zu zahlen, daß bei der Anrechnung der

Sozialversicherungsrente die Zeit vom

8.11.1935 bis 31.3.1939 und vom 1.3.1940

bis 30.6.1940, welche er außerhalb des

öffentlichen Dienstes beschäftigt war,

nicht berücksichtigt wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, § 19 TV schränke ihre Anrechnungsbefugnis nach § 13 TV nicht ein, sondern betreffe ausschließlich Einzelfälle, in denen individuelle Zusagen gegeben worden seien. Auf den Kläger, mit dem ein Formularvertrag abgeschlossen worden sei, treffe das nicht zu. Er erhalte bereits 75 v. H. seiner ruhegehaltsfähigen Bezüge. Werde die Sozialversicherungsrente nicht in voller Höhe angerechnet, so führe das zu einer Überversorgung. Davon seien außer dem Kläger etwa 30 weitere Mitarbeiter und Rentner betroffen. Einem Feststellungsurteil zu ihren Lasten werde sie aber Folge leisten.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Beklagte darf die vom Kläger außerhalb des öffentlichen Dienstes erworbenen Rententeile aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht auf die Betriebsrente anrechnen.

1. Der Anspruch des Klägers folgt aus § 7 Abs. 2 des Dauerdienstvertrages vom 14. Januar 1953. Danach sind nur die durch Beschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst belegten Rententeile aus der gesetzlichen Sozialversicherung auf die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung anzurechnen.

a) Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß die Fassung der Anrechnungsklausel eine andere Auslegung nicht zuläßt. Aus dem Hinweis der Vorschrift auf die Anrechenbarkeit der im öffentlichen Dienst erworbenen Rentenanteile folgt, daß außerhalb des öffentlichen Dienstes erworbene Rententeile nicht anrechenbar sein sollen. Nur so wird die Klausel verständlich. Sie hatte auch einen vernünftigen Sinn. Da die Beklagte ihren Dauerdienstangestellten eine beamtenähnliche Versorgung zukommen lassen wollte und demgemäß auch die Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlte, sollte mit der Anrechnungsklausel lediglich eine Doppelversorgung aus öffentlichen Kassen verhindert werden, während andere, außerhalb des öffentlichen Dienstes erdiente Versorgungsrechte aufrecht erhalten bleiben sollten.

b) Entgegen der Auffassung der Revision ist der Vertrag hinsichtlich der Anrechnung von Sozialversicherungsrenten nicht lückenhaft und damit auch keiner ergänzenden Auslegung zugänglich. Die Regelung ist aus sich heraus verständlich und ohne Rückgriff auf andere Bestimmungen anwendbar. Richtig ist lediglich, daß der Dienstvertrag die betriebliche Altersversorgung des Klägers nicht selbst lückenlos regelt, sondern im einzelnen auf das jeweilige Versorgungsrecht für Bundesbeamte verweist. Das hinderte die Parteien aber nicht, ohne Bindung an das in Bezug genommene Recht abschließend zu regeln, wie erdiente Sozialversicherungsrenten im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung behandelt werden sollten. Der Hinweis der Beklagten auf § 13 des Tarifvertrages vom 7. November 1969 geht daher fehl. Ebensowenig kommt eine Anwendung beamtenrechtlicher Anrechnungsklauseln in Betracht. Für den vertraglichen Anspruch des Klägers ist es insbesondere ohne Belang, daß durch Art. 1 Nr. 7 des Zweiten Haushaltsstrukturgesetzes vom 22. Dezember 1981 (BGBl I, 1523) gesetzliche Besitzstandsklauseln für Empfänger einer Beamtenversorgung entfallen sind.

2. Durch den Tarifvertrag vom 7. November 1969 sind die vertraglichen Rechte des Klägers nicht geschmälert worden.

a) § 13 des Tarifvertrages weicht allerdings von der einzelvertraglichen Gestaltung ab. Der Tarifvertrag sieht, soweit hier von Bedeutung, die Anrechnung der Sozialversicherungsrente in voller Höhe vor und enthält somit eine für den Kläger ungünstigere Regelung. Ob ein Tarifvertrag in dieser Weise in einzelvertraglich begründete Rechte eingreifen kann, ist umstritten, kann hier aber offenbleiben. Der Tarifvertrag selbst vermeidet solche Eingriffe, indem er in § 19 die für Dauerangestellte begründeten günstigeren vertraglichen Regelungen unberührt läßt.

b) Das Berufungsgericht hat überzeugend dargelegt, daß § 19 des Tarifvertrages anzuwenden ist und zur Nichtanrechnung der umstrittenen Rententeile führt. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision vermögen nicht zu überzeugen. Der Wortlaut der Vorschrift ist klar. Auch die Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der tariflichen Regelung lassen keine vom Wortlaut abweichende Deutung zu:

Die Beklagte macht geltend, bei Abschluß des Tarifvertrages im Jahre 1969 seien keine neuen Dauerdienstverträge mehr abgeschlossen worden. Der Tarifvertrag stelle den Schlußpunkt einer Entwicklung dar. Auch die Anrechnung der Sozialversicherungsrenten habe abschließend und einheitlich geregelt werden sollen. Daher werde die Anrechnungsklausel des Tarifvertrages ihrer eigentlichen Bedeutung entkleidet, wenn günstigere Regelungen in den formularmäßig abgeschlossenen Dauerdienstverträgen aufrechterhalten blieben. § 19 des Tarifvertrages erfasse nur individuell geregelte Einzelfälle. Demgegenüber hat das Berufungsgericht unangegriffen festgestellt, daß die Beklagte verschiedene Typen formularmäßiger Dauerdienstverträge verwendete, und zwar auch solche, die ausdrücklich die Anrechnung sämtlicher anderweit erdienter Rententeile vorsahen. Das Argument der Beklagten trifft daher nicht zu. Die Anrechnungsbestimmung in § 13 des Tarifvertrages war nicht von vornherein gegenstandslos, sondern sie bestimmt nach wie vor die Rechtsverhältnisse der Dauerangestellten, deren Dienstverträge keine günstigere Regelung als der Tarifvertrag enthalten.

Ob, wie das Berufungsgericht ausgeführt hat, mit dem Tarifvertrag vom 7. November 1969 weitgehend an das geltende Beamtenversorgungsrecht angeschlossen werden sollte, kann offenbleiben. Da die Tarifvertragsparteien in § 19 eine Besitzstandsklausel zugunsten der einzelvertraglich bessergestellten Arbeitnehmer vereinbart haben, kann sich eine verschlechternde Regelung im Beamtenversorgungsrecht nicht zu deren Nachteil auswirken.

3. Der Hinweis der Beklagten, die Nichtanrechnung der außerhalb des öffentlichen Dienstes erworbenen Rententeile führe zu einer "Überversorgung", läßt ebenfalls keine andere Beurteilung zu.

Es trifft zwar zu, daß Überversorgungen unerwünscht sein können und häufig kein schützenswertes Interesse daran bestehen wird, eine Regelung aufrecht zu erhalten, die den Rentner in seinen Nettobezügen besser stellt als vergleichbare aktive Arbeitnehmer (BAG 22, 252, 270 f. = AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu C II der Gründe). Ein Recht zur Kürzung der zugesagten Leistungen steht der Beklagten dennoch nicht zu. Die Beklagte hat eine etwa eingetretene Überversorgung des Klägers in ihrer Versorgungszusage selbst angelegt. Sie will zwar grundsätzlich eine Versorgung nur bis zu einer bestimmten Obergrenze gewähren, zugleich aber bestimmte Rententeile, nämlich die außerhalb des öffentlichen Dienstes erworbenen, auf die Gesamtversorgung nicht anrechnen. Angesichts einer solchen Zusage kann sie sich nicht darauf berufen, durch die Nichtanrechnung trete eine Überversorgung ein. Ein solches Verhalten wäre widersprüchlich. Ist eine Überversorgung schon in dem Versorgungsversprechen angelegt, so entfällt die Geschäftsgrundlage des Vertrages nicht deshalb, weil sich im Versorgungsfall tatsächlich eine Überversorgung ergibt (BAG Urteil vom 30. Oktober 1984 - 3 AZR 236/82 - zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 1 c der Gründe).

Dr. Dieterich Dr. Peifer Griebeling

Weinmann Wax

 

Fundstellen

Dokument-Index HI438704

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