Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Sozialplans
Normenkette
BetrVG § 112; KO §§ 144, 146
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 28. Oktober 1997 – 8 Sa 582/97 – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Abfindungsanspruch aus einem Sozialplan.
Der Kläger war bei der H… Getriebe und Zahnräder GmbH beschäftigt. Alleinige Gesellschafterin ist die Carl H… Maschinen- und Zahnradfabrik GmbH & Co. KG. Der von diesem Unternehmen geführte Konzern war 1990 durch Ausgründungen aus einem Unternehmen entstanden. Im Hinblick auf die geplante Stillegung des Betriebs schloß die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat am 30. September 1994 einen Sozialplan, in dem u.a. folgendes bestimmt ist:
“II. Abfindung
…
3. Der Abfindungsanspruch ist am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses fällig …
…
5. Für den Sozialplan stellt der Arbeitgeber einen Betrag von 10 Mio. DM (zehn Millionen) zur Verfügung, von dem entsprechend Absatz II 3+4 dieser Vereinbarung 80 % in bar ausgezahlt werden und 20 % zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Erlös aus dem Verkauf des Betriebsgrundstückes M…, 80809 München, zur Verfügung steht.
Es wird sichergestellt, daß die Rechte der Arbeitnehmer auf den Erhalt dieser 20 % unabhängig von der Entwicklung der Gesellschaft und/oder des Gesellschafters bis zur Realisierung der Zahlungen gewahrt bleiben und daß diese Rechte vererblich sind.
Der Arbeitgeber akzeptiert den nachstehend festgelegten, vom Betriebsrat erarbeiteten Verteilungsplan, bei dem unterstellt wird, daß er mit einer Toleranzbreite von +1 % auf die Gesamtsumme von 10 Mio. DM hinausläuft.
Sollte der Aufwand unter 10 Mio. DM liegen, fließt die Differenz (anteilig 80 und 20 %) zwischen diesem und der zur Verfügung stehenden Gesamtsumme von 10 Mio. DM in einen Sonderfonds, aus dem in individuellen Härtefällen Zahlungen erfolgen, die einvernehmlich zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung festgelegt werden.
…”
In einer Vereinbarung, die am 14. Oktober 1994 zwischen dem Betriebsrat, der Arbeitgeberin und dem an der Muttergesellschaft beteiligten Herrn Fritz C. A. H… zu Abschnitt II Nr. 5 des Sozialplans getroffen wurde, heißt es u.a.:
“Das Grundstück M…, 80809 München besteht derzeit aus den Teilgrundstücken A, B und C. Die Eigner sind:
A |
Frau Nina H…, Via B… |
B |
Carl H… Maschinen- und Zahnradfabrik GmbH & Co, M…, 80809 München |
C |
H… Immobiliare SRL, Via S…. |
Die Zahlung der restlichen 20 % der Abfindungen erfolgt, sobald ein Verkaufserlös für diese Betriebsgrundstücke zur Verfügung steht. Dasselbe gilt für die aus dem Nachzahlungsversprechen – insgesamt 2 Mio. DM – noch zu leistenden Zahlungen.
Sollten die Grundstücke in Teilen veräußert werden, erfolgt die Zahlung, sobald 10 Mio. DM Verkaufserlös verfügbar sind.
Ein Verkauf im Sinne dieser Vereinbarung liegt nicht vor, wenn Übertragungen innerhalb der H… -Gruppen erfolgen.
…”
Zum 30. Juni 1995 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis des Klägers aus betriebsbedingten Gründen. Am 31. Mai 1995 wurde das Anschlußkonkursverfahren über das Vermögen der Muttergesellschaft der Arbeitgeberin eröffnet. Das Betriebsgrundstück der Arbeitgeberin, das im Eigentum der Muttergesellschaft stand, wurde zu einem Kaufpreis von 66,5 Mio. DM veräußert. Der Konkursverwalter der Muttergesellschaft ist nicht bereit, einen Teil des Erlöses an die Arbeitgeberin auszukehren. Eine entsprechende Vereinbarung zwischen der Arbeitgeberin und der Muttergesellschaft besteht nicht.
Im Juli 1995 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin eröffnet. Der Kläger meldete einen Abfindungsanspruch in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 57.119,85 DM zur Konkurstabelle an. Der Beklagte erhob hinsichtlich eines Teilbetrags von 11.423,97 DM, der 20 % der Forderung ausmacht, Widerspruch.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, nach dem Sozialplan habe er Anspruch auch auf den bestrittenen Teil der Abfindung. Das Sozialplanvolumen von 10 Mio. DM sei unbedingt zugesagt worden. Soweit die Zahlung eines Teilbetrags von 20 % an den Verkauf des Betriebsgrundstücks geknüpft sei, handele es sich nur um eine Fälligkeitsabrede, die im Konkurs unbeachtlich sei. Selbst wenn aber eine Bedingung vorläge, wäre diese erfüllt, denn für das Betriebsgrundstück sei ein Erlös erzielt worden. Unschädlich sei, daß davon nichts an die Arbeitgeberin gezahlt worden oder zu zahlen sei. Zumindest sei die Forderung als aufschiebend bedingt in die Konkurstabelle aufzunehmen. Sollte die Bedingung tatsächlich ausfallen, so sei dies dem Beklagten anzulasten mit der Folge, daß sie als eingetreten gelte.
Der Kläger hat beantragt,
1. einen Anspruch auf Zahlung von 11.423,97 DM zur Konkurstabelle im Konkursverfahren über das Vermögen der H… Getriebe und Zahnräder GmbH festzustellen,
2. hilfsweise einen Anspruch auf Zahlung von 11.423,97 DM zur Konkurstabelle im Konkursverfahren über das Vermögen der H… Getriebe und Zahnräder GmbH als aufschiebend bedingte Forderung festzustellen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach seiner Meinung ist der Anspruch auf den streitigen Teilbetrag nach dem Sozialplan insoweit aufschiebend bedingt, als der Arbeitgeberin aus dem Verkauf des Betriebsgrundstücks ein Betrag von mindestens 2 Mio. DM zur Verfügung stehen müsse. Diese Bedingung sei ausgefallen, da die Arbeitgeberin aus dem Verkaufserlös keine Zahlungen erhalten und auch keine entsprechenden Ansprüche habe. Die Arbeitgeberin habe ihre Muttergesellschaft nicht zu Zuwendungen verpflichten können. Aus der Vereinbarung vom 14. Oktober 1994 ergebe sich nichts anderes, denn Herr Fritz C. A. H… sei zur Vertretung der Muttergesellschaft nicht befugt gewesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage im Hauptantrag stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der streitige Restbetrag der Abfindung ist nach den §§ 144, 146 KO zur Konkurstabelle festzustellen. Der Kläger hat nach dem Sozialplan Anspruch auf diesen Betrag. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
I. Das Landesarbeitsgericht ist von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen, nach der Betriebsvereinbarungen – und damit auch Sozialpläne – wie Tarifverträge und diese wiederum wie Gesetze auszulegen sind. Danach ist maßgeblich auf den im Wortlaut des Sozialplans zum Ausdruck kommenden Willen der Betriebsparteien abzustellen sowie auf den erkennbaren Sinn und Zweck der Regelung. Hierbei ist der Gesamtzusammenhang zu berücksichtigen. Die Auslegung einer Betriebsvereinbarung durch das Berufungsgericht unterliegt der vollen Überprüfung durch das Revisionsgericht (Senatsurteil vom 30. August 1994 – 1 AZR 765/93 – AP Nr. 131 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu B II 1a der Gründe; BAGE 60, 94, 98 f. = AP Nr. 48 zu § 112 BetrVG 1972, zu II 2a der Gründe).
II. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht den Sozialplan dahin verstanden, daß sich die Arbeitgeberin unbedingt zur Zahlung von Abfindungen in einem Gesamtvolumen von 10 Mio. DM verpflichtet hat, wobei aus Rücksicht auf die von ihr geplante Refinanzierung für einen Teilbetrag von jeweils 20 % (insgesamt also 2 Mio. DM) die Fälligkeit der Abfindungsansprüche, die sonst nach Abschnitt II Nr. 3 des Sozialplans auf das Ende des Arbeitsverhältnisses festgelegt war, auf den Zeitpunkt hinausgeschoben wurde, in dem aus dem Verkauf des Betriebsgrundstücks ein Erlös erzielt worden war.
1. Für diese Auslegung spricht zunächst der Wortlaut von Abschnitt II Nr. 5 Abs. 1 des Sozialplans. Dort wird der von der Arbeitgeberin zur Verfügung zu stellende Betrag mit 10 Mio. DM beziffert. Soweit 20 % davon an den Verkauf des Betriebsgrundstücks gebunden sind, betrifft dies den “Zeitpunkt”, zu dem sie “ausgezahlt” werden. Hätte ein Teil von 2 Mio. DM nur bedingt zugesagt werden sollen, so hätte es näher gelegen, von vornherein neben einem unbedingten (8 Mio. DM) einen bedingten (2 Mio. DM) Betrag zu nennen oder durch einen mit “wenn” oder “falls” eingeleiteten Nebensatz zum Ausdruck zu bringen, daß die Abfindungsansprüche in Höhe von 20 % vom Verkauf des Grundstückes abhängen sollten.
2. Der Zusammenhang mit anderen Regelungen bestätigt dieses Verständnis.
So ist auch in Abschnitt II Nr. 5 Abs. 3 und 4 des Sozialplans von einer zur Verfügung stehenden Gesamtsumme von 10 Mio. DM die Rede, wobei die Bestimmungen sicherstellen sollen, daß dieser Betrag tatsächlich ausgeschöpft wird. Das steht der Annahme entgegen, die Arbeitgeberin habe nur 8 Mio. DM fest zugesagt.
Hiermit übereinstimmend ist in der – zwei Wochen nach Aufstellung des Sozialplans unter Beteiligung der Betriebsparteien zu Abschnitt II Nr. 5 des Sozialplans getroffenen – Vereinbarung vom 14. Oktober 1994 bezüglich des Teilbetrags von 20 % der Abfindungen nicht etwa eine Bedingung formuliert, sondern durch die Wendung “die Zahlung erfolgt, sobald” erneut ein Fälligkeitszeitpunkt genannt worden.
3. Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte hiergegen auf den angeblichen Willen der Betriebsparteien, in Höhe von 20 % nur bedingte Ansprüche zu begründen, weil sie von sicheren Eigenmitteln der Arbeitgeberin in Höhe von 8 Mio. DM und von weiteren 2 Mio. DM an unsicheren Fremdmitteln ausgegangen seien.
Diese Annahme wird erst aus einer Interpretation des Sozialplans gewonnen, zu deren Begründung sie gerade dienen soll. Auf tatsächliche Feststellungen läßt sie sich indessen nicht stützen. Im Gegenteil reichten die Mittel der Arbeitgeberin offensichtlich schon für den aus ihrer Sicht “unbedingten” Teil der Abfindungen in Höhe von 80 % nicht aus. Dies erhellt daraus, daß die Ansprüche auch insoweit nicht einmal teilweise erfüllt wurden, obwohl sie vor Konkurseröffnung fällig waren. Sie wurden in voller Höhe zur Konkurstabelle angemeldet. War aber die Finanzierung des Sozialplans insgesamt keineswegs sicher, so konnte eine Unterscheidung nach einem unbedingten und einem durch konzerninterne Refinanzierung bedingten Teil kaum Sinn machen.
4. Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht der Umstand, daß die Refinanzierung der fraglichen 2 Mio. DM auf der Verwertung eines Grundstücks beruhen sollte, an dem die Arbeitgeberin keine Rechte hatte. Das Betriebsgrundstück stand nicht in ihrem Eigentum, und es sind auch keine Vereinbarungen zwischen der Arbeitgeberin und ihrer Muttergesellschaft festgestellt, aus denen sich Ansprüche auf Auskehrung von Teilen des Erlöses ergeben würden. Dies begründet indessen nicht die Annahme, die Abfindungsansprüche sollten durch diese Form der Refinanzierung bedingt sein. Vielmehr sollte die Arbeitgeberin dafür verantwortlich bleiben, daß ein entsprechender Teil des als sicher unterstellten – und auch tatsächlich erzielten – Verkaufserlöses innerhalb des Konzerns an sie weitergeleitet würde. Das Risiko, daß die Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaft nicht wie erwartet unterstützen würde, blieb bei der Arbeitgeberin.
a) Dafür, daß die Betriebsparteien derart auf die wirtschaftliche Einheit im Konzern abgestellt haben, spricht schon der Zusammenhang mit Abschnitt II Nr. 5 Abs. 2 des Sozialplans. Diese Bestimmung über die Unabhängigkeit der Ansprüche “von der Entwicklung des Gesellschafters”, also der Muttergesellschaft, wäre sinnlos gewesen, wenn es nur darauf hätte ankommen sollen, daß der Arbeitgeberin Mittel zufließen. Die Regelung ist vielmehr nur vor dem Hintergrund einer Sozialplanvorschrift verständlich, die auf die Verfügbarkeit des Verkaufserlöses für den Konzern (und nicht speziell für die Arbeitgeberin) abstellt.
Bestätigt wird dies durch die Vereinbarung vom 14. Oktober 1994. Diese macht zum einen deutlich, daß den Betriebsparteien die Eigentumsverhältnisse am Betriebsgrundstück bewußt waren. Angesichts dessen hätte dann, wenn tatsächlich die Auskehrung des Erlöses an die Arbeitgeberin hätte entscheidend sein sollen, die in der Vereinbarung und im Sozialplan verwendete Formulierung ferngelegen, die nur die Verfügbarkeit des Erlöses fordert und nicht auch dessen Weiterleitung an die Arbeitgeberin. Zum anderen wird auch in der Vereinbarung vom 14. Oktober 1994 auf die wirtschaftliche Einheit des Konzerns abgestellt, wenn es dort heißt, daß konzerninterne Übertragungen kein Verkauf im Sinne der Vereinbarung (und damit des Sozialplans) seien. Entscheidend sollte danach sein, daß dem Konzern Mittel von außen zufließen.
b) Eine solche Sichtweise mußte den Betriebsparteien auch naheliegen. Die Arbeitgeberin gehörte beim Abschluß des Sozialplans einem Konzern an, der erst wenige Jahre zuvor aus einem einzigen Unternehmen durch Ausgründungen entstanden war. Zwar gab es nun verschiedene Rechtsträger; aber zumindest mit der Muttergesellschaft war die Arbeitgeberin wirtschaftlich eng verbunden. Das später veräußerte Betriebsgrundstück, das einen erheblichen Wert darstellte, gehörte der Muttergesellschaft. In einem solchen Fall ist es nicht ungewöhnlich, daß bestimmte Verbindlichkeiten einer Tochtergesellschaft von der Konzernmutter refinanziert werden.
c) Schließlich spricht für dieses Verständnis der Grundsatz, daß die Betriebsparteien im Zweifel sinnvolle und zweckmäßige Regelungen treffen wollen. Eine Auslegung des Sozialplans im Sinne des Beklagten hätte zur Folge, daß die Abfindungsansprüche in Höhe von 20 % auf Hoffnungswerte beschränkt wären. Insoweit wären sie nämlich davon abhängig, daß die Muttergesellschaft sich entschließen könnte, den Sozialplan aufzustocken, ohne dafür eine erkennbare Veranlassung zu haben. Entsprechende Zahlungspflichten der Tochtergesellschaft, die zu refinanzieren gewesen wären, hätten ja bei dieser Auslegung gefehlt. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß Betriebsrat und Arbeitgeberin eine derart substanzlose Regelung hätten treffen wollen, liegen indessen nicht vor.
Unterschriften
Dieterich, Rost, Wißmann, Federlin, Brunner
Fundstellen