Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsrentenanpassung – reallohnbezogene Obergrenze. Anpassung der Betriebsrenten. Belange der Versorgungsempfänger. reallohnbezogene Obergrenze. nachholende Anpassung. Bündelung der Prüfungstermine
Leitsatz (amtlich)
Jedenfalls bis zum 31. Dezember 1998 kommt es sowohl für den Anpassungsbedarf als auch für die reallohnbezogene Obergrenze auf die Entwicklung vom Rentenbeginn bis zum Anpassungsstichtag an.
Orientierungssatz
1. Der Anpassungsbedarf ergibt sich jedenfalls nach § 16 BetrAVG in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung aus der seit Rentenbeginn eingetretenen Teuerung.
2. Für die reallohnbezogene Obergrenze gilt derselbe Prüfungszeitraum wie für den Anpassungsbedarf. Jedenfalls nach § 16 BetrAVG aF kommt es auf die Reallohnentwicklung seit Rentenbeginn an.
3. Eine nachholende Anpassung liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber wegen der wirtschaftlichen Lage seines Unternehmens die Belange der Versorgungsempfänger nicht oder nur teilweise berücksichtigt hat und die dadurch entstehende Lücke bei späteren Anpassungsentscheidungen geschlossen wird.
4. Die Bündelung aller in einem Unternehmen anfallenden Prüfungstermine zu einem einheitlichen jährlichen Termin ist zulässig.
Normenkette
BetrAVG § 16 in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 17. Juli 2000 – 8 Sa 60/00 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte die Betriebsrente des Klägers zum 1. Juli 1998 ausreichend angepaßt hat.
Dem am 29. Mai 1925 geborenen Kläger steht seit dem 1. Juni 1986 nach der Pensionsordnung der Beklagten eine Betriebsrente zu. Bis zum 30. Juni 1989 erhielt er monatlich 1.386,00 DM. Die Beklagte paßte diese Betriebsrente zum 1. Juli 1989 auf 1.441,00 DM, zum 1. Juli 1992 auf 1.595,00 DM, zum 1. Juli 1995 auf 1.672,00 DM und zum 1. Juli 1998 auf 1.742,00 DM an. 1989 und 1992 legte die Beklagte den Anstieg der Lebenshaltungskosten in den jeweils vorausgegangenen drei Jahren zugrunde. 1995 ging sie jedoch von der Veränderung der Nettoentgelte aus. Von 1992 bis 1995 hatten sich die Lebenshaltungskosten eines Vier-Personen-Arbeitnehmer-Haushalts um 9,2 % und die durchschnittlichen Nettoentgelte um 4,8 % erhöht. 1998 stellte die Beklagte wieder auf die Entwicklung der Lebenshaltungskosten ab. Sie waren von 1995 bis 1998 geringer angestiegen als die Nettoverdienste. Vom Rentenbeginn bis zum 1. Juli 1998 lag die Preissteigerung jedenfalls nicht über den Zuwächsen der Nettoverdienste. In diesem Zeitraum hatten sich die maßgeblichen Lebenshaltungskosten um 31,41 % erhöht.
Bei Zugrundelegung des Kaufkraftverlustes seit Rentenbeginn hätte die Beklagte die Betriebsrente zum 1. Juli 1998 auf 1.821,34 DM erhöhen müssen. Das verlangt der Kläger. Er hat gemeint, nach § 16 BetrAVG sei auf den Kaufkraftverlust seit Rentenbeginn abzustellen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
- an den Kläger 1.269,44 DM brutto nebst 4 % Zinsen von je 79,34 DM seit dem 1. August 1998, 1. September 1998, 1. Oktober 1998, 2. November 1998, 1. Dezember 1998, 1. Januar 1999, 1. Februar 1999, 1. März 1999, 1. April 1999, 1. Mai 1999, 1. Juni 1999, 1. Juli 1999, 1. August 1999, 1. September 1999, 1. Oktober 1999 und 1. November 1999 zu zahlen;
- dem Kläger ab dem Monat November 1999 ein monatliches betriebliches Altersruhegeld in Höhe von 1.821,34 DM zu zahlen;
- die von ihr nachzuzahlenden Beträge jeweils ab dem nächsten Monatsersten mit 4 % zu verzinsen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie habe ihre Pflichten aus § 16 BetrAVG erfüllt. Wenn der Arbeitgeber bei einer früheren Anpassungsprüfung die reallohnbezogene Obergrenze beachtet und ansonsten die Betriebsrente entsprechend dem jeweiligen Anstieg der Teuerungsrate angepaßt habe, komme eine nachholende Anpassung nicht in Betracht. Die Differenz zwischen dem Anstieg der Lebenshaltungskosten und der reallohnbezogenen Obergrenze müsse bei späteren Anpassungen nicht nachgeholt werden.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, daß die Beklagte seine Betriebsrente zum 1. Juli 1998 auf 1.821,34 DM anpaßt. Ohne diese Erhöhung sind die Belange des Versorgungsempfängers im Sinne des § 16 BetrAVG aF nicht ausreichend berücksichtigt.
I. Die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers rechtfertigt die Ablehnung einer Betriebsrentenanpassung nur insoweit, als es dem Arbeitgeber voraussichtlich nicht möglich sein wird, die dadurch entstehende Mehrbelastung aus den Wertzuwächsen des Unternehmens und dessen Erträgen in der Zeit nach dem Anpassungsstichtag aufzubringen(ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. ua. 23. Mai 2000 – 3 AZR 146/99 – AP BetrAVG § 16 Nr. 45 = EzA BetrAVG § 16 Nr. 37, zu II 2 a der Gründe mwN). Da die Beklagte einen derartigen Ausnahmetatbestand nicht vorgetragen hat, kommt es ausschließlich auf die Belange des Versorgungsempfängers an.
II. Die Belange der Versorgungsempfänger werden durch den Anpassungsbedarf und die sogenannte reallohnbezogene Obergrenze bestimmt(vgl. ua. BAG 23. Mai 2000 – 3 AZR 83/99 – AP BetrAVG § 16 Nr. 43 = EzA BetrAVG § 16 Nr. 35, zu II 1 der Gründe mwN). Für beide Größen kommt es auf die Entwicklung vom Rentenbeginn bis zum Anpassungsstichtag an(ebenso Blomeyer/Otto BetrAVG 2. Aufl. § 16 Rn. 109; Kasseler Handbuch/Griebeling 2. Aufl. 2.9 Rn. 570; Heubeck/Höhne/Paulsdorff/Rau/Weinert BetrAVG 2. Aufl. § 16 Rn. 267; Höfer BetrAVG Stand Juli 2000 § 16 Rn. 3508.1; Langohr-Plato Rechtshandbuch Betriebliche Altersversorgung Rn. 353; aA Andresen/Förster/Rößler/Rühmann Arbeitsrecht der betrieblichen Altersversorgung Stand August 1999 Teil 11 B Rn. 902 und 1115; Matthießen/Rößler/Rühmann DB 1993 Beilage Nr. 5 S 19). Dagegen hat die Beklagte lediglich auf die Veränderungen in den letzten drei Jahren vor dem Anpassungsstichtag abgestellt.
1. Ausgangspunkt der Anpassungsentscheidung ist der Anpassungsbedarf der Versorgungsempfänger. Er richtet sich nach dem zwischenzeitlich eingetretenen Kaufkraftverlust. Dabei kommt es auf die Veränderung des Preisindexes an, den das Statistische Bundesamt für die Lebenshaltung eines Vier-Personen-Arbeitnehmer-Haushalts mit mittlerem Einkommen ermittelt hat(ständige Rechtsprechung des Senats seit dem 16. Dezember 1976 – 3 AZR 795/75 – BAGE 28, 279, 291). Nach § 16 BetrAVG in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung erforderten die Belange der Versorgungsempfänger keinen vollen Ausgleich der Teuerungsrate, wenn die durchschnittlichen Nettoverdienste innerhalb des Unternehmens oder eines typischen Teils der Belegschaft geringer gestiegen waren(vgl. ua. BAG 23. Mai 2000 – 3 AZR 103/99 – AP BetrAVG § 16 Nr. 44 = EzA BetrAVG § 16 Nr. 36, zu 2 der Gründe mwN). Diese Beschränkung entspricht billigem Ermessen. Die Betriebsrentner können keine über der Nettolohnentwicklung liegende Anpassung der Versorgungsleistungen erwarten. Dies würde zu einer Bevorzugung der Versorgungsempfänger führen. Der Arbeitgeber müßte mit dem Unverständnis und der Unzufriedenheit der aktiven Arbeitnehmer rechnen(BAG 11. August 1981 – 3 AZR 395/80 – BAGE 36, 39, 50; 23. April 1985 – 3 AZR 156/83 – BAGE 48, 272, 278).
2. Jedenfalls bis zum 31. Dezember 1998 kommt es sowohl beim Anpassungsbedarf als auch bei der reallohnbezogenen Obergrenze auf die Veränderungen seit dem Rentenbeginn an. Im vorliegenden Fall spielt es keine Rolle, wie sich die am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Änderungen des § 16 BetrAVG auf die Prüfung des Anpassungsbedarfs und der reallohnbezogenen Obergrenze ausgewirkt haben.
a) § 16 BetrAVG aF legte einen dreijährigen Turnus für die Anpassungsprüfung des Arbeitgebers und damit den Prüfungstermin fest. Dagegen fehlt eine eindeutige Aussage zum maßgeblichen Prüfungszeitraum. Aus dem Zweck des § 16 BetrAVG ergibt sich, daß sich der Anpassungsbedarf nicht nur nach dem in den letzten drei Jahren eingetretenen Kaufkraftverlust richtet. Das Betriebsrentengesetz will eine Auszehrung der Betriebsrenten vermeiden. Die „Belange der Versorgungsberechtigten” bestehen in der Wiederherstellung des ursprünglich vorausgesetzten Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Dementsprechend ist der volle nicht gedeckte Anpassungsbedarf zu ermitteln. Er besteht in der seit Rentenbeginn eingetretenen Teuerung, soweit sie nicht durch vorhergehende Anpassungen ausgeglichen wurde(BAG 28. April 1992 – 3 AZR 142/91 – BAGE 70, 137, 141 ff.; bestätigt ua. durch 17. April 1996 – 3 AZR 56/95 – BAGE 83, 1, 6 f. und 23. Januar 2001 – 3 AZR 287/00 – EzA BetrAVG § 16 Nr. 38). Die Beklagte hat keine neuen Argumente gegen diese Rechtsprechung vorgebracht.
b) Da die reallohnbezogene Obergrenze ebenso wie der Anpassungsbedarf die Belange der Versorgungsempfänger betrifft, gilt für beides derselbe Prüfungszeitraum. Soweit die aktiven Arbeitnehmer keinen vollen Teuerungsausgleich, sondern geringere Vergütungserhöhungen erhalten, müssen sich auch die Betriebsrentner mit einer entsprechenden Rentenerhöhung begnügen. Von einer Bevorzugung der Betriebsrentner kann aber nur dann die Rede sein, wenn die Teuerungsrate seit Rentenbeginn über der Reallohnentwicklung seit Rentenbeginn liegt. Trifft dies zu, so ist es für die künftigen Anpassungsentscheidungen von Bedeutung, ob die aktiven Arbeitnehmer einen Abbau der Reallohneinbußen durch spätere Verdiensterhöhungen erreichten. Dadurch wird dem Wertsicherungszweck der Betriebsrentenanpassung Rechnung getragen. Die Belange der Versorgungsempfänger werden jedenfalls nach § 16 BetrAVG aF unzureichend berücksichtigt, wenn den Betriebsrentnern Kaufkraftverluste verbleiben, die den aktiven Arbeitnehmern nicht mehr entstehen.
c) Bei der vom Kläger verlangten Betriebsrentenerhöhung handelt es sich um keine nachholende Anpassung. Sie liegt vor, wenn der Arbeitgeber wegen der wirtschaftlichen Lage seines Unternehmens die Belange der Versorgungsempfänger nicht oder nur teilweise berücksichtigt hat und die dadurch entstehende Lücke bei späteren Anpassungsentscheidungen geschlossen wird. Hat der Arbeitgeber die Anpassung zutreffend auf die reallohnbezogene Obergrenze beschränkt, so hat er den Belangen der Versorgungsempfänger in vollem Umfang Rechnung getragen. Dies ändert jedoch bei den späteren Anpassungsentscheidungen nichts am maßgeblichen Prüfungszeitraum.
d) Die Beklagte durfte die Anpassung jeweils zum 1. Juli vornehmen. Die Bündelung aller in einem Unternehmen anfallenden Prüfungstermine zu einem einheitlichen jährlichen Termin ist zulässig(BAG 28. April 1992 – 3 AZR 142/91 – BAGE 70, 137, 140 f.; 23. Mai 2000 – 3 AZR 83/99 – aaO, zu II 1 a der Gründe). Dies hat der Kläger bei der Berechnung der Klageforderung berücksichtigt. Die Preissteigerungsrate belief sich vom Rentenbeginn bis zum Anpassungsstichtag 1. Juli 1998 auf 31,41 %. Die Reallohnentwicklung in dieser Zeit lag nicht darunter. Den Belangen des versorgungsberechtigten Klägers ist nur dann in vollem Umfang Rechnung getragen, wenn die ursprünglich zu zahlende Betriebsrente von monatlich 1.386,00 DM zum 1. Juli 1998 um 31,41 % auf monatlich 1.821,34 DM angepaßt wird. Die Beklagte erhöhte die Betriebsrente des Klägers lediglich auf 1.742,00 DM monatlich. Da die Beklagte nicht behauptet hat, die verlangte Rentenanpassung überfordere sie wirtschaftlich, steht dem Kläger der eingeklagte Differenzbetrag von monatlich 79,34 DM zu.
III. Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus § 284 Abs. 2, § 286 Abs. 1 BGB. Der Kläger kann die Verzugszinsen aus dem in Geld geschuldeten Bruttobetrag verlangen(BAG Großer Senat 7. März 2001 – GS 1/00 – AP BGB § 288 Nr. 4 = EzA BGB § 288 Nr. 3).
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Breinlinger, Dr. Offergeld, Lohre
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.08.2001 durch Kaufhold, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BAGE, 349 |
BB 2002, 1271 |
BB 2002, 948 |
DB 2002, 1331 |
NZA 2003, 561 |
SAE 2002, 201 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 10 |
EzA |
PERSONAL 2002, 43 |
AUR 2002, 197 |