Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsdauer bei vorzeitigem Ausscheiden
Leitsatz (amtlich)
§ 36 Nr. 11 BMT-AW II, wonach der Arbeitnehmer Anspruch auf den vollen Erholungsurlaub hat, wenn er wegen Erreichung der Altersgrenze aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, setzt voraus, daß der Arbeitnehmer das 65. Lebensjahr vollendet hat und das Arbeitsverhältnis aus diesem Grund beendet wird; der Bezug einer Altersrente für Frauen nach § 39 SGB VI genügt nicht.
Normenkette
BUrlG § 7; BMT-AW 2 § 36; BMT-AW 2 § 39
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Urteil vom 26.08.1999; Aktenzeichen 6 Ca 669/99) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – auswärtige Kammern Pirmasens – vom 26. August 1999 – 6 Ca 669/99 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Abgeltung von Resturlaub.
Die am 14. Mai 1939 geborene Klägerin war seit November 1988 bei dem Beklagten als Altenpflegerin beschäftigt. Für das Urlaubsjahr 1999 hatte sie bis zu ihrem Ausscheiden 14 Tage in Anspruch genommen. Ihr Jahresurlaubsanspruch belief sich auf 33 Urlaubstage. Das Arbeitsverhältnis endete mit dem 31. Mai 1999. Seit dem 1. Juni 1999 bezieht sie Altersrente für Frauen (§ 39 SGB VI). Auf das Arbeitsverhältnis sind die für den Beklagten geltenden Tarifverträge anzuwenden. In § 36 des Bundes-Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt (BMT-AW II) ist ua. bestimmt:
„(9) Beginnt oder endet das Arbeitsverhältnis im Laufe des Urlaubsjahres, so beträgt der Urlaubsanspruch ein Zwölftel für jeden vollen Beschäftigungsmonat.
…
(11) Scheidet der Arbeitnehmer wegen Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit oder wegen Erreichung der Altersgrenze aus dem Arbeitsverhältnis aus, so hat er Anspruch auf den vollen Erholungsurlaub.”
In § 39 BMT-AW II mit der Überschrift „Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung, gegenseitiges Einvernehmen oder Erreichung der Altersgrenze” heißt es auszugsweise:
„(1) Das Arbeitsverhältnis endet durch
- Kündigung,
- gegenseitiges Einvernehmen (Auflösungsvertrag),
- Erreichung der Altersgrenze.
(2) Innerhalb der Probezeit (§ 3) beträgt die Kündigungsfrist…
Im übrigen …
(3) Das Arbeitsverhältnis endet, ohne daß es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer das fünfundsechzigste Lebensjahr vollendet hat.”
Im Fall der Feststellung der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit des Arbeitnehmers endet das Arbeitsverhältnis unter den in § 39 a BMT-AW II näher bestimmten Voraussetzungen mit Ablauf des Monats, in dem dem Arbeitnehmer der Bescheid des Rentenversicherungsträgers zugestellt wird. In § 46 BMT-AW II Zuwendung ist ua. vorgesehen, daß der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis spätestens mit Ablauf des 30. Novembers wegen des Bezuges der Altersrente nach §§ 35, 39 SGB VI oder in Folge verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß § 39 a BMT-AW II oder wegen des Bezugs der Altersrente nach §§ 36 oder 37 SGB VI eine Zuwendung erhält, wenn er mindestens vom Beginn des Kalenderjahres an ununterbrochen im Dienst der AWO gestanden hat.
Die Klägerin macht geltend, ihr stehe nach § 36 Nr. 11 BMT-AW II der ungekürzte Jahresurlaub zu. Sie sei „wegen Erreichung der Altersgrenze” ausgeschieden.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 1.849,84 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit 16. Juli 1999 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klägerin mit der Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat auf Antrag der Klägerin und mit schriftlich vorliegender Zustimmung des Beklagten die Sprungrevision zugelassen. Die Klägerin verfolgt weiterhin ihren erstinstanzlichen Antrag.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, daß die Klägerin keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Abgeltung von neunzehn Urlaubstagen und damit keinen Zahlungsanspruch hat.
I. 1. Ein Anspruch läßt sich nicht aus § 7 Abs. 4 BUrlG herleiten. Danach ist Urlaub abzugelten, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber nicht mehr erteilt und vom Arbeitnehmer nicht mehr genommen werden kann. Das setzt voraus, daß der zur Zeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehende Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers ganz oder teilweise nicht erfüllt ist. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat zum 31. Mai 1999 geendet. Nach § 5 Abs. 1 lit. c) BUrlG hatte die Klägerin danach Anspruch auf 5/12 des gesetzlichen Jahresurlaubs von 24 Werktagen (§ 3 Abs. 1 BUrlG). Diesen anteiligen gesetzlichen Anspruch hat die Beklagte unstreitig erfüllt.
2. Die Beklagte hat damit, wie zwischen den Parteien ebenfalls nicht im Streit ist, der Klägerin den Urlaub gewährt, der sich nach den tariflichen Bestimmungen für den Fall ergibt, daß das Arbeitsverhältnis im laufenden Urlaubsjahr endet (§ 36 Nr. 9 BMT-AW II). Die erhaltenen vierzehn Urlaubstage entsprechen nach dem Zeitpunkt des Ausscheidens der Klägerin 5/12 des ihr für das Urlaubsjahr anteilig zustehenden Urlaubs von 33 Urlaubstagen.
3. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist ihr voller Urlaubsanspruch nicht nach § 36 Nr. 11 BMT – AW II aufrechterhalten worden. Sie ist nicht wegen Erreichung der Altersgrenze iSd. Tarifvertrags aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden.
a) Nach dem Wortlaut der Tarifvorschrift schuldet der Beklagte ua. dann den vollen Urlaub, wenn das Arbeitsverhältnis wegen Erreichung „der” Altersgrenze endet. Bereits diese Formulierung, nämlich der Gebrauch der Einzahl, spricht dafür, daß Anspruchsvoraussetzung nicht das Erreichen irgendeiner der Altersgrenzen ist, die nach Maßgabe der §§ 35 ff. SGB VI zum Bezug einer Altersrente berechtigen, also etwa das 60. Lebensjahr für Frauen (§ 39 SGB VI) und Schwerbehinderte (§ 37 SGB VI) oder das 63. Lebensjahr für langjährig Versicherte (§ 36 SGB VI). Gemeint ist vielmehr eine Altersgrenze, die für alle Arbeitnehmer in gleicher Weise gilt. Das ist nach § 35 SGB VI das 65. Lebensjahr.
b) Diese Auslegung wird durch den weiteren Inhalt des Tarifvertrags bestätigt. So wird der Begriff „Erreichung der Altersgrenze” in § 39 Abs. 3 BMT – AW II ausdrücklich erläutert. Das ergibt sich aus der Überschrift der Vorschrift, die als einen der Beendigungsgründe die „Erreichung der Altersgrenze” nennt und sodann in Abs. 3 als Termin der Beendigung den Monat bestimmt, in dem der Arbeitnehmer das „fünfundsechzigste Lebensjahr vollendet”. Diese Definition ist entgegen der Auffassung der Klägerin auch für die Auslegung von § 36 Nr. 11 BMT – AW II maßgeblich. Wenn Tarifvertragsparteien einen Tarifbegriff im Tarifvertrag mehrfach verwenden, dann ist regelmäßig davon auszugehen, daß der Begriff jeweils den gleichen Inhalt hat. Für die Auffassung der Klägerin, hier gelte etwas anderes, fehlt es an jedem Anhalt.
c) Gleiches ergibt der systematische Zusammenhang der Tarifvorschriften. So ist die Aufrechterhaltung des vollen Urlaubsanspruchs nach § 36 Nr. 11 BMT-AW II davon abhängig, daß der Arbeitnehmer „wegen” eines der dort genannten Beendigungstatbestände aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Erkennbar bezieht sich die Urlaubsregelung auf die Sachverhalte, die nach § 39 und § 39 a BMT-AW II zur „automatischen” Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen, also ohne Gestaltungserklärungen wie Kündigung oder Willenserklärungen über eine einvernehmliche Auflösung. Zu diesen Beendigungstatbeständen gehören nach dem Tarifvertrag die Erreichung der Altersgrenze von 65 Lebensjahren und unter den im Tarifvertrag näher bestimmten Voraussetzungen die Berufsunfähigkeit und die Erwerbsunfähigkeit des Arbeitnehmers, nicht aber der Bezug der Altersrente für Frauen.
Erkennbar haben die Tarifvertragsparteien dabei den Umstand berücksichtigt, daß Erwerbs- und Berufsunfähigkeit zwar nur auf Antrag des Versicherten festgestellt werden, der damit verbundene Verlust des Arbeitsplatzes gleichwohl nicht auf dem freien Willen des Arbeitnehmers beruht, sondern auf seinen gesundheitlichen Zustand zurückzuführen ist. Ebenso unfreiwillig ist das im Tarifvertrag mit der Vollendung des 65. Lebensjahres bestimmte Ende des Arbeitsverhältnisses. Demgegenüber haben Frauen nach bisherigem Recht Anspruch auf Altersrente bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres. Scheiden sie im Zusammenhang mit der Rentengewährung aus dem Arbeitsverhältnis aus, so nicht aufgrund eines im Tarifvertrag vorgegebenen Tatbestandes.
d) Auch der weitere Tarifinhalt stützt die Auslegung der Klägerin nicht. Das Gegenteil ist der Fall, wie sich aus den Bestimmungen zur Zuwendung nach § 46 BMT-AW II ergibt. Die Tarifvertragsparteien haben diese Leistung ausdrücklich an den Bezug einer der nach dem Sozialrecht möglichen Altersrenten geknüpft. Zum Kreis der Zuwendungsberechtigten gehören dort sowohl alle Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis mit Vollendung des 65. Lebensjahres ohne weiteres endet als auch die Empfängerinnen der Altersrente für Frauen, die diese nach § 39 SGB VI mit Vollendung des 60. Lebensjahres erhalten. Anspruchsberechtigt sind auch Schwerbehinderte (§ 37 SGB VI) und langjährig Versicherte (§ 36 SGB VI), deren Arbeitsverhältnis wegen des Rentenbezugs endet.
Diese Differenzierung bei dem Anspruch auf die Zuwendung schließt die Erwägung der Klägerin aus, die Tarifvertragsparteien hätten in § 36 Nr. 11 BMT-AW II mit dem Begriff „Ausscheidens wegen Erreichung der Altersgrenze” bewußt eine „neutrale” Formulierung gewählt, weil auch Empfängerinnen der Altersrente für Frauen den vollen Urlaubsanspruch behalten sollten.
4. Ein Anspruch der Klägerin auf Aufstockung der im Tarifvertrag nicht vorgesehenen Leistung läßt sich entgegen ihrer Auffassung auch nicht aus einem Verstoß gegen höherrangiges Recht herleiten. Die Regelung in § 36 Nr. 11 BMT-AW II diskriminiert Frauen weder unmittelbar noch mittelbar. Das gilt auch dann, wenn die Behauptung der Klägerin als wahr unterstellt wird, Arbeitnehmerinnen seien bisher wegen der gesetzlich ermöglichten Inanspruchnahme der Altersrente für Frauen (§ 39 SGB VI; jetzt § 237 a SGB VI idF des Rentenreformgesetzes vom 16. Dezember 1997 und Art. 1 § 1 des Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998) regelmäßig vor der Erreichung der allgemeinen Altersgrenze von 65 Jahren aus dem Erwerbsleben ausgeschieden.
a) Eine unmittelbare Diskriminierung entfällt schon wegen der Formulierung der Tarifvorschrift, die Männer und Frauen in gleicher Weise betrifft.
b) Auch eine mittelbare Diskriminierung von Frauen ist nicht ersichtlich. Eine solche Diskriminierung wegen des Geschlechts wird angenommen, wenn in einer neutral gefaßten Vorschrift die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Leistung des Arbeitgebers derart gestaltet sind, daß sie tatsächlich überwiegend nur von einem Geschlecht erfüllt werden können (vgl. ErfK/Schlachter § 611 a BGB Rn.13 mwN). Daran fehlt es.
aa) Frauen und Männer haben nach § 36 Nr. 11 BMT – AW II in gleicher Weise Anspruch auf den vollen Jahresurlaub, nämlich jeweils dann, wenn sie wegen Erreichung der Altersgrenze von 65 aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. An dieser Gleichbehandlung ändert der Umstand nichts, daß die Vorschriften des Sozialrechts Frauen bisher ermöglicht haben, bereits mit dem 60. Lebensjahr Altersrente in Anspruch zu nehmen und aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Es ist Frauen unbenommen, dieses Recht wahrzunehmen und das Arbeitsverhältnis aufgrund eigener Entscheidung zu beenden. Ebenso steht ihnen frei, diese sozialrechtliche Möglichkeit nicht zu nutzen. Wenn Arbeitnehmerinnen im Fall der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem 60. Lebensjahr nur den anteiligen Urlaub beanspruchen können, beruht diese Rechtsfolge auf ihrer eigenen Entscheidung. Weibliche Arbeitnehmer werden insoweit nicht anders behandelt als männliche Arbeitnehmer. Deren Rechtsstellung unterscheidet sich nur sozialrechtlich, weil sie keine Möglichkeit haben, vorzeitig mit 60 Jahren Altersrente zu beziehen.
bb) Die von der Klägerin angezogene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (28. Januar 1987 – 1 BvR 455/82 – BVerfGE 74, 163) rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Das Bundesverfassungsgericht hat die dem § 39 SGB VI entsprechende gesetzliche Rentenregelung des § 25 AVG zum Bezug der vorzeitigen Altersrente von Frauen nicht, wie die Klägerin meint, als verfassungsrechtlich geboten beurteilt. Vielmehr hat es auf die von einem Mann erhobene Verfassungsbeschwerde hin ausgeführt, wegen der herkömmlichen Mehrfachbelastung von Frauen durch Beruf und Familienarbeit sei (noch) mit Art. 3 Abs. 2 GG vereinbar, wenn Frauen Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung bereits mit Vollendung des sechzigsten Lebensjahres beziehen könnten, Männern diese Möglichkeit aber verschlossen sei. Das Benachteiligungsverbot sei nicht verletzt, wenn der Staat begünstigende Regelungen schaffe, um noch faktisch bestehende geschlechtsbedingte Benachteiligungen von Frauen auszugleichen. Gegenstand der Entscheidung war mithin nicht eine verfassungsrechtlich gebotene Angleichung des Rechtsstandes von Frauen an den Rechtsstand von Männern, sondern umgekehrt die Angleichung des Rechtsstandes von Männern an den von Frauen.
II. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Leinemann, Düwell, Reinecke, Hintloglou, Weßelkock
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.11.2000 durch Gaßmann, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 558097 |
BB 2001, 683 |
DB 2001, 1153 |
NWB 2001, 1113 |
ARST 2001, 115 |
FA 2001, 93 |
NZA 2001, 619 |
ZTR 2001, 320 |
AP, 0 |