Entscheidungsstichwort (Thema)
Tätigkeitszulage für Orchestermusiker
Leitsatz (redaktionell)
Bestätigung der Rechtsprechung des Zehnten Senats vom 1. September 1993 (– 10 AZR 326/92 –, n. v.)
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Musiker; BGB § 242
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 15.02.1994; Aktenzeichen 3 Sa 1953/93) |
ArbG Wuppertal (Urteil vom 04.08.1993; Aktenzeichen 3 Ca 2822/93) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 15. Februar 1994 – 3 Sa 1953/93 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer tariflichen Tätigkeitszulage.
Der Kläger ist seit dem 1. Februar 1988 als Musiker im Städtischen Sinfonieorchester der Beklagten beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 8. Januar 1988 haben die Parteien folgendes vereinbart:
„§ 3
Herr D. ist zum Spielen des Instrumentes Fagott verpflichtet. Ihm wird nach Maßgabe des § 26 TVK die Tätigkeit eines stellv. 1. (Solo-)Fagottisten übertragen.
§ 4
Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 1. Juli 1971 in der jeweils geltenden Fassung und den ihn ergänzenden, ändernden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträgen.”
§ 6 TVK bestimmt zur Arbeitspflicht:
- „Der Musiker ist zum Spielen des (der) im Arbeitsvertrage genannten Instrumentes (Instrumente) in der ihm übertragenen Tätigkeit verpflichtet.
Der Musiker ist im Rahmen seines Leistungsvermögens ferner verpflichtet,
- vorübergehend oder vertretungsweise auch eine andere als die ihm nach Abs. 1 obliegende Tätigkeit mit dem (den) im Arbeitsvertrage genannten Instrument (Instrumenten) auszuüben,
- zu solistischen Leistungen in der Darbietung besonderer, für sein Instrument (seine Instrumente), geschriebener Musikstücke,
…”
§ 26 TVK regelt hinsichtlich der Tätigkeitszulagen:
- „Der Arbeitgeber kann dem Musiker mit seiner Zustimmung bei der Einstellung oder während der Dauer des Arbeitsverhältnisses bestimmte Tätigkeiten und das Spielen von Nebeninstrumenten übertragen. Die Übertragung bedarf der Schriftform. Der Arbeitgeber kann die Übertragung jederzeit widerrufen, ohne daß es einer Kündigung bedarf. Der Widerruf bedarf der Schriftform. Er ist unwirksam, wenn er aus Gründen erfolgt, die nicht in der Leistungsfähigkeit oder der sonstigen Eignung des Musikers liegen.
- Der Musiker erhält während der Zeit, in der ihm eine der in Abs. 3 genannten Tätigkeiten oder das Spielen eines Nebeninstrumentes übertragen ist, eine Tätigkeitszulage. Die Höhe der Zulage richtet sich nach den Stufen der Absätze 3 und 4 und nach der Vergütungsgruppe des Orchesters, dem der Musiker angehört.
Es werden zugeteilt:
der Stufe 1
die Tätigkeit als …
1. (Solo-)Fagottist,…
der Stufe 2
die Tätigkeit als …
Stellvertretender 1. (Solo-)Fagottist,…”
In der Spielzeit 1989/90 wurde der Kläger von insgesamt 228 Diensten 202, in der Spielzeit 1990/91 von 238 Diensten 217, in der Spielzeit 1991/92 von 239 Diensten 196 und in der Spielzeit 1992/93 von 137 Diensten 132 Dienste als 1. (Solo-)Fagottist eingesetzt.
Der als 1. (Solo-)Fagottist beschäftigte Musiker L. leistete sein tarifvertragliches Pensum als 1. (Solo-)Fagottist. Die Beklagte zahlte dem Kläger eine Tätigkeitszulage der Stufe 2 des § 26 Abs. 3 TVK (Tätigkeit als stellv. 1. (Solo-)Fagottist).
Der Kläger verlangt eine Tätigkeitszulage nach Stufe 1 des § 26 Abs. 3 TVK ab dem 15. August 1992. Da er seit Beginn des Arbeitsverhältnisses von der Beklagten überwiegend mit der Aufgabe des 1. (Solo-)Fagottisten betraut worden sei, handele diese rechtsmißbräuchlich, wenn sie ihm nicht die Tätigkeitszulage für einen 1. (Solo-)Fagottisten gewähre und diese unter Berufung auf ihr Direktionsrecht und den Wortlaut des Arbeitsvertrages verweigere.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihn seit dem 15. August 1992 nach dem Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern (TVK) als 1. (Solo-)Fagottisten zu vergüten.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Meinung, die Vergütung des Klägers erfolge tarifgerecht. Insbesondere verhalte sie sich nicht rechtsmißbräuchlich.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Tätigkeitszulage nach der Stufe 1 des § 26 Abs. 3 TVK.
I. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, der geltend gemachte Anspruch scheitere daran, daß dem Kläger nicht die Tätigkeit eines 1. (Solo-)Fagottisten übertragen worden sei. Eine solche Übertragung im Sinne des § 26 TVK, die der Schriftform bedürfe, liege nicht vor. Der tatsächliche Umfang, mit dem der Kläger als stellv. 1. (Solo-)Fagottist mit Solodiensten betraut werde, könne die formale Übertragung der Tätigkeit eines 1. (Solo-)Fagottisten nicht ersetzen.
Auch liege kein Ausnahmefall vor, nach dem die Beklagte die Zahlung einer Tätigkeitszulage nach der Stufe 1 des § 26 Abs. 3 TVK schulde, obwohl eine formale Übertragung einer Tätigkeit nach dieser Stufe nicht erfolgt sei. Ihre Berufung auf den fehlenden Übertragungsakt sei nicht rechtsmißbräuchlich. Dies wäre nur dann der Fall, wenn Arbeitsvertragsinhalt und Vertragsvollzug nicht mehr übereinstimmten. Im Streitfalle könne das aber nicht angenommen werden.
II. Dem Landesarbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch weitgehend in der Begründung zu folgen.
1. Die tariflichen Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf eine Tätigkeitszulage der Stufe 1 des § 26 Abs. 3 TVK (1. (Solo-)Fagottist) liegen nicht vor.
Gemäß § 26 Abs. 2 TVK erhält nur derjenige Musiker eine Tätigkeitszulage nach § 26 Abs. 3 TVK, dem eine der in diesem Absatz genannten Tätigkeiten übertragen worden ist. An einer solchen Übertragung fehlt es vorliegend.
Im Arbeitsvertrag ist dem Kläger nicht die Tätigkeit eines 1. (Solo-)Fagottisten übertragen worden. Eine solche Übertragung, die wegen § 26 Abs. 1 Satz 2 TVK der Schriftform bedurft hätte, ist auch zu keinem späteren Zeitpunkt erfolgt.
Nach der in § 26 TVK getroffenen Regelung ist die förmliche Übertragung Voraussetzung für den Anspruch eines Musikers auf eine Tätigkeitszulage nach § 26 Abs. 2, Abs. 3 TVK. Bei den Tätigkeiten eines 1. (Solo-)Fagottisten und eines stellv. 1. (Solo-)Fagottisten handelt es sich um jeweils selbständige und anderweitige Tätigkeiten. Dies ergibt sich bereits aus der entsprechenden Differenzierung des § 26 Abs. 3 TVK.
Die Eingruppierung und Vergütung der Orchestermusiker nach dem TVK richtet sich – anders als im allgemeinen öffentlichen Dienst – weder nach Arbeitsvorgängen noch nach der überwiegend auszuübenden Tätigkeit (BAG Urteil vom 18. April 1984 – 4 AZR 121/82 – AP Nr. 7 zu § 611 BGB Musiker; BAG Urteil vom 18. April 1984 – 4 AZR 267/82 –, nicht veröffentlicht; BAG Urteil vom 1. September 1993 – 10 AZR 326/92 –, nicht veröffentlicht), sondern allein danach, welches Instrument der Arbeitnehmer nach der arbeitsvertraglichen Vereinbarung zu spielen hat.
Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht angenommen, daß das Fehlen einer formalen Übertragung einer Tätigkeit nach § 26 Abs. 1 TVK nicht durch die tatsächliche Ausgestaltung und den Umfang der Dienste eines Musikers ersetzt werden kann. Zwar war der Kläger weitgehend als 1. (Solo-)Fagottist tätig, jedoch begründet dies keinen Anspruch auf eine Tätigkeitszulage nach Stufe 1 des § 26 Abs. 3 TVK, weil ein solcher nicht von Umfang und Anzahl der Solo-Fagottisten-Dienste, sondern von der förmlichen Übertragung einer Tätigkeit der Stufe 1 des § 26 Abs. 3 TVK abhängt.
2. Die Berufung der Beklagten auf das Nichtvorliegen dieser förmlichen Übertragung ist nicht rechtsmißbräuchlich.
Eine rechtsmißbräuchliche Berufung auf den fehlenden Übertragungsakt nach § 26 Abs. 1 TVK läge dann vor, wenn der Arbeitsvertragsinhalt und der Vertragsvollzug nicht mehr übereinstimmten. Dann verstieße das Verhalten der Beklagten gegen Treu und Glauben, § 242 BGB, weil sie in einem solchen Falle eigentlich zur Übertragung der höherwertigen Tätigkeit verpflichtet wäre (BAG Urteil vom 1. September 1993, a.a.O.).
Auch der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seinem Urteil vom 4. Dezember 1974 (– 4 AZR 120/74 – AP Nr. 5 zu § 611 BGB Musiker) entschieden, daß dann, wenn der Vertragsvollzug nicht mehr mit dem Arbeitsvertragsinhalt übereinstimmt, für die Zulagengewährung nach § 26 TVK nicht mehr auf den überholten Inhalt des Arbeitsvertrages abzustellen ist, sondern auf die geänderte Praxis.
Das Landesarbeitsgericht hat im Streitfalle zutreffend angenommen, daß es zu einem solchen Auseinander fallen von Vertragsinhalt und Vertragsvollzug nicht gekommen ist.
Die Tätigkeit des Klägers ist nach wie vor als die eines stellv. 1. (Solo-)Fagottisten – so wie im Arbeitsvertrag vereinbart – zu betrachten.
Der Begriff des „Stellvertreters” ist im TVK nicht definiert. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist Stellvertreter derjenige, der einen anderen vertritt (Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch Band VI, S. 49). Im Arbeitsleben bedeutet dies, daß er beim Vorliegen bestimmter Umstände anstelle des eigentlichen Stellen- oder Amtsinhabers tätig werden muß. Er hat für diesen einzuspringen. Die häufigsten Fälle sind Urlaub, Erkrankung oder Abordnung des Stellen- bzw. Amtsinhabers.
Grundsätzlich liegt es im Direktionsrecht des Arbeitgebers festzulegen, wann ein solcher Vertretungsfall vorliegt und in welchem zeitlichen Umfang die Vertretungstätigkeit auszuüben ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie im Streitfall – diesbezüglich keine konkreten arbeitsvertraglichen oder tariflichen Regelungen bzw. keine einheitlichen Auffassungen der beteiligten Berufskreise bestehen.
Zwar hat der Kläger vorgetragen, die Beklagte hätte – wie dies ansonsten üblich sei – wegen der Vielzahl von Soloeinsätzen einen weiteren 1. (Solo-)Fagottisten einstellen müssen. Dieser Sachvortrag ist aber zu allgemein und zu unbestimmt, um daraus den Schluß ziehen zu können, es entspreche einer einheitlichen Auffassung der beteiligten Berufskreise, in Fällen wie dem zu entscheidenden zwei gleichberechtigte 1. (Solo-)Fagottisten für ein Orchester einzustellen.
Allerdings durfte die Beklagte ihr Direktionsrecht nur unter Berücksichtigung der fachlichen Üblichkeiten und nicht rechtsmißbräuchlich ausüben. Bei einer Überschreitung des Direktionsrechts und dem Befolgen der erteilten Weisungen durch den Kläger käme es zum Auseinanderfallen von ursprünglichem Vertragsinhalt und Vertragsvollzug mit der Folge, daß der Beklagte verpflichtet wäre, dem Kläger die höherwertige Tätigkeit formal nach § 26 Abs. 1 TVK zu übertragen.
Dem Direktionsrecht der Beklagten sind keine engen Grenzen gesetzt. Der Kläger erhält infolge seiner Einstellung als stellv. 1. (Solo-)Fagottist eine erhöhte Zulage nach Stufe 2 des § 26 Abs. 3 TVK. Durch diese werden – ohne daß es auf den tatsächlichen Umfang seiner Vertretungsauftritte ankommt – die durch diese Vertretertätigkeit anfallenden zusätzlichen Belastungen pauschal abgegolten (BAG Urteil vom 1. September 1993, a.a.O.).
Zwar sind die Anforderungen für einen Musiker bei einem Soloauftritt in der Regel höher als beim Spiel im Orchester, da die verstärkte Konzentration des Publikums auf seine Darbietung für ihn eine besondere Anspannung bedeutet und auch eine sehr intensive Vorbereitung erfordert. Die tarifliche Zulage der Stufe 2 des § 26 Abs. 3 TVK für stellv. 1. Solisten wird aber nicht lediglich für die formale Innehabung der entsprechenden Stelle gezahlt, sondern zugleich auch für die dieser Funktion entsprechende praktische Tätigkeit als Instrumentalsolist (BAG Urteil vom 18. April 1984 – 4 AZR 121/82 –, a.a.O.). Von daher kann die Beklagte den Kläger auch zu häufigen Soloauftritten heranziehen, weil die ihm gewährte Tätigkeitszulage auch die mit diesen Auftritten verbundenen zusätzlichen Erschwernisse mit abgilt.
Daher liegt eine Überschreitung des der Beklagten eingeräumten Direktionsrechts nicht vor. Eine solche wäre zum Beispiel gegeben, wenn der als 1. (Solo-)Fagottist eingestellte Musiker L. auf Dauer ausfallen würde bzw. wenn ein 1. (Solo-)Fagottist überhaupt nicht eingestellt wäre oder wenn die Beklagte ihren Orchesterbetrieb so organisiert hätte, daß grundsätzlich der Kläger als 1. (Solo-)Fagottist Dienst zu tun hätte und nur im Falle seiner Verhinderung der als 1. (Solo-)Fagottist eingestellte Musiker L. auftreten müßte. Solche Ausnahmefälle sind hier aber nicht gegeben.
Auch der Umstand, daß der 1. (Solo-)Fagottist L. die Zahl der 1. Solo-Fagottisten-Dienste nicht hat allein abdecken können, so daß zwangsläufig auch der nur als Stellvertreter eingestellte Kläger Solo-Fagottisten-Dienste hat übernehmen müssen, führt nicht dazu, daß seine Tätigkeit nicht mehr als die eines stellv. 1. (Solo-)Fagottisten im Sinne der arbeitsvertraglichen Vereinbarung zu werten ist.
Die Beklagte ist auf Grund der ihr eingeräumten Entscheidungsbefugnis berechtigt, ihren Orchesterbetrieb nach ihren Vorstellungen zu organisieren, solange sie nicht offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich handelt. Es ist nicht zu beanstanden, wenn sie den Arbeitsplatz des 1. (Solo-)Fagottisten nur mit einem Musiker besetzt hat, auch wenn von vornherein feststand, daß dieser alleine auf Grund der arbeits- bzw. tarifvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung die anfallenden Dienste nicht in vollem Umfang erledigen konnte (vgl. BAG Urteil vom 1. September 1993 – 10 AZR 326/92 –, n. v.). Die Beklagte durfte die restlichen Auftritte durch den Kläger als den stellv. 1. (Solo-)Fagottisten absolvieren lassen. Sie bewegte sich damit noch im Rahmen der ihr eingeräumten Organisationsbefugnis. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil der Kläger auf Grund der tatsächlichen Ausgestaltung seiner Einsätze im streitigen Zeitraum nicht in größerem Umfange als der 1. (Solo-)Fagottist L. Soloauftritte absolvieren mußte.
Demnach war die Revision des Klägers zurückzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Bck, Lindemann, Walther
Fundstellen