Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsstillegung durch Konkursverwalter
Normenkette
BGB § 613a; KSchG § 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 25. Oktober 1995 – 5 (3) Sa 1083/95 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision einschließlich der Kosten der Streithelferin des Beklagten zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung des Beklagten mit Ablauf des 30. Juni 1995 aufgelöst worden ist.
Die Klägerin arbeitete seit mehreren Jahren im O Modefachgeschäft der G. GmbH & Co. KG, einem Filialunternehmen des Bekleidungseinzelhandels mit insgesamt etwa 2.000 Beschäftigten. In der O. Filiale waren etwa 135 Mitarbeiter beschäftigt. Das Geschäftsgebäude der O. Filiale stand im Eigentum der H. GmbH & Co. KG, die es an die Vermietungsgesellschaft W. GmbH & Co. KG vermietet hatte, die es ihrerseits an die G. GmbH & Co. KG untervermietet hatte.
Am 10. Oktober 1994 wurde nach Durchführung eines vorläufigen Vergleichsverfahrens das Anschlußkonkursverfahren über das Vermögen der G. GmbH & Co. KG eröffnet. Der zum Konkursverwalter bestellte Beklagte kündigte mit Schreiben vom 10. Oktober 1994 allen Arbeitnehmern der Gemeinschuldnerin.
Die Verkaufstätigkeit in der O. Filiale endete mit einem Ende November 1994 durchgeführten Sonderverkauf. Die unverkauften Kleidungsstücke wurden an den Sitz der Gemeinschuldnerin nach M. gebracht. Das Geschäftsgebäude in O. wurde Ende November 1994 geschlossen und der Vermieterin, die das Untermietverhältnis fristlos gekündigt hatte, zurückgegeben. Die noch vorhandene Ladeneinrichtung war zum Teil von der W. GmbH & Co. KG an die W. e.G. in M. sicherungsübereignet. Das übrige Inventar gehörte verschiedenen Leasingfirmen. Am 19. und 20. Dezember 1994 veranstaltete die V. GmbH eine als Konkursverwertung von Ladeneinrichtung aus dem Konkurs der G. KG (Filialen H. und O.) bezeichnete Verkaufsaktion. Zur selben Zeit wurden die Bodenbeläge und Deckenverkleidungen aus dem Gebäude entfernt.
Am 14. Dezember 1994 vermietete die Grundstückseigentümerin nach vorheriger Auflösung des mit der W. GmbH & Co. KG geschlossenen Mietvertrages das leere Gebäude ab 1. Januar 1995 an die Streithelferin des Beklagten, die P. & C. KG, die darin nach einer Umbauphase am 1. September 1995 ein Bekleidungshaus eröffnete. Diese übernahm keinen der arbeitslos gewordenen früheren Beschäftigten der O. Filiale der Gemeinschuldnerin.
Mit der am 26. Oktober 1994 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin geltend gemacht, daß die Kündigung sozial ungerechtfertigt und wegen eines Betriebsübergangs ausgesprochen worden sei. Bereits im September 1994 habe die Grundstückseigentümerin unter Beteiligung des Beklagten mit der Streithelferin des Beklagten über eine Betriebsübernahme verhandelt, deren Zustandekommen bereits am 9. November 1994 festgestanden habe. Der Beklagte habe deshalb niemals ernsthaft die Stillegung des O. Betriebes in Erwägung gezogen. Durch den Rückfall der Mietsache und die erneute Vermietung sei es zu einem Betriebsübergang gekommen. Dieser Betriebsübergang habe im Zeitpunkt der Kündigung des Arbeitsverhältnisses bereits greifbare Formen angenommen gehabt. Dies sei auch im Kündigungsschreiben angesprochen worden. Bereits im November 1994 habe die Streithelferin des Beklagten durch einen Architekten das Haus in Augenschein nehmen lassen. Die Eröffnung am 1. September 1995 habe nach Presseberichten bereits am 17. Dezember 1994 festgestanden.
Die Streithelferin nutze vor allem die an hervorragender Stelle in der O. Innenstadt gelegenen Geschäftsräume. Sie betreibe wie die Gemeinschuldnerin die Einzelhandelsfilialen als Modefachgeschäfte. Sie führe im wesentlichen das gleiche Warensortiment, das sie weitgehend von den gleichen Lieferanten beziehe. Deshalb sei der Käuferkreis identisch.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 10. Oktober 1994 nicht aufgelöst worden ist.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat behauptet, für ihn habe bei Ausspruch der Kündigung am 10. Oktober 1994 festgestanden, daß er den Betrieb in O. nicht werde fortführen können. Zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs sei eine Betriebsstillegung unumgänglich gewesen. Allein aus diesem Grund habe er die Kündigung erklärt. Entsprechend seiner Absicht sei der O. Betrieb tatsächlich stillgelegt worden. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung habe es keine Interessenten mehr gegeben, an die er den Betrieb hätte veräußern können. Er habe keine Verhandlungen mit der Streithelferin wegen der Übernahme des O. Betriebes geführt und sei an solchen auch nicht beteiligt worden.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten erst zum 30. Juni 1995 aufgelöst worden ist, im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin hat nicht über den 30. Juni 1995 hinaus bestanden, denn es ist durch die vom Beklagten am 10. Oktober 1994 ausgesprochene Kündigung aufgelöst worden.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Die Kündigung des Beklagten habe das Arbeitsverhältnis der Klägerin zur Gemeinschuldnerin aufgelöst. Die Kündigung sei nicht sozial ungerechtfertigt, denn sie sei durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Der Beklagte habe das Bekleidungshaus am 25. November 1994 geschlossen. Damit habe er den Betrieb in O. stillgelegt. Im Zeitpunkt der Kündigung habe er den Betrieb nur noch für kurze Zeit weiterführen können, weil eine Veräußerungsmöglichkeit für ihn nicht bestanden habe. Seinen Stillegungswillen habe er durch die Entlassung aller Mitarbeiter dokumentiert. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme gebe es keinen Hinweis darauf, daß der Beklagte bei Ausspruch der Kündigung mit einer Anmietung des Geschäftshauses durch die Streithelferin gerechnet habe. Die vernommenen Zeugen hätten keine entsprechende Kenntnis des Beklagten bestätigen können. Jedenfalls sei die Kündigung nicht ausgesprochen worden, weil der Beklagte einen Betriebsübergang an die Streithelferin angestrebt habe. Die Voraussetzungen des § 613 a Abs. 4 BGB lägen nicht vor, denn der Beklagte habe nicht nur den in O. beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern allen Beschäftigten der Gemeinschuldnerin in allen Filialbetrieben gekündigt.
B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind jedenfalls im Ergebnis zutreffend.
I. Das Landesarbeitsgericht geht zu Recht davon aus, daß die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und daher nicht sozial ungerechtfertigt i.S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 des anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes ist.
1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung vgl. nur BAG Urteil vom 10. Oktober 1996 – 2 AZR 477/95 – AP Nr. 81 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).
2. Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil stand.
a) Die Stillegung des gesamten Betriebes durch den Arbeitgeber zählt gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung abgeben können. Unter Betriebsstillegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, daß der Arbeitgeber die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, den bisherigen Betriebs zweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiterzuverfolgen. Der Arbeitgeber muß endgültig entschlossen sein, den Betrieb stillzulegen. Der Arbeitgeber ist nicht gehalten, eine Kündigung erst nach Durchführung der Stillegung auszusprechen. Vielmehr kann eine Kündigung wegen beabsichtigter Stillegung wirksam erklärt werden, wenn die betrieblichen Umstände greifbare Formen angenommen haben (ständige Rechtsprechung vgl. nur BAG Urteil vom 10. Oktober 1996, a.a.O.).
Des weiteren entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG Urteil vom 26. Februar 1987 – 2 AZR 768/85 – AP Nr. 59 zu § 613 a BGB; Urteil vom 21. Januar 1988 – 2 AZR 480/87 – AP Nr. 72 zu § 613 a BGB; Urteil vom 27. April 1995 – 8 AZR 197/94 – AP Nr. 128 zu § 613 a BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen), daß ein Betrieb auch vom Pächter stillgelegt werden kann, obgleich er in der Regel nicht legitimiert ist, das Betriebsgrundstück und die Betriebsmittel zu veräußern, also den Betrieb so zu zerschlagen, wie es der Eigentümer könnte. Nach dieser Rechtsprechung ist von einer Stillegung durch den Pächter auszugehen, wenn der Pächter seine Stillegungsabsicht unmißverständlich äußert, allen Arbeitnehmern kündigt, den Pachtvertrag zum nächstmöglichen Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die er verfügen kann, veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt.
b) Werden diese Maßstäbe angelegt, hat der Beklagte den O. Betrieb der Gemeinschuldnerin stillgelegt. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Verstoß gegen § 286 ZPO auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme für den Senat gem. § 561 Abs. 2 ZPO bindend festgestellt, im Kündigungszeitpunkt habe der Beklagte seine Bemühungen, den O. Betrieb zu veräußern, als gescheitert ansehen dürfen und angesehen, er sei deshalb zur Stillegung ernsthaft und endgültig entschlossen gewesen, und dieser Entschluß habe mit der Anweisung zum Verkauf der vorhandenen Ware, der Kündigung aller Arbeitsverhältnisse und der Rückführung der verbliebenen Restware zum Sitz der Gemeinschuldnerin bereits greifbare Formen angenommen gehabt, so daß der Beklagte davon habe ausgehen dürfen, bis zum Auslaufen der Kündigungsfrist werde die Arbeitsleistung der Klägerin entbehrt werden können. Damit hat der Beklagte nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts seine Stillegungsabsicht unmißverständlich geäußert, allen Arbeitnehmern gekündigt, das Mietverhältnis aufgrund der vom Vermieter erklärten Kündigung abgewickelt, die im Eigentum der Gemeinschuldnerin stehenden Betriebsmittel der O. Filiale soweit möglich verkauft und ansonsten zum Sitz der Gemeinschuldnerin zurückgeführt und die Betriebstätigkeit der O. Filiale Ende November vollständig eingestellt.
Die so begründete Annahme der Betriebsstillegung wird noch rechtlich dadurch bekräftigt, daß die Gemeinschuldnerin nicht Pächterin, sondern Mieterin der Geschäftsräume war. Als Mieterin des Gebäudes hatte die Gemeinschuldnerin ihrerseits die Verbindung dieses Betriebsmittels mit weiteren materiellen und immateriellen Betriebsmitteln sowie der Belegschaft zu einem funktionsfähigen Betrieb hergestellt, während bei einem Pachtverhältnis der Verpächter die materiellen und immateriellen Betriebsmittel zum Betrieb zusammenfaßt und dem Pächter zur Nutzung überläßt (vgl. hierzu bereits Urteil des Senats vom 27. April 1995, a.a.O., unter B II 2 a der Gründe). Hiervon ausgehend wird es dem Mieter von Geschäftsgebäuden oder anderen Betriebsmitteln rechtlich sehr viel einfacher möglich sein, den von ihm gebildeten Betrieb stillzulegen, als es dem Pächter eines Betriebes möglich wäre.
c) Soweit die Revision vom Gegenteil ausgeht und geltend macht, der Beklagte habe eine Scheinstillegung durchgeführt, nimmt sie lediglich eine abweichende Beweiswürdigung vor, ohne daß sie jedoch revisionsrechtlich beachtlich Fehler in der Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts rügen würde.
Die vorgebrachte Verfahrensrüge, das Landesarbeitsgericht habe den Beweisantritt „Zeugenvernehmung E.” übergangen, ist unzulässig. Wird mit der Verfahrens rüge geltend gemacht, das Berufungsgericht habe einen Beweisantritt übergangen, ist diese Rüge nur zulässig, wenn die Revisionsbegründung das Beweisthema wiedergibt, die Angabe der Schriftsatz- oder Protokollstelle enthält, mit der der Beweis in der Berufungsinstanz angetreten worden ist, und darlegt, welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und weshalb das angefochtene Urteil auf dem Verfahrens fehler beruhen kann (einhellige Auffassung, vgl. nur BAG Urteil vom 9. Februar 1968 – 3 AZR 419/66 – AP Nr. 13 zu § 554 ZPO; BFH Urteil vom 11. November 1981 – II R 123/81 – unveröffentlicht; MünchKommZPO/Walchshöfer, § 554 Rz 22; Zöller/Gummer, ZPO, 20. Aufl., § 554 Rz 14; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 554 Rz 9, 12 und 13). Dem genügt die Revisionsbegründung nicht, denn es wird das Beweisthema nicht bezeichnet, zu dem das Landesarbeitsgericht den benannten Zeugen hätte hören müssen.
Im übrigen hat das Landesarbeitsgericht sich mit dem Tatsachenvortrag der Parteien und den Beweisergebnissen eingehend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt. Seine Gründe hat es im Urteil nachvollziehbar dargelegt. Was ihm unerheblich erschien, brauchte das Landesarbeitsgericht nicht ausdrücklich zu erörtern. Seine Würdigung ist von daher vollständig und rechtlich möglich. Die Revision hat demgegenüber nicht aufgezeigt, daß das Landesarbeitsgericht einen bestimmten Tatsachenvortrag übergangen oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hätte.
II. Die Kündigung ist auch nicht gem. § 613 a Abs. 4 Satz 1 BGB unwirksam.
1. Nach § 613 a Abs. 4 Satz 1 BGB ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils unwirksam. Die Vorschrift enthält ein eigenständiges Kündigungsverbot i.S. von § 13 Abs. 3 KSchG, § 134 BGB und stellt nicht nur die Sozialwidrigkeit der Kündigung klar (BAG Urteil vom 31. Januar 1985 – 2 AZR 530/83 – BAGE 48, 40 = AP Nr. 40 zu § 613 a BGB; ständige Rechtsprechung). Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt nach § 613 a Abs. 4 Satz 2 BGB unberührt.
2. Die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs i.S. von § 613 a Abs. 1 BGB liegen nicht vor.
a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (vgl. nur Urteil vom 11. März 1997 – Rs C-13/95 – DB 1997, 628 ff.) ist bei der Prüfung, ob eine wirtschaftliche Einheit übergegangen ist, die Dauer einer evtl. Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit zu berücksichtigen. In Übereinstimmung damit hat das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung angenommen (vgl. nur Urteil vom 27. April 1995 – 8 AZR 197/94 – AP Nr. 128 zu § 613 a BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen), daß eine wirtschaftlich erhebliche Zeitspanne der Betriebsruhe der Annahme eines Betriebsüberganges entgegensteht. Demgegenüber spricht bei alsbaldiger Wiedereröffnung des Betriebs oder bei alsbaldiger Wiederaufnahme der Produktion durch einen Erwerber eine tatsächliche Vermutung gegen die ernsthafte Absicht, den Betrieb stillzulegen.
b) Im Streitfall hat die Voraussetzung einer nur kurzfristigen Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit nicht vorgelegen. Vielmehr hat die Streithelferin des Beklagten ihr O. Modefachgeschäft erst elf Monate nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung und ca. neun Monate nach tatsächlicher Einstellung jeder Verkaufstätigkeit in den Geschäftsräumen der Gemeinschuldnerin eröffnet. Diese Zeitspanne ist jedenfalls bei einem Einzelhandelsfachgeschäft als wirtschaftlich erhebliche Zeitspanne zu bewerten. Der Handel mit modeorientierter Bekleidung ist stark saisonabhängig, so daß die Unterbrechung des Verkaufs in den Geschäftsräumen der ehemaligen O. Filiale der Gemeinschuldnerin den zumindest teilweisen Verlust von zwei umsatzstarken Verkaufsperioden zur Folge hatte. In dieser Zeit konnten die markenbewußten Kunden der Gemeinschuldnerin ihren Warenbedarf nicht an dem früheren Geschäftssitz der Gemeinschuldnerin befriedigen. Jeder dieser Kunden hatte seinen Bedarf anderweitig zu decken. Die Streithelferin des Beklagten hatte somit modebewußte Kunden des O. Raumes durch eigene Leistung neu- oder wiederzugewinnen. Damit fällt die Dauer der Unterbrechung jeder Verkaufstätigkeit als wirtschaftlich erheblich ins Gewicht, zumal sie länger währte als jede gesetzliche Kündigungsfrist von Arbeitsverhältnissen (vgl. § 622 Abs. 2 BGB).
3. Darüber hinaus erfordert ein Betriebsübergang nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. zusammenfassend Urteil vom 11. März 1997, a.a.O.), die von den nationalen Gerichten bei der Anwendung des § 613 a BGB zu berücksichtigen ist, den Übergang einer auf Dauer angelegten wirtschaftlichen Einheit.
a) Der mit dem „Betrieb” im Sinne von § 613 a BGB gleichzusetzende Begriff „Einheit” wird vom EuGH definiert als eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Die Einheit darf nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Ihre Identität ergibt sich u.a. aus ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln.
b) Hiermit hat der EuGH zum wiederholten Male die Bedeutung der Belegschaft für die Annahme einer Einheit im Sinne der Richtlinie betont. Dem hat die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Rechnung zu tragen.
Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner früheren Rechtsprechung (vgl. nur Urteil vom 22. Mai 1985 – 5 AZR 30/84 – BAGE 48, 365 = AP Nr. 42 zu § 613 a BGB) angenommen, der Übergang der Arbeitsverhältnisse sei Rechtsfolge und nicht Tatbestandsvoraussetzung des § 613 a BGB. Für das Vorliegen eines Betriebsübergangs sei es daher nicht rechtserheblich, ob ein Übergang der Arbeitsverhältnisse stattgefunden habe. Mit Urteil vom 9. Februar 1994 (– 2 AZR 781/93 – BAGE 75, 367 = AP Nr. 104 zu § 613 a BGB) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, daß jedenfalls bei Übernahme der Know-how-Träger ein durch diese repräsentiertes immaterielles Betriebsmittel übergegangen sein könne. Der nunmehr für Rechtsfragen des Übergangs eines Arbeitsverhältnisses nach § 613 a BGB einschließlich der Wirksamkeit damit im Zusammenhang stehender Kündigungen allein zuständige Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hält an dieser restriktiven Berücksichtigung des Übergangs von Arbeitsverhältnissen nicht fest und schließt sich der vom EuGH vertretenen Interpretation an. Es ist deshalb davon auszugehen, daß der Übernahme des Personals ein gleichwertiger Rang neben den anderen möglichen Kriterien eines Betriebsübergangs zukommt. Insbesondere in Branchen, in denen es im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch ihre gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine wirtschaftliche Einheit darstellen (vgl. Nr. 21 der Entscheidungsgründe des Urteils des EuGH vom 11. März 1997, a.a.O.).
c) Diesem Aspekt kommt auch bei einem Modefachgeschäft Bedeutung zu. Ein Modefachgeschäft zeichnet sich dadurch aus, daß die Kunden persönlich umfassend beraten und nicht auf eine Art von Selbstbedienung verwiesen werden. Damit erfordert der Betrieb eines Modefachgeschäftes neben den Geschäftsräumen, der Ladeneinrichtung und dem Warensortiment den Einsatz menschlicher Arbeitskraft in keinesfalls nachrangigem Umfange. Der Faktor Mensch besitzt für die äußere Darstellung des Betriebs und seinen Erfolg beim Kunden erhebliches Gewicht.
d) Auf die Übernahme dieses für den Betrieb eines Modefachgeschäfts maßgeblichen Merkmals hat die Streithelferin des Beklagten gänzlich verzichtet. Sie hat keinen der arbeitslos gewordenen früheren Beschäftigten der O. Filiale der Gemeinschuldnerin eingestellt. Demzufolge hat sie auch keine Führungskräfte oder andere Know-how-Träger der Gemeinschuldnerin übernommen.
e) Da die Streithelferin lediglich das „nackte”, selbst von Bodenbelägen und Deckenverkleidungen befreite Geschäftshaus angemietet und nach eigenen, firmentypischen Merkmalen umgebaut hat, kann allein die Übernahme dieses materiellen Betriebsmittels sowie des damit verbundenen immateriellen Vorteils der für ein Einzelhandelsunternehmen günstigen Geschäftslage in O keine Gesamtbewertung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH rechtfertigen, die Streithelferin habe den Betrieb der Gemeinschuldnerin übernommen. Jedenfalls ist nicht dargelegt worden, daß die Streithelferin über die bezeichneten Betriebsmittel hinaus die Arbeitsorganisation der O. Filiale der Gemeinschuldnerin übernommen hätte. Sie zielt zwar, nach der Darlegung der Klägerin, mit ihrem Warenangebot auf dieselben Kundenkreise, verwendet dazu aber nach der Sachdarstellung der Klägerin ebenso wie die Gemeinschuldnerin Waren solcher Hersteller, die auch in anderen Fachgeschäften und Kaufhäusern angeboten werden. Einen Warenbestand hat sie unstreitig ebensowenig übernommen, wie sie in Lieferverträge der Gemeinschuldnerin eingetreten ist. Insofern kommt zum Tragen, daß die Streithelferin an verschiedenen Orten über eine ganze Reihe gleichartiger Modefachgeschäfte verfügt und mit ihrer O. Filiale lediglich eine räumliche Ausweitung ihrer Betriebstätigkeit vorgenommen hat. Hinsichtlich der Kundenbeziehung steht der Annahme eines Eintritts der Streithelferin die lange Dauer des Ruhens der Geschäftstätigkeit in O entgegen. Wird darüber hinaus bei der Gesamtbewertung die unterbliebene Übernahme von Arbeitskräften der Gemeinschuldnerin gebührend berücksichtigt, kann ein Betriebsübergang von der Gemeinschuldnerin auf die Streithelferin des Beklagten nicht angenommen werden.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 101 ZPO.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, P. Knospe, Dr. E. Vesper
Fundstellen