Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablösung einer vertraglichen Versorgungsordnung
Leitsatz (redaktionell)
Vgl. Urteil des Senats vom 26. April 1988 – BAGE 58, 167 = AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Geschäftsgrundlage
Normenkette
BetrAVG §§ 1, 7 Abs. 1 S. 3 Nr. 5; BetrVG § 77
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 10.07.1990; Aktenzeichen 6 Sa 112/90) |
ArbG Siegen (Urteil vom 03.11.1989; Aktenzeichen 1 Ca 930/89) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 10. Juli 1990 – 6 Sa 112/90 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft zusteht.
Der Kläger ist am 27. November 1950 geboren. Er ist seit dem 4. September 1972 bei der Beklagten beschäftigt.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie und vorwiegend als Zulieferer für die Bauwirtschaft tätig. Sie hat ihren Mitarbeitern in einer Versorgungsordnung vom 21. Dezember 1970 (VersO) Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt, und zwar Altersrenten, Invalidenrenten und Witwenrenten. Die Alters- und Invalidenrenten sollten 300,– DM monatlich betragen, die Witwenrente 180,– DM. § 1 VersO sieht für männliche Arbeitnehmer eine Altersgrenze von 65 Jahren vor. Über die Anspruchsvoraussetzungen bestimmt § 2 VersO:
- „Der Betriebsangehörige muß bei Eintritt des Versorgungsfalles in einem festen Arbeitsverhältnis bei unserer Firma gestanden und deren unmittelbarer Weisungsbefugnis während der Arbeitszeit unterstanden haben.
Für die Rentenzahlungen müssen als Wartezeit folgende beiden zeitlichen Bedingungen erfüllt sein:
eine Mindestdienstzeit in unserer Firma von 15 Jahren
und
die Vollendung des 50. Lebensjahres für männliche bzw. des 45. Lebensjahres für weibliche Betriebsangehörige.
Auf die 15-jährige Wartezeit werden Dienstjahre vor Vollendung des 20. Lebensjahres und nach Erreichen der Altersgrenze (vgl. § 1 a) nicht angerechnet.
- Der männliche bzw. weibliche Betriebsangehörige durfte bei Eintritt in unsere Firma das 50. bzw. 45. Lebensjahr noch nicht überschritten haben.”
§ 9 VersO enthält die nach den Einkommensteuerrichtlinien steuerunschädlichen Vorbehalte der Aufhebung oder Änderung von Versorgungszusagen. Es heißt dort:
„Unsere Firma gibt diese Zusage in der festen Hoffnung, daß sie wirtschaftlich in der Lage ist, die vorgesehenen Leistungen dauernd erfüllen zu können. Sie muß sich aber das Recht vorbehalten, die zugesagten Leistungen zu kürzen oder einzustellen, wenn
a) die wirtschaftiche Lage unseres Unternehmens sich nachhaltig so wesentlich verschlechtert hat, daß ihm eine Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen nicht mehr zugemutet werden kann oder …”
Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung änderte die Beklagte am 1. April 1975 ihre Versorgungsordnung wie folgt:
„1. Der männliche Betriebsangehörige erhält auch dann nach Vollendung seines 63. Lebensjahres und vor Vollendung seines 65. Lebensjahres eine Firmenrente aus unserer betrieblichen Altersversorgung, wenn er:
- die vorgezogene Altersrente aus der gesetzlichen Sozialversicherung bezieht,
- zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus unserer Firma die nach § 2 unserer Versorgungsordnung erforderliche Mindest-Dienstzeit von 15 Jahren erfüllt hat,
- aus den Diensten unserer Firma ausscheidet.
…
5. Ein Mitglied, dem Leistungen gemäß unserer Versorgungsordnung zugesagt worden sind, behält seine Anwartschaft in Höhe der gesetzlichen Vorschriften, wenn sein Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalles endet, sofern in diesem Zeitpunkt der Arbeitnehmer mindestens das 35. Lebensjahr vollendet hat und entweder die Pensionszusage für ihn mindestens 10 Jahre bestanden hat oder der Beginn der Betriebszugehörigkeit mindestens 12 Jahre zurückliegt und die Pensionszusage für ihn mindestens 3 Jahre bestanden hat. Eine Änderung der Pensionszusage unterbricht nicht den Ablauf
dieser Fristen. …”
Am 3. Juni 1975 schloß die Beklagte ihr Versorgungswerk für neu eintretende Mitarbeiter.
Mit Schreiben an ihren Betriebsrat vom 10. Dezember 1980 widerrief die Beklagte die schon erteilten Versorgungszusagen mit der Maßgabe, daß nur die am 31. Dezember 1980 bestehenden unverfallbaren Anwartschaften mit dem zu diesem Zeitpunkt erreichten Teilwert, berechnet nach § 2 Abs. 1 BetrAVG erhalten bleiben sollten. Insgesamt wurden für 102 Arbeitnehmer unverfallbare Anwartschaften aufrechterhalten. Da der Kläger zu diesem Zeitpunkt das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, wurde seine Versorgungsanwartschaft von dem Widerruf erfaßt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG). Zur Begründung des Widerrufs führte die Beklagte u.a. aus:
„In der Versorgungsordnung vom 21.12.1970 haben wir uns in Paragraph 9 das Recht vorbehalten, die zugesagten Leistungen zu kürzen oder einzustellen, wenn sich die wirtschaftliche Lage unseres Unternehmens so wesentlich verschlechtert, daß ihm eine Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen nicht mehr zugemutet werden kann. Aus eigener Anschauung und aus den Erklärungen, die die Geschäftsleitung bei Betriebsversammlungen gegeben hat, wissen Sie, daß diese Notlage gegeben ist. Wir bitten daher um Verständnis dafür, daß wir von diesem Recht zum Teil Gebrauch machen.
…
Dieser Teilwiderruf ist aufgrund der wirtschaftlichen Notlage der J GmbH dringend erforderlich. Er wäre darüber hinaus auch aus Gerechtigkeitsgründen angebracht, weil diejenigen Mitarbeiter, die nach dem 3. Juni 1975 in die Firma eingetreten sind, von vornherein aufgrund der schon damals bestehenden wirtschaftlich schwierigen Situation von der Teilhabe an der Versorgungsordnung ausgeschlossen worden sind.
…”
Über die Wirksamkeit des Widerrufs wurde bereits zwischen dem Arbeitgeber und einem anderen Arbeitnehmer ein Rechtsstreit geführt (– 1 Ca 523/85 – ArbG Siegen, – 6 Sa 1790/85 – LAG Hamm). Durch Urteil vom 16. Dezember 1986 entschied das Landesarbeitsgericht, der Widerruf sei wirksam. Durch Urteil vom 26. April 1988 (– 3 AZR 277/87 – BAGE 58, 167 = AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Geschäftsgrundlage) hat der Senat das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Im weiteren Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht ist die Sache verglichen worden.
Die Versorgungsansprüche des Klägers sollten auch durch eine Betriebsvereinbarung vom 19. Dezember 1985 eingeschränkt werden. Die Betriebsvereinbarung „Betriebliche Altersversorgung” lautet:
„Die J GmbH hat am 21.12.1970 eine Versorgungordnung erlassen, die am 01.07.1975 im Hinblick auf die gesetzliche Neuregelung durch die flexible Altersgrenze ergänzt worden ist.
Die Firma J GmbH ist der Auffassung, mit Datum vom 10.12.1980 eine Teilwiderrufserklärung ausgesprochen zu haben. Der Betriebsrat ist der Meinung, daß die gemäß BetrVG erforderliche Zustimmung nicht gegeben worden ist. Dieser Sachverhalt ist streitig.
Über diesen Streitfall der Rechtsgültigkeit des Teilwiderrufs vom 10.12.1980 wird in einem vor dem Landesarbeitsgericht in Hamm anhängigen Prozeß am 25.02.1986 entschieden.
Wird die Rechtsgültigkeit des Teilwiderrufs vom 10.12.1980 bestätigt, sind sich die vertragschließenden Parteien einig, daß die nachfolgende Vereinbarung – außer Punkt 2 der Vereinbarung – auch nach Unterzeichnung, nicht wirksam wird.
Im übrigen wird folgendes vereinbart:
- Die Versorgungszusage vom 21.12.1970 wird mit Zustimmung der Betriebsräte der J GmbH und J -W GmbH widerrufen mit der Maßgabe, daß nur die am 31.12.1985 nach dem Betriebsrentengesetz unverfallbaren Anwartschaften erhalten bleiben und diese Anwartschaften nach diesem Datum keine weitere Steigerung erfahren.
- Zwischen den vertragschließenden Parteien besteht Übereinstimmung, daß die Versorgungsordnung nach dem 25.02.1986 über den verabredeten Teilwiderruf hinaus in den § 2 Abs. 2 b, § 4 Abs. 1 b, § 5 Abs. 7 b, § 6 Abs. 2 b und in § 7 Abs. 1 c modifiziert werden soll.”
Der Kläger hat sich im ersten Rechtszug nur gegen den Widerruf vom 10. Dezember 1980 gewandt und geltend gemacht, dieser Widerruf sei unwirksam, weil der Betriebsrat den neuen Verteilungsgrundsätzen nicht zugestimmt habe. Außerdem habe sich die Beklagte nicht in einer wirtschaftlichen Notlage befunden. In zweiter Instanz hat sich der Kläger zusätzlich gegen die Kürzung seiner inzwischen unverfallbar gewordenen Versorgungsanwartschaft durch die Betriebsvereinbarung vom 19. Dezember 1985 gewehrt. Er hat vorgetragen, die Betriebsvereinbarung sei unwirksam, weil die dort getroffene Regelung auflösend bedingt sei und nicht erkennen lasse, wie die Versorgungsregelung aussehen solle. Außerdem könne sein vertraglicher Rechtsanspruch nicht durch eine Betriebsvereinbarung geschmälert werden, zumal auch 1985 keine wirtschaftliche Notlage bestanden habe.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß
- die Widerrufserklärung vom 10. Dezember 1980 unwirksam sei,
- die Betriebsvereinbarung „Betriebliche Altersversorgung” vom 19. Dezember 1985 in seine Anwartschaft nicht eingegriffen habe.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe kein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung. Der Widerruf vom 10. Dezember 1980 habe der Zustimmung des Betriebsrats nicht bedurft, da zu jener Zeit eine schwere konkursgleiche wirtschaftliche Notlage bestanden habe und durch den Widerruf nur die gesetzlich geschützten Versorgungsanwartschaften aufrechterhalten worden seien. Der Widerruf habe zu erheblichen Einsparungen geführt und zusammen mit anderen Maßnahmen entscheidend dazu beigetragen, das Unternehmen zu erhalten. Auch im Jahre 1985 habe noch eine „extreme wirtschaftliche Situation” bestanden; ohne die Versorgungskürzung zu diesem Zeitpunkt wäre es zu einer Unterdeckung in der Bilanz in Höhe von nahezu 800.000,– DM gekommen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage (Antrag zu 1) stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auch dem weitergehenden Feststellungsbegehren des Klägers (Antrag zu 2) entsprochen. Mit der Revision will die Beklagte erreichen, daß beide Anträge abgewiesen werden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, daß die Beklagte die Versorgungsanwartschaft des Klägers nicht wirksam widerrufen hat, und daß die Versorgungszusage des Klägers durch die Betriebsvereinbarung vom 19. Dezember 1985 nicht wirksam eingeschränkt wurde.
A. Einer Entscheidung in der Sache steht nichts entgegen.
1. Die Feststellungsklagen sind zulässig. Der Kläger hat ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des von ihm behaupteten Rechtsverhältnisses (§ 256 Abs. 1 ZPO). Das gilt sowohl für das Bestehen einer Anwartschaft als auch für deren Höhe. Der Kläger muß seine Altersversorgung planen können.
2. Das Landesarbeitsgericht konnte auch über den in der Berufungsinstanz erstmals gestellten Antrag entscheiden. Die hiergegen gerichtete Verfahrensrüge der Revision ist unbegründet. Es kommt nicht darauf an, ob es sich bei dem in der Berufungsinstanz neu gestellten Antrag lediglich um eine Klageerweiterung handelt, so das Berufungsgericht, oder zugleich um eine Änderung des Klagegrundes und damit um eine Klageänderung (§§ 263, 264 ZPO). Auch eine Änderung des Klagegrundes ist zulässig, wenn die beklagte Partei einwilligt oder das Gericht sie für sachdienlich hält. Das Berufungsgericht hat diesen Antrag für sachdienlich gehalten. Daß es damit ermessensfehlerhaft gehandelt hätte, ist nicht zu erkennen. Jedenfalls wäre ein entsprechender Fehler des berufungsgerichtlichen Verfahrens geheilt, da sich die Beklagte im Berufungsverfahren rügelos auf den neuen Antrag eingelassen hat (§§ 558, 295 ZPO).
B. Das Berufungsgericht hat dem Begehren des Klägers hinsichtlich beider Anträge im Ergebnis zu Recht entsprochen.
I. Über die Wirksamkeit des Widerrufs vom 10. Dezember 1980 hat der Senat bereits durch das Urteil vom 26. April 1988 (– 3 AZR 277/87 – BAGE 58, 167 = AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Geschäftsgrundlage) entschieden. Der Senat hat dazu ausgeführt (zu IV der Gründe), daß ein Widerruf zugesagter Leistungen nur wirksam sein kann, wenn der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beachtet hat (vgl. hierzu auch das weitere Urteil des Senats vom 26. April 1988 – 3 AZR 168/86 – BAGE 58, 156, auch zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Schon in jenem Rechtsstreit hat der Senat den Einwand der Beklagten zurückgewiesen, es habe angesichts der Rückführung der Versorgungsrechte auf das gesetzlich zwingend zu erhaltende Mindestmaß kein Regelungsspielraum bestanden. Es bestand durchaus ein Regelungsspielraum; die Betriebsparteien hätten die Möglichkeit gehabt, den um 800.000,– DM gekürzten Versorgungsaufwand anders als geschehen zu verteilen. Die Revision bekämpft weiterhin diese nunmehr auch vom Berufungsgericht vertretene Auffassung. Sie hat aber zu dieser Frage keine neuen Gesichtspunkte vorgebracht, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten.
1. Die Revision meint, die Annahme einer Mitbestimmungspflicht widerspreche dem Urteil des Senats vom 18. April 1989 (– 3 AZR 688/87 – BAGE 61, 323 = AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Betriebsvereinbarung). In diesem Urteil hat der Senat entschieden, daß im Falle der Kündigung einer Betriebsvereinbarung den Arbeitnehmern die gesetzlich geschützten Besitzstände erhalten bleiben. Hieraus kann die Beklagte für den vorliegenden Rechtsstreit nichts herleiten. Im Streitfall geht es nicht um die Kündigung einer Betriebsvereinbarung, sondern um den Widerruf vertraglicher Versorgungszusagen. Es ist richtig, daß auch ein solcher Widerruf Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes beachten muß. Wird aber – wie hier – nur ein Teilwiderruf wegen wirtschaftlicher Notlage erklärt, dann müssen die verbleibenden Mittel neu verteilt werden: Also muß auch ein neuer Verteilungsplan aufgestellt werden. Das ist eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG). Es wäre gerade die Aufgabe der Betriebsparteien gewesen darüber zu befinden, wie dieser Verteilungsplan hätte aussehen sollen. Im Falle der von der Beklagten behaupteten wirtschaftlichen Notlage im Jahre 1980 wären die Betriebsparteien nicht einmal gehindert gewesen, in die erdienten Teilbeträge einzugreifen und den gesetzlichen Insolvenzversicherer in Anspruch zu nehmen.
2. Die Revision behauptet weiter eine Divergenz des Urteils vom 26. April 1988 zu dem Vorlagebeschluß des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Februar 1990 (–1 ABR 35/87 – AP Nr. 43 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung). Eine solche Divergenz ist jedoch nicht zu erkennen. Der Erste Senat hat die Frage der Mitbestimmungspflicht bei der Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen dem Großen Senat vorgelegt. Auch der Erste Senat geht von einem Mitbestimmungsrecht immer dann aus, wenn – etwa bei einer Teilanrechnung – ein Regelungsspielraum bleibt. Dieselbe Auffassung vertritt der erkennende Senat (vgl. nur die Urteile vom 26. April 1988, aaO). Nur wenn keine Verteilungsmasse bleibt, also etwa ein Versorgungswerk vollständig geschlossen wird, besteht auch kein Regelungsspielraum, weil es keinen Verteilungsspielraum gibt.
3. Schließlich macht die Revision geltend, die sog. steuerunschädlichen Widerrufsvorbehalte müßten weiter ausgelegt werden, als das vom Senat in ständiger Rechtsprechung geschehe. Diese Widerrufsvorbehalte dürften nicht nur als Beschreibung der ohnehin bestehenden Widerrufsmöglichkeit wegen Erschütterung der Geschäftsgrundlage verstanden werden (vgl. BAG Urteil vom 8. Juli 1972 – 3 AZR 481/71 – AP Nr. 157 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Sie hätten einen weitergehenden, konstitutiven Sinn (vgl. Hanau in Anm. zum Urteil des Senats vom 18. April 1989, AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Betriebsvereinbarung, zu 2 b). Da der Wortlaut des hier einschlägigen Widerrufsvorbehalts eindeutig auf die wirtschaftliche Zumutbarkeit abstellt, muß es bei der bisherigen Auslegung bewenden. Die Einhaltung seines Versorgungsversprechens ist dem Versorgungsschuldner erst dann nicht mehr zuzumuten, wenn es um der Vertragserfüllung willen zur Vernichtung des Unternehmens käme, der Arbeitgeber sich also in einer wirtschaftlichen Notlage befindet.
Die Ausführungen der Revision zur Rückwirkung von Rechtsprechung und zu Übergangsfällen mit unzulässiger Rückwirkung von Richterrecht sind nicht überzeugend. Die Revision will den Ausschluß des Rechtsanspruchs bei einer Unterstützungskassenzusage und den daraus resultierenden echten Vorbehalt des Widerrufs der Zusage aus sachlichen Gründen mit den steuerunschädlichen Mustervorbehalten nach Nr. 41 Abs. 3 EStR gleichsetzen, die nur deshalb – unter Mitwirkung der Finanzverwaltung – ihre enge Fassung erhalten haben, weil bei den Direktzusagen die im Vergleich zu Unterstützungskassenzusagen höhere Steuervergünstigung erhalten werden sollte (zutreffend hierzu Ahrend/Förster/Rößler, Steuerrecht der betrieblichen Altersversorgung, 1. Teil Rz 251 und 2. Teil Rz 105 ff. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs). Damit müssen die Versuche der Revision scheitern, bei Direktzusagen einen „Übergangsfall” i.S. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Unterstützungskassenversorgung zu konstruieren.
4. Abzulehnen ist schließlich die Auffassung der Revision, in der Betriebsvereinbarung vom 19. Dezember 1985 sei die nachträgliche Zustimmung zum Widerruf vom 10. Dezember 1980 enthalten. Die Betriebsvereinbarung vom 19. Dezember 1985 erfaßt nur diejenigen Versorgungszusagen, die am 31. Dezember 1985 noch verfallbar waren. Zudem ist es nicht zulässig, den jetzt abgegebenen Erklärungen des Betriebsrats eine rückwirkende Kraft beizumessen. Erst dann, wenn bei einem vorgesehenen Teilwiderruf von Versorgungszusagen mit dem Betriebsrat ein neuer Verteilungsplan ausgehandelt ist, kann der Widerruf wirksam erklärt werden. Es ist daher daran festzuhalten, daß der Widerruf vom 10. Dezember 1980 mangels vorheriger Zustimmung des Betriebsrats zum neuen Verteilungsplan unwirksam ist.
II. Auch die Betriebsvereinbarung vom 19. Dezember 1985 ist unwirksam.
1. Es erscheint fraglich, ob Betriebsvereinbarungen, wie der Kläger meint, generell als bedingungsfeindlich anzusehen sind. Eine Betriebsvereinbarung setzt zwar betriebliche Rechtsnormen, die unmittelbar und zwingend gelten (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG), sie ist aber dennoch Vertrag (Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 16. Aufl., § 77 Rz 17). Gemäß § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen nur dann nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein, wenn sie durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden. Eine generelle Bedingungsfeindlichkeit läßt sich § 77 BetrVG aber nicht entnehmen.
Im Streitfall sollte – außer der Absichtserklärung in Nr. 2 – die Betriebsvereinbarung vom 19. Dezember 1985 dann nicht in Kraft treten, wenn die Rechtsgültigkeit des Teilwiderrufs vom 10. Dezember 1980 im anhängigen Rechtsstreit bestätigt werden sollte. Der Sinn dieser Regelung ist klar: Ergab sich im Prozeß, daß der Teilwiderruf vom 10. Dezember 1980 wirksam war, dann sollte es bei der durch diesen Teilwiderruf geschaffenen Rechtslage bleiben. Sollte der Teilwiderruf dagegen nicht bestätigt werden, dann sollte die Versorgungsordnung vom 21. Dezember 1970 mit Wirkung zum 31. Dezember 1985 geändert und nur die bis zu diesem Zeitpunkt unverfallbar gewordenen Anwartschaften, ohne weitere Steigerungen, erhalten werden. Es bestehen keine Bedenken, eine Betriebsvereinbarung mit diesem Inhalt abzuschließen.
2. Die Betriebsvereinbarung ist jedoch deshalb unwirksam, weil sie in vertraglich begründete Versorgungsrechte der Arbeitnehmer eingreift. Zu einem solchen Eingriff fehlte den Betriebsparteien die Berechtigung. Die ablösende Regelung läßt sich nicht mit dem Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 16. September 1986 rechtfertigen (BAGE 53, 42 = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972). Die Voraussetzungen, unter denen der Große Senat die Ablösung einer vertraglichen Regelung mit kollektivem Bezug durch Betriebsvereinbarung für zulässig erachtet, sind nicht erfüllt.
a) Die Betriebsvereinbarung vom 19. Dezember 1985 hat nicht ein vertragliches Versorgungswerk geändert, das unter dem Vorbehalt der Änderung durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung stand. Die Versorgungsordnung der Beklagten vom 21. Dezember 1970 war nicht betriebsvereinbarungsoffen.
b) Die Betriebsvereinbarung vom 19. Dezember 1985 hat das bestehende vertragliche Versorgungswerk auch nicht bloß umstrukturiert; die Betriebsvereinbarung diente erklärtermaßen dazu, den Versorgungsaufwand einzuschränken, nicht aber dazu, die Mittel für die Versorgung der Arbeitnehmer anders als bisher zu verteilen.
c) Die Betriebsvereinbarung vom 19. Dezember 1985 diente auch nicht bloß dazu, die Zustimmung des Betriebsrats zu einer einseitigen Kürzungsmaßnahme des Arbeitgebers herbeizuführen. Zwar können die Betriebsparteien ein vertragliches Versorgungswerk nach der Rechtsprechung des Großen Senats dann verschlechtern und unter Kürzung des Gesamtaufwands die Rechte der einzelnen Arbeitnehmer schmälern, wenn der Arbeitgeber selbst diese Kürzung mit vertraglichen Mitteln herbeiführen könnte. Die dazu erforderliche Zustimmung des Betriebsrats könnte auch in Form einer Betriebsvereinbarung erteilt werden. Die Beklagte war jedoch nicht berechtigt, die Rechte aus der Versorgungsordnung einseitig zu schmälern. Sie hatte mit der Versorgungsordnung vom 21. Dezember 1970 ihren Arbeitnehmern Direktzusagen erteilt, ihnen also Rechtsansprüche auf die vorgesehenen Leistungen eingeräumt. Solche Zusagen können nicht aus bloß sachlichen oder, wie die Beklagte meint, aus triftigen Gründen widerrufen werden. Der Arbeitgeber kann sich von der Zusage nur lösen, wenn die Geschäftsgrundlage entfallen ist, etwa eine wirtschaftliche Notlage eingetreten ist, die es nicht mehr als zumutbar erscheinen läßt, den Schuldner an seiner Zusage festzuhalten. Nichts anders bestimmt auch der sog. steuerunschädliche Vorbehalt nach Nr. 41 EStR. Dies hat der Senat in seinem Urteil vom 26. April 1988 (– 3 AZR 277/87 –, aaO) ebenfalls in Bezug auf die hier umstrittene Versorgungsordnung schon entschieden (zu II der Gründe).
Auf eine wirtschaftliche Notlage zur Zeit der verschlechternden Betriebsvereinbarung beruft sich die Beklagte nicht. Sie hat nur behauptet, es habe weiterhin, also auch im Dezember 1985, eine angespannte wirtschaftliche Situation bestanden. Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Hiergegen hat die Revision keine Einwendungen erhoben. Eine wirtschaftlich angespannte Situation ist noch keine wirtschaftliche Notlage.
3. Die Beklagte kann keinen Vertrauensschutz mit der Begründung beanspruchen, vor dem Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 16. September 1986 (aaO) sei es als zulässig erachtet worden, vertragliche Regelungswerke über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung durch Betriebsvereinbarungen abzulösen. Die Betriebsparteien haben die verschlechternde Betriebsvereinbarung am 19. Dezember 1985 abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt konnten sie, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, nicht mehr auf die Fortgeltung der bisherigen Rechtsprechung vertrauen. Wie der Senat im Urteil vom 20. November 1990 (–3 AZR 573/89 – zur Veröffentlichung vorgesehen) entschieden hat, wirkt der Beschluß des Großen Senats vom 16. September 1986 nicht generell auf vorherige Ablösungen vertraglicher Einheitsregelungen durch Betriebsvereinbarungen zurück. Der Senat hat es aber als fraglich angesehen, ob nicht schon durch das Urteil des Sechsten Senats vom 12. August 1982 (BAGE 39, 295 = AP Nr. 4 zu § 77 BetrVG 1972) das Vertrauen in die Fortgeltung der bisherigen Rechtsprechung erschüttert wurde. Jedenfalls wurde seither die Frage des Eingriffs in vertragliche Regelungen durch Betriebsvereinbarungen verstärkt diskutiert (vgl. hierzu die zahlreichen Nachweise im Beschluß des Großen Senats, BAGE 53, 42, 53 f. = AP, aaO, zu C I 2 b der Gründe). Die breite Diskussion des Problems führte dazu, daß der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts die Frage mit Beschluß vom 8. Dezember 1982 (BAGE 41, 118 = AP Nr. 6 zu § 77 BetrVG 1972) und der Dritte Senat mit Beschluß vom 30. April 1985 (BAGE 48, 337 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Ablösung) dem Großen Senat vorlegten. Seither konnten die Betriebspartner nicht mehr darauf vertrauen, daß mit verschlechternden Betriebsvereinbarungen vertragliche Versorgungswerke abgelöst werden durften. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts konnten die Betriebsparteien nicht mehr davon ausgehen, der Große Senat werde die bisherige Rechtsprechung bestätigen. Eine solche Annahme wäre angesichts der ganz unterschiedlichen Standpunkte in der wissenschaftlichen Literatur, aber auch angesichts der in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aufgetretenen Divergenz rein spekulativ gewesen. Wenn die Betriebsparteien sich im Streitfall drei Jahre nach dem Vorlagebeschluß des Fünften Senats und sieben Monate nach dem Vorlagebeschluß des erkennenden Senats darauf einließen, durch Betriebsvereinbarung vertragliche Regelungen zu verschlechtern, so kann ihnen ein Vertrauensschutz mit der Folge der Nichtanwendung des Beschlusses des Großen Senats nicht mehr zugebilligt werden.
Unterschriften
Dr. Heither, Griebeling, Dr. Wittek, Stabenow, Schoden
Fundstellen