Entscheidungsstichwort (Thema)

Forderungspfändung nach § 850h Abs. 1 ZPO

 

Leitsatz (amtlich)

Erfüllt der angestellte Geschäftsführer einer Vertriebs-GmbH vertragliche Verpflichtungen seiner Arbeitgeberin gegenüber deren Vertragspartner, ohne daß er selbst mit dem Vertragspartner ein Schuldverhältnis eingegangen ist, so kommt eine Anwendung des § 850h Abs. 1 ZPO nicht in Betracht.

 

Normenkette

ZPO §§ 829, 835, 850h Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 08.02.1995; Aktenzeichen 10 Sa 52/94)

ArbG Freiburg i. Br. (Urteil vom 19.04.1994; Aktenzeichen 2 Ca 562/93)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil das Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 8. Februar 1995 – 10 Sa 52/94 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine zur Einziehung überwiesene, gepfändete Forderung.

Die Klägerin, ein Bauunternehmen, hat gegen ihren früheren Geschäftspartner Manfred D… (Schuldner) eine titulierte Forderung aus einem gerichtlichen Vergleich i.H.v. 140.039,41 DM nebst 8,25 % Zinsen. Der Schuldner ist angestellter Geschäftsführer der D… -Handelsgesellschaft mbH, deren alleinige Gesellschafterin dessen Ehefrau ist. Weitere Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen nicht. Manfred D… ist hoch verschuldet. Hinsichtlich seiner Vergütungsansprüche gegen die D… GmbH liegen Pfändungen i.H.v. 1,2 Millionen DM vor.

Die Beklagte ist ein Bauunternehmen, das u.a. Massivhäuser herstellt und vertreibt. Für den Vertrieb hat sie sich vertraglich der Dienste der D… GmbH versichert. Darüber verhält sich ein Vertrag vom 5. Januar 1987, wonach die D… GmbH der Beklagten das von ihr erarbeitete Vertriebskonzept zur Durchführung eines Strukturverkaufsbetriebes zur Verfügung stellt. Dazu gehören u.a. die Schulung der Verkaufsmitarbeiter, die Planung von verkaufsfördernden Maßnahmen in enger Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung und die Umsetzung der erarbeiteten Ergebnisse innerhalb des Verkaufs- und Vertriebsbereichs. Die D… GmbH erfüllte ihre Verpflichtungen durch eine Tätigkeit ihres Geschäftsführers Manfred D…, der seine Aufgaben in den Büroräumen der Beklagten erledigte.

Mit einem der Beklagten im September 1993 zugestellten Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom 20. September 1993 hat die Klägerin die angeblichen Vergütungsansprüche des Schuldners gegen die Beklagte gepfändet und sich zur Einziehung überweisen lassen. Die Beklagte erteilte der Klägerin daraufhin die Auskunft, daß zwischen keiner Unternehmung der Firmengruppe U… und dem Schuldner ein Angestelltenverhältnis bestehe. Die D… GmbH organisiere den Vertrieb des Einfamilientypenhauses und erhalte hierfür eine erfolgsabhängige Vergütung. Manfred D… führe als Geschäftsführer der D… GmbH diese verantwortungsvolle Tätigkeit aus und werde hierfür von jener entlohnt.

Die Klägerin hat gemeint, der Schuldner sei als pro-forma-Geschäftsführer der D… Handelsgesellschaft mbH in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis in den Räumen der Firma U… und nach deren detaillierten Anweisungen tätig. Auszugehen sei von einem Nettogehalt des Schuldners i.H.v. wenigstens 3.365,69 DM und einem pfändbaren Anteil von wenigstens 2.156,59 DM.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat dem Schuldner Manfred D… den Streit verkündet. Dieser ist dem Rechsstreit nicht beigetreten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung insgesamt zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Sie beantragt weiterhin Klageabweisung. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.

I. Das Landesarbeitsgericht hat trotz der scheinbar gegenteiligen Überlegungen in der Zulässigkeitsprüfung nicht festgestellt, daß zwischen Schuldner und Drittschuldner überhaupt vertragliche Beziehungen bestehen. Es hat vielmehr die Behauptung der Beklagten als zutreffend unterstellt, zwischen ihr und dem Schuldner D… beständen keinerlei vertragliche Beziehungen. D… sei nur angestellter Geschäftsführer der D… GmbH und erhalte nur von dieser Arbeitsentgelt. Das Landesarbeitsgericht will auch auf diesen Fall § 850h Abs. 1 ZPO anwenden. Das ist rechtlich nicht möglich.

II.1. Die unmittelbare Anwendung des § 850h Abs. 1 ZPO scheidet aus. Die Vorschrift setzt voraus, daß zwischen dem eine Arbeitsleistung erbringenden Schuldner und dem Empfänger der Arbeitsleistung ein Rechtsverhältnis bestehen muß, aufgrund dessen der Empfänger eine Gegenleistung schuldet, die lediglich vertraglich einem Dritten zusteht (MünchKommZPO/Smid, § 850h Rz 2; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 54. Aufl., § 850h Rz 2 und 3; Stöber, Forderungspfändung, 10. Aufl., Rz 1210 ff.; Stein/Jonas/Brehm, 21. Aufl., § 850h I Rz 2 und 3; Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, 12. Aufl., Rz 24.46; undeutlich Thomas/Putzo, 19. Aufl., § 850h Rz 5). Die Art des Rechtsverhältnisses ist ohne Bedeutung. Neben einem Arbeitsverhältnis kommt ein Dienstverhältnis oder sogar ein Werkvertrag in Betracht.

Diese Auslegung des Gesetzes folgt aus dem Wortlaut des § 850h Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die für die Anwendung der Vorschrift erforderliche Vereinbarung einer natürlichen Person mit dem Empfänger ihrer Arbeitsleistung über die Zahlung der Gegenleistung an einen Drittberechtigten (im Ergebnis handelt es sich dabei um einen Vertrag nach § 328 BGB) ist nur denkbar, wenn überhaupt vertragliche Beziehungen zwischen ihnen bestehen. Eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung wird nicht durch den Zweck des Gesetzes ermöglicht. Bei § 850h Abs. 1 ZPO handelt es sich um eine den Gläubigerschutz ergänzende Ausnahmebestimmung (Baur/Stürner, aaO, Rz 24.42). Zugunsten des Gläubigers wird eine dem Schuldner wegen seines Vertrages mit dem Empfänger der Arbeitsleistung nicht zustehende Gegenforderung fiktiv als ein zu seinem Vermögen gehörenden Anspruch behandelt. Ausnahmebestimmungen eignen sich für eine erweiternde Auslegung regelmäßig nicht. Das gilt auch für § 850h Abs. 1 ZPO.

2. § 850h Abs. 1 ZPO kann auch nicht analog angewandt werden (unzutreffend LG Mannheim, Urteil vom 5. Oktober 1953 – 5 S 196/53 – MDR 1954, 178). Das Gesetz ist nicht lückenhaft. Deshalb besteht keine Möglichkeit der Analogie. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs einer Norm durch Analogie ohne die Feststellung, daß der Gesetzgeber unbewußt einen Sachverhalt nicht geregelt hat oder rechtliche und tatsächliche Änderungen nicht durch Änderung des Gesetzes zur Kenntnis genommen hat, ist nicht statthaft.

III. Die Aufhebung des Urteils führt zur Zurückverweisung der Sache. Das Landesarbeitsgericht muß aufklären, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des § 850h Abs. 1 ZPO gegeben sind oder nicht. Die Klägerin hat bereits in der Klageschrift und seither fortlaufend behauptet, der Schuldner sei nur nominell Geschäftsführer der D… GmbH. In Wahrheit bestehe zwischen ihm und der Beklagten ein Arbeitsverhältnis mit der besonderen Verabredung, die Vergütung nicht an ihn, sondern an einen Dritten zu zahlen. Diese Behauptungen der Klägerin sind für einen Anspruch aus §§ 829, 835, 850h Abs. 1 ZPO schlüssig. Die Beklagte hat die Behauptungen qualifiziert bestritten. Die Klägerin hat für ihre Behauptungen Beweis angetreten und weiter einige unstreitige Indizien vorgetragen. Das Landesarbeitsgericht wird die angebotenen Beweise zu erheben und zusammen mit den Indizien nach § 286 ZPO zu würdigen haben. Ferner wird das Landesarbeitsgericht auch materiell rechtlich zu beurteilen haben, was es bisher im Rahmen der Zulässigkeit zur Arbeitnehmerüberlassung ausgeführt hat. Es wird unstatthafte Arbeitnehmerüberlassungen nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und im Wirtschaftsleben anzutreffende Beratungs-, Schulungs-, Vermittlungs- und Planungsdienste voneinander abzugrenzen haben. Zur Höhe des Betrages weist der Senat darauf hin, daß der bisherige Ausspruch zum Zinsanspruch nicht mit den Ausführungen des Landesarbeitsgericht zur monatlichen Pfändbarkeit übereinstimmt.

 

Unterschriften

Leinemann, Düwell, Dörner, Hammer, Schodde

 

Fundstellen

Haufe-Index 872501

BAGE, 33

NZA 1997, 61

ZIP 1996, 1567

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