Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung der Wehrdienstzeiten
Leitsatz (redaktionell)
Wehrdienstzeiten sind auch für Soldaten auf Zeit von zwei Jahren auf die Steigerung der Vergütung nach Gesellenjahren im Tischlerhandwerk anzurechnen.
Normenkette
ArbPlSchG § 6 Fassung: 1968-05-21, § 16a Fassung: 1968-05-21
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 27.04.1982; Aktenzeichen 2 Sa 51/81) |
ArbG Stade (Entscheidung vom 16.02.1981; Aktenzeichen 1 Ca 940/80) |
Tatbestand
Der Kläger hat am 24. März 1977 seine Gesellenprüfung im Tischlerhandwerk bestanden. Im Anschluß daran war er bei der Firma W in C, die nicht dem Tischlerhandwerk angehört, beschäftigt. Vom 3. Oktober 1977 bis 30. September 1979 hat er bei der Bundeswehr seinen Wehrdienst als Soldat auf Zeit abgeleistet. Ab 1. Oktober 1979 bis 29. August 1980 war er bei der Beklagten als Tischler beschäftigt. In dieser Zeit waren beide Parteien kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit an die Tarifverträge für gewerbliche Arbeitnehmer des Tischlerhandwerks in Niedersachsen gebunden. Der Kläger erhielt einen Stundenlohn von DM 11,-- brutto.
Mit der Klage macht der Kläger für die Monate Juni bis August 1980 einen Stundenlohn von DM 12,03 in der rechnerisch unstreitigen Gesamthöhe von DM 535,60 brutto geltend. Er hat vorgetragen, nach dem im Klagezeitraum geltenden Lohntarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer des Tischlerhandwerks in Niedersachsen vom 28. November 1979 (Lohn-TV) stehe ihm ein Stundenlohn von DM 12,03 brutto zu. Nach dem Lohn-TV sei dieser Stundenlohn für Facharbeiter im dritten Gesellenjahr zu zahlen. Seine Wehrdienstzeit sei nach den Vorschriften des Arbeitsplatzschutzgesetzes auf die Gesellenjahre anzurechnen, so daß er bei Eintritt in die Dienste der Beklagten im dritten Gesellenjahr gestanden habe.
Der Kläger hat demgemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Klä-
ger DM 535,60 brutto nebst 4 % Zinsen
seit 3. Oktober 1980 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, daß die Wehrdienstzeit des Klägers nicht auf die Gesellenjahre im Sinne des Lohn-TV angerechnet werden könne. Die Anrechnung sei schon deshalb nicht möglich, weil der Kläger im Anschluß an seine Gesellenprüfung nicht als Facharbeiter im Sinne des Lohn-TV beschäftigt gewesen sei. Ferner setze der Lohn-TV voraus, daß nur bei tatsächlicher Ausführung von Facharbeiten jeweils nach Ablauf eines Gesellenjahres eine tarifliche Höhergruppierung erfolgen solle. Diese Voraussetzung erfülle der Kläger nicht. Darüber hinaus könne nach dem Sinn des § 6 ArbPlSchG eine Lohnerhöhung aufgrund von Anrechnung von Wehrdienstzeiten auf die Berufs- und Betriebszugehörigkeit erst eintreten, wenn der Arbeitnehmer dem Betrieb sechs Monate angehöre. Erst mit diesem Zeitpunkt beginne die Berufs- und Betriebszugehörigkeit unter Einschluß von anzurechnenden Wehrdienstzeiten, wobei nur eine Grundwehrdienstzeit von 15 Monaten angerechnet werden dürfe. Danach habe der Kläger im Klagezeitraum allenfalls im zweiten Gesellenjahr gestanden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage mit Recht stattgegeben. Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung von DM 535,60 brutto nebst Zinsen verlangen. Denn ihm steht für die Zeit von Juni bis August 1980 der tarifliche Stundenlohn für Facharbeiter im dritten Gesellenjahr in Höhe von DM 12,03 brutto zu.
Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit die Vorschriften des Lohntarifvertrags für gewerbliche Arbeitnehmer des Tischlerhandwerks in Niedersachsen vom 28. November 1979 (Lohn-TV) mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Danach sind für die Eingruppierung des Klägers im Klagezeitraum folgende Vorschriften des Lohn-TV heranzuziehen:
§ 4 Lohngruppen
-----------
Für die Entlohnung werden alle gewerbli-
chen Arbeitnehmer in folgende Lohngrup-
pen eingeteilt:
1. Facharbeiter 100 %
Arbeitnehmer, welche die für ihren Be-
ruf vorgeschriebene Ausbildungszeit
zurückgelegt und mit der Gesellenprü-
fung abgeschlossen haben und Fachar-
beiten ihres Berufes ausführen;
...
§ 5 Lohnhöhe
--------
Die Mindestlöhne betragen
ab 1. 12. 1979
in Ortsklasse I (100 %)
1. Facharbeiter (100 %)
im dritten Gesellenjahr DM 12,03
im zweiten Gesellenjahr DM 11,19
im ersten Gesellenjahr DM 10,59.
Der Kläger ist nach Ortsklasse I zu vergüten, da die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür unstreitig vorliegen. Er kann den Lohn eines Facharbeiters im Sinne des Lohn-TV beanspruchen. Denn er hat die Ausbildung im Tischlerhandwerk mit der Gesellenprüfung abgeschlossen und führt bei der Beklagten als Tischler Facharbeiten seines Berufs aus (§ 4 Ziff. 1 Lohn-TV). Sein Lohn bemißt sich nach dem in § 5 Lohn-TV festgesetzten Lohn eines Facharbeiters im dritten Gesellenjahr. Er war zwar im Klagezeitraum (Juni bis August 1980) erst im ersten Jahr bei der Beklagten beschäftigt. Seine zweijährige Wehrdienstzeit ist jedoch auf die Gesellenjahre im tariflichen Sinne anzurechnen.
Der Begriff Gesellenjahr ist berufsbezogen. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte im Tarifvertrag ist davon auszugehen, daß mit diesem Begriff die Tätigkeit im Beruf des Facharbeiters nach Ablegung der Gesellenprüfung gemeint ist. Dies ergibt auch einen vernünftigen Sinn. Länger andauernde Tätigkeit in einem bestimmten Beruf bringt im allgemeinen eine größere Erfahrung mit sich, die eine höhere Vergütung rechtfertigt. Die Dauer der Tätigkeit des Klägers im Beruf des Facharbeiters (hier: Tischler) ist danach für seine Eingruppierung maßgebend. Der Zeitraum, in dem jemand in einem bestimmten Beruf tätig gewesen ist, ist als Dauer seiner Berufszugehörigkeit anzusehen (BAG Urteil vom 10. September 1980 - 4 AZR 719/78 -, AP Nr. 125 zu § 1 TVG Auslegung mit weiteren Nachweisen). Auf die Dauer der Berufszugehörigkeit des Klägers als Tischler ist seine zweijährige Wehrdienstzeit als Soldat anzurechnen.
Da der Kläger für zwei Jahre Soldat auf Zeit war, sind für ihn die Regelungen des Arbeitsplatzschutzgesetzes maßgebend (§ 16 a ArbPlSchG). Wird ein entlassener Soldat im Anschluß an den Grundwehrdienst oder an eine Wehrübung als Arbeitnehmer eingestellt, gilt § 6 Abs. 2 bis 4, nachdem er sechs Monate lang dem Betrieb oder der Verwaltung angehört (§ 12 Abs. 1 Satz 1 ArbPlSchG). Nach § 6 Abs. 2 ArbPlSchG wird die Zeit des Grundwehrdienstes oder einer Wehrübung auf die Berufszugehörigkeit angerechnet. Diese Voraussetzungen für die Anrechnung seiner Wehrdienstzeit auf die Berufszugehörigkeit erfüllt der Kläger. Er ist unmittelbar nach seiner Entlassung als Soldat bei der Beklagten als Arbeitnehmer eingestellt worden. Er war im Klagezeitraum auch schon länger als sechs Monate bei der Beklagten beschäftigt. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht erforderlich, daß der Kläger zuvor, d. h. vor Ableistung seines Wehrdienstes, bei dem betreffenden Arbeitgeber oder in der betreffenden Branche seiner späteren Berufstätigkeit beschäftigt war. Dies wird nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 ArbPlSchG vorausgesetzt. Folglich ist die Zeit des Wehrdienstes auf die Berufszugehörigkeit des Klägers anzurechnen.
Anders als nach dem Tarifvertrag, den der Senat in seinem Urteil vom 10. September 1980 - 4 AZR 719/78 - (AP Nr. 125 zu § 1 TVG Auslegung) zu beurteilen hatte, ergeben sich aus dem Lohn-TV keine Anhaltspunkte dafür, daß die Eingruppierung nach Gesellenjahren eine bestimmte qualifizierte Tätigkeit in einer bestimmten Beschäftigungsgruppe voraussetzt. Der Lohn-TV honoriert die bloße Berufstätigkeit. Das aber führt zur Anrechnung nach § 6 ArbPlSchG, da nach dem Sinn dieser Vorschrift die Nachteile, die sich aus der durch den Wehrdienst bedingten späteren Begründung eines Arbeitsverhältnisses ergeben, durch die Anrechnung ausgeglichen werden sollen (vgl. BAG Urteil vom 10. September 1980 - 4 AZR 719/78 -, AP Nr. 125 zu § 1 TVG Auslegung, bezüglich des Soldatenversorgungsgesetzes).
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch nicht nur die Zeit des Grundwehrdienstes von 15 Monaten, sondern die volle Wehrdienstzeit des Klägers auf seine Berufs- und Betriebszugehörigkeit anzurechnen. Nach § 16 a Abs. 1 ArbPlSchG gilt das Gesetz auch im Falle des Wehrdienstes als Soldat auf Zeit für die endgültig auf insgesamt nicht mehr als zwei Jahre festgesetzte Dienstzeit mit der Maßgabe, daß die für den Grundwehrdienst geltenden Vorschriften anzuwenden sind. Dies läßt nur die Auslegung zu, daß insoweit die Dienstzeit als Soldat dem Grundwehrdienst gleichgestellt wird. Damit ist die volle Dienstzeit nach § 6 ArbPlSchG anzurechnen. Hätte der Gesetzgeber auch den Soldaten auf Zeit mit einer Dienstzeit bis zu zwei Jahren nur die Dauer des Grundwehrdienstes auf die Berufs- und Betriebszugehörigkeit anrechnen wollen, hätte er eine entsprechende Einschränkung machen und etwa in § 16 a ArbPlSchG bestimmen müssen, daß das Gesetz für Soldaten auf Zeit mit der Maßgabe gilt, "daß die für den Grundwehrdienst geltenden Vorschriften für dessen Dauer anzuwenden sind". Eine solche Einschränkung enthält das Gesetz aber nicht. Sie wäre auch nicht sachgerecht. Denn sie würde dazu führen, daß der besondere Kündigungsschutz des § 2 ArbPlSchG für Soldaten auf Zeit nach 15 Monaten, also neun Monate vor Beendigung ihrer zweijährigen Wehrdienstzeit, enden würde und Leistungen zur Alters- und Hinterbliebenenversorgung nach § 14 a und § 14 b ArbPlSchG nur für 15 Monate beansprucht werden könnten oder nach Ablauf dieser Zeit kein Kündigungsschutz mehr bestünde. Auch die Gesetzesmaterialien ergeben keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Gesetzgeber den Soldaten auf Zeit mit einer Dienstzeit bis zu zwei Jahren die Vorteile des Arbeitsplatzschutzgesetzes ganz oder teilweise (hier: § 6 Abs. 2 ArbPlSchG) nur für die Dauer des Grundwehrdienstes zukommen lassen wollte. Die amtliche Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf zu § 16 a ArbPlSchG (BT-Drucks. 8/855, S. 7) und die Stellungnahme des Verteidigungsausschusses (BT-Drucks. 8/1124, S. 3 f.) befassen sich mit dieser Frage überhaupt nicht.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt eine Anrechnung der Berufs- und Betriebszugehörigkeit nicht erst nach Ablauf von sechs Monaten in der Weise zur Anwendung, daß erst von diesem Zeitpunkt an die Zeiten der Berufs- und Betriebszugehörigkeit unter Einschluß der anzurechnenden Dienstzeiten als Soldat zu laufen beginnen. Vielmehr besagt die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 1 ArbPlSchG nur, daß eine Anrechnung erst zu erfolgen hat, nachdem der ehemalige Soldat sechs Monate lang dem Betrieb oder der Verwaltung angehört. Das bedeutet: In den ersten sechs Monaten seiner Berufszugehörigkeit kann der ehemalige Soldat keine Anrechnung der Dienstzeiten als Soldat verlangen. Das hat z. B. im vorliegenden Fall zur Folge, daß der Kläger in der Zeit vom 1. Oktober 1979 (Beginn seiner Tätigkeit bei der Beklagten) bis 31. März 1980 nur Lohn nach dem ersten Gesellenjahr verlangen konnte. Nach Ablauf der ersten sechs Monate ist die Dienstzeit als Soldat aber anzurechnen, wobei dann auch die ersten sechs Monate der Tätigkeit bei dem betreffenden Arbeitgeber als Berufs- und Betriebszugehörigkeit mit zu berücksichtigen sind. Für die gegenteilige Auffassung der Beklagten ergibt sich kein Anhaltspunkt aus dem Gesetz.
Entgegen der Auffassung der Beklagten können auch aus § 13 ArbPlSchG keine Schlüsse gezogen werden, die gegen die Anrechnung der Wehrdienstzeit des Klägers auf seine Gesellenjahre sprechen. § 13 ArbPlSchG betrifft die Anrechnung des Wehrdienstes auf Ausbildungszeiten und Beschäftigungszeiten im Hinblick auf abzulegende Prüfungen. Solche Beschäftigungszeiten sind mit Gesellenjahren nicht vergleichbar.
Der Zinsanspruch beruht auf § 291 BGB, § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Dr. Neumann Dr. Feller Dr. Etzel
Prieschl Fieberg
Fundstellen
DB 1984, 2046-2047 (LT1) |
ARST 1984, 170-172 (LT1) |
NZA 1984, 165-166 (LT1) |
AP § 16a ArbPlatzSchutzG (LT1), Nr 1 |
AR-Blattei, ES 1800 Nr 18 (LT1) |
AR-Blattei, Wehrdienst Entsch 18 (LT1) |
ZfA 1985, 589-590 (T) |