Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Arbeitnehmers. Freistellungsanspruch
Leitsatz (redaktionell)
Setzt der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer, von dem er weiß, daß dieser keine Fahrerlaubnis besitzt, als Kraftfahrzeugführer im öffentlichen Verkehr ein, so kann der Arbeitnehmer nach einem Verkehrsunfall verlangen, von den Rückgriffsansprüchen der leistungsfreien Haftpflichtversicherung freigestellt zu werden. Dies gilt auch, wenn er den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt hat (im Anschluß an die Entscheidung des BAG vom 6. Juli 1964 - 1 AZR 17/64 = AP Nr 34 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers).
Normenkette
BGB §§ 242, 254, 426, 611; VVG § 152; AKB § 10 Abs. 2 Buchst. c
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 10.04.1985; Aktenzeichen 8 Sa 105/84) |
ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 26.10.1984; Aktenzeichen 2 Ca 291/84) |
Tatbestand
Der Kläger war bei der Beklagten als Maschinist beschäftigt. Er hatte einen Radlader zu bedienen. Eine Fahrerlaubnis besaß er nicht. Dies war der Beklagten bekannt. Am 25. Oktober 1983 befuhr der Kläger in Ausübung seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit mit dem Radlader eine öffentliche Straße und verursachte infolge Trunkenheit einen Verkehrsunfall, bei dem ein Motorradfahrer schwer verletzt wurde.
Die Haftpflichtversicherung der Beklagten teilte dem Kläger mit, daß kein Versicherungsschutz gewährt werde, da er ohne Fahrerlaubnis gefahren sei, und daß sie sich wegen ihrer Aufwendungen an ihn halten werde. Die für den Motorradfahrer zuständige Berufsgenossenschaft meldete bei dem Kläger auf sie übergegangene Ansprüche des Verletzten an.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse ihn von den Ansprüchen Dritter aus dem Verkehrsunfall, insbesondere von den Ansprüchen der Haftpflichtversicherung und der Berufsgenossenschaft des Verletzten, freistellen. Er hat einen entsprechenden Leistungsantrag gestellt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Klage ist begründet.
I. Die Beklagte ist verpflichtet, den Kläger von allen Ansprüchen Dritter freizustellen, die ihm gegenüber aus Anlaß des Verkehrsunfalls vom 25. Oktober 1983 geltend gemacht werden. Dies hat das Landesarbeitsgericht richtig entschieden.
1. Grundlage des Anspruchs ist der Arbeitsvertrag der Parteien (§ 611 BGB). Der Arbeitgeber ist kraft seiner Fürsorgepflicht gehalten, seinen als Kraftfahrer eingesetzten Arbeitnehmer davor zu bewahren, daß er persönlich aus einem Verkehrsunfall in Anspruch genommen wird.
Das Bundesarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung einen Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers anerkannt, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein nicht versichertes Kraftfahrzeug zur Benutzung im öffentlichen Verkehr überläßt (vgl. BAG Urteil vom 14. Februar 1958 - 1 AZR 576/55 - AP Nr. 18 zu §§ 898, 899 RV0; BAG Urteile vom 11. Juni 1959 - 1 AZR 337/56 - und vom 27. Oktober 1960 - 2 AZR 59/58 - AP Nr. 9 und 21 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers) oder ein nicht verkehrssicheres Fahrzeug zur Verfügung stellt, das die Versicherung zur Entziehung des Deckungsschutzes berechtigt (BAG Urteil vom 18. Januar 1966 - 1 AZR 247/63 - AP Nr. 37 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Gleiches muß gelten, wenn ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer als Kraftfahrer im öffentlichen Verkehr einsetzt, obwohl er weiß, daß dieser nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis ist. Auch in diesem Fall ist der Versicherungsschutz eingeschränkt. Nach § 2 Abs. 2 Buchst. c AKB wird der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Fahrer bei Eintritt des Versicherungsfalles auf öffentlichen Wegen oder Plätzen nicht die vorgeschriebene Fahrerlaubnis hat.
2. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß die Beklagte den durch das Fahren ohne Fahrerlaubnis bewirkten Wegfall des Versicherungsschutzes im Verhältnis zum Kläger allein zu vertreten hat. Nach den Feststellungen des Berufungsurteils wußte die Beklagte, daß der Kläger keine Fahrerlaubnis besaß. Sie veranlaßte den Kläger zu Fahrten im betrieblichen Interesse auch außerhalb des Betriebsgeländes und setzte ihn dadurch der Gefahr von Schadenersatzansprüchen aus Verkehrsunfällen aus.
Zwar hätte der Kläger, ohne gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu verstoßen, die Durchführung der Unfallfahrt ablehnen können, da er sich durch sie strafbar machte (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG). Die Beklagte kann sich dem Kläger gegenüber aber darauf nicht berufen. Sie würde sich sonst mit ihrem früheren Verhalten, das im übrigen ebenfalls strafbar war (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG), in Widerspruch setzen. Jedenfalls dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Verstoß allein im Interesse und auf Anordnung des Arbeitgebers begangen wurde, kann der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gegenüber den Einwand unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegensetzen (BAG Urteil vom 6. Juli 1964 - 1 AZR 17/64 - AP Nr. 34 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers mit zustimmender Anmerkung von Götz Hueck).
II. Der Freistellungsanspruch ist nicht dadurch eingeschränkt, daß der Kläger den Verkehrsunfall grob fahrlässig verursacht hat.
1. Der Kläger hat den Arbeitsvertrag schuldhaft verletzt, indem er im angetrunkenen Zustand den Radlader führte und grob fahrlässig den Verkehrsunfall verursachte. Hierauf weist die Revision zu Recht hin.
2. Die Beklagte verkennt aber, daß die Trunkenheitsfahrt für die Ansprüche, von denen der Kläger Freistellung begehrt, nicht ursächlich war, so daß eine Mithaftung des Klägers nach § 254 BGB entfällt. Die gegen den Kläger gerichteten Rückgriffsansprüche beruhen ausschließlich auf dem Wegfall des Versicherungsschutzes wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (vgl. zu einem gleichgelagerten Fall BAG Urteil vom 6. Juli 1964 - 1 AZR 17/64 - AP Nr. 34 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers mit zustimmender Anmerkung von Götz Hueck).
a) Hätte die Beklagte den Kläger nicht ohne Fahrerlaubnis den Radlader führen lassen, so wäre trotz der grob fahrlässigen Verursachung des Unfalls infolge Trunkenheit die volle Leistungspflicht der Versicherung entstanden; weder der Kläger noch die Beklagte hätten mit Rückgriffsansprüchen des Haftpflichtversicherers oder übergegangenen Ansprüchen der Berufsgenossenschaft (§ 116 SGB X) rechnen müssen. In der Haftpflichtversicherung entfällt die Leistungspflicht des Versicherers bei grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers oder des nach § 10 Abs. 2 Buchst. c AKB mitversicherten Fahrers nicht. Dies folgt aus § 152 VVG, der § 61 VVG dahingehend einschränkt, daß der Haftpflichtversicherer von der Leistungspflicht erst frei wird, wenn der Versicherungsfall vorsätzlich widerrechtlich herbeigeführt worden ist.
b) Soweit die Revision meint, der Kläger habe den Unfall vorsätzlich herbeigeführt, ist ihr nicht zu folgen. Das Landesarbeitsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dargelegt, daß der Kläger nicht vorsätzlich gehandelt hat. Zwar umfaßt der Begriff des Vorsatzes in § 152 VVG auch den bedingten Vorsatz. Ein solcher ist aber nicht schon dann gegeben, wenn der Versicherungsnehmer in Kenntnis der Möglichkeit eines Schadens handelt. Erforderlich ist vielmehr, daß der Schädiger den als möglich vorgestellten Erfolg auch in seinen Willen aufnimmt und mit ihm für den Fall seines Eintritts einverstanden ist (BGH Urteil vom 18. Oktober 1952 - II ZR 72/52 - BGHZ 7, 311, 313). Von ganz krassen Ausnahmefällen abgesehen liegen diese Voraussetzungen bei der Trunkenheit im Verkehr in der Regel nicht vor (BGH aa0). Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen geben für die Annahme eines bedingten Vorsatzes des Klägers keinerlei Anhaltspunkte. Schließlich weist das Landesarbeitsgericht auch zu Recht darauf hin, daß der Kläger nur wegen einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt zu einer Strafe verurteilt worden ist.
III. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, der Kläger verstoße mit seinem Anspruch auf Freistellung gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der erstmalige Fall eines fahrlässigen Alkoholunfalls, der vorliegend Gegenstand des Streits ist, hätte die Haftpflichtversicherung nicht zur Leistungsverweigerung berechtigt. Die Beklagte hat vielmehr den Wegfall des Versicherungsschutzes durch ihr Verhalten allein zu vertreten. Tatsachen dafür, daß sich der Kläger so verhalten hat, daß der Beklagten die Freistellung nicht zuzumuten wäre (§ 242 BGB), sind nicht festgestellt.
IV. Dem Freistellungsanspruch des Klägers steht auch nicht ein Ausgleichsanspruch aus dem Gesamtschuldverhältnis entgegen (§ 426 Abs. 2 BGB). Zwar haften die Beklagte als Halterin und der Kläger als Fahrer für Unfallschäden Dritter als Gesamtschuldner (§ 421 BGB). Eine Verpflichtung des Klägers zum Ausgleich nach § 426 Abs. 2 BGB entfällt aber, weil der Kläger gegen die Beklagte aus dem Arbeitsverhältnis einen Freistellungsanspruch hat und somit im Sinne des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB "etwas anderes bestimmt ist" (vgl. BAG Urteil vom 6. Juli 1964 - 1 AZR 17/64 - AP Nr. 34 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers).
Michels-Holl Dr. Peifer Dr. Wittek
Dr. Haible Schmidt
Fundstellen
BAGE 59, 89-93 (LT1) |
BAGE, 89 |
BB 1989, 147-148 (LT1) |
DB 1989, 280 (LT1) |
NJW 1989, 854 |
NJW 1989, 854 (LT1) |
EBE/BAG 1988, 15-16 (LT1) |
AiB 1989, 92-93 (LT1) |
AuB 1989, 163-164 (K) |
BG 1989, 785-786 (ST1) |
DRsp, VI (604) 179 d-f (T) |
ARST 1989, 854-854 (LT1) |
JR 1989, 264 |
JR 1989, 264 (L1) |
NZA 1989, 181-182 (LT1) |
RdA 1989, 67 |
AP § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers (LT1), Nr 94 |
AR-Blattei, ES 870 Nr 118 (LT1) |
AR-Blattei, Haftung des Arbeitnehmers Entsch 118 (LT1) |
EzA § 611 Arbeitnehmerhaftung, Nr 49 (LT1) |
MDR 1989, 289 (LT1) |
NZV 1989, 230 (L) |
ZfSch 1989, 156 (T) |