Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen
Normenkette
ArbGG §§ 2-3; HGB §§ 171, 172a; GmbHG §§ 30, 32a a.F., § 32b; ZPO § 538 Abs. 1 Nr. 2, § 540
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 17.04.1991; Aktenzeichen 12 Sa 139/90) |
ArbG Karlsruhe (Urteil vom 19.04.1990; Aktenzeichen 6 Ca 580/89) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 17. April 1991 – 12 Sa 139/90 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger war vom 15. Oktober 1985 bis 28. Februar 1987 bei der in Konkurs gefallenen D. GmbH & Co. KG beschäftigt. Die Beklagte, eine französische Aktiengesellschaft, ist Kommanditistin dieser Gesellschaft. Anträge auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH und der KG wurden mangels Masse abgewiesen. Der Betrieb der Gesellschaft ist stillgelegt. Seit dem 23. Dezember 1986 ist der Kläger wie alle anderen Arbeitnehmer von der Arbeit freigestellt. Ein Interessenausgleich mit dem Betriebsrat ist nicht zustandegekommen. Der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH kündigte mit Schreiben vom 27. Februar 1987 das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 28. Februar 1987. Der Rechtsstreit über diese Kündigung ist mit Vergleich vom 17. Oktober 1989 vor dem Landesarbeitsgericht beigelegt worden. Die D GmbH & Co. KG verpflichtete sich darin, an den Kläger 5.500,– DM als Nachteilsausgleich zu zahlen.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe ihre Kommanditeinlage in Höhe von 3.304.000,– DM noch nicht erbracht. Er könne sie deshalb als Kommanditistin auf Erfüllung des Vergleichs in Anspruch nehmen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.500,– DM nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Oktober 1989 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat durch Zwischenurteil seine sachliche und internationale Zuständigkeit bejaht. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß im vorliegenden Rechtsstreit die sachliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Arbeitssachen fehlt. Der nach § 171 HGB für die Gläubiger der insolventen GmbH & Co. KG bis zur Höhe seiner Einlage haftende Kommanditist ist weder Arbeitgeber nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG noch dessen Rechtsnachfolger im Sinne von § 3 ArbGG. Auf die internationale Zuständigkeit kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits gegen die Beklagte daher nicht an.
1. Die Revision ist zulässig.
a) Zwar ist in § 73 Abs. 2, § 65 ArbGG n. F. bestimmt, daß weder das Berufungsgericht noch das Revisionsgericht zu prüfen haben, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist und das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Diese ab 1. Januar 1991 in Kraft getretenen Vorschriften (Viertes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung – 4. VwGOÄndG – vom 17. Dezember 1990, BGBl. I S. 2809) sind jedoch nur anzuwenden, wenn das Verfahren erster Instanz nach dem 31. Dezember 1990 abgeschlossen worden ist (Art. 21 Satz 2 des 4. VwGOÄndG; BAG Urteil vom 20. August 1991 – 1 ABR 85/90 – DB 1992, 275, zu B I 1 der Gründe; BAG Urteil vom 15. Januar 1992 – 5 AZR 15/91 – zur Veröffentlichung vorgesehen; BGH Urteil vom 28. Februar 1991 – III ZR 53/90 – NJW 1991, 1686). Das erstinstanzliche Zwischenurteil ist am 19. April 1990, also vor Inkrafttreten des 4. VwGOÄndG, ergangen. Ein Zwischenurteil zur Zulässigkeit der Klage muß nach § 280 Abs. 2 ZPO in betreff der Rechtsmittel als Endurteil angesehen werden.
b) Das Urteil des Berufungsgerichts kann nach § 73 Abs. 2 ArbGG a. F. mit der Revision angefochten werden, wenn es die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen verneint hat. Danach kann die Revision zwar nicht darauf gestützt werden, daß die Zuständigkeit eines ordentlichen Gerichts begründet sei. Die Revision des Klägers hält aber die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für gegeben. Dem Kläger wäre es deshalb nur dann verwehrt, die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts überprüfen zu lassen, wenn das Landesarbeitsgericht seine Zuständigkeit bejaht hätte (BAG Urteil vom 23. Oktober 1990 – 3 AZR 23/90 – AP Nr. 18 zu § 2 ArbGG 1979; BAGE 53, 317, 319 = AP Nr. 2 zu § 3 ArbGG 1979; BAGE 32, 187, 188 f. = AP Nr. 2 zu § 4 TVG Gemeinsame Einrichtungen; a. A. Grunsky in Anm. zu AP Nr. 2 zu § 4 TVG Gemeinsame Einrichtungen).
2. Die Verfahrensrüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe § 540 ZPO verletzt, weil es die Sachdienlichkeit der eigenen Entscheidung weder mit den Parteien erörtert noch in seinem Urteil begründet habe, dringt nicht durch. Der Kläger verkennt, daß ein Fall der notwendigen Zurückverweisung nach §§ 540, 538 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nicht vorliegt. Verneint das Berufungsgericht entgegen der ersten Instanz die Zulässigkeit der Klage, hat es die Klage als unzulässig abzuweisen. Eine Zurückverweisung scheidet in diesem Fall aus. Für eine eigene Entscheidung zur Sache im Sinne von § 540 ZPO, deren Sachdienlichkeit es begründen müßte, ist dann kein Raum (Zöller, ZPO, 17. Aufl., § 538 Rz 9). Die vom Kläger angezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH Urteil vom 4. Juli 1969 – V ZR 199/68 – NJW 1969, 1669) ist deshalb nicht einschlägig.
3. Das Landesarbeitsgericht hat die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zutreffend verneint.
Hierzu hat es ausgeführt, zwischen der Beklagten als Kommanditistin und den Arbeitnehmern der Kommanditgesellschaft habe kein Arbeitsverhältnis bestanden. Sie sei deshalb nicht Arbeitgeber im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG. Die Beklagte könne auch nicht als Rechtsnachfolger des Arbeitgebers (§§ 2, 3 ArbGG) angesehen werden. Als Kommanditist in hafte sie nicht anstelle der Kommanditgesellschaft, sondern neben derselben.
a) Dem folgt der Senat. Die Beklagte ist als Kommanditist in nicht Arbeitgeber im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG.
Der Streit über die Zahlung des vergleichsweise vereinbarten Nachteilsausgleichs ist eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG). Der vorliegende Rechtsstreit wird indessen nicht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bzw. dessen Rechtsnachfolger geführt. Die Beklagte als Kommanditist in ist weder Arbeitgeber gewesen noch in dessen Rechtsstellung im Wege der Rechtsnachfolge (§ 3 ArbGG) eingerückt. Arbeitgeber ist, wer Arbeitnehmer beschäftigt. Dies war hier die insolvente GmbH & Co. KG, allenfalls noch deren Komplementär-GmbH. Zum Kommanditisten hatte der Kläger keine arbeitsvertraglichen Beziehungen. Anders als der persönlich unbeschränkt haftende Komplementär der Kommanditgesellschaft vertritt der Kommanditist die Gesellschaft nicht nach außen (§§ 170, 161 Abs. 2, 125 Abs. 1 HGB) und ist von der Führung der Geschäfte ausgeschlossen (§ 164 Satz 1 HGB). Nach dem Gesetz kann der Kommanditist weder für die Kommanditgesellschaft noch für deren Komplementär-GmbH einen Arbeitsvertrag schließen, noch deren Arbeitnehmern gegenüber Weisungen erteilen. Er hat daher keine Arbeitgeberbefugnisse; diese sind allein dem persönlich haftenden Gesellschafter vorbehalten. Dessen (haftungsrechtliche) Arbeitgeberstellung wird auch daran deutlich, daß er von den Arbeitnehmern allein oder gleichzeitig mit der Gesellschaft auf die Erfüllung arbeitsrechtlicher Ansprüche persönlich verklagt werden kann. Der Kommanditist kann demgegenüber sogar Arbeitnehmer der Kommanditgesellschaft sein (BAG Urteil vom 11. Mai 1978 – 3 AZR 21/77 – AP Nr. 2 zu § 161 HGB).
b) Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ergibt sich auch nicht nach § 3 ArbGG. Der Kommanditist ist nicht Rechtsnachfolger des Arbeitgebers.
Das Bundesarbeitsgericht hat zu einem solchen Sachverhalt bisher keine Entscheidung getroffen. Zu Unrecht meint die Revision, da der bisher zuständige Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts den Begriff des Rechtsnachfolgers in § 3 ArbGG sehr weit ausgelegt habe, müsse auch der Kommanditist der insolventen Kommanditgesellschaft als Rechtsnachfolger angesehen werden. Der Revision des Klägers ist zwar zuzugeben, daß der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts nicht nur den Wechsel des Schuldners oder des Gläubigers als Rechtsnachfolge angesehen hat, sondern ebenso den Fall der gesellschaftsrechtlichen Durchgriffshaftung dazu zählt (BAGE 53, 317 ff. = AP Nr. 2 zu § 3 ArbGG 1979, bei einem Alleingesellschafter einer GmbH; BAG Urteil vom 11. November 1986 – 3 AZR 228/86 – AP Nr. 6 zu § 2 ArbGG 1979, zu dem Durchgriff bei Gruppenunterstützungskassen). In diesem Sinne hat auch der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts entschieden (BAGE 32, 187 = AP, a.a.O., bei einem Komplementär einer KG). Der nunmehr zuständige Senat braucht nicht zu entscheiden, ob an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festzuhalten ist, weil vorliegend eine gesellschaftsrechtliche Durchgriffshaftung nicht Gegenstand des Verfahrens ist.
Der Begriff „Rechtsnachfolger” in § 3 ArbGG kann jedenfalls nicht über den Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung hinaus ausgelegt werden. Nach § 3 ArbGG soll die über § 2 ArbGG begründete Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen auch in den Fällen bestehen, in denen der Rechtsstreit durch einen Rechtsnachfolger öder durch eine Person geführt wird, die kraft Gesetzes an Stelle des sachlich Berechtigten oder Verpflichteten hierzu befugt ist. Die beschränkte „gesetzliche Einstandspflicht” des Kommanditisten ist indessen der primären Einstandspflicht („Vertragserfüllungshaftung”) des Komplementärs nicht gleichzusetzen (vgl. BAG Urteil vom 6. Mai 1986 – 1 AZR 553/84 – AP Nr. 8 zu § 128 HGB). Der Kommanditist tritt nur neben, nicht an die Stelle des sachlich verpflichteten Arbeitgebers (Grunsky, Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 3 ArbGG 1979) und haftet nur in Höhe seiner (noch nicht erbrachten) Einlage (§ 171 Abs. 1 HGB). Rechtsnachfolge im Sinne von § 3 ArbGG setzt jedoch voraus, daß der Rechtsnachfolger im Hinblick auf den streitigen Anspruch in die Rechtsstellung des Rechtsvorgängers eingerückt ist (BAGE 36, 274, 282 = AP Nr. 1 zu § 48 ArbGG 1979). So verhält es sich im Streitfall nicht. Die Beklagte ist haftungsrechtlich nicht an die Stelle des Arbeitgebers getreten. Da sich Rechte und Pflichten des Rechtsnachfolgers von denen des Vorgängers ableiten, setzt die Rechtsnachfolge einen Wechsel in der Rechtsstellung notwendig voraus. Ein solcher Sachverhalt liegt nicht vor, wenn ein zusätzlicher Schuldner neben einen anderen tritt, der weiterhin verpflichtet bleibt. Der Anspruch des Klägers auf Nachteilsausgleich richtet sich noch immer gegen die Kommanditgesellschaft. Mit der Klage verfolgt er nur einen zusätzlichen Anspruch gegen den Kommanditisten, ohne daß dadurch der Anspruch gegen die Kommanditgesellschaft entfällt.
c) Eine durch Analogie zu schließende Regelungslücke in § 3 ArbGG besteht nicht (a.A. BAG Urteil vom 11. November 1986, a.a.O., für das Verhältnis des gesetzlichen Trägers der Insolvenzsicherung und einer Gruppenunterstützungskasse). § 3 ArbGG erweitert bereits die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen im Verhältnis zu den ordentlichen Zivilgerichten. Eine darüber hinausgehende Anwendung dieser Bestimmung ist mit der Aufzählung der zuständigkeitsbegründenden Tatbestände in § 2 ArbGG, an die § 3 ArbGG anknüpft, nicht zu vereinbaren. Schließlich wird über die Zuständigkeit der Gerichte auch der zur Entscheidung berufene Richter näher festgelegt. Ein über die statthafte Auslegung von Zuständigkeitsbestimmungen (vgl. BVerfGE 48, 246, 262 f.) hinausreichende Analogie muß daher ausscheiden. Sie würde in die verfassungsrechtliche Gewährleistung des gesetzlichen Richters eingreifen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; vgl. dazu von Münch, GG, Bd. 3, 2. Aufl., Art. 101 Rz 16).
4. Der unterlegene Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Unterschriften
Dr. Leinemann, Dörner, Dr. Lipke, Binzek, Holst
Fundstellen