Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung nach Einigungsvertrag. Mangelnde persönliche Eignung

 

Orientierungssatz

Ordentliche Kündigung eines Betriebsaufsichtsingenieurs beim Rundfunk nach dem Einigungsvertrag wegen mangelnder persönlicher Eignung (Informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit) (Rechtsstreit an LArbG zurückverwiesen).

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 10. November 1998 - 4 Sa 1141/97 - aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die der Beklagte auf Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) stützt.

Der am 10. Juli 1944 geborene Kläger war seit 1969 beim "Deutschen Fernsehfunk der DDR" (DFF) und seit dem Wirksamwerden des Beitritts am 3. Oktober 1990 bei der Einrichtung gem. Art. 36 Einigungsvertrag (EV) tätig. Die Einrichtung nach Art. 36 EV löste sich gem. Art. 36 Abs. 6 Satz 1 EV mit Ablauf des 31. Dezember 1991 auf.

Mit Arbeitsvertrag vom 6. Januar 1992 stellte der Beklagte den Kläger ab 1. Januar 1992 als Betriebsaufsichtsingenieur für das Landesfunkhaus Sachsen-Anhalt ein. Der Kläger war für den Sendeablauf einer Schicht verantwortlich und gegenüber ca. zehn technischen Mitarbeitern weisungsbefugt.

Am 22. Dezember 1992 versicherte der Kläger schriftlich gegenüber dem Beklagten, nicht für das MfS oder das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) tätig gewesen zu sein. In einer Anlage zu dieser Erklärung gab er an, daß er Mitte 1987 eine Bombendrohung anläßlich einer Fernsehübertragung zur Anzeige gebracht habe. Deshalb sei er durch das MfS, welches die Ermittlungen führte, mehrfach befragt worden. Ansonsten habe er nicht aktiv mit dem MfS zusammengearbeitet.

Am 29. Juni 1993 erstellte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (künftig: Bundesbeauftragter) einen Einzelbericht über den Kläger. Danach verweist eine auf den Namen des Klägers angelegte Karteikarte des MfS auf eine Akte mit der Registriernummer XV 1016/87, von der nur ein Blatt aufgefunden wurde. Hieraus ergibt sich, daß am 8. Januar 1987 ein IM-Vorlauf über den Kläger angelegt und dieser dann am 4. Dezember 1987 in einen IM-Vorgang zu dem Decknamen "Herbert Otto" umregistriert wurde. Angaben über eine Verpflichtungserklärung, Zahl und Inhalt der Berichte oder den möglichen Inhalt der Akte mit der Nr. XV 1016/87 konnte der Bundesbeauftragte nicht machen. Als MfS-Mitarbeiter der zuständigen Diensteinheit wurde ein Herr N. benannt.

Zu einem im Rechtsstreit nicht näher mitgeteilten Zeitpunkt stieß ein ehemaliger Mitarbeiter des DFF, Herr F., auf einen ihn betreffenden Bericht eines IM Herbert Otto an das MfS. Der Bericht enthält neben einer negativen Persönlichkeits- einschätzung Angaben zu einem Gespräch zwischen Herrn F. und dem damaligen Beauftragten der Staatssicherheit W., bei dem der Kläger als einzige weitere Person zugegen war. Der Beklagte erfuhr hiervon im Sommer 1993, als Herr F. einen Vorgesetzten des Klägers ansprach.

Am 27. September 1993 führten der damalige Vorsitzende des Personalausschusses des Rundfunkrats und der Landesfunkhausdirektor mit dem Kläger ein Gespräch, ob er als IM für das MfS tätig gewesen sei. Mit Schreiben vom 18. Oktober 1993 teilte der Beklagte dem bei ihm gebildeten Gesamtpersonalrat mit, daß dem Kläger zum 31. Dezember 1993 ordentlich gekündigt werden solle. Der Kläger sei entgegen seinen Angaben doch für das MfS tätig gewesen und habe als IM Herbert Otto über seinen früheren Kollegen F. berichtet. Der Gesamtpersonalrat antwortete am 2. November 1993, er bezweifle, daß der Kläger tatsächlich für das MfS gearbeitet habe. Am 9. November 1993 begründete der Beklagte gegenüber dem Gesamtpersonalrat, warum er an der Kündigungsabsicht festhalte. Er kündigte das Arbeitsverhältnis sodann mit Schreiben vom 9. November 1993, dem Kläger zugegangen am 11. November 1993, ordentlich zum 31. Dezember 1993.

Der Kläger hat mit der am 26. November 1993 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage geltend gemacht, er sei nicht für das MfS tätig gewesen und habe nicht als IM Herbert Otto Berichte geliefert. Die Personalvertretung sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 9. November 1993 zum 31. Dezember 1993 nicht beendet worden sei.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, der Kläger habe Berichte für das MfS verfaßt, ua. über den ehemaligen DFF-Mitarbeiter F. In dem Gespräch am 27. September 1993 habe der Kläger eingeräumt, bewußt und aufgrund eigenen Entschlusses ohne Zwang für das MfS gearbeitet zu haben. Eine weitere Beschäftigung des Klägers, der eine herausgehobene Vertrauensstellung innehabe, sei unzumutbar. Der Kläger sei aufgrund des beharrlichen Leugnens seiner MfS-Tätigkeit für den öffentlichen Dienst ungeeignet.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Die vom Senat zugelassene Revision des Beklagten führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (Senatsurteil 16. Oktober 1997 - 8 AZR 212/96 -). Das Landesarbeitsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Berufung des Beklagten erneut zurückgewiesen. Mit der wiederum vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin Klagabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts (§§ 564 Abs. 1, 565 Abs. 1 ZPO).

I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Nach den Bekundungen der Zeugen B. und Dr. R. stehe fest, daß der Kläger unter falschem Namen ein Schriftstück über eine andere Person verfaßt habe. Den Zeugenaussagen sei aber nicht zu entnehmen, der Kläger habe eine freiwillige MfS-Mitarbeit und die Anfertigung von Berichten unter dem Decknamen eingeräumt. Die Kammer gehe nach der Vernehmung der Zeugen N. und F. davon aus, daß der Kläger IM gewesen sei. Dauer, Inhalt und Umfang seiner Verstrickung und deren Erheblichkeit im Sinne einer bewußten und finalen Mitarbeit seien jedoch im Dunkeln geblieben. Es könne allenfalls gemutmaßt werden, daß der Inhalt der den Kläger betreffenden abgegriffenen Stasiakte vernichtet worden sei. Demgemäß könne unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls nicht von der notwendigen erheblichen Verstrickung des Klägers mit dem MfS ausgegangen werden. Deshalb lasse sich auch nicht feststellen, ob die äußere Erscheinung einer dem Rechtsstaat und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichteten Verwaltung mit einem früheren Mitarbeiter des MfS Schaden nehmen könne. Nähere Informationen über Dauer, Inhalt und Umfang der MfS-Tätigkeit des Klägers seien für die notwendige Einzelfallprüfung zur Unzumutbarkeit der weiteren Beschäftigung unerläßlich, vom Beklagten aber nicht gegeben worden.

Es sei auch nicht feststellbar, daß dem Kläger die persönliche Eignung für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst zumindest wegen falscher Angaben über seine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit fehle. Nicht jede Fragebogenlüge rechtfertige eine Kündigung. Es komme vielmehr darauf an, wie lange die MfS-Tätigkeit zurückliege und wie schwerwiegend sie gewesen sei. Weder das Eine noch das Andere sei feststellbar. Eine negative Prognose hinsichtlich der Eignung des Klägers für eine künftige Tätigkeit im öffentlichen Dienst bestehe nicht.

II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis und in wesentlichen Teilen der Begründung nicht stand.

1. Das Landesarbeitsgericht hat allerdings auf die Beurteilung der Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung im Zusammenhang mit einer MfS-Tätigkeit den zutreffenden Maßstab angewandt und die Voraussetzungen des Abs. 5 Ziff. 2 EV ohne Rechtsfehler verneint.

a) Der Senat hat in dem genannten Urteil vom 16. Oktober 1997 ausgeführt (vgl. § 565 Abs. 2 ZPO):

"Die Tatsache, daß ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes für das frühere Ministerium für Staatssicherheit tätig war, kann seine fehlende persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV begründen. Wird die fehlende persönliche Eignung aus dem Umstand hergeleitet, daß der Arbeitnehmer für das MfS tätig war, ist der Tatbestand des Abs. 4 Ziff. 1 EV erfüllt, wenn die Voraussetzungen des Abs. 5 Ziff. 2 EV vorliegen (Senatsurteil vom 25. Februar 1993 - 8 AZR 274/92 - AP Nr. 10 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; Senatsurteil vom 26. August 1993 - 8 AZR 561/92 - BAGE 74, 120, 123).

Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV ist ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung insbesondere dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer für das frühere MfS bzw. AfNS tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Abs. 5 Ziff. 2 EV unterscheidet nicht zwischen den hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit. Damit gilt auch für inoffizielle Mitarbeiter, daß eine außerordentliche Kündigung nur gerechtfertigt ist, wenn eine bewußte, finale Mitarbeit für das MfS/AfNS erfolgte (Senatsurteil vom 14. Dezember 1995 - 8 AZR 356/94 - AP Nr. 56 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, mit weiteren Nachweisen). Diese Kündigungstatsachen sind vom kündigenden Arbeitgeber darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Die Anforderungen sind nicht geringer, wenn fristgemäß gekündigt und damit die Kündigung auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützt wird (Senatsurteil vom 25. Februar 1993, aaO).

...

Der Kündigungstatbestand des Abs. 5 Ziff. 2 EV stellt nicht auf besondere Einzelakte ab, sondern auf die Tätigkeit als solche. Steht diese in Umrissen fest, kann die Einzelfallprüfung ergeben, daß ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint (Senatsurteil vom 23. September 1993 - 8 AZR 484/92 - BAGE 74, 257, 263 = AP Nr. 19 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX). Die gerichtliche Feststellung und Beurteilung einer mit geheimdienstlichen Methoden durchgeführten Tätigkeit hat sich an den Erkenntnismöglichkeiten auszurichten, die dem Arbeitgeber offenstehen. Die zivilprozessualen Möglichkeiten der Tatsachenfeststellungen sind daher auszuschöpfen, wenn die für eine bewußte und finale Zusammenarbeit mit dem MfS vorgetragenen und unter Beweis gestellten Indizien erheblich sind (Senatsurteil vom 23. September 1993, aaO). Wenn eine Tätigkeit für die Staatssicherheit geleugnet wird und die Auskunft des Bundesbeauftragten wenig ergiebig ist, weil Akten fehlen oder "gesäubert" wurden, ist nicht auszuschließen, daß bei einer Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung neue und weitere Sachverhaltsumstände zutage treten, die der kündigenden Partei nützlich sind, von ihr aber nicht vorgetragen werden konnten. Dies ist durch die konspirative Vorgehensweise des MfS bedingt und hinzunehmen.

...

Eine Pflicht des Arbeitgebers, im Rechtsstreit wegen einer MfS-Mitarbeit zwingend zu deren Dauer, Qualität und Grund vorzutragen, kann auch nicht aus der Notwendigkeit gefolgert werden, daß bei jeder Kündigung eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist (Senatsurteil vom 11. Juni 1992 - 8 AZR 474/91 - BAGE 70, 309, 320 = AP Nr. 4 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; BVerfG Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - NZA 1997, 935, 936). Die Darlegungslast des Arbeitgebers zu den in der Vergangenheit liegenden Umständen, die aus seiner Sicht die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erscheinen lassen, wird ebenfalls durch die Erkenntnismöglichkeiten über das Maß der individuellen Verstrickung des Arbeitnehmers begrenzt. Leugnet der Arbeitnehmer seine MfS-Mitarbeit und sind auch durch den Bundesbeauftragten nur Indizien ermittelt worden, reicht es aus, daß aus der abgestrittenen Tätigkeit für die Staatssicherheit auf die Unzumutbarkeit der weiteren Beschäftigung des Arbeitnehmers, bezogen auf seine Stellung im gekündigten Arbeitsverhältnis und die mögliche Außenwirkung seiner Tätigkeit, zu schließen ist.

...

Sollte das Landesarbeitsgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt sein, daß der Kläger als IM der Staatssicherheit arbeitete, wird es zu prüfen haben, ob dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gewesen ist. Hierbei wird neben möglicherweise erst aufgrund der weiteren Verhandlung bekanntgewordenen Umständen der MfS-Tätigkeit maßgeblich sein, ob Schäden für das Ansehen der Sendeanstalt wegen der MfS-Vergangenheit eines Rundfunkmitarbeiters zu befürchten sind und welche berufliche Stellung der Kläger innerhalb des MDR einnimmt."

b) Das Landesarbeitsgericht hat nach einer zusammenfassenden Darstellung der Zeugenaussagen festgestellt, der Kläger sei für das MfS tätig gewesen. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts können nur so verstanden werden, der Kläger habe bewußt und gewollt für das MfS gearbeitet; Dauer, Inhalt und Umfang der Mitarbeit seien aber unklar. Diese Würdigung ist im Ergebnis vertretbar und nach Auffassung des Senats naheliegend. Der Kläger setzt dem nur seine eigene Würdigung entgegen. Eine Verfahrensrüge hat er nicht erhoben. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht - offensichtlich weil es der Klage ohnehin stattgegeben hat - nicht näher ausgeführt, auf welchen Erwägungen seine Überzeugungsbildung beruht. Das bedarf hier keiner Vertiefung. Im erneuten Berufungsverfahren ist jedenfalls neuer Vortrag möglich und eine eigenständige Überzeugungsbildung dazu nötig, ob der Kläger für das MfS tätig war. Gemäß § 286 ZPO sind insoweit die leitenden Gründe objektiv und logisch nachprüfbar im einzelnen anzugeben.

c) Die weitere Würdigung des Landesarbeitsgerichts, eine erhebliche Verstrickung sei nicht nachgewiesen, die Einzelfallprüfung ergebe deshalb keine Unzumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis, hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.

aa) Der Revision ist zuzugeben, daß die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts trotz der Hinweise des Senats im Urteil vom 16. Oktober 1997 (aaO, zu II 1 c cc der Gründe) teilweise unklar sind. Das Berufungsurteil trennt nicht hinreichend zwischen einer (erheblichen) MfS-Mitarbeit und der daraus folgenden Unzumutbarkeit. Der Begriff der "erheblichen Verstrickung" wird ungenau verwendet. Jedoch ergibt der Zusammenhang der Entscheidungsgründe, daß das Landesarbeitsgericht diesen Begriff als ein Element der Unzumutbarkeit gem. Abs. 5 Ziff. 2 EV versteht. Das entspricht der Senatsrechtsprechung (vgl. nur zuletzt Senatsurteil 27. Mai 1999 - 8 AZR 120/98 - nicht veröffentlicht, zu B III der Gründe mwN; vgl. ferner Senatsurteil 24. Juni 1999 - 8 AZR 790/98 - nicht veröffentlicht, zu II 1 der Gründe).

bb) Die Rüge, der Beklagte müsse keine Einzelakte, sondern nur die MfS-Tätigkeit als solche "in Umrissen" nachweisen, verhilft der Revision nicht zum Erfolg. Die Revision übersieht, daß sich aus der MfS-Tätigkeit eine Unzumutbarkeit ergeben muß, am Arbeitsverhältnis festzuhalten. Die Frage der Unzumutbarkeit ist zwar nach allen Umständen zu beurteilen. Insoweit wird es im Regelfall entscheidend aber gerade auf Inhalt, Umfang, Dauer und nähere Umstände der MfS-Mitarbeit ankommen. Die Umstände, aus denen sich die konkrete Unzumutbarkeit ergibt, müssen spätestens nach einer Beweisaufnahme über die MfS-Tätigkeit zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Ist das nicht der Fall, geht dies zu Lasten des kündigenden Arbeitgebers. Die im Urteil vom 16. Oktober 1997 (aaO) dargestellte eingeschränkte Substantiierungslast vor durchgeführter Beweisaufnahme ändert nichts an der vollen Beweislast des Arbeitgebers für die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis.

cc) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beweisaufnahme habe keine näheren Umstände der MfS-Tätigkeit und damit keine erhebliche Verstrickung des Klägers erbracht, ist nicht zu beanstanden. Die Revision setzt dem lediglich ihre eigene - keineswegs überzeugendere - Würdigung entgegen. Sie zeigt auch nicht konkret auf, daß sich die Unzumutbarkeit aus der festgestellten MfS-Tätigkeit als solcher iVm. der unstreitigen Arbeitstätigkeit des Klägers, den besonderen Belangen des Beklagten, einer etwaigen Wirkung auf die Öffentlichkeit und auf Mitarbeiter des Beklagten oder aus sonstigen Umständen ergibt.

dd) Das Landesarbeitsgericht würdigt die Stellung des Klägers bei dem Beklagten und die Außenwirkung der MfS-Tätigkeit nur ganz pauschal. Das hängt mit seiner Annahme zusammen, angesichts der unklaren Dauer und des unklaren Umfangs und Inhalts der MfS-Tätigkeit fehle es an einer erheblichen Verstrickung. In der Tat ist es vertretbar, deswegen der Stellung des Klägers als Betriebsaufsichtsingenieur keine besondere Bedeutung mehr zuzumessen und eine erhebliche negative Außenwirkung zu verneinen. Denn nach den Aussagen der Zeugen ist nicht auszuschließen, daß der Kläger für das MfS nur sehr kurzfristig, nicht sonderlich intensiv und ohne belastende Auswirkungen für Dritte tätig war.

2. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Prüfung der mangelnden Eignung iSv. Abs. 4 Ziff. 1 EV bei unrichtiger Beantwortung der Frage nach einer früheren MfS-Tätigkeit einen fehlerhaften Maßstab zugrunde gelegt. Die Würdigung der Einzelumstände ist widersprüchlich und unvollständig. Der Senat kann die erforderliche neue Einzelfallprüfung nicht selbst vornehmen.

a) Der Senat hat im Urteil vom 16. Oktober 1997 (aaO) ausgeführt (vgl. § 565 Abs. 2 ZPO):

"Falls das Landesarbeitsgericht den Kündigungsgrund nach Abs. 5 Ziff. 2 EV nicht als erfüllt ansieht, wird es bei Gewißheit über eine MfS-Tätigkeit des Klägers weiter zu prüfen haben, ob diesem die persönliche Eignung für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst zumindest wegen falscher Angaben über seine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit fehlt. Die in Personalfragebögen gestellten Fragen nach einer MfS-Tätigkeit sind zulässig und vom Arbeitnehmer wahrheitsgemäß zu beantworten (Senatsurteil vom 26. August 1993 - 8 AZR 561/92 - BAGE 74, 120, 126 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag; Senatsurteil vom 14. Dezember 1995 - 8 AZR 356/94 - AP Nr. 56 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX). Die Ausübung des Fragerechts dient letztlich der Bereinigung des übernommenen öffentlichen Dienstes von vorbelastetem Personal und damit der Schaffung einer leistungsfähigen öffentlichen Verwaltung, einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut. Die Falschbeantwortung von Fragen nach einer MfS-Tätigkeit offenbart regelmäßig die mangelnde persönliche Eignung für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst gemäß Abs. 4 Ziff. 1 EV. Das Landesarbeitsgericht wird im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung festzustellen haben, ob trotz des andauernden Leugnens einer MfS-Verstrickung andere Umstände eine positive Prognose über die Eignung des Klägers zulassen."

b) Das Landesarbeitsgericht beruft sich für seine Auffassung, nicht jede Fragebogenlüge rechtfertige eine Kündigung, es komme vielmehr darauf an, wie lange die MfS-Tätigkeit zurückliege und wie schwerwiegend sie gewesen sei, auf das BAG Urteil vom 4. Dezember 1997 (- 2 AZR 750/96 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 37 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 53; ebenso zB Senatsurteil 24. Juni 1999 aaO, zu III 2 der Gründe mwN). Demgegenüber betreffen diese Entscheidungen nicht Abs. 4 Ziff. 1 EV, sondern § 1 KSchG. Die Voraussetzungen des Sonderkündigungsrechts nach dem Einigungsvertrag stimmen keineswegs mit denen einer personen- oder verhaltensbedingten Kündigung nach dem Kündigungsschutzgesetz überein. Vielmehr hat der Einigungsvertrag die Kündigungen in einem Teilbereich und zeitlich befristet erleichtert, um die weitergehende Trennung von belasteten Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes zu ermöglichen. Der Senat hat das regelmäßige Vorliegen eines Eignungsmangels mit der besonderen Bedeutung der wahrheitsgemäßen Beantwortung dieser Frage für den öffentlichen Arbeitgeber begründet. Wer hierzu falsche Angaben macht, mißbraucht das Vertrauen seines Arbeitgebers gröblich (Senatsurteil 14. Dezember 1995 aaO, zu B III 2 der Gründe). Das Landesarbeitsgericht hat dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis übersehen.

c) Für beide Kündigungstatbestände ist freilich, wie der Senat stets betont hat, eine Einzelfallprüfung wesentlich. Die Falschbeantwortung belegt nicht zwangsläufig die mangelnde persönliche Eignung des Arbeitnehmers iSd. Einigungsvertrags. Dabei kommt es entgegen dem Berufungsurteil nicht nur auf das Gewicht der MfS-Tätigkeit und den Zeitablauf, sondern auf alle Umstände an, die für die persönliche Eignung im Sinne einer Prognose von Belang sind. Das Berufungsgericht hat seinem Ergebnis zur persönlichen Eignung des Klägers jedoch ausschließlich den Zeitablauf und die nicht feststellbare Bedeutung der MfS-Tätigkeit zugrunde gelegt. Das Maß individueller Schuld wird nicht geprüft, das weitere Verhalten des Klägers nicht ins Blickfeld genommen (vgl. Senatsurteile 26. August 1993 - 8 AZR 561/92 - BAGE 74, 120, 127; 14. Dezember 1995 aaO). Die Wertung, eine negative Prognose sei nicht ersichtlich, wird überhaupt nicht begründet und ist deshalb nicht nachvollziehbar. Schließlich erscheint die Feststellung des Landesarbeitsgerichts unverständlich, es sei nicht feststellbar, wie lange die MfS-Tätigkeit zurückliege; das Landesarbeitsgericht geht selbst davon aus, daß der Kläger seit 1987 IM war.

d) Die Sache ist noch nicht zur Endentscheidung reif. Es fehlt die Beurteilung einer Tatsacheninstanz, ob die Falschbeantwortung im Zusammenhang mit der MfS-Tätigkeit als solcher und ggf. weiteren belastenden Umständen eine ordentliche Kündigung nach Abs. 4 Ziff. 1 EV rechtfertigt. Die erforderliche Prognose hat alle objektiven und subjektiven Umstände der falschen Erklärungen und alle sonstigen Besonderheiten des Falles einzubeziehen. Die Eignungsanforderungen speziell für die verantwortungsvolle Arbeitstätigkeit des Klägers sind dabei nicht niedrig anzusetzen.

III. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO).

1. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Gesamtpersonalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden (§ 38 Abs. 1 des Staatsvertrags über den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) - GVBl. LSA 1991 S 111, 120 - iVm. §§ 79 Abs. 1, 72 BPersVG), läßt Rechtsfehler nicht erkennen. Das Landesarbeitsgericht ist im Anschluß an die Beweisaufnahme über die Kündigungsbefugnis bei dem Beklagten zutreffend von einer Zuständigkeit des Gesamtpersonalrats ausgegangen. Der Beklagte hat den Gesamtpersonalrat mit Schreiben vom 18. Oktober 1993 und ergänzend am 9. November 1993 ordnungsgemäß und vollständig über die wesentlichen Gründe der beabsichtigten Kündigung unterrichtet. Eine unzutreffende Tatsachenbehauptung liegt nicht etwa darin, daß der Beklagte den Einzelbericht des Bundesbeauftragten als "Bescheid" wertet und danach eine IM-Tätigkeit des Klägers und Kontakte zum MfS seit Anfang 1987 als erwiesen ansieht. Der Inhalt des Einzelberichts wird zutreffend dargestellt. Der Beklagte mußte auch nicht über das angebliche "Geständnis" des Klägers vom 27. September 1993 unterrichten; hierbei handelt es sich nicht um eine Kündigungstatsache, sondern lediglich um ein "Beweismittel". Soweit der Kläger beanstandet hat, der Beklagte habe nicht über die angebliche Verweigerung der Zusammenarbeit durch Mitarbeiter informiert, handelt es sich ebenfalls nicht um den wesentlichen Kündigungstatbestand, sondern um Begleitumstände, die im Prozeß zur Abrundung der Kündigungsbegründung vorgetragen werden können (vgl. nur BAG 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 39 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 62; KR-Etzel 5. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 62 ff.; ErfK/Hanau/Kania § 102 BetrVG Rn. 6). Das gilt erst recht im Rahmen des Kündigungsgrundes mangelnde persönliche Eignung wegen falscher Angaben über die MfS-Tätigkeit.

2. Der Senat hat im Urteil vom 16. Oktober 1997 (aaO, zu III 1 der Gründe) bereits entschieden, die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger sei weder durch eine tarifliche noch durch eine einzelvertragliche Regelung ausgeschlossen gewesen. Hieran ist der Senat gem. § 565 Abs. 2 ZPO gebunden (vgl. nur Thomas/Putzo ZPO 21. Aufl. § 565 Rn. 9).

IV. Sofern das Landesarbeitsgericht im erneuten Berufungsverfahren die Kündigung vom 9. November 1993 als wirksam ansieht, kommt es für den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf die Kündigungsfrist an. Hierfür kann von Bedeutung sein, ob der Beklagte nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten der Arbeitsverhältnisse zur Einrichtung nach Art. 36 EV eingetreten ist (vgl. Senatsurteil 16. Oktober 1997 aaO, zu III 2 der Gründe). Hierzu verweist der Senat auf sein Urteil vom 20. März 1997 (- 8 AZR 856/95 - BAGE 85, 312, 319 ff., zu B II der Gründe).

Ascheid

Dr. Wittek

Mikosch

E. Schmitzberger

Scholz

 

Fundstellen

Dokument-Index HI611083

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