Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung wegen MfS-Tätigkeit - Falschbeantwortung

 

Orientierungssatz

Außerordentliche bzw hilfsweise ordentliche Kündigung einer schwerbehinderten Horterzieherin nach dem Einigungsvertrag wegen Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit. Falschbeantwortung (Klage stattgegeben).

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des

Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 4. August 1998 - 4 Sa

603/97 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung und einer hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung, die der Beklagte mit einer Tätigkeit der Klägerin für das frühere Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und mit falschen Angaben der Klägerin hierzu begründet.

Die im Jahre 1952 geborene Klägerin war vom 1. September 1972 bis zum 31. Dezember 1973 hauptamtlich für das MfS in der Bezirksverwaltung Magdeburg tätig. Sie arbeitete, zuletzt im Dienstgrad Gefreiter, als Visa-Erteilerin an der Paß- und Kontrolleinheit Marienborn/Autobahn. Seit 1977 ist sie bei dem Beklagten und dessen Rechtsvorgängern beschäftigt, zuletzt als Horterzieherin an einer Grundschule. Sie ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50 und in VergGr. VI b BAT-O eingruppiert.

Am 8. Mai und am 18. Dezember 1991 versicherte die Klägerin gegenüber dem Beklagten schriftlich, kein Mitarbeiter oder Informant des MfS gewesen zu sein. Weiter gab sie im Personalbogen vom 18. Dezember 1991 an, von 1971 bis 1973 beim Rat der Stadt Magdeburg, Abteilung Volksbildung, beschäftigt gewesen zu sein. Als Grund für das Ausscheiden aus dieser Tätigkeit führte sie "Babyjahr und Umzug" an. Am selben Tag erklärte sie in einem handschriftlichen Lebenslauf, von 1971 bis 1972 beim Rat der Stadt Magdeburg, Abteilung Volksbildung, und von 1972 bis 1973 im Babyjahr gewesen zu sein. Im Rahmen eines Antrags auf Anerkennung von Vordienstzeiten nach § 19 BAT-O gab sie unter dem 5. Oktober 1992 an, vom 1. September 1972 bis zum 31. Dezember 1973 bei der BdVP Magdeburg gearbeitet und diese Tätigkeit wegen Umzuges beendet zu haben; ihr sei bekannt, daß Zeiten jeglicher Tätigkeit für das MfS nicht als Beschäftigungszeiten anerkannt werden könnten.

Mit am 19. Juni 1996 eingegangenem Einzelbericht informierte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (Gauck-Behörde) den Beklagten über die Tätigkeit der Klägerin für das MfS.

Der Beklagte hörte die Klägerin am 25. Juni 1996 persönlich an und holte dann die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zu einer außerordentlichen sowie zu einer ordentlichen Kündigung ein. Die Hauptfürsorgestelle erteilte jeweils die Zustimmung mit Schreiben vom 12. Juli bzw. 24. September 1996. Mit Schreiben vom 8. Oktober 1996, der Klägerin zugegangen am 10. Oktober 1996, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 1997.

Mit der am 30. Oktober 1996 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin geltend gemacht, ein ausreichender Kündigungsgrund liege weder für die außerordentliche, noch für die ordentliche Kündigung vor. Der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden, da der Beklagte ihm seinen Maßstab für die Kündigung hauptamtlicher Mitarbeiter nicht mitgeteilt habe. Die außerordentliche Kündigung sei zudem nicht unverzüglich nach Zustimmungserteilung erklärt worden und deshalb nach § 21 Abs. 5 SchwbG verfristet.

Die Klägerin hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse, beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die

Kündigung des Beklagten vom 8. Oktober 1996 nicht aufgelöst worden

sei.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die außerordentliche Kündigung sei schon nach Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 Einigungsvertrag (künftig: Abs. 5 Ziff. 2 EV) gerechtfertigt. Die Klägerin sei bewußt und gewollt hauptamtlich für das MfS tätig geworden. Eine Beschäftigung als Erzieherin, die den grundlegenden Wert der Wahrhaftigkeit zu vermitteln habe, erscheine unzumutbar. § 21 Abs. 5 SchwbG sei auf die MfS-Kündigung ebenso wie § 626 Abs. 2 BGB nicht anwendbar. Zudem habe die Klägerin auf die berechtigten Fragen des Beklagten mehrfach die Unwahrheit gesagt und dabei durch aktive Fälschung ihrer Biographie "kreativ" gelogen. Als bloße Visa-Erteilerin hätte sie keinen Grund zur Lüge gehabt. Noch am 25. Juni 1996 habe sie wahrheitswidrig angegeben, die MfS-Tätigkeit im Jahre 1991 zugegeben zu haben. Die Klägerin sei aufgrund ihrer beharrlichen Unwahrhaftigkeit ungeeignet, die Tätigkeit als Erzieherin auszuüben. Sie habe sich durch ihr Verhalten die Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst erschlichen. Es sei ohne Bedeutung, daß sie nach der Wiedervereinigung im übrigen ohne nennenswerte Probleme gearbeitet habe. Jedenfalls sei aus den dargelegten Gründen die ordentliche Kündigung gerechtfertigt. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält der Beklagte an seinem Klageabweisungsantrag fest.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Rechtswirksamkeit sowohl der außerordentlichen wie der ordentlichen Kündigung mit durchweg zutreffender Begründung verneint. Revisionsrechtlich erhebliche Rechtsfehler werden von der Revision nicht aufgezeigt.

I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Die Klägerin sei lediglich in der Zeit vom 1. September 1972 bis zum 31. Dezember 1973, also rund 1 1/4 Jahre, hauptamtlich als MfS-Mitarbeiterin tätig gewesen. Sie sei damals noch ausgesprochen jung gewesen und habe nur im Range einer Gefreiten als Visa-Erteilerin am Kontrollpunkt Marienborn gearbeitet. Hierbei habe es sich um eine untergeordnete und gleichförmige Tätigkeit zur Abwicklung des damaligen Transitreiseverkehrs von und nach Berlin gehandelt. Die Verstrickung in den MfS-Apparat sei bei einer solchen Tätigkeit längst nicht so gravierend wie z.B. bei Spitzeltätigkeiten von informellen Mitarbeitern mit nachteiligen Folgen für die Opfer. Die damalige Tätigkeit der Klägerin erlaube keinen verläßlichen Schluß auf deren heutige Einstellung zum Grundgesetz. Eine entsprechende Diskreditierung des öffentlichen Dienstes drohe bei derart weit zurückliegenden Vorgängen nicht mehr. Auch unter Berücksichtigung der jetzigen Tätigkeit der Klägerin als Horterzieherin erscheine dem Beklagten ein Festhalten am Arbeitsverhältnis deshalb als noch zumutbar.

Die Klägerin habe wiederholt vorsätzlich gelogen, indem sie über den Zeitraum vom 1. September 1972 bis 31. Dezember 1973 falsche schriftliche Angaben gemacht habe. Dies könne eine außerordentliche Kündigung aber nicht rechtfertigen, weil die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten worden sei. Doch kämen personenbedingte und verhaltensbedingte Kündigungsgründe in Betracht. Die Klägerin müsse als Horterzieherin den ihr anvertrauten Kindern Grundwerte vermitteln. Ihre charakterliche Eignung hierfür stehe in Frage. Zudem stellten die falschen Angaben erhebliche Vertragspflichtverstöße dar. Der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes müsse sich auf richtige Angaben der Arbeitnehmer zu den früheren Tätigkeiten verlassen können. Die MfS-Tätigkeit der Klägerin liege jedoch sehr lange zurück. Außerdem sei sie von nur untergeordneter Bedeutung gewesen. Deshalb könne der Beklagte die Klägerin trotz deren wiederholter falscher Angaben weiter beschäftigen. Der Unrechtsgehalt der falschen Angaben sei nicht größer als bei den typischen Fragebogenlügen von informellen Mitarbeitern. Diese hätten im Rahmen ihrer Lebensläufe ihre normale Tätigkeit angeben können und die Frage nach einer früheren Tätigkeit für das MfS einfach verneint. Die Klägerin als hauptamtliche MfS-Mitarbeiterin habe dagegen ihre Tätigkeit nur durch lückenhafte oder wahrheitswidrige Angaben leugnen können. Vermutlich sei sie zu ihren Falschangaben auch durch die Furcht vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes bestimmt worden. In dieser Konfliktsituation erscheine ihr Verhalten in einem milderen Licht.

II. Die Beurteilung der außerordentlichen Kündigung durch das Landesarbeitsgericht ist im wesentlichen rechtsfehlerfrei.

1. Das Landesarbeitsgericht hat die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV zu Recht verneint.

a) Die Klägerin war für das MfS tätig. Das steht zwischen den Parteien außer Streit. Inhalt und Umfang der Tätigkeit hat das Landesarbeitsgericht für den Senat bindend festgestellt. Eine weitergehende Tätigkeit hat der Beklagte nicht behauptet.

b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, ein Festhalten am Arbeitsverhältnis erscheine deshalb nicht unzumutbar, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie liegt im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Die Revision zeigt durchgreifende Rechtsfehler nicht auf. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Beurteilung den zutreffenden Maßstab zugrunde gelegt, alle erheblichen Gesichtspunkte des Einzelfalls widerspruchsfrei berücksichtigt und Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze nicht verletzt.

Das Landesarbeitsgericht hat insbesondere die unbedeutende Tätigkeit und die untergeordnete Stellung der Klägerin zutreffend herausgestellt. Es hat zu Recht die kurze Dauer der Tätigkeit, das jugendliche Alter der Klägerin und den Zeitablauf seit Beendigung der Tätigkeit bis zur Wiedervereinigung, andererseits aber auch die verhältnismäßig verantwortungsvolle Tätigkeit der Klägerin als Horterzieherin berücksichtigt. Wenn das Landesarbeitsgericht diesen letzten Gesichtspunkt angesichts der geringen Belastung der Klägerin zurücktreten läßt, ist das nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat demgegenüber konkrete Gründe für eine Unzumutbarkeit nicht genannt. Der Unwahrhaftigkeit der Klägerin kann im Rahmen von Abs. 5 Ziff. 2 EV keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen, da die Unzumutbarkeit hier aus der MfS-Tätigkeit folgen ("deshalb") muß. Das Landesarbeitsgericht hat gerade nicht auf eine beanstandungsfreie Tätigkeit der Klägerin nach der Wiedervereinigung abgestellt. Vielmehr war schon im Jahre 1991 keine wesentliche Belastung mehr gegeben.

2. Soweit der Beklagte die außerordentliche Kündigung im Prozeß auch auf die Unwahrhaftigkeiten der Klägerin gestützt hat, hat das Landesarbeitsgericht ausschließlich auf die Versäumung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB abgestellt. Dies ist deswegen nicht korrekt, weil für die nach § 626 BGB zu beurteilenden Kündigungsgründe wegen der Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin nicht § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB, sondern § 21 Abs. 2 und 5 SchwbG gilt. Im Ergebnis ändert sich aber nichts: Zwar hat der Beklagte die Zweiwochenfrist des § 21 Abs. 2 SchwbG mit seinem Antrag vom 26. Juni 1996 gewahrt. Er hat aber nach Erteilung der Zustimmung mit Schreiben vom 12. Juli 1996 nicht unverzüglich, sondern erst nahezu drei Monate später gekündigt. Das läßt sich nicht damit rechtfertigen, der Vertrauensrat habe die Kündigung erst am 26. August 1996 behandelt und befürwortet. Auch danach hat der Beklagte nämlich noch mehr als sechs Wochen mit der Kündigung zugewartet.

III. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur ordentlichen Kündigung halten ebenfalls der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.

1. Der Beklagte stützt auch die ordentliche Kündigung ausdrücklich auf die MfS-Tätigkeit der Klägerin. Damit hat sich das Landesarbeitsgericht nicht befaßt. Das ist jedoch unschädlich. Der Vortrag des Beklagten hierzu rechtfertigt eine ordentliche Kündigung nicht.

a) Prüfungsmaßstab für eine auf MfS-Tätigkeit des Arbeitnehmers gestützte ordentliche Kündigung ist allein § 1 KSchG. Die Voraussetzungen des Abs. 5 Ziff. 2 EV müssen nicht vorliegen, sind andererseits unter Umständen nicht hinreichend (vgl. zuletzt Senatsurteile vom 3. September 1998 - 8 AZR 129/97 - n.v., zu II 1 der Gründe, m.w.N. und vom 10. Dezember 1998 - 8 AZR 594/97 - n.v., zu II 2 a der Gründe).

b) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich im Ergebnis als richtig (§ 563 ZPO). Die ordentliche Kündigung ist nicht wegen der Tätigkeit der Klägerin für das MfS nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Das kann der Senat selbst abschließend entscheiden, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt festgestellt ist. Der Sache nach tragen die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur außerordentlichen Kündigung auch die Annahme einer fehlenden sozialen Rechtfertigung. Der Beklagte hat sich stets nur auf den Tatbestand des Abs. 5 Ziff. 2 EV berufen und nicht schlüssig dargelegt, aus der MfS-Tätigkeit der Klägerin habe sich noch zum Kündigungszeitpunkt deren fehlende Eignung für den Beruf einer Horterzieherin ergeben. Er hat auch nicht vorgetragen, welche Auswirkungen im Arbeitsverhältnis die festgestellte Tätigkeit der Klägerin zum Kündigungszeitpunkt überhaupt noch haben konnte (vgl. nur Senatsurteil vom 3. September 1998 - 8 AZR 129/97 - n.v., zu II 1 b der Gründe, m.w.N.).

2. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, die Kündigung könne nicht mit den wiederholten falschen Angaben der Klägerin bzgl. ihrer MfS-Tätigkeit gerechtfertigt werden.

a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen (vgl. nur Senatsurteil vom 26. August 1993 - 8 AZR 561/92 - BAGE 74, 120 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag; BAG Urteil vom 13. September 1995 - 2 AZR 862/94 - AP Nr. 53 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; BAG Urteil vom 4. Dezember 1997 - 2 AZR 750/96 - AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2, 3 der Gründe; Senatsurteil vom 4. Juni 1998 - 8 AZR 496/96 - n.v., zu III 3 der Gründe; BAG Urteil vom 9. Juli 1998 - 2 AZR 772/97 - n.v.).

b) Das Landesarbeitsgericht hat die konkreten Umstände des Falles abgewogen und angesichts der nur geringen Belastung der Klägerin aus ihrer MfS-Tätigkeit auch nur eine geringfügige Beeinträchtigung der Interessen des Beklagten und des Vertrauensverhältnisses der Parteien durch die Unwahrhaftigkeit der Klägerin angenommen. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Revision setzt dem lediglich ihre eigene Würdigung der sozialen Rechtfertigung entgegen.

aa) Die Relevanz von Fragen nach früheren Tätigkeiten für das MfS wird durch den Einigungsvertrag begrenzt, denn nach Abs. 5 Ziff. 2 EV kommt eine fristlose Kündigung auch bei solchen Tätigkeiten nur in Betracht, wenn deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis für den Arbeitgeber unzumutbar erscheint. Den Tätigkeiten für das MfS, die vor dem Jahre 1970 abgeschlossen waren, kommt, abgesehen von seltenen Ausnahmefällen, keine oder jedenfalls nur eine äußerst geringe Bedeutung für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu. Insoweit kann keine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Beantwortung mehr angenommen werden (BVerfG Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 - BVerfGE 96, 171 ff. = AP Nr. 39 zu Art. 2 GG, zu C II 2 c bb der Gründe).

Die MfS-Tätigkeit der Klägerin wurde zwar erst im Jahre 1973 abgeschlossen, lag damit Ende 1990 aber immerhin schon 17 Jahre zurück. Dieser Zeitfaktor ist zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen, selbst wenn die Fragestellung noch zulässig war und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht verletzt hat (vgl. nur Senatsurteile vom 11. September 1997 - 8 AZR 316/96 - n.v., zu III 4 b cc der Gründe; vom 16. Juli 1998 - 8 AZR 317/97 - n.v., zu II 1 b der Gründe). Schon deshalb erscheinen die falschen Angaben der Klägerin in einem milderen Licht.

bb) Das Ausmaß der Täuschung war auch im übrigen gering. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die fehlende Bedeutung der MfS-Tätigkeit nach Inhalt und Dauer sowie aufgrund der Stellung der Klägerin hervorgehoben. Nimmt man deshalb an, die MfS-Tätigkeit habe für eine Kündigung offensichtlich nicht ausgereicht, liegt schon keine Pflichtwidrigkeit der Klägerin vor (vgl. Senatsurteil vom 10. Dezember 1998, aaO, zu II 2 b bb der Gründe). Die Klägerin durfte jedenfalls davon ausgehen, daß eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht berechtigt und das Interesse des öffentlichen Arbeitgebers an wahrheitsgemäßer Aufklärung nur gering sei. Andererseits mußte sie gleichwohl den - ungerechtfertigten - Verlust ihres Arbeitsplatzes aufgrund wahrheitsgemäßer Angaben befürchten, wie das Landesarbeitsgericht unangefochten angenommen hat. Auch diese Konfliktlage spricht zugunsten der Klägerin.

cc) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Unrechtsgehalt des Verhaltens der Klägerin sei nicht größer als bei den typischen Fragebogenlügen der informellen Mitarbeiter, wird von der Revision ohne Erfolg beanstandet. In der Tat konnte die Klägerin die Wahrheit nicht durch ein schlichtes "Nein" verschweigen. Ihre Täuschungshandlungen wirken freilich eher unbeholfen. Entscheidend ist auch hier, daß das Interesse des Beklagten an der Wahrheit aufgrund der besonderen Umstände des Falles insgesamt allenfalls als gering einzustufen ist (vgl. Senatsurteil vom 7. September 1995 - 8 AZR 828/93 - BAGE 81, 15, 22 ff.). Daß es der Klägerin um einen unberechtigten Vorteil, etwa eine höhere Vergütung, gegangen sei, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt und der Beklagte nicht behauptet.

dd) Schließlich hat das Verhalten der Klägerin bei ihrer Anhörung am 25. Juni 1996 weder das Aufklärungsinteresse des Beklagten wesentlich verletzt noch das Vertrauensverhältnis der Parteien nennenswert belastet. Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte bereits voll informiert (vgl. Senatsurteil vom 4. Juni 1998 - 8 AZR 496/96 - n.v., zu III 3 c aa der Gründe). Die Klägerin hat kaum mehr als die unrichtige Auffassung geäußert, sie habe doch schon früher alles angegeben.

IV. Der Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

Ascheid Bott Mikosch

Morsch Hickler

 

Fundstellen

Dokument-Index HI611127

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