Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsbereitschaft von Rettungssanitätern
Normenkette
BAT § 15 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 26. Juli 1990 – 4 Sa 586/89 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Regensburg vom 26. Juni 1989 – 5 Ca 224/89 N – abgeändert.
3. Die Klage wird abgewiesen.
4. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Bewertung der Wartezeit von Rettungssanitätern als Arbeitsbereitschaft oder als Überstunden.
Das Arbeitsverhältnis des als Rettungssanitäter bei dem Beklagten beschäftigten Klägers richtet sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) in der bis 31. März 1989 geltenden Fassung. Die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers beträgt gemäß § 15 Abs. 2 BAT 55 Wochenstunden. Täglich leistet der Kläger in der Regel 11 Stunden, wobei davon ausgegangen wird, daß darin durchschnittlich mindestens 3 Stunden Arbeitsbereitschaft enthalten sind.
Der Kläger hat gemeint, daß die täglich über die Normalarbeitszeit von 8 Stunden hinaus geleisteten Arbeitsstunden als Überstunden zu vergüten seien. Die tariflichen Voraussetzungen für eine Verlängerung der Arbeitszeit hätten nicht vorgelegen. Deswegen begehrt er für die nach seiner Ansicht vom 13. Juni 1988 bis 20. September 1988 entstandenen Überstunden die Überstundenvergütung in unstreitiger Höhe von 3.457,44 DM.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 3.457,44 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich aus 3.222,22 DM brutto ergebenden Nettobetrag seit Zustellung der Klage vom 31. Januar 1989 und nebst 4 % Zinsen aus dem sich aus 3.457,44 DM brutto ergebenden Nettobetrag seit Zustellung der Klageerweiterung mit Schriftsatz vom 1. Februar 1989 zu bezahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, § 15 Abs. 2 BAT ermögliche die Verlängerung der Arbeitszeit bis zu 11 Stunden täglich. Dies sei auch dem Kläger von Anfang an bekannt gewesen, und er sei auch von Beginn seines Arbeitsverhältnisses an mit einer solchen Regelung einverstanden gewesen. Es liege ein Verstoß gegen Treu und Glauben vor, wenn der Kläger erstmals für das Jahr 1988 die Vergütung von Überstunden fordere.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Vorinstanz und unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zur Abweisung der Klage.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß die regelmäßige tägliche Arbeitszeit des Klägers durch den Beklagten nicht wirksam auf 11 Stunden verlängert worden sei, weil die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 BAT nicht gegeben gewesen seien. Die Norm gestatte dem Arbeitgeber nur dann eine Verlängerung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer in erheblichem Umfang nur Arbeitsbereitschaft zu leisten habe und mindestens 3 Stunden Arbeitsbereitschaft in die ersten 0 Stunden eines Elfstundendienstes fielen. Daher seien die über 8 Stunden hinausgehenden Arbeitsstunden als Überstunden zu vergüten.
Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung nicht zu folgen.
II. Die Klage ist unbegründet.
1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Überstundenvergütung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BAT zu. Danach sind Überstunden die auf Anordnung geleisteten Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit (§ 15 Abs. 1 bis 4 BAT) für die Woche dienstplanmäßig festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen.
Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Der Beklagte hat keine Überstunden angeordnet, sondern die Arbeitszeit des Klägers gemäß § 15 Abs. 2 BAT verlängert. Dazu war er unter den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen ermächtigt (vgl. BAG Urteil vom 17. März 1988 – 6 AZR 268/85 – BAGE 58, 19 = AP Nr. 11 zu § 15 BAT).
2. Gemäß § 15 Abs. 2 BAT kann die regelmäßige Arbeitszeit bis zu 11 Stunden täglich (durchschnittlich 55 Stunden wöchentlich) verlängert werden, wenn in sie regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens 3 Stunden fällt. Diese Voraussetzungen liegen vor.
a) Wartezeiten der Rettungssanitäter von mindestens zehnminütiger Dauer zwischen den Einsätzen sind Arbeitsbereitschaft im Sinne des § 15 Abs. 2 BAT (vgl. BAGE 51, 131 = AP Nr. 7 zu § 15 BAT, m.w.N.). Dem steht nicht entgegen, daß der Rettungssanitäter bei Beginn der jeweiligen Wartezeit nicht weiß, wie lange sie dauern wird. Diese Ungewißheit liegt in der Natur der Tätigkeit eines Rettungssanitäters. Es hindert das Eintreten einer Entspannung nicht, weil der Rettungssanitäter aufgrund seiner Erfahrung davon ausgehen kann, daß bis zum nächsten Einsatz in der Regel nicht nur lediglich eine Pause von weniger als 10 Minuten eintreten werde (vgl. BAG, a.a.O.).
b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts muß sich die mindestens dreistündige Arbeitsbereitschaft nicht täglich ergeben, sondern nur durchschnittlich innerhalb eines Ausgleichszeitraumes von 8 Wochen. Durch die zweimalige Verwendung des Wortes „durchschnittlich” in § 15 Abs. 2 BAT kommt zum Ausdruck, daß die mindestens dreistündige Arbeitsbereitschaft sich nur in dem nach § 15 Abs. 1 BAT genannten Ausgleichszeitraum von 8 Wochen ergeben muß. Dies bedeutet, daß die dreistündige tägliche Arbeitsbereitschaft im konkreten Einzelfall pro Tag über- wie auch unterschritten werden kann, wenn andere Zeiten der Arbeitsbereitschaft für einen entsprechenden Ausgleich innerhalb von 8 Wochen sorgen, in denen kürzere Wochenarbeitszeit geleistet wird bzw. ein größerer Umfang an Arbeitsbereitschaft als nur 3 Stunden innerhalb eines Dienstes von elf Stunden zur Verfügung steht.
c) Derartige als Arbeitsbereitschaft zu wertende Wartezeiten betragen nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts im Durchschnitt von 8 Wochen mindestens 3 Stunden täglich.
d) Die Arbeitsbereitschaft kann sich auch über den gesamten Arbeitstag von 11 Stunden verteilen. Dies ergibt die Auslegung des § 15 Abs. 2 BAT.
Nach § 15 Abs. 2 BAT kann die regelmäßige Arbeitszeit verlängert werden, wenn in sie regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens 3 Stunden fällt. Das Tatbestandsmerkmal „in sie” nimmt zwar auf „die regelmäßige Arbeitszeit” Bezug, jedoch nicht auf die in § 15 Abs. 1 BAT geregelte regelmäßige Arbeitszeit, sondern auf die verlängerte regelmäßige Arbeitszeit des § 15 Abs. 2 BAT. Für den Umfang der regelmäßigen Arbeitszeit im Sinne von § 15 Abs. 2 BAT verbietet sich schon aus grammatikalischen Gründen ein Rückgriff auf § 15 Abs. 1 BAT. Dies wird auch durch den Sinn und Zweck der Tarifvorschrift bestätigt. Arbeitsbereitschaft als ein Zustand „wacher Achtsamkeit im Zustand der Entspannung” (vgl. BAGE 51, 131 = AP Nr. 7 zu § 15 BAT) kann sich auf den gesamten Elfstundendienst verteilen. Eine Beschränkung dieses Zustandes auf die ersten 8 Stunden des Elfstundendienstes ist dem im Wortlaut der Tarifvorschrift zum Ausdruck gekommenen Willen der Tarifvertragsparteien nicht zu entnehmen. Ein Wille, der im Tarifvertrag keinen erkennbaren Niederschlag gefunden hat, ist für die Anwendung tariflicher Normen aber bedeutungslos (vgl. BAG Urteil vom 17. September 1957 – 1 AZR 312/56 – AP Nr. 4 zu § 1 TVG Auslegung).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Unterschriften
Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Dr. Reinecke, Carl, Spiegelhalter
Fundstellen