Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsfreistellung bei Niederkunft
Leitsatz (redaktionell)
Ein Angestellter, auf dessen Arbeitsverhältnis der Bundes-Angestelltentarifvertrag Anwendung findet, hat aus Anlaß der Niederkunft seiner mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Lebensgefährtin keinen Anspruch auf bezahlte Arbeitsfreistellung.
Normenkette
GG Art. 6, 3 Abs. 1; BGB § 616 Abs. 1; BAT § 52 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 Buchst. e
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 29.05.1984; Aktenzeichen 10 Sa 42/84) |
ArbG Mannheim (Entscheidung vom 17.11.1983; Aktenzeichen 5 Ca 496/83 H) |
Tatbestand
Der Kläger ist bei der Beklagten als Krankenpfleger beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. In § 52 BAT ist u. a. geregelt:
"(2) Der Angestellte wird vorbehaltlich der
Sätze 2 bis 4 aus folgenden Anlässen in
nachstehendem Ausmaß unter Fortzahlung
der Vergütung (§ 26) von der Arbeit
freigestellt:
.....
e) bei der Niederkunft der mit dem Angestell-
ten in häuslicher Gemeinschaft lebenden
Ehefrau 2 Arbeitstage
.....
(3) Der Arbeitgeber kann in sonstigen dringen-
den Fällen Arbeitsbefreiung unter Fortzah-
lung der Vergütung (§ 26) bis zu drei Ar-
beitstagen gewähren."
Am 4. März 1983 bat der Kläger die Beklagte, ihn für zwei Tage unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit freizustellen, weil die Niederkunft seiner Lebensgefährtin bevorstehe, die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebe. Die Beklagte lehnte dies ab. Der Kläger nahm daraufhin in der Zeit vom 18. bis zum 31. März 1983 Erholungsurlaub. Am 17. März 1983 wurde sein Sohn Felix geboren. Mit Schreiben vom 21. Juli 1983 verlangte der Kläger von der Beklagten erfolglos, ihm die beiden Tage als Arbeitsbefreiung nach § 52 BAT anzuerkennen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, ihn in entsprechender Anwendung des § 52 Abs. 2 e BAT von der Arbeit freizustellen. Zumindest sei sein Anspruch nach § 52 Abs. 3 Satz 1 BAT begründet.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflich-
tet war, ihm am 18. und 19. März 1983 be-
zahlte Arbeitsbefreiung zu gewähren.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß die Beklagte den 18. und 19. März 1983 nicht auf den tariflichen Jahresurlaub des Klägers anrechnen darf. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
A. Die Klage ist zulässig.
I. Sie ist auf Feststellung gerichtet. Ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 ZPO kann auch ein vergangenes Rechtsverhältnis sein (vgl. BAGE 4, 114 = AP Nr. 1 zu § 20 MietSchG). Voraussetzung für die Zulässigkeit ist in diesem Fall allerdings, daß sich Rechtsfolgen für die Gegenwart ergeben (vgl. BGHZ 27, 190, 196; BGH WM 1981, 1050; Urteil des Senats vom 4. September 1986 - 8 AZR 2/84 -).
Diese Voraussetzung ist erfüllt. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 17. Oktober 1983 vor dem Arbeitsgericht zugesagt, daß sie im Falle der Begründetheit des Anspruchs die beiden Tage nicht auf den Erholungsurlaub des Klägers anrechnen werde. Darin liegt das Versprechen, dem Kläger, falls dieser einen Anspruch auf Arbeitsbefreiung hatte, zwei Tage Urlaub nachzugewähren.
II. Das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung entfällt nicht deshalb, weil der Kläger einen auf Nachgewährung der beiden Urlaubstage gerichteten Leistungsantrag hätte stellen können. Dem Kläger geht es darum, daß der 18. und der 19. März 1983 nicht auf den Erholungsurlaub dieses Jahres angerechnet werden, also um den Umfang seines Urlaubsanspruchs. Eine auf Feststellung des Umfangs des Urlaubsanspruchs gerichtete Klage ist zulässig, wenn der Arbeitgeber, wie hier, nicht in Abrede stellt, daß er einem für ihn ungünstigen Feststellungsurteil nachkommen wird (vgl. BAG Urteil vom 5. November 1964 - 5 AZR 405/63 - BAGE 16, 293 = AP Nr. 1 zu § 3 BUrlG).
B. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hatte keinen Anspruch, am 18. und 19. März 1983 unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit freigestellt zu werden.
I. Nach § 52 Abs. 2 e BAT wird der Angestellte bei Niederkunft seiner mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehefrau für zwei Arbeitstage unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit freigestellt.
1. Auf diese Bestimmung, durch die § 616 Abs. 1 BGB wirksam abbedungen ist (vgl. Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Stand März 1987, § 52 Rz 1; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand Dezember 1986, § 52 Anm. 1), kann der Kläger den Klageanspruch nicht stützen.
a) Nach dem Tarifwortlaut besteht der Freistellungsanspruch nur bei Niederkunft der Ehefrau des Angestellten. Die Niederkunft einer mit dem Angestellten in nichtehelicher Gemeinschaft lebenden Frau wird von dieser Regelung nicht erfaßt (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, aaO, § 52 Anm. 7 a; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, aaO, § 52 Rz 66; Uttlinger/Breier/Kiefer, BAT, Stand Februar 1987, § 52 Erl. 24).
b) Auch die Heranziehung des tariflichen Gesamtzusammenhangs führt nicht zu einer für den Kläger günstigeren Auslegung. In § 52 Abs. 1 Nr. 2 a und in § 52 Abs. 2 m BAT wird für den Anspruch auf Arbeitsfreistellung zwar allgemein darauf abgestellt, daß das anspruchsbegründende Ereignis (Krankheit) "im Haushalt des Angestellten" bzw. bei "im Haushalt" des Angestellten "lebenden Personen" eintritt; der Anspruch besteht somit in diesen Fällen auch dann, wenn die im Haushalt lebende Lebensgefährtin von der Krankheit betroffen ist. In § 52 Abs. 2 e BAT haben die Tarifvertragsparteien jedoch als Anspruchsvoraussetzung eindeutig die Niederkunft der Ehefrau vorgesehen. Ebenso haben sie in § 52 Abs. 2 f bis l BAT vorgeschrieben, daß die dort genannten Tatbestände nur anspruchsbegründend wirken, wenn sie bei bestimmten, im einzelnen aufgezählten Personen aus dem familiären Umfeld des Angestellten (z. B. Ehegatten, Eltern, Kindern) eingetreten sind. Eine erweiternde Auslegung des § 52 Abs. 2 e BAT dahin, daß der Anspruch auf Arbeitsfreistellung auch bei Niederkunft einer mit dem Angestellten nicht verheirateten Frau besteht, ist daher nicht möglich.
c) Auch aus der Tarifgeschichte läßt sich für die Auslegung des Klägers nichts herleiten.
Der Kläger meint, daraus, daß seit dem Inkrafttreten des 45. Änderungstarifvertrags zum BAT (1. Januar 1980) über die bis dahin geltenden Anspruchsvoraussetzungen hinaus die häusliche Gemeinschaft zwischen dem Angestellten und seiner Ehefrau gefordert werde, ergebe sich, daß das Merkmal der Ehe zwischen der Kindesmutter und dem Angestellten in den Hintergrund getreten sei und es nur noch auf die häusliche Gemeinschaft der leiblichen Eltern ankomme. Dem ist nicht zu folgen. Dadurch, daß die Neuregelung außer auf die Niederkunft der Ehefrau auch auf die häusliche Gemeinschaft der Kindeseltern abstellt, ist eine Verengung, nicht aber eine Erweiterung des tariflichen Tatbestands eingetreten (vgl. auch Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, aaO, Anm. 7 a).
2. Die Beschränkung des Anspruchs nach § 52 Abs. 2 e BAT auf den mit seiner Ehefrau in häuslicher Gemeinschaft lebenden Angestellten verstößt nicht gegen Art. 3 GG.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind die Tarifvertragsparteien an die Grundrechte gebunden (vgl. BAG Urteil vom 13. November 1985 - 4 AZR 234/84 - AP Nr. 136 zu Art. 3 GG m. w. N.; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., Einl. Rz 57). Sie haben somit ebenso wie der staatliche Gesetzgeber Art. 3 GG zu beachten. Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG wird durch eine Tarifnorm dann verletzt, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen. Die Tarifvertragsparteien haben hiernach eine weitgehende Gestaltungsfreiheit. Sache der Gerichte ist es nicht zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen haben; sie haben lediglich zu kontrollieren, ob die bestehende Regelung die Grenzen des Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien und damit die Grenzen der Tarifautonomie überschreitet (BAG Urteil vom 1. Juni 1983 - 4 AZR 566/80 - AP Nr. 5 zu § 611 BGB Deputat m. w. N.).
b) Dadurch, daß die Tarifvertragsparteien den Anspruch auf bezahlte Arbeitsfreistellung aus Anlaß der Niederkunft vom Bestehen einer Ehe zwischen dem Angestellten und der Kindesmutter abhängig gemacht haben, haben sie nicht in unsachlicher Weise zwischen dem verheirateten und dem unverheirateten Angestellten unterschieden.
Die Tarifregelung trägt dem Umstand Rechnung, daß den verheirateten Angestellten im Gegensatz zum unverheirateten die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft trifft (§ 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB). Diese umfaßt als Hauptpflichten die Pflichten zur häuslichen Gemeinschaft sowie zum gegenseitigen Beistand, insbesondere zur Mithilfe im gemeinsamen Haushalt und zur Betreuung der hochschwangeren Ehefrau (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 45. Aufl., § 1353 Anm. 2 b dd m. w. N.). Der verheiratete Angestellte befindet sich also im Gegensatz zum unverheirateten in einer Pflichtenkollision. Die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft kollidiert mit den Pflichten aus dem Arbeitsvertrag. Der Auflösung oder Milderung dieser Pflichtenkollision dient § 52 Abs. 2 e BAT. Dieser Unterschied berechtigte die Tarifvertragsparteien, den unverheirateten Angestellten nicht in die Regelung einzubeziehen. Darin liegt keine Verletzung des Willkürverbots.
Das gilt auch, soweit der Kläger meint, seine Gleichbehandlung mit einem verheirateten Angestellten in häuslicher Lebensgemeinschaft sei deshalb geboten, weil er mit seiner Lebensgefährtin tatsächlich eine häusliche Gemeinschaft begründet habe. Auch in diesem Fall kann der Angestellte von der Kindesmutter nicht nach § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB auf Leistung von Beistand in Anspruch genommen werden.
c) Das familienrechtliche Verhältnis zwischen dem Kläger und seinem Sohn zwang die Tarifvertragsparteien nicht zu der beanspruchten Gleichbehandlung.
Zwar ist der Kläger mit seinem Sohn nach § 1589 Satz 1 BGB verwandt und bildet mit diesem eine Gemeinschaft, die den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG genießt (vgl. Maunz/Dürig, GG, Stand Januar 1986, Art. 6 Rz 15 a und 16 a; BVerfGE 45, 104, 123). Auch kann ihm, da er mit Kind und Mutter zusammenlebt, ein Recht aus Art. 6 Abs. 2 GG nicht abgesprochen werden (BVerfGE 56, 363, 384). Nicht zu folgen ist dem Kläger aber darin, daß diese Rechtslage die Tarifvertragsparteien im vorliegenden Zusammenhang zur Gleichbehandlung des unverheirateten mit dem verheirateten Angestellten zwinge. Zwar ist die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien durch die besonderen Wertentscheidungen des Art. 6 GG beschränkt (Wiedemann/Stumpf, aaO, Einl. Rz 68; für den Gesetzgeber: BVerfGE 18, 257, 269 unter Hinweis auf BVerfGE 13, 290, 298; 17, 210, 217). Gegen diesen Grundsatz verstößt § 52 Abs. 2 e BAT jedoch nicht. Trotz der in beiden Fällen bestehenden Verwandtschaft zwischen Vater und Kind waren die Tarifvertragsparteien nicht gehindert, den Anspruch auf Arbeitsbefreiung nur dem Angestellten zuzuwenden, der aufgrund der Ehe und damit eines weiteren familienrechtlichen Verhältnisses von der Kindesmutter auf Beistand in Anspruch genommen werden kann.
II. Der Klageanspruch ist auch nicht nach § 52 Abs. 3 Satz 1 BAT begründet.
Nach dieser Bestimmung kann der Arbeitgeber in sonstigen dringenden Fällen Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung bis zu drei Arbeitstagen gewähren. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Kläger die tatsächlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht substantiiert behauptet hat. Zu der Frage, ob der Arbeitgeber beim Vorliegen eines dringenden Falls nach billigem Ermessen (§ 315 Abs. 1 BGB) entscheiden muß (so: Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, aaO, § 52 Rz 86; Uttlinger/Breier/Kiefer, aaO, § 52 Erl. 31; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, aaO, § 52 Anm. 8) oder ob die Leistungsbestimmung ins freie Belieben des Arbeitgebers gestellt ist (so wohl Crisolli/Tiedtke/Ramdohr, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, Stand Januar 1987, § 52 Anm. 27), braucht der Senat daher nicht Stellung zu nehmen.
Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer
Wittendorfer Dr. Haible
Fundstellen
BAGE 54, 210-215 (Leitsatz 1 und Gründe) |
BAGE, 210 |
BB 1987, 1607 |
BB 1987, 1607-1608 (Leitsatz 1 und Gründe) |
BB 1987, 1608-1608 Struck, Gerhard |
DB 1987, 2047-2047 (Leitsatz und Gründe) |
NJW 1987, 2458 |
NJW 1987, 2458-2459 (Leitsatz und Gründe) |
FamRZ 1987, 939-941 (red. Leitsatz und Gründe) |
ARST 1987, 111-111 (Leitsatz und Gründe) |
JR 1987, 528 |
NZA 1987, 271 |
NZA 1987, 667-668 (Leitsatz 1 und Gründe) |
RdA 1987, 313 |
AP § 52 BAT (Leitsatz und Gründe), Nr 3 |
AR-Blattei Grundgesetz, Entsch. 9 Echterhölter, Rudolf |
AR-Blattei, ES 830 Nr 9 (Leitsatz 1 und Gründe) |
AR-Blattei, Entsch 9 (Leitsatz 1 und Gründe) |
DÖD 1987, 241-242 (Leitsatz und Gründe) |
EzA GG Art. 3, Nr. 21 Rüthers, Bernd |
EzA, (Leitsatz und Gründe) |
EzBAT § 52 BAT, Nr 15 (Leitsatz 1 und Gründe) |
MDR 1987, 872-873 (Leitsatz 1 und Gründe) |
VR 1988, 115-115 |