Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerstatus nach DDR-Recht
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 20; Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 1; EGBGB Art. 232 § 5 Abs. 1; ZGB DDR § 197; KSchG § 1 Abs. 2; AGB-DDR 1977 § 47; Gesetz über die Hochschulen des Landes Berlin vom 13. November 1986 (GVBl. S. 1771, 1792) § 120 Abs. 3
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 09.06.1992; Aktenzeichen 11 Sa 88/91) |
ArbG Berlin (Urteil vom 05.11.1991; Aktenzeichen 94 Ca 3181/91) |
Tenor
1. Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 9. Juni 1992 – 11 Sa 88/91 – wird zurückgewiesen.
2. Das beklagte Land hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin ist seit 1980 aufgrund verschiedener Lehraufträge als Korrepetitorin und Lehrkraft an der Hochschule für Musik … in Berlin tätig. Diese Hochschule ist seit dem 3. Oktober 1990 der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung des beklagten Landes nachgeordnet.
Der letzte Lehrauftrag wurde der Klägerin am 16. Oktober 1987 für die Zeit ab 1. September 1987 erteilt. Es wurde u.a. vereinbart, daß der Lehrauftrag für die Dauer eines Studienjahres gelte und sich verlängere, wenn bis zum 30. April keine Kündigung erfolge. Die Klägerin verpflichtete sich, im Fach „Klavier” wöchentlich maximal zehn Stunden Unterricht zu erteilen. Tatsächlich leistete sie seit 1985 regelmäßig 15 Unterrichtsstunden wöchentlich. Die durchschnittliche Unterrichtszeit festangestellter Lehrkräfte betrug 20 Wochenstunden zu je 45 Minuten.
Die Klägerin unterrichtete Studenten, die im Hauptfach ein anderes Instrument erlernen, im Pflichtfach Klavier. Abgerechnet wurden jeweils die tatsächlich geleisteten Unterrichtsstunden. Während der Semesterferien wurde keine Vergütung gewährt. Der Klägerin wurden ihre jeweiligen Studenten sowie Lage und Dauer der Unterrichtseinheiten von der Abteilungsleitung der Hochschule zugewiesen. Sie hatte sich zu den vorgegebenen Arbeitszeiten zur Unterrichtserteilung einzufinden. Unterrichtsräume wurden ihr nach Maßgabe des jeweiligen Raumverteilungsplanes zugewiesen. Sie nahm vier- bis sechsmal pro Semester an durchschnittlich zweibis dreistündigen Pflichtvorspielen ihrer Studenten teil. Anläßlich dieser Pflichtvorspiele wurde ihr von der Bereichsleiterin des Pflichtfaches Klavier der künftige Unterrichtsstoff des jeweiligen Studenten nach Anzahl, Schwierigkeitsgrad, Stilepoche und Form der Stücke vorgegeben. Daneben nahm sie als Mitglied der Prüfungskommission an Prüfungsvorspielen sowohl eigener als auch nicht von ihr unterrichteter Studenten teil. Des weiteren unterrichtete sie als Krankheitsvertretung anderer Lehrkräfte gegen besondere Vergütung. Darüber hinaus nahm sie an Fachbereichsversammlungen der Honorarmitarbeiter, den Abteilungskonferenzen der Klavierabteilung und sonstigen hochschulinternen Veranstaltungen teil.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 1990, zugegangen am 25. Januar 1991, kündigte die Rektorin der Hochschule den Lehrauftrag „fristgemäß”. Zugleich wurde der Klägerin „vorbehaltlich eines entsprechenden Lehrbedarfs” die Vereinbarung eines Lehrauftrags für das Sommersemester 1991 angekündigt.
Mit ihrer am 13. Februar 1991 bei Gericht eingegangenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie stehe in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis. Die Kündigung sei unwirksam, weil sie sozial ungerechtfertigt sei.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß durch die Kündigung der Beklagten vom 14. Dezember 1990 das Arbeitsvertragsverhältnis der Klägerin nicht aufgelöst wurde, sondern auch nach Ablauf des Wintersemesters 1990/91 fortbesteht.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hat vorgetragen, nach dem Recht der DDR sei mit der Erteilung des Lehrauftrages kein Arbeitsrechtsverhältnis begründet worden. Die Klägerin habe als freie Mitarbeiterin ihre Tätigkeit im Rahmen eines befristeten persönlichen Dienstleistungsverhältnisses gemäß §§ 197 ff. ZGB-DDR erbracht. Da die zum Zeitpunkt der Kündigung geltende Regelung des Berliner Landesrechts, wonach Lehraufträge nur für jeweils ein Semester erteilt werden dürften, die alten Regelungen der DDR über Lehraufträge ersetzt habe, sei die Geschäftsgrundlage der Vereinbarung vom 16. Oktober 1987 weggefallen. Die Beendigung des Lehrauftrags zum Ablauf des Wintersemesters 1990/91 sei als einzige Möglichkeit geblieben.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des beklagten Landes.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch Kündigung oder aus einem anderen Grunde aufgelöst worden ist.
I. Zwischen den Parteien bestand zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs ein Arbeitsverhältnis.
1. Zur Zeit des Wirksamwerdens des Beitritts der DDR (Art. 1 Abs. 1 Einigungsvertrag (EV): 3. Oktober 1990) war die Klägerin im öffentlichen Dienst der DDR beschäftigte Arbeitnehmerin. Für diesen Personenkreis bestimmt der Einigungsvertrag die Fortgeltung der bisherigen Arbeitsbedingungen mit bestimmten Maßgaben (Art. 20 EV i.V.m. Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A. Abschn. III Nr. 1 Abs. 1). Art. 232 § 5 Abs. 1 EGBGB normiert ergänzend, daß auf die beim Wirksamwerden des Beitritts bestehenden Arbeitsverhältnisse von dieser Zeit an die Vorschriften des BGB anzuwenden sind. Ob zur Zeit des Wirksamwerdens des Beitritts ein Arbeitsverhältnis vorgelegen hat, ist dementsprechend nach dem Recht der DDR festzustellen (MünchKomm-Oetker, Zivilrecht im Einigungsvertrag, Rz 116 und 123).
a) Die Abgrenzungskriterien zwischen Arbeitsrechtsverhältnissen und Zivilrechtsverhältnissen waren zwar in der DDR gesetzlich nicht im einzelnen geregelt. Es war jedoch anerkannt, daß persönliche Dienstleistungen im Sinne von § 197 ZGB-DDR nicht auf Dauer innerhalb eines Kollektivs erbracht werden konnten. Es wurde auf die vertraglich vereinbarten Bedingungen abgestellt, unter denen die Leistung zu erbringen war. Entscheidend waren die Dauer und die Stetigkeit der Arbeitsleistung, die Bindung an bestimmte Arbeitszeiten, die Weisungsgebundenheit im Kollektiv und die Bindung an die Arbeitsdisziplin sowie die Erfüllung von Nebenpflichten (vgl. zu den Voraussetzungen eines Arbeitsrechtsverhältnisses Stadtgericht Berlin Urteil vom 2. März 1976, NJ 1976, 534; Barthel/Wandtke NJ 1973, 604, 605; Göhring/Posch, Zivilrecht Lehrbuch 2, 1981, S. 53; Kreutz NJ 1980, 277, 278). Es bestand keine Freiheit der Rechts formenwahl. Nach seinerzeitiger Auffassung erforderten es die gesellschaftlichen Verhälnisse in der DDR als Staat der Arbeiter und Bauern, die planmäßig in Betrieben und Einrichtungen zu leistende Arbeit im Rahmen von Arbeitsrechtsverhältnissen zu organisieren und den arbeitenden Menschen weitgehend den Schutz des sozialistischen Arbeitsrechts angedeihen zu lassen. Allein die Besonderheiten der künsterlischen Betriebe gestatteten es nicht, von der Anwendung dieser allgemeingültigen Regelung abzuweichen (vgl. Stadtgericht Berlin Urteil vom 4. Januar 1973, AuA 1973, 373, 374 f.).
b) Dem Lehrauftrag der Klägerin lag ein Arbeitsrechtsverhältnis zugrunde. Die Klägerin war Werktätige im Sinne des Arbeitsgesetzbuches der DDR. Sie erbrachte aufgrund des Lehrauftrages eine ständige Arbeitsleistung, sie war in das Kollektiv des Betriebes der Hochschule einbezogen und insgesamt der Arbeitsdisziplin unterworfen. Die Klägerin war gemäß Nr. 3 des Lehrauftrages vom 24. Juli 1986 verpflichtet, alle Weisungen und Ordnungen der Hochschulleitung einzuhalten. Das Weisungsrecht war inhaltlich uneingeschränkt und betraf neben dem organisatorischen Studienablauf auch die inhaltliche Gestaltung des Studium einschließlich des Ausbildungs- und Erziehungsprozesses der Studenten.
Allerdings konnten – unabhängig von anerkannten Abgrenzungskriterien – Arbeitsrechtsverhältnisse dem Arbeitsrecht durch Sondervorschriften entzogen werden. Das Arbeitsrechtsverhältnis der Klägerin unterlag keiner derartigen Sonderregelung. Insbesondere waren die §§ 4, 14, 18 der Hochschullehrerberufungsverordnung (HBVO) vom 6. November 1968 (GBl.-DDR II Nr. 127 S. 997) in der Fassung der Verordnung vom 16. August 1973 (GBl.-DDR I Nr. 38 S. 401) nicht anwendbar. Die Klägerin gehörte nicht zu den nebenamtlichen Hochschullehrern im Sinne von § 4 HBVO, mit denen gemäß § 14 HBVO eine Vereinbarung über ihre Aufgaben und ihre Vergütung abzuschließen war, die keine arbeitsrechtlichen Ansprüche begründete. Hierzu gehörten allein nebenamtliche Honorarprofessoren und Honorardozenten, die grundsätzlich dieselben Berufungsvoraussetzungen erfüllen mußten wie die hauptamtlichen. Wie sich aus den besonderen Honorarordnungen ergibt, wurde unter „nebenamtlich” im Sinne der HBVO eine Teilzeitbeschäftigung mit weniger als der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit der hauptamtlichen Kräfte verstanden. So sah die Anordnung über die Honorierung von Lehrtätigkeit an den wissenschaftlichen Hochschulen vom 1. Dezember 1968 (GBl.-DDR II Nr. 127 S. 1005) in § 6 vor, daß das Honorar eines Lehrbeauftragten nicht mehr als 1/3 der Grundvergütung einer hauptamtlichen Lehrkraft betragen durfte. Diese Begrenzung auf 1/3 der Grundvergütung behielt § 7 der Anordnung über die Honorierung von Leistungen zur Aus- und Weiterbildung von Hoch- und Fachschulkadern vom 25. Februar 1976 (GBl.-DDR I Nr. 10 S. 175) bei. Übte ein Lehrbeauftragter in größerem Umfange Lehrtätigkeit aus, unterlag er den arbeitsrechtlichen Bestimmungen für Teilzeitbeschäftigte (vgl. Lexikon für das Arbeitsrecht von A bis Z, Berlin 1987, Stichwort „Honorierung von Lehrtätigkeit”).
c) Die Klägerin arbeitete seit 1985 mit deutlich mehr als der Hälfte der von den festangestellten Lehrkräften zu leistenden Wochenstunden. Die vertraglich vereinbarte Unterrichtsstundenzahl wurde ausnahmslos um 50 % überschritten. Die Klägerin bezog ihre Einkünfte ausschließlich aus ihrer Tätigkeit für die Hochschule und hielt sich ganztätig im Gebäude der Hochschule auf.
2. Auf den Lehrauftrag der Klägerin waren nicht die Bestimmungen über die persönlichen Dientleistungen (§§ 197 ff. ZGB-DDR) anzuwenden. Die Klägerin hatte nicht eigenverantwortlich einmalig oder gelegentlich eine der in § 197 ZGB-DDR genannten Leistungen zu erbringen. Die Klägerin übte keine der in § 197 ZGB-DDR genannten Tätigkeiten aus. Die in dieser Bestimmung ausdrücklich angesprochene Vermittlung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten betraf nach allgemeiner Auffassung (vgl. Göhring/Posch, Zivilrecht Lehrbuch 2, S. 51; Kommentar zum ZGB der Deutschen Demokratischen Republik vom 19. Juni 1975, § 197 Anmerkung 2 und 3, S. 248) nicht die Beziehungen, die auf die Erfüllung der Schulpflicht bzw. die Ausbildung an Hoch- und Fachschulen, die Berufsausbildung oder die Qualifizierung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses gerichtet waren. Vielmehr betraf diese Regelung Qualifizierungsleistungen, die der Bürger in seiner Freizeit in Anspruch nahm.
Aufgrund des zwingenden Charakters des DDR-Arbeitsrechts war der im letzten Lehrauftrag der Klägerin enthaltene ausdrückliche Ausschluß arbeitsrechtlicher Ansprüche unwirksam.
Die Klägerin war Arbeitnehmer in der Hochschule …. Ihr Arbeitsverhältnis ging mit dem Wirksamwerden des Beitritts auf das beklagte Land über.
II. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 14. Dezember 1990 nicht aufgelöst worden.
Die Kündigung ist gemäß § 1 des nach Beschäftigungsdauer und Betriebsgröße anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes unwirksam. Das beklagte Land hat keinen Kündigungsgrund dargelegt, der die Zulässigkeit der Kündigung gemäß Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 EV oder ihre soziale Rechtfertigung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG ergeben könnte.
III. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist nicht wegen Fristablaufs zum Ende des Studienjahres 1990/91 beendet worden. Die Vereinbarung einer Befristung in Ziffer 5 des Lehrauftrags war gemäß § 47 AGB-DDR 1977 unwirksam. Arbeitsverträge waren nach dem AGB-DDR 1977 unbefristet abzuschließen. Nur in den hier nicht einschlägigen Ausnahme fällen des § 47 Abs. 1 AGB-DDR 1977 war eine Befristung möglich. Eine abweichende Rechtsvorschrift im Sinne von § 47 Abs. 2 AGB-DDR 1977 ist nicht ersichtlich.
Ebensowenig ist das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage beendet worden. Daß die bisherigen Arbeitsbedingungen mit Maßgaben über den 2. Oktober 1990 hinaus fortgelten sollten, ist für den öffentlichen Dienst in Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 EV besonders gesetzlich geregelt worden. Diese Regelung schließt die Anwendung der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aus. Darüber hinaus ist im Geltungsbereich dieser Sonderregelung des Einigungsvertrages die Annahme einer rechtsändernden Novation der Schuldverhältnisse ausgeschlossen.
IV. Das beklagte Land kann sich nicht auf § 120 Abs. 3 des Beriner Hochschulgesetzes vom 13. November 1986 (GVBl. S. 1771, 1792) berufen, weil das unbefristete Arbeitsverhältnis der Klägerin kein „Lehrauftrag” im Sinne dieser Bestimmung des Berliner Landesrechts ist.
V. Das beklagte Land hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Michels-Holl, Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Weiss, Wittendorfer
Fundstellen