Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn und Ende der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst
Normenkette
BAT § 15 Abs. 7, § 17 Abs. 1, 5, § 35 Abs. 1, 3; Hessisches Universitätsgesetz (HUG) § 34; Hessisches Universitätsgesetz (HUG) § 35
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 22.11.1991; Aktenzeichen 13 Sa 410/91) |
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 05.12.1990; Aktenzeichen 6 Ca 194/89) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt/Main vom 22. November 1991 – 13 Sa 410/91 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit.
Der Kläger ist als Krankenpfleger im Klinikum
beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Dessen § 15 Abs. 7 lautet in der bis zum 31. März 1991 geltenden Fassung:
Regelmäßige Arbeitszeit
„(7) Die Arbeitszeit beginnt und endet an der Arbeitsstelle, bei wechselnden Arbeitsstellen an der jeweils vorgeschriebenen Arbeitsstelle oder am Sammelplatz.”
Protokollnotiz zu Absatz 7:
„Der Begriff der Arbeitsstelle ist weiter als der Begriff des Arbeitsplatzes. Er umfaßt z.B. die Dienststelle oder den Betrieb, während unter Arbeitsplatz der Platz zu verstehen ist, an dem der Angestellte tatsächlich arbeitet.”
Das Klinikum … besteht aus mehreren medizinischen Zentren i. S. der §§ 33 ff. des Hessischen Universitätsgesetzes. Der Kläger arbeitet im Zentrum für Neurologie und Neurochirugie (ZNN). Dieses ist in einem auf dem Klinikgelände gelegenen Gebäude untergebracht. Nach Süden wird das Gelände um dieses Zentrum durch ein kleineres Gebäude, eine Hecke und einen Zaun abgegrenzt. Nach Westen ist es durch eine Hecke und nach Norden durch einen Zaun so eingefaßt, daß sich eine nach Osten hin hufeisenförmige Öffnung ergibt. Das Gebäude des Zentrums ist von der östlich verlaufenden D.-Straße über die H.-Straße und einen anschließenden Weg oder von Süden her unter Benutzung der K. straße und des S. weges über einen zweiten Weg zu erreichen. Der Kläger fährt vom S. weg aus auf einen für Beschäftigte des Zentrums eingerichteten Parkplatz und benutzt sodann den Kellergeschoßeingang des Gebäudes. Das Arbeitsgericht hat rechtskräftig festgestellt, das beklagte Land habe dem Kläger die Wegezeit vom Betreten bis zum Verlassen des Gebäudes zu bezahlen, in dem das ZNN untergebracht ist.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das beklagte Land müsse ihm außerdem die Wegezeit zwischen Parkplatz und Kellergeschoßeingang des Gebäudes als Arbeitszeit vergüten.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, vom 1. September 1988 bis 31. Dezember 1990 arbeitstäglich weitere 10 Minuten als Überarbeit anzurechnen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage hinsichtlich dieses weitergehenden Anspruchs abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger diesen Klageantrag weiter. Das beklagte Land bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, Arbeitsstelle des Klägers sei das Gebäude des ZNN. Es handele sich dabei um einen Dienststellenteil, der räumlich in Gestalt des Gebäudes und organisatorisch durch einen selbständigen Aufgabenbereich sowie durch seinen eigenen rechtlichen Status gem. § 34 Abs. 1, 3, 4 und § 35 des Hessischen Universitätsgesetzes von anderen Dienststellenteilen (medizinischen Zentren) abgrenzbar sei. Die Arbeitszeit des Klägers beginne und ende daher mit dem Betreten und Verlassen des Gebäudes. Das Gelände um dieses Gebäude, das nach Süden, Westen und Norden durch Hecken und Zäune abgegrenzt sei, stelle keine Arbeitsstelle dar, weil es nicht umfriedet sei. Damit würden die dort tätigen Angestellten auch nicht gezwungen, das Gelände nur durch bestimmte Eingänge zu betreten. Das Gelände des Klinikums werde von zahlreichen öffentlichen Straßen durchzogen. Beim Betreten des Klinikgeländes werde der Kläger nicht durch Maßnahmen des beklagten Landes, die auf dessen Organisationsbefugnis zurückgingen, auf bestimmte Eingänge verwiesen. Ihm stünden vielmehr öffentliche Straßen und daran anschließende Fußwege zur Verfügung. Die Auswahl zwischen den verschiedenen Wegen habe er allein deshalb zu treffen, weil er das Gebäude des ZNN entweder durch dessen Haupteingang oder durch den von ihm bevorzugten Kellereingang betreten könne.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
II. Der Anspruch des Klägers auf Überstundenvergütung gem. § 17 Abs. 1 und 5, § 35 Abs. 1 und 3 BAT ist nicht begründet. Die Arbeitszeit beginnt und endet nicht mit dem Eintreffen des Klägers auf dem Parkplatz. Weitere Wegezeiten als diejenigen, die das Arbeitsgericht rechtskräftig anerkannt hat, sind somit nicht als Überstunden zu vergüten.
1. Nach § 15 Abs. 7 BAT beginnt und endet die Arbeitszeit an der Arbeitsstelle. Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. Beschluß vom 29. April 1982 – 6 ABR 54/79 – AP Nr. 4 zu § 15 BAT; Urteile vom 15. September 1988 – 6 AZR 637/86 – BAGE 59, 335 = AP Nr. 12 zu § 15 BAT und vom 18. Januar 1990 – 6 AZR 386/89 – BAGE 65, 1 = AP Nr. 16 zu § 15 BAT und – 6 AZR 551/88 – n.v.) den Begriff der Arbeitsstelle dahingehend konkretisiert, daß dieser nicht mit dem Begriff des Arbeitsplatzes identisch ist, sondern einen weiteren räumlichen Bereich umfaßt. Als Arbeitsstelle kann ein Gebäude in Betracht kommen. Die Arbeitsstelle kann aber auch das gesamte Dienststellengelände mit einem oder mehreren Gebäuden umfassen. Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitgeber aufgrund seiner Organisationsbefugnis die Dienststelle mit einer Umfriedung umgibt und die Arbeitnehmer auf diese Weise zwingt, bestimmte Eingänge zu benutzen, so daß in einer Vielzahl von Fällen längere Wege in Kauf genommen werden müssen.
Bei dem Tarifbegriff der Arbeitsstelle i. S. des § 15 Abs. 7 BAT handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen richtige Anwendung in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden kann, ob das Tatsachengericht den Rechtsbegriff selbst verkannt. Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände bei der Beurteilung übersehen hat (vgl. z.B. BAG Urteil vom 7. Dezember 1988 – 7 AZR 138/88 – AP Nr. 8 zu § 543 ZPO 1977, zu II 2 c der Gründe; Urteil vom 26. November 1992 – 6 AZR 600/90 – n.v.).
2. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung den Tarifbegriff der Arbeitsstelle so zugrunde gelegt, wie er vom Senat verstanden wird und zutreffend das Gelände um das ZNN und das Gelände des gesamten Klinikums … als Arbeitsstelle des Klägers verneint.
a) Sowohl das gesamte Dienststellengelände wie auch Teile von Dienststellen können eine Arbeitsstelle darstellen (vgl. BAG Urteil vom 15. September 1988 – 6 AZR 637/86 – BAGE 59, 335 = AP Nr. 12 zu § 15 BAT und Urteil vom 18. Januar 1990 – 6 AZR 386/89 – BAGE 65, 1 = AP, a.a.O.), wenn der Arbeitgeber aufgrund seiner Organisationsbefugnis seine aus einem oder mehreren auseinanderliegenden Gebäuden bestehende Dienststelle oder Teile davon mit einer Einfriedung umgibt und die Arbeitnehmer auf diese Weise zwingt, bestimmte Eingänge zu benutzen. Der Arbeitgeber bestimmt durch die räumliche Gestaltung und Organisation der Arbeitsstelle Beginn und Ende der Arbeitszeit der Arbeitnehmer. An einer solchen organisatorischen Gestaltung durch den Arbeitgeber fehlt es vorliegend jedoch.
b) Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Teil des Dienststellengeländes, in dem sich das ZNN befindet, so gestaltet, daß es an drei Seiten geschlossen ist, so daß sich nach Osten eine hufeisenförmige Öffnung ergibt. Durch das offene Gelände kann man das Gebäude über zwei Wege erreichen. Der eine Weg führt über die H.-Straße, der andere, der auch für Kraftfahrzeuge zu benutzen ist, über den … S. weg. Damit hat das beklagte Land zwar eine Teilumfriedung geschaffen, doch hat es das Gelände räumlich nicht so gestaltet, daß die Arbeitnehmer gezwungen werden, bestimmte Eingang zu benutzen. Die im Osten befindlichen Wege haben keine durch das beklagte Land geschaffenen Eingänge, so daß dort Beginn und Ende der Arbeitszeit nicht zu bestimmen sind. Insbesondere sind keine tatsächlichen Anhaltspunkte ersichtlich, aus denen sich ergibt, daß das beklagte Land den Parkplatz, den der Kläger daß das beklagte Land den Parkplatz, den der Kläger als die äußere Grenze seiner Arbeitsstelle anerkannt wissen will, organisatorisch als Eingang oder Pforte zum ZNN bestimmt hat.
Auch das Gelände des Klinikums insgesamt stellt nicht die Arbeitsstelle des Klägers dar. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist das Klinikum nicht umfriedet und wird von zahlreichen öffentlichen Straßen durchzogen. Damit werden die Arbeitnehmer auch insoweit nicht auf bestimmte Eingänge verwiesen, die auf die Organisation des Arbeitgebers zurückzuführen sind.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Fürbeth, Dr. Sponer
Fundstellen