Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn und Ende der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst

 

Normenkette

BAT § 15 Abs. 7

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 17.05.1990; Aktenzeichen 5 (14) Sa 162/90)

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 28.11.1989; Aktenzeichen 1 Ca 3001/89)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 17. Mai 1990 – 5 (14) Sa 162/90 – aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit.

Die Klägerin ist seit dem Jahre 1982 als Krankenschwester bei dem beklagten Landschaftsverband … in der … Landesklinik L. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft Verbands Zugehörigkeit der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Dessen § 15 Abs. 7 lautete in der bis zum 31. März 1991 geltenden Fassung:

Regelmäßige Arbeitszeit

„(7) Die Arbeitszeit beginnt und endet an der Arbeitsstelle, bei wechselnden Arbeitsstellen an der jeweils vorgeschriebenen Arbeitsstelle oder am Sammelplatz.”

Protokollnotiz zu Abs. 7:

„Der Begriff der Arbeitsstelle ist weiter als der Begriff des Arbeitsplatzes. Er umfaßt z.B. die Dienststelle oder den Betrieb, während unter dem Arbeitsplatz der Platz zu verstehen ist, an dem der Angestellte tatsächlich arbeitet.”

Die … Landesklinik L. befindet sich auf einem etwa 1,2 × 0,8 km großen Gelände, auf dem sich über 50 Gebäude befinden. Dazu gehören die Stationsgebäude der Landesklinik und die Gebäude eines Heilpädagogischen Heims, eine Kirche, eine Krankenpflegeschule, ein Gutshof, eine Druckerei, eine Gärtnerei, Cafés und Personalwohnheime. Die Landesklinik und das Heilpädagogische Heim sind organisatorisch, personell und wirtschaftlich voneinander getrennte Dienststellen. Sie verfügen über je einen Leiter und haben eigene Personalvertretungen.

Das Gelände ist im Norden zur Autobahn hin und im Westen durch einen Zaun begrenzt. Zum Osten und zum Süden folgt die Grenze teilweise einem Bachlauf, teilweise einem dichten Wäldchen, teilweise ist ein Grenzzaun vorhanden. Entlang der westlichen Geländegrenze verläuft die K.-Straße, an der sich die Hauptpforte befindet. Durch diese können die Kraftfahrzeuge das Gelände erreichen. An der Hauptpforte befindet sich eine Schranke, die jedoch während des Personalwechsels nicht geschlossen ist. Eine Kontrolle der ein- und ausfahrenden Fahrzeuge findet nicht statt. An der Ost- und Südseite führt je ein kleiner Pfad auf das Gelände, an der Südseite befindet sich außerdem ein kleiner Toreingang. Dort besteht eine Parkmöglichkeit außerhalb des Geländes. Ein Teil der Arbeitnehmer betritt unkontrolliert das Gelände über diese Zugänge.

Die Klägerin fährt mit dem Auto durch die Hauptpforte zum Parkplatz vor dem Gebäude „Psychiatrie III”. Sie arbeitet dort auf der Station 39. Die Klägerin benötigt für den Weg von der Hauptpforte bis zum Stationsgebäude 3 Minuten und 45 Sekunden. Sie macht diese Wegezeit als Arbeitszeit geltend und verlangt Mehrarbeitsvergütung für die Zeit von Oktober 1988 bis April 1989 in unstreitiger Höhe von 176,19 DM brutto.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihre Arbeitszeit beginne und ende mit dem Betreten und Verlassen des Klinikgeländes durch die Hauptpforte. Das gesamte Gelände des Beklagten sei als umfriedet anzusehen. Auf die Art der Abgrenzung komme es nicht an. Rechtlich unerheblich sei auch, daß das Gebäude des Heilpädagogischen Heims sich auf dem Gelände befinde.

Die Klägerin hat beantragt,

  1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 176,19 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen,
  2. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, die Zeit zwischen dem Betreten des Geländes der … Landesklinik durch die Klägerin an der Hauptpforte (K. Straße) bis zum Erreichen ihres Arbeitsplatzes als Arbeitszeit zu vergüten.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, das Gelände in L. sei nicht umfriedet. Außerdem befänden sich auf ihm zwei selbständige Dienststellen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Klagebegehren weiter. Der Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des Berufungsurteils zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht, das weitere tatsächliche Feststellungen treffen muß.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, Arbeitsstelle der Klägerin sei das Gebäude der Psychiatrie III und nicht das Gelände der … Landesklinik L. Nach § 15 Abs. 7 BAT müsse der Arbeitgeber die Wegezeit von der Hauptpforte zum Gebäude nur dann als Arbeitszeit vergüten, wenn er die Dienststelle räumlich so gestalte, daß die Arbeitnehmer mit dem Betreten des Geländes dem Direktionsrecht unterliegen. Dies sei vorliegend zu verneinen, weil das Gelände nicht umfriedet sei und mangels Torkontrollen an mehreren Stellen unkontrolliert betreten und verlassen werden könne. Außerdem fehle es an der räumlichen Einheit einer Dienststelle, weil sich auf dem Gelände auch die weitere selbständige Dienststelle des Heilpädagogischen Heims befinde.

II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts können revisionsrechtlich keinen Bestand haben.

1. Mach § 15 Abs. 7 BAT beginnt und endet die Arbeitszeit an der Arbeitsstelle. Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. Beschluß vom 29. April 1982 – 6 ABR 54/79 – AP Nr. 4 zu § 15 BAT; Urteile vom 15. September 1988 – 6 AZR 637/86BAGE 59, 335 = AP Nr. 12 zu § 15 BAT und vom 18. Januar 1990 – 6 AZR 386/89BAGE 65, 1 = AP Nr. 16 zu § 15 BAT und – 6 AZR 551/88 – n.v.) den Begriff der Arbeitsstelle dahingehend konkretisiert, daß dieser nicht mit dem Begriff des Arbeitsplatzes identisch ist, sondern einen weiteren räumlichen Bereich umfaßt. Als Arbeitsstelle kann ein Gebäude in Betracht kommen. Die Arbeitsstelle kann aber auch das gesamte Dienststellengelände mit einem oder mehreren Gebäuden umfassen. Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitgeber aufgrund seiner Organisationsbefugnis die Dienststelle mit einer Umfriedung umgibt und die Arbeitnehmer auf diese Weise zwingt, bestimmte Eingänge zu benutzen, so daß in einer Vielzahl von Fällen längere Wege in Kauf genommen werden müssen.

Bei dem Tarifbegriff der Arbeitsstelle i. S. des § 15 Abs. 7 BAT handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen richtige Anwendung in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden kann, ob das Tatsachengericht den Rechtsbegriff selbst verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände bei der Beurteilung übersehen hat (vgl. z.B. BAG Urteil vom 7. Dezember 1988 – 7 AZR 138/88 – AP Nr. 8 zu § 543 ZPO 1977, zu II 2 c der Gründe; Urteil vom 26. November 1992 – 6 AZR 600/90 – n.v., zu II 1 der Gründe).

2. Das Landesarbeitsgericht hat den Tarifbegriff der Arbeitsstelle selbst verkannt, indem es davon ausgegangen ist, das Gebäude der Psychiatrie III sei allein deshalb Arbeitsstelle der Klägerin, weil diese mangels Torkontrollen vor dem Eintreffen an dem Gebäude weder tatsächlich noch rechtlich dem Direktionsrecht des Beklagten unterworfen sei. Für den Begriff der Arbeitsstelle ist es jedoch unerheblich, daß sich der Arbeitnehmer im „räumlichen Bereich des Weisungsrechts des Arbeitgebers” befindet. Das Gebäude der Psychiatrie III kann somit nur dann als Teil der Gesamtdienststelle Arbeitsstelle (vgl. BAGE 59, 335 = AP, a.a.O.) sein, wenn es räumlich-organisatorisch von der Landesklinik bzw. von Teilen derselben abgrenzbar ist. Dazu hat das Landesarbeitsgericht jedoch keine Feststellungen getroffen. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

3. Das Landesarbeitsgericht hat den Begriff der Arbeitsstelle auch insoweit verkannt, als es angenommen hat, das gesamte Klinikgelände komme als Arbeitsstelle i. S. des § 15 Abs. 7 BAT nicht in Betracht.

a) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist es für den Begriff der Arbeitsstelle nicht erforderlich, daß sich an der Hauptpforte und den Nebeneingängen Kontrolleinrichtungen befinden. Kontrolleinrichtungen an den Zugängen können zwar eine räumlich-organisatorische Maßnahme des Arbeitgebers darstellen, um die Grenze der Arbeitsstelle zu bestimmen. Fehlen sie jedoch, wie im vorliegenden Fall, so ist die Wegezeit von der Geländegrenze an auch dann Arbeitszeit, wenn der Arbeitgeber das Gelände mit einer Einfriedung umgeben hat und den Arbeitnehmer auf diese Weise zwingt, bestimmte Eingänge zu benutzen und damit bestimmte Wege zurückzulegen (vgl. Urteil vom 26. November 1992 – 6 AZR 600/90 – n.v.).

b) Zu Unrecht meint das Landesarbeitsgericht auch, für die räumlich-organisatorische Einheit der … Landesklinik L. sei es rechtlich erheblich, daß sich auf diesem Gelände auch die selbständige Dienststelle des Heilpädagogischen Heims und andere Funktionsgebäude befinden.

Der Begriff der Arbeitsstelle als räumlich-organisatorische Einheit stellt inhaltlich auf die Organisationsbefugnis des Arbeitgebers ab. Dieser bestimmt durch die räumliche Gestaltung und die Organisation der Arbeitsstelle Beginn und Ende der Arbeitszeit der Arbeitnehmer. Dafür, ob ein bestimmtes Gelände Arbeitsstelle ist, ist deshalb nicht entscheidend, ob auf diesem nur eine oder mehrere Dienststellen untergebracht sind. Vielmehr kann der Arbeitsstellenbegriff in bezug auf das ganze Gelände auch erfüllt sein, wenn sich darauf weitere selbständige und unselbständige Dienststellen befinden. Entscheidend ist, daß der beklagte Arbeitgeber das Gelände räumlich-organisatorisch, z.B. durch Umfriedung als Arbeitsstelle gestaltet hat (vgl. zuletzt BAG Urteile vom 18. Januar 1990, BAGE 65, 1 = AP, a.a.O. und vom 26. November 1992 – 6 AZR 600/90 – n.v.). Dies kommt hier nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, die allerdings noch der Ergänzung bedürfen, in Betracht.

aa) Die … Landesklinik L. ist ein umfriedetes Gelände. Es ist im Norden zur Autobahn hin und im Westen durch einen Zaun begrenzt. Im Osten und im Süden wird das Gelände zum Teil von einem Bachlauf, zum Teil von einem Grenzzaun und zum Teil von einem dichten Wald umgeben. Damit ist das Gelände umfriedet. Für den Begriff der Umfriedung ist es rechtlich unerheblich, daß ein Teil des Geländes durch einen Bachlauf bzw. einen dichten Wald umschlossen wird. Das Gelände muß nicht ausnahmslos mit einer Umzäunung umgeben sein. Entscheidend ist vielmehr, daß der Arbeitgeber aufgrund seiner Organisationsbefugnis eine räumliche Einheit gestaltet hat (vgl. BAG Urteil vom 11. März 1993 – 6 AZR 200/91 – n.v., zu II 2 a der Gründe). Dies kann er, wie im vorliegenden Fall geschehen, auch durch Ausnutzen natürlicher Zugangshindernisse erreichen.

bb) Die Dienststelle der … Landesklinik verfügt über einen eigenen Leiter und eine eigene Personalvertretung. Dies spricht dafür, daß die … Landesklinik das gesamte Gelände eigenverantwortlich verwaltet.

cc) Der Beklagte zwingt die Arbeitnehmer durch die Umfriedung auch, bestimmte Eingänge zu benutzen. Das Gelände kann im Westen durch die Hauptpforte und im Osten und Süden über je einen kleinen Pfad und einen kleinen Toreingang erreicht werden.

dd) Bisher steht allerdings nicht fest, ob eine Vielzahl von Arbeitnehmern längere Wege in Kauf nehmen muß. Dazu wird das Landesarbeitsgericht die Parteien hören und ergänzende Feststellungen treffen müssen. Dabei wird es zu beachten haben, daß bei der festgestellten räumlich-organisatorischen Situation nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen ist, daß es durch die Benutzung der vorhandenen Eingänge für eine Vielzahl von Arbeitnehmern zu einer Verlängerung des Weges zur Arbeit kommt. Für Tatsachen, die gegen diese Lebenserfahrung sprechen, ist der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig, weil er die Wohnorte der Arbeitnehmer und damit die Anfahrtswege zum Dienststellengelände kennt. Er kann somit beurteilen, welche Eingänge die Arbeitnehmer benutzen, um zum Arbeitsplatz zu gelangen (vgl. BAG Urteil vom 11. März 1993 – 6 AZR 200/91 –, zu II 2 d der Gründe).

4. Das Landesarbeitsgericht wird damit unter Beachtung der aufgezeigten Sach- und Rechtslage erneut zu prüfen haben, ob das Gebäude Psychiatrie III oder das Gelände der Landesklinik L. als Arbeitsstelle gem. § 15 Abs. 7 BAT anzusehen ist.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Fürbeth, Dr. Sponer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1074053

Dieser Inhalt ist unter anderem im TVöD Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge