Entscheidungsstichwort (Thema)
Gratifikation. Stichtagsregelung. Betriebsb. Kündigung
Normenkette
BGB §§ 611, 138, 162, 242
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Urteil vom 26.10.1989; Aktenzeichen 7 Sa 75/89) |
ArbG Hamburg (Urteil vom 07.06.1989; Aktenzeichen 6 Ca 12/89) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 26. Oktober 1989 – 7 Sa 75/89 – aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 7. Juni 1989 – 6 Ca 12/89 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine Jahres sonder Zahlung.
Der Kläger war von 1977 bis 1987 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten und anschließend bei der Beklagten bis zum 31. Dezember 1988 zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 5.472,– DM beschäftigt.
Die Beklagte zahlte dem Kläger in den Jahren 1978 bis 1981 eine Sonderleistung, die zunächst weniger als die Hälfte der Bruttomonatsvergütung ausmachte und zuletzt einen halben Monatsbetrag erreichte. Diese Leistungen beruhten nicht auf einheitlichen Regeln, sondern auf der wohlwollenden Entscheidung des Abteilungsleiters, der seinerseits die Finanzlage des Unternehmens zu berücksichtigen hatte.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten und ihr Betriebsrat schlossen am 25. November 1982 eine Betriebsvereinbarung über Gratifikation (BV). Darin ist u.a. bestimmt:
„l. Anspruchsberechtigt sind alle kaufmännischen und gewerblichen Mitarbeiter.
2. Die Höhe der Gratifikation staffelt sich nach ununterbrochener Betriebs Zugehörigkeit (BZ) und gilt für das Geschäftsjahr 1982/83 wie folgt:
4 Jahre BZ (ab 01.01.79) = 100 % Grundlohn/-gehalt
…
0,5 Jahre BZ (ab 01.07.82) = 15 % Grundlohn/-gehalt
…
5. Die Gratifikation wird per November 1982 gezahlt …
6. Von der Gratifikationszahlung sind folgende Mitarbeiter ausgeschlossen. Stichtag für die Bewertung ist der 30. November 1982.
…
6.3 Mitarbeiter in gekündigtem Arbeitsverhältnis
…
8. Diese Vereinbarung tritt am 25.11.1982 in Kraft. Alle angegebenen Jahresdaten gelten für das Geschäftsjahr 1982/83 und verschieben sich analog zu den folgenden Geschäftsjahren.
…”
Der Kläger erhielt ab 1982 eine Gratifikation in Höhe von einem Bruttomonatsgehalt.
Die Beklagte verlagerte im Jahre 1988 ihren Betrieb von H nach B. In diesem Zusammenhang sprach sie dem Kläger mehrere Änderungskündigungen mit dem Angebot aus, das Arbeitsverhältnis zu ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen am neuen Betriebsort fortzusetzen. Letztlich kündigte die Beklagte dem Kläger am 18. Oktober 1988 außerordentlich, hilfsweise fristgemäß. Der Kläger erhob gegen alle Kündigungen Klage. Die Parteien beendeten ihre Streitigkeiten durch einen Prozeßvergleich vor dem Landesarbeitsgericht Hamburg vom 3. November 1988 (– 7 Sa 64/88 –), der u.a. folgenden Wortlaut hat:
„1. Der Kläger verzichtet auf seine Rechte aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 29. Juni 1988 – 6 Ca 164/83 –.
2. Das Arbeitsverhältnis endet aufgrund fristgemäßer Kündigung seitens der Beklagten am 31. Dezember 1988.
3. Bis zu diesem Zeitpunkt wird das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abgerechnet, wobei der Kläger unter Fortzahlung der Bezüge von seiner Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt wird.
4. Die Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger als Abfindung … zu zahlen …
…
7. Damit sind die Ansprüche der Parteien aus diesem Rechtsstreit und aus den vor dem Arbeitsgericht Hamburg anhängigen Verfahren – 6 Ca 406/88 – und – 6 Ca 426/88 – erledigt.
…”
Die Beklagte verweigerte dem Kläger die Jahressonderzahlung 1988.
Der Kläger hat gemeint, er habe einen individualrechtlichen Anspruch auf Zahlung einer Gratifikation für das Jahr 1988 in unstreitiger Höhe von 5.472,– DM brutto, weil er in der Vergangenheit über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren vorbehaltlos eine Gratifikation in Höhe eines Monatsgehalts erhalten habe. Von der Betriebsvereinbarung habe er erstmals im vorliegenden Rechtsstreit Kenntnis erlangt. Er müsse diese angesichts der jahrelang vorbehaltlos erfolgten Gratifikationszahlungen nicht gegen sich gelten lassen. Sofern der Anspruch lediglich aufgrund der Betriebsvereinbarung bestehe, sei er nicht nach der Nr. 6.3 BV ausgeschlossen. Sein Arbeitsverhältnis sei nicht durch Kündigung, sondern durch einen Vergleich beendet worden. Im übrigen sei die Bestimmung der Nr. 6.3 BV für den Fall der betriebsbedingten Kündigung unbillig, weil der Arbeitnehmer den Verlust des Arbeitsplatzes nicht zu vertreten habe.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an der Kläger 5.472,– DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, eine vorbehaltlose Zahlung einer jährlichen Gratifikation über einen vor Abschluß der Betriebsvereinbarung liegenden Zeitraum von mindestens drei Jahren liege nicht vor. Die Gratifikationszahlungen vor 1988 seien auf der Grundlage der Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 1982 erfolgt, die der Kläger gegen sich gelten lassen müsse. Die Bestimmung der Nr. 6.3 BV finde auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung. Sie halte einer Billigkeitskontrolle stand.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin das Ziel der Klageabweisung, während der Kläger Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung und Abänderung der angefochtenen Urteile und zur Klageabweisung. Der Kläger hat für das Jahr 1988 weder einen individualrechtlichen noch einen betrieblichen Anspruch auf Zahlung einer Gratifikation.
I. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Zahlung einer Gratifikation in Höhe von 5.472,– DM brutto nach der Betriebsvereinbarung vom 25. November 1982 zu. Der Anspruch sei zwar nach dem Wortlaut der Nr. 6.3 BV ausgeschlossen, weil sich der Kläger am Stichtag 30. November 1988 in einem gekündigten Arbeitsverhältnis befunden habe. Es seien gegenüber dem Kläger nicht nur Änderungskündigungen ausgesprochen worden, sondern auch eine Beendigungskündigung vom 18. Oktober 1988. So sei in Nr. 1 des zwischen den Parteien geschlossenen Vergleichs die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer fristgemäßen Kündigung der Beklagten zum 31. Dezember 1988 festgelegt. Die Auslegung der Betriebsvereinbarung gemäß §§ 133, 157 BGB ergebe, daß alle gekündigten Arbeitsverhältnisse und damit auch die aus betriebsbedingten Gründen gekündigten Arbeitnehmer erfaßt werden sollten. Die Bestimmung halte jedoch einer Billigkeitskontrolle insoweit nicht stand, als sie auch die Fälle der betriebsbedingten Kündigung erfasse. Ihre Unzulässigkeit ergebe sich aus dem Rechtsgedanken des § 242 BGB und dem Sinn und Zweck derartiger Ausschluß- und Rückzahlungsklauseln. Diese würden allein deshalb für zulässig gehalten, weil für Gratifikationen neben der Entgeltfunktion auch die Absicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer an den Betrieb zu binden, als Zweck von Sonderzahlungen anerkannt sei. Dann könne eine derartige Klausel billigerweise nicht für Fälle gelten, bei denen der Arbeitnehmer zur weiteren Bindung an den Betrieb bereit sei, aber aufgrund betriebsbedingter Kündigung am Stichtag in einem gekündigten Arbeitsverhältnis stehe. Die Berufung des Arbeitgebers auf eine derartige Ausschlußklausel stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar. Die Entscheidung stehe nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 4. September 1985 (– 5 AZR 655/84 – BAGE 49, 281 = AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation), weil das Bundesarbeitsgericht die Zulässigkeit von Stichtagsregelungen bei Einzelvertragen und Betriebsvereinbarungen ausdrücklich offengelassen und lediglich tarifliche Ausschlußklauseln auch in den Fällen der betriebsbedingten Kündigung für zulässig erachtet habe. Die für tarifliche Regelungen angenommene Richtigkeitsgewähr bestehe bei Betriebsvereinbarungen jedoch nicht. Auf die Frage, ob dem Kläger durch vorbehaltlose und bedingungsfreie Gewährung von Gratifikationszahlungen in den Jahren vor Abschluß der Betriebsvereinbarung ein einzelvertraglicher Anspruch entstanden sei, komme es nicht an. Ein derartiger Anspruch wäre jedenfalls durch die Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 1982 in zulässiger Weise abgelöst worden, weil der neue Anspruch einem individuellen Günstigkeitsvergleich analog § 4 Abs. 3 TVG standhielte.
II. Die Betriebsvereinbarung über Gratifikationen vom 25. November 1982 gilt im Betrieb der Beklagten unmittelbar und zwingend. Auf eine Kenntnis des Klägers von der Existenz der Betriebsvereinbarung kommt es nicht an. Der Kläger erfüllt die anspruchsbegründenden Voraussetzungen der Nr. 1, 2 und 8 BV. Er ist jedoch nach der Nr. 6.3 und der Nr. 8 BV im Jahre 1988 von der Gratifikationszahlung ausgeschlossen. Diese Bestimmung der Nr. 6.3 ist nicht unwirksam.
1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß die Nr. 6.3 BV alle Arbeitnehmer, die am Stichtag 30. November 1988 in einem gekündigten Arbeitsverhältnis stehen, von der Gratifikationszahlung ausnimmt. Das folgt aus der Auslegung der Betriebsvereinbarung, die nach den Grundsätzen der Gesetzes- und Tarifauslegung und nicht nach den Regeln über die Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) vorzunehmen ist. Demnach ist bei der Auslegung maßgeblich auf den in der Betriebsvereinbarung selbst zum Ausdruck gelangten Willen der Beteiligten abzustellen; Raum für die Feststellung eines vom Wortlaut abweichenden Willens der Betriebspartner besteht nicht (BAGE 27, 187, 191 f. = AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Auslegung; BAG Urteil vom 4. März 1982 – 6 AZR 594/79 – AP Nr. 3 zu § 77 BetrVG 1972; BAGE 39, 102, 106 = AP Nr. 3 zu § 80 ArbGG 1979; BAGE 44, 94, 100; 45, 132, 138 = AP Nr. 7 und 9 zu § 77 BetrVG 1972). Daneben sind der Gesamtzusammenhang und der Sinn und Zweck der Regelung zu beachten (BAG Urteil vom 22. August 1979 – 5 AZR 1066/77 – AP Nr. 3 zu § 611 BGB Deputat; BAGE 39, 102, 106; 132, 138 = AP, jeweils a.a.O.). Weder der Wortlaut der Bestimmung noch die Systematik der Betriebsvereinbarung noch der Sinn und Zweck der Bestimmung insgesamt lassen den Willen der Betriebspartner erkennen, betriebsbedingt gekündigte Arbeitnehmer von der Ausschlußklausel der Nr. 6.3 BV auszunehmen und im anspruchsberechtigten Personenkreis zu belassen.
2. Der Kläger hat sich am 30. November 1988 in einem gekündigten Arbeitsverhältnis befunden. Die Parteien haben nach vorangegangenem Rechtsstreit auch über die Beendigungskündigung vom 18. Oktober 1988 in der Nr. 2 des Vergleiches vom 3. November 1988 festgelegt, daß ihr Arbeitsverhältnis durch fristgemäße Kündigung am 31. Dezember 1988 endet. Die Festlegung dieser Rechtsfolge ist rechtlich möglich (BAG Urteil vom 17. April 1986 – 2 AZR 308/85 – AP Nr. 40 zu § 615 BGB; BAGE 20, 324, 329 = AP Nr. 22 zu § 7 KSchG; BAGE 34, 128, 135 = AP Nr. 14 zu § 6 LohnFG; BAG Urteil vom 13. April 1972 – 2 AZR 243/71 – AP Nr. 64 zu § 626 BGB; BAG Urteil vom 15. Dezember 1988 – 2 AZR 189/88 –, nicht veröffentlicht; ebenso KR-Friedrich, 3. Aufl., § 4 KSchG Rz 297).
3. Die Bestimmung der Nr. 6.3 SV ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht unwirksam. Sie verstößt nicht gegen die Verfassung, ein Gesetz oder die guten Sitten. Sie hält auch einer Billigkeitskontrolle stand.
a) Das Bundesarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung Klauseln, nach denen eine Jahressonderzahlung nur solchen Arbeitnehmern zustehen soll, die an einem bestimmten Stichtag in ungekündigtem Arbeitsverhältnis stehen, für grundsätzlich zulässig erachtet (BAGE 49, 281 = AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation; BAGE 31, 113 = AP Nr. 98 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG Urteil vom 27. Oktober 1978 – 5 AZR 139/77 – AP Nr. 96 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG Urteil vom 26. Juni 1975 – 5 AZR 412/74 – AP Nr. 86 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG Urteil vom 13. September 1974 – 5 AZR 48/74 – AP Nr. 84 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG Urteil vom 21. Februar 1974 – 5 AZR 302/73 – AP Nr. 81 zu § 611 BGB Gratifikation; BAGE 17, 142, 144 = AP Nr. 52 zu § 611 BGB Gratifikation, m.w.N. aus der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts).
b) Soweit Bindungsklauseln (zum Begriff vgl. BAGE 31, 113 = AP, a.a.O.) vereinbart worden sind, ist die Rechtsprechung jedoch mehrfach – zunächst einschränkend – modifiziert worden. Im Urteil vom 13. September 1974 (a.a.O.) hatte der Fünfte Senat eine Gesamtbetriebsvereinbarung zu beurteilen, in der den festangestellten Mitarbeitern eine Jahresprämie zugesagt war. Sie verloren den Anspruch jedoch, wenn sie vor dem 31. Mai des auf das Prämienjahr folgenden Jahres aus der Firma ausschieden oder sich an diesem Tag in einem gekündigten Arbeitsverhältnis befanden. Der Fünfte Senat erklärte die Klausel für unzulässig mit der Begründung, bei Vereinbarungen dieser Art lägen rechtsmißbräuchliche Vertragsgestaltungen vor, weil dem Arbeitnehmer, der die ihm obliegende Arbeitsleistung im Bezugs Zeitraum voll erbracht habe, die erwartete Gegenleistung aus Gründen, auf die er keinen Einfluß habe, nicht verweigert werden dürfe. Hinzu komme, daß der durch die Kündigung ohnehin benachteiligte Arbeitnehmer noch zusätzlich durch den Ausschluß von der Prämie bestraft würde. Das gehe nicht an (dem Ergebnis zustimmend Schwerdtner, gemeinsame Anm. zu AP Nr. 83, 84 und 86 zu § 611 BGB Gratifikation). Diese Grundsätze hat der Fünfte Senat in seinem Urteil vom 26. Juni 1975 (a.a.O.) für eine einzelvertragliche Zusage auf Zahlung einer Gratifikation wiederholt (vgl. die Hilfsbegründung zu 3 der Gründe). Schließlich übertrug der Senat seine Überlegungen auch auf tarifvertragliche Bindungsklauseln. Diese sollten für den Fall einer betriebsbedingten Kündigung und für eine nicht vom Arbeitnehmer veranlaßte und von ihm nicht zu vertretende Befristung nicht wirksam sein (BAG Urteil vom 27. Oktober 1978 – 5 AZR 287/77 – BAGE 31, 113 = AP Nr. 98 zu § 611 BGB Gratifikation, mit zustimmender Anm. Herschel). Das Schrifttum stimmte dieser Rechtsprechung weitgehend zu (vorher schon Buchner, Anm. zu AP Nr. 81 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 1 c der Gründe; Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, 9. Aufl. 1988, S. 204 Fußnote 9; Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb, 8. Aufl., Bd. I. E VIII Rz 48; Knevels/Ortlepp, Gratifikationen, Anwesenheits- und Treueprämien, Tantiemen, S. 33 f.; Lipke, Gratifikationen, Tantiemen, Sonderzulagen, S. 62 f.; Röhsler, AR-Blattei, Gratifikation I. B VI 2 a und F V 2; ablehnend Bickel, SAE 1980, 14, 17, zu VI 1).
c) Die letztgenannte Rechtsprechung gab der Fünfte Senat in seinem Urteil vom 4. September 1985 (BAGE 49, 281 = AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation) wieder auf. Danach gelten tarifvertragliche Bestimmungen, die den Anspruch auf eine Sonderzuwendung von dem Bestehen eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses an einem bestimmten Stichtag innerhalb des Bezugsjahres abhängig machen, auch für den Fall einer betriebsbedingten Kündigung. Zur Begründung führte der Senat aus, der Rechtsgedanke des § 162 BGB ermögliche keine die Wirksamkeit der Bindungsklausel verneinende Rechtskontrolle. Anknüpfungspunkt für die Rechtsfolge des § 162 BGB könne nur das Verhalten der Vertragspartei sein, das zum Eintritt oder Nichteintritt der Bedingung führe, nicht bereits die Vereinbarung der Bedingung selbst. Deshalb eröffne § 162 BGB nur den Weg einer gerichtlichen Inhaltskontrolle. Ein widersprüchliches und treuwidriges Verhalten im Sinne des § 162 BGB könne dem Arbeitgeber aber im Falle der betriebsbedingten Kündigung nicht ohne weiteres unterstellt werden. Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben setzte eins Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber voraus, um die Entstehung des Gratifikationsanspruchs des Arbeitnehmers zu vereiteln. Dem stehe jedoch bereits entgegen, daß auch die betriebsbedingte Kündigung nicht beliebig, sondern nur unter den von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen ausgesprochen werden könne. Werde sie aber vom Arbeitgeber erklärt, habe der Arbeitnehmer die Gefahr des Bestandes seines Arbeitsverhältnisses selbst zu tragen. § 162 BGB könne daher nicht ohne weiteres im Falle der betriebsbedingten Kündigung angewandt werden. Seine Voraussetzungen seien erst dann gegeben, wenn dem Arbeitgeber ein konkretes treuwidriges Verhalten nachzuweisen sei. Es könne dahingestellt bleiben, ob einzelvertraglich eine Stichtagsregelung wie im Streitfall rechtswirksam sei. Jedenfalls könne das Verbot einer solchen Regelung nicht auch auf Tarifvertragsparteien erstreckt werden. Tarifverträge unterlägen nur in beschränktem Maße der gerichtlichen Inhaltskontrolle, weil sie von gleichberechtigten Partnern des Arbeitslebens ausgehandelt worden seien und eine Institutsgarantie gemäß Art. 9 Abs. 3 GG genössen. So sei es nicht Sache der Gerichte zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung gefunden hätten. Die Tarifverträge seien allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen die Verfassung, zwingendes Gesetzesrecht oder die guten Sitten verstießen. Den Tarifvertragsparteien sei im Bereich des Gratifikationsrechts ein weiträumiger Ermessensspielraum eingeräumt. Eine tarifliche Klausel, die den Arbeitnehmer auch im Fall der betriebsbedingten Kündigung von dem Anspruch auf die Sonderzuwendung ausschließe, sei als rechtswirksam anzusehen. Ein Verstoß gegen ein allgemeines Rechtsprinzip könne nicht angenommen werden. Vielmehr unterliege die Ausgestaltung von Leistung und Gegenleistung und damit die Festsetzung der Bedingung, unter denen die Sonderzuwendung zu gewähren sei bzw. ausgeschlossen werden könne, innerhalb der durch Verfassung und zwingendes Gesetzesrecht bestimmten Grenzen allein dem Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien (zustimmend Mangen, Anm. zu AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation; Kraft, SAE 1986, 206 f.; ablehnend Reichold, DB 1988, 498; Knigge, AR-Blattei Gratifikation. Anm. zu Entsch. 86).
d) Diese Grundsätze gelten gleichermaßen mit den durch das Betriebsverfassungsgesetz gebotenen Einschränkungen für Bestimmungen in Betriebsvereinbarungen, die den Anspruch auf eine Gratifikation mit Mischcharakter vom Bestehen eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses an einem Stichtag im Bezugszeitraum abhängig machen. Es handelt sich bei dieser Regelung nicht um eine nach den §§ 162, 242 BGB rechtsmißbräuchliche Gestaltung der Vereinbarung. Mit einer betrieblichen Norm, die den Arbeitnehmer auch im Fall der betriebsbedingten Kündigung von einer Gratifikation ausnimmt, verstoßen die Betriebspartner ebensowenig gegen ein allgemeines Rechtsprinzip wie Tarifvertragsparteien mit entsprechenden tarifvertraglichen Klauseln. Vielmehr erlaubt die im Betriebsverfassungsgesetz beschriebene Normsetzungsbefugnis den Betriebspartnern, im Rahmen der Verfassung und der Gesetze und in den Grenzen von Recht und Billigkeit Voraussetzungen für den Bezug von freiwilligen Leistungen zu setzen. Dazu gehört auch die Voraussetzung einer künftigen Betriebs Zugehörigkeit. Auf die Art der Verhinderung dieser Voraussetzung kommt es nicht an, sofern diese selbst nicht rechtswidrig ist. Davon kann bei einer das Arbeitsverhältnis beendenden, sozial gerechtfertigten betriebsbedingten Kündigung per sei nicht ausgegangen werden (BAG Urteil vom 4. September 1985, a.a.O.; Kraft, a.a.O. und Mangen, a.a.O., die sogar die individualrechtlichen Zusagen insoweit für wirksam halten; ebenso für die vertragliche Einheitsregelung LAG Frankfurt/Main, Urteil vom 18. November 1986 – 7 Sa 1352/86 – DB 1987, 1260).
e) Von der Prüfung, ob eine Betriebsvereinbarung rechtlich wirksam gestaltet worden ist, ist die Frage zu trennen, welche Maßstäbe bei der gerichtlichen Inhaltskontrolle einer Betriebsvereinbarung anzuwenden sind. Nach der zutreffenden ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 4. September 1985, BAGE 49, 281, 286 f. = AP, a.a.O., m.w.N.) ist die Inhaltskontrolle von Tarifverträgen daraufhin eingeschränkt, daß lediglich geprüft werden kann, ob sie gegen die Verfassung, zwingendes Gesetzesrecht oder die guten Sitten verstoßen. Dieser eingeschränkte Maßstab findet auf Betriebsvereinbarungen keine Anwendung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 22, 252, 267 = AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAGE 23, 257, 275 = AP Nr. 5 zu § 57 BetrVG; BAG Urteil vom 13. September 1974 – 5 AZR 48/74 – a.a.O.; BAGE 27, 187, 193 f. = AP. a.a.O.; BAGE 35, 80, 92 = AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 1972; BAG Urteil vom 11. März 1976 – 3 AZR 334/75 – AP Nr. 11 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Unverfallbarkeit; BAGE 37, 237, 241 f. = AP Nr. 14 zu § 112 BetrVG 1972; BAGE 57, 30, 37 = AP Nr. 2 zu § 620 BGB Altersgrenze) unterliegen Betriebsvereinbarungen nicht nur der Kontrolle zur Übereinstimmung mit Verfassung, Gesetzesrecht und guten Sitten, sondern auch der Billigkeitskontrolle, wie sie in § 75 BetrVG beschrieben ist. Maßstab der Kontrolle ist die Verpflichtung der Betriebsorgane, dem Wohl des Betriebes und seiner Arbeitnehmer unter Berücksichtigung des Gemeinwohls zu dienen. Innerhalb dieser Verpflichtung haben sie den billigen Ausgleich zwischen den Interessen der Belegschaft und dem Betrieb sowie den Ausgleich zwischen den verschiedenen Teilen der Belegschaft zu suchen (BAGE 27, 187, 194 = AP, a.a.O.). Die gerichtliche Billigkeitskontrolle bezieht sich auf den Inhalt der getroffenen Regelungen selbst. Es geht darum, ob die von den Betriebspartnern vereinbarte Regelung in sich der Billigkeit entspricht oder ob einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von ihnen in unbilliger Weise benachteiligt werden (BAGE 35, 80, 92 f. = AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 1972).
f) Diesen Anforderungen hält die vorstehende Ausschlußnorm der Nr. 6.3 BV stand. Sie verstößt weder gegen das Grundgesetz, ein Gesetz oder die guten Sitten noch ist sie unbillig im Sinne des § 75 BetrVG, soweit auch betriebsbedingt ausscheidende Arbeitnehmer vom Bezug der Gratifikation ausgeschlossen bleiben. Die Unbilligkeit läßt sich nicht damit begründen, die Gratifikation sei auch Entgelt und dem Arbeitnehmer könne die „verdiente” Zuwendung nicht aus Gründen genommen werden, die nicht seiner Beeinflußbarkeit unterliegen. Diese Überlegung übersieht, daß bei einer Gratifikation mit Mischcharakter keineswegs der Entgeltcharakter im Vordergrund steht, sondern alle Voraussetzungen gleichwertig sind, sofern sich aus der Zusage, der Betriebsvereinbarung oder dem Tarifvertrag nichts abweichendes ergibt. Die Unbilligkeit dieser (Teil-)Regelung folgt auch nicht daraus, daß das zukunftsbezogene Element einer Bindungsklausel in Form der Stichtagsregelung den Gedanken der (länger andauernden) Betriebstreue ausdrückt. Eine zukunftsbezogene Stichtagsregelung muß nicht Anreiz für die Nichtausübung des Kündigungsrechts seitens des Arbeitnehmers sein. Die Betriebspartner können ebensogut die fortdauernde Betriebszugehörigkeit als solche über den Stichtag hinaus unabhängig vom Verhalten des Arbeitnehmers belehnt wissen wollen, weil allein die fortdauernde Betriebszugehörigkeit über einen nahen Zeitraum die Gegenleistung für die Leistung Gratifikation darstellen soll. Das ist auch bei einer Stichtagsregelung wie im Streitfall naheliegend, die allerdings nur ein schwach ausgeprägtes zukunftsbezogenes Element, enthält (so insbesondere Mangen, a.a.O.). Denn ordentliche Kündigungen der Arbeiter nach § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB und außerordentliche Kündigungen aller Mitarbeiter könnten nach der Betriebsvereinbarung zum Ende des Bezugszeitraums ausgesprochen werden, ohne daß der Anspruch auf die Gratifikation berührt wäre.
Bei dieser statthaften Zwecksetzung kommt es auf den fehlenden Vorwurf mangelnder Betriebstreue oder gar Bestrafung für nicht beeinflußbare Tatsachen nicht an (a.A. Buchner, a.a.O., und Reichold, a.a.O.).
g) Der Senat setzt sich mit dieser Entscheidung nicht in Widerspruch zu seinem Urteil vom 26. April 1990 (– 6 AZR 278/88 – DB 1990, 1871 = NZA 1990, 814, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Er hat dort lediglich die Rechtsprechung des Fünften Senats zur Bindungsklausel referiert, um zu verdeutlichen, daß es im Gratifikationsrecht kollektiv-rechtlich wie individualrechtlich kein schutzwürdiges Vertrauen dafür gibt, daß der Arbeitnehmer Gelegenheit erhält, die Voraussetzungen für den Bezug einer Sonderleistung zu erfüllen. Soweit die dortigen Ausführungen als Bestätigung der Rechtsprechung vom 13. September 1974 – 5 AZR 48/74 –, a.a.O., und vom 26. Juni 1975 – 5 AZR 412/74 –, a.a.O., mißverstanden werden könnten, stellt der Senat seine Rechtsauffassung hiermit klar.
h) Der Beklagten ist es nicht verwehrt, sich auf die Stichtagsregelung zu berufen, weil die im gerichtlichen Vergleich festgelegte betriebsbedingte Beendigungskündigung nicht allein oder im wesentlichen mit dem Ziel der Vereitelung der Anspruchsvoraussetzungen ausgesprochen worden ist. Dafür hat weder der Kläger Tatsachen vorgetragen noch läßt die Vorgeschichte des Vergleichs eine solchen Schluß zu.
III. Der Kläger hat auch keinen individualrechtlichen Anspruch aufgrund betrieblicher Übung erworben. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird unter einer betrieblichen Übung die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Aufgrund einer Willenserklärung, die von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird, erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Vergünstigungen. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber mit Verpflichtungswillen gehandelt hat oder nicht. Die Wirkung einer Willenserklärung oder eines bestimmten Verhaltens tritt im Rechtsverkehr nicht deshalb ein, weil der Erklärende einen bestimmten Willen hegt, sondern weil er einen auf eine bestimmte Rechtswirkung gerichteten Willen dem Erklärungsempfänger gegenüber äußert. Ob sich der Arbeitgeber binden wollte, beurteilt sich danach, ob der Arbeitnehmer aus dem Erklärungsverhalten des Arbeitgebers auf diesen Willen schließen durfte. Für die Bindungswirkung der betrieblichen Übung entscheidend ist daher die Frage, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände nach §§ 133, 157 BGB verstehen dürfte (BAGE 40, 126, 133 f. = AP Nr. 1 zu § 3 TV Arb Bundespost; BAGE 49, 290, 295 f. = AP Nr. 22 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAGE 49, 299 = AP Nr. 1 zu § 1 BUrlG Treueurlaub; BAGE 59, 73, 85 = AP Nr. 33 zu § 242 BGB Betriebliche Übung).
Im Streitfall fehlt es bereits am objektiven Tatbestand der regelmäßigen gleichförmigen Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen. Die Zahlungen der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin vor Abschluß der Betriebsvereinbarung erfolgten in unterschiedlicher Höhe und mit unterschiedlicher Bezeichnung. Ferner durfte der Kläger aus dem Verhalten der Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Zahlung der Gratifikation vom Wohlwollen des Abteilungsleiters abhängig zu machen, nicht auf einen Verpflichtungswillen schließen. So ist nicht zu entscheiden, ob ein aufgrund betrieblicher Übung entstandener einzelvertraglicher Anspruch durch die Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 1982 abgelöst werden konnte (BAGE – GS – 53, 42 = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972).
IV. Da der Kläger keinen Anspruch auf die Gratifikation erworben hat, kommt es nicht darauf an, inwieweit die Geltendmachung eines etwaigen Anspruchs durch die Ausgleichsklausel der Nr. 7 des Vergleichs vom 3. November 1988 ausgeschlossen wäre.
V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Unterschriften
Dr. Röhsler, Dr. Etzel, Dörner, Mergenthaler, Schmidt
Fundstellen