Entscheidungsstichwort (Thema)
Überbetriebliche Gleichbehandlung
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 2, § 87 Abs. 1 Nrn. 10-11
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.07.1993; Aktenzeichen 6 Sa 41/93) |
ArbG Stuttgart (Urteil vom 25.11.1992; Aktenzeichen 21 Ca 1588/92) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 22. Juli 1993 – 6 Sa 41/93 – aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 25. November 1992 – 21 Ca 1588/92 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision und der Berufung zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger, der als Frischdienstreisender in der Niederlassung der Beklagten in S. beschäftigt war, für April 1991 bis Dezember 1991 Umsatzprämien zustehen.
Die Beklagte mit Sitz in Köln vertreibt unter der Markenbezeichnung „C.” Knabberartikel. Der Vertrieb ist so organisiert, daß bundesweit von 26 Außenlagern, intern Niederlassungen genannt. Einzelhandelsgeschäfte von Frischdienstreisenden beliefert werden. Im Vertriebsbereich Südwesten ist ein Bezirksverkaufsleiter für die Niederlassungen U. (zehn Arbeitnehmer). F. (zehn Arbeitnehmer) und für S. (elf Arbeitnehmer) zuständig. Für die einzelnen Niederlassungen ist jeweils ein eigener Niederlassungsleiter eingesetzt. In den Niederlassungen W. und S. sind Betriebsräte gewählt worden. Der aus einer Person bestehende Betriebsrat der Niederlassung S. ist zugleich Gesamtbetriebsratsvorsitzender.
Die Beklagte schloß mit dem Betriebsrat der Niederlassung W. am 15. April 1991 eine „Betriebsvereinbarung über Arbeitszeit und Entgeltregelung im C.-Außendienst”. In dieser Betriebsvereinbarung sind Regelungen über die betriebliche Umsetzung der Verkürzung der tariflichen Wochenarbeitszeit, zusätzliche Samstagsarbeit, Ladetätigkeit, Touren-Kilometerleistung, Abrechnung und Überprüfung der Tagestour sowie zusätzlich zum monatlichen Bruttoentgelt zu zahlende Stückprovision sowie Umsatzzielprämien enthalten. Die Beklagte bot auch dem Betriebsrat der Niederlassung S. den Abschluß einer inhaltsgleichen Betriebsvereinbarung an. Eine Betriebsvereinbarung kam aber nicht zustande. Der Betriebsrat lehnte, ohne weitere Verhandlungen zu führen, die in dem Entwurf der Betriebsvereinbarung mit den übrigen Regelungen verbundene Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit durch anteilige Ermäßigung der täglichen Arbeitszeit ab. Die Beklagte teilte daraufhin dem Kläger und allen übrigen Arbeitnehmern der Niederlassung S. mit, daß wegen des Nichtzustandekommens der Betriebsvereinbarung die im Entwurf vorgesehene Umsatzprämienregelung nicht in Betracht komme. Für die betriebsratslosen Niederlassungen führte sie monatliche Zielprämien ein, die im wesentlichen denselben Umfang haben wie die in der Betriebsvereinbarung getroffene Prämienregelung. Solche Prämien gewährte sie in der Niederlassung S. nicht.
Nach vergeblicher Mahnung vom 30. Juli 1991, ihn mit den Frischdienstreisenden der betriebsratslosen Betriebe gleichzubehandeln, hat der Kläger am 12. März 1992 Klage erhoben.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 995,– DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt.
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist begründet, denn die Beklagte war unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, die vom Kläger verlangten Prämien zu zahlen. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, der Kläger könne seinen Anspruch aus dem arbeitsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung herleiten.
1. Das Landesarbeitsgericht ist von einem „nicht allein auf eine einzelbetriebliche Dimension beschränkten” Geltungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgegangen. Deshalb könne der Kläger verlangen, mit Arbeitnehmern in anderen betriebsratslosen Betrieben im Unternehmen der Beklagten gleichbehandelt zu werden. Diesem Begründungsansatz des Landesarbeitsgerichts kann nicht gefolgt werden.
2. Die Nichtgewährung von Umsatzprämien an den Kläger und die übrigen Frischdienstreisenden der Belegschaft, durch deren Wahl für den Betrieb „Niederlassung S.” ein Betriebsrat gebildet worden ist, enthält für den hier streitigen Zeitraum April 1991 bis Dezember 1991 keinen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, gleichgültig, ob dieser Grundsatz auf den Betrieb beschränkt ist oder nicht.
a) Durch den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz wird dem Arbeitgeber eine Benachteiligung einzelner Arbeitnehmer oder einer Gruppe von Arbeitnehmern untersagt, die sachlich nicht gerechtfertigt ist oder gegen Verfassungsgrundsätze verstößt. Für die Gewährung freiwilliger Leistungen folgt daraus, daß der Arbeitgeber die Leistungsvoraussetzungen so abgrenzen muß, daß nicht sachwidrig oder willkürlich ein Teil der Arbeitnehmer von den Vergünstigungen ausgeschlossen bleibt (BAG Urteile vom 13. Dezember 1972 – 4 AZR 147/72 – und 11. September 1974 – 5 AZR 567/73 – AP Nr. 37 und 39 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist nicht erst beim Vollzug, sondern schon beim Aufstellen entsprechender Regeln vom Arbeitgeber zu beachten (BAG Urteil vom 11. September 1974 – 5 AZR 567/73 – a.a.O.).
Die Beklagte hat – sowohl beim Aufstellen als auch beim Vollzug der Regeln über Umsatzprämien – den Gleichbehandlungsgrundsatz beachtet. Sie hat nicht die durch den gewählten Betriebsrat vertretene Belegschaft der Niederlassung S./… sachwidrig von den Umsatzprämien ausgeschlossen. Die Beklagte war nämlich rechtlich überhaupt nicht in der Lage, ohne Zustimmung des Betriebsrats für diese Arbeitnehmer ein Umsatzprämiensystem einzuführen. Durch die Wahl und die im Anschluß daran folgende Konstituierung des Betriebsrats in der Niederlassung S. ist die Regelungsmacht des Arbeitgebers – im Unterschied zu den betriebsratslosen Betrieben – eingeschränkt worden. Unter der Geltung der seitdem für diesen Betrieb maßgeblichen betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen kann der Arbeitgeber in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 BetrVG nur mit Zustimmung des Betriebsrats handeln, oder wenn nach § 87 Abs. 2 BetrVG die fehlende Zustimmung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt wird. Das Betriebsverfassungsgesetz enthält für Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 BetrVG eine Teilung der Regelungsmacht zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Arbeitgeber und Betriebsrat beschließen für diese Angelegenheiten gemeinsam für die Arbeitnehmer des Betriebes unmittelbar und zwingend geltende Regelungen durch Betriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 2 und 4 BetrVG).
b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht ausgeführt, daß die Einführung und Ausgestaltung von Umsatzprämien eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme nach § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 BetrVG ist. Während die Beklagte in betriebsratslosen Betrieben ihres Unternehmens frei ist, entsprechende Prämien einzuführen, muß sie in der Niederlassung S. die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats beachten. Dies hat sie getan, als sie das Regelungsverlangen nach einer Betriebsvereinbarung u.a. auch über Umsatzprämien dem Betriebsrat unter Vorlage eines entsprechenden Entwurfs mitgeteilt hat. Der Beklagten ist nicht zuzurechnen, daß der Betriebsrat der Niederlassung S. diesem Entwurf wegen der darin vorgesehenen Arbeitszeitregelung nicht zugestimmt und es unterlassen hat, zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten nach § 87 Abs. 2, § 76 Abs. 5 Satz 1 BetrVG die Einigungsstelle anzurufen. Die fehlende Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat kann noch immer ersetzt werden, wenn für die Arbeitnehmer dieser Niederlassung ein Anspruch begründet werden soll.
c) Die gemeinsame Rechtsetzungsbefugnis der Beklagten und des Betriebsrats für die Niederlassung S. ist auch nicht deshalb entfallen, weil – wie das Landesarbeitsgericht meint – eine vorrangige gesetzliche Regelung im Sinne von § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG vorgelegen hätte.
Der Inhalt einer Zusage von freiwilligen Zulagen des Arbeitgebers an Belegschaften von betriebsratslosen Betrieben, für die die Mitbestimmungsregelungen nach § 87 BetrVG nicht anzuwenden sind, ist für Betriebe, die diesen Regelungen unterliegen, nicht bindend. Das Landesarbeitsgericht hat übersehen, daß der Gleichbehandlungsgrundsatz den Arbeitgeber nicht verpflichten kann, Zusagen, die er gegenüber Arbeitnehmern in betriebsratslosen Betrieben gemacht hat, auch für Betriebe mit Betriebsrat einzuhalten, weil er dadurch die mitbestimmungsrechtlichen Kompetenzen des Betriebsrats verletzen würde. Betriebsrat und Arbeitgeber haben in Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 BetrVG einen Regelungsspielraum, der nicht durch den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ersetzt werden kann.
d) Soweit das Landesarbeitsgericht seine Annahme, der Kläger werde sachwidrig ungleichbehandelt, mit einer Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Abs. 1 BetrVG für die Prämienregelungen begründen will, ist auch dies fehlerhaft. Selbst wenn eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für eine Regelung der hier streitigen Leistungen gegeben sein sollte, folgt daraus noch keine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gleichbehandlung entsprechend der Umsatzprämienregelung für die Betriebe ohne Betriebsrat. Das Landesarbeitsgericht hat übersehen, daß im Betriebsverfassungsgesetz nämlich sehr wohl zwischen Belegschaften mit und ohne Betriebsrat unterschieden wird. Eine Betriebsvereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat würde nicht für die Belegschaften der Betriebe maßgeblich sein, die keinen Betriebsrat gewählt haben (vgl. BAGE 44, 86, 89 = AP Nr. 5 zu § 50 BetrVG 1972).
II. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Berufung nach § 97 Abs. 1 ZPO und die Kosten der erfolgreichen Revision der Beklagten nach § 91 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Leinemann, Dörner, Düwell, Ulrich Hammer, Klosterkemper
Fundstellen