Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstreckung der tariflichen Vorschriften über die Urlaubskasse des Baugewerbes auf Arbeitgeber mit Sitz in Polen, die Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden. Parallelsachen: Urteile vom 25. Juni 2002 – 9 AZR 106/01 –, – 9 AZR 264/01 –, – 9 AZR 322/01 –. Tarifrecht
Leitsatz (amtlich)
§ 1 Abs. 3 AEntG erstreckt die Normwirkung der tariflichen Regelungen über das Urlaubskassenverfahren in der Bauwirtschaft auf Arbeitgeber, die ihren Sitz in der Republik Polen haben und Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden. Das gilt auch, soweit die tariflichen Regelungen besondere Bestimmungen für ausländische Arbeitgeber treffen.
Orientierungssatz
- Nach § 1 Abs. 3 AEntG werden die Rechtsnormen der für das Urlaubskassenverfahren der Bauwirtschaft geltenden Tarifverträge auf Arbeitgeber erstreckt, die ihren Sitz im Ausland haben und Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden. Diese Bestimmung ist nach Art. 34 EGBGB auch dann anwendbar, wenn die Arbeitsverhältnisse der entsandten Arbeitnehmer ausländischem Arbeitsrecht unterliegen.
- Die Rechtsnormen der für das tarifliche Urlaubskassenverfahren anwendbaren Tarifverträge werden nicht durch das Arbeitserlaubnisrecht (§ 285 SGB III) verdrängt. § 1 Abs. 3 AEntG setzt voraus, daß die anzuwendenden Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt sind. Maßgebend ist der Begriff der Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach § 5 TVG. Für die Prüfung der Voraussetzungen der Allgemeinverbindlichkeitserklärung sind allein die dem deutschem Arbeitsrecht unterliegenden Arbeitsverhältnisse zu berücksichtigen.
- Die in § 1 Abs. 3 AEntG geregelte Erstreckung auf ausländische Arbeitgeber schließt Rechtsnormen ein, die von den Tarifvertragsparteien ausschließlich für Arbeitgeber mit Sitz außerhalb der Bundesrepublik Deutschland vereinbart sind, wenn die Regelungen wegen der Besonderheiten des Auslandsbezugs zweckmäßig und geboten sind.
- Die Tarifverträge über das Urlaubskassenverfahren der Bauwirtschaft verstoßen nicht gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Es ist gerechtfertigt, in das Urlaubskassenverfahren lediglich Arbeiter, nicht aber Angestellte einzubeziehen. Der Einbezug ausländischer Arbeiter rechtfertigt sich aus den diesen erwachsenden Leistungen. Der unterlassene Einbezug ausländischer Angestellter rechtfertigt sich schon daraus, daß auch keine deutschen Angestellten erfaßt sind.
- Das deutsch-polnische Werkvertragsabkommen verdrängt nicht die Anwendung des § 1 Abs. 3 AEntG.
- Der Erstreckung nach § 1 Abs. 3 AEntG steht auch nicht das Recht der Europäischen Gemeinschaft entgegen. Soweit die Europäische Union Assoziationsabkommen (hier: mit der Republik Polen) geschlossen hat, gewähren diese weder unmittelbare Rechte noch enthalten sie innerstaatlich anwendbares Recht.
- Die unmittelbar durch Gesetz erfolgte Ausweitung des Geltungsbereichs der tariflichen Urlaubsregelungen ist als Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG gerechtfertigt. Der Gesetzgeber durfte Arbeitgeber mit Sitz im Ausland ohne Verletzung des Gleichheitssatzes Arbeitgebern mit Sitz im Inland gleichstellen. Belastungen der ausländischen Arbeitgeber durch die Inanspruchnahme führen nach ausländischem Recht begründete Urlaubsansprüche einerseits und durch die Heranziehung zu Beiträgen zum deutschen Urlaubskassenverfahren andererseits kann durch entsprechende Handhabung des Urlaubskassenverfahrens entgegengewirkt werden.
- Sowohl deutschen als auch ausländischen Arbeitgebern des Baugewerbes ist es verwehrt Tarifverträge abzuschließen, die darauf gerichtet sind, die Wirkung der Erstreckungen von Tarifverträgen nach dem AEntG auszuschließen (§ 1 Abs. 1 und 3 sowie Abs. 3 Satz 3 AEntG).
- Unentschieden bleibt die Rechtsfrage, ob § 1 Abs. 4 AEntG, der für Arbeitgeber mit Sitz außerhalb Deutschlands einen besonderen Betriebsbegriff schafft, mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Auch nach geltendem Tarifrecht ist für die Zuordnung zum betrieblichen Geltungsbereich des tariflichen Urlaubskassenverfahrens im Baugewerbe das Vorhandensein einer Betriebsabteilung ausreichend, in der bauliche Leistungen erbracht werden (§ 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 2 BRTV).
Normenkette
AEntG § 1; TVG § 5; Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV); Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in den Fassungen vom 28. Januar 1999 (VTV/1999) § 59; Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in den Fassungen vom 20. Dezember 1999 (VTV/2000) §§ 5-6; EGBGB Art. 34; SGB III § 285; BUrlG § 13 Abs. 2; BDSG §§ 4, 28; EG Art. 49-50; Richtlinie 96/71/EG Art. 1 Abs. 1; Assoziationsabkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedsstaaten und der Republik Polen Art. 37, 41-42, 55; GG Art. 9 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 10. April 2000 – 16 Sa 1858/99 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin seit dem 1. Januar 1999 verpflichtet ist, an dem betriebenen Urlaubskassenverfahren der Bauwirtschaft teilzunehmen.
Die Klägerin ist eine polnische Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Ihr Betriebssitz ist Warschau. Sie führt in Deutschland als Subunternehmerin Werkverträge durch, indem sie Baustähle zum Zwecke der Armierung verlegt. Zur Durchführung dieser Arbeiten entsendet sie Arbeitnehmer aus Polen zur vorübergehenden Tätigkeit nach Deutschland. Diese Arbeitnehmer sind zum deutschen Arbeitsmarkt zugelassen.
Der Beklagte ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er hat nach den Vorschriften des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV) iVm. den Vorschriften des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) die Aufgabe, die Auszahlung der tarifvertraglich vorgesehenen Urlaubsvergütung zu sichern. Der VTV in der Fassung vom 28. Januar 1999, in Kraft getreten am 1. Januar 1999 (VTV/1999), ist durch Änderungstarifvertrag vom 20. Dezember 1999 mit Wirkung vom 1. Januar 2000 neu gefaßt (VTV/2000), der BRTV durch Änderungstarifvertrag vom selben Tag geändert worden. Beide Fassungen sowohl des BRTV, als auch des VTV wurden für allgemeinverbindlich erklärt (vgl. für den BRTV in der Fassung 1999 und den VTV/1999 die AVE vom 19. März 1999, Bundesanzeiger Nr. 64 vom 7. April 1999; für den BRTV in der Fassung 2000 und den VTV/2000 die AVE vom 14. März 2000, Bundesanzeiger Nr. 61 vom 28. März 2000).
Der Beklagte nimmt die Klägerin seit 1999 für das Urlaubskassenverfahren in Anspruch. Die Klägerin nimmt daran unter Vorbehalt teil und zahlt ua. die Beiträge. Der Beklagte hat erklärt, die Beiträge zurückerstatten zu wollen, wenn rechtskräftig festgestellt werde, daß die Klägerin keine Beiträge schulde.
Die Klägerin hält die Allgemeinverbindlicherklärung von BRTV und VTV/1999 sowie VTV/2000 für unwirksam und ist der Auffassung, diese Tarifverträge seien rechtswidrig. Außerdem seien die Voraussetzungen einer Erstreckung nach § 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) nicht gegeben. Die von diesem Gesetz vorgesehene Unterwerfung ausländischer Arbeitgeber unter die tariflichen Vorschriften verstoße zudem gegen internationale Vereinbarungen und Europarecht sowie gegen das Grundgesetz.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß sie gegenüber dem Beklagten seit dem 1. Januar 1999 keine Auskunfts- und Beitragsverpflichtungen bezüglich der von der Klägerin in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer, die im Rahmen von Werkverträgen auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt werden, treffen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage, die sich noch auf den VTV/1998 bezog, stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten auch die geänderte Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren geänderten Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Unterschriften
Düwell, Zwanziger, Kranzusch, Ott
Richterin am BAG Reinecke ist infolge Krankheit dienstunfähig. Sie ist an der Unterschrift verhindert.
Düwell
Fundstellen
BAGE 2003, 357 |
BB 2003, 428 |
NWB 2003, 421 |
FA 2003, 63 |
NZA 2003, 275 |
SAE 2004, 130 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 15 |
EzA |
RDV 2004, 269 |
IPRspr. 2002, 58 |