Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang. Wahrung der Identität der Einheit. Gesamtbewertung
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Beurteilung der Frage eines Betriebsüberganges eines Rettungsdienstes kommt im Rahmen der Gesamtbewertung nicht nur der menschlichen Arbeitskraft sondern auch den medizintechnisch ausgerüsteten Fahrzeugen eine entscheidende identitätsprägende Bedeutung zu.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 1 S. 1; Richtlinie 2001/23/EG; RettDVO-LSA vom 15. November 1994 §§ 2-3; RettDG LSA vom 21. März 2006 §§ 3, 12; ZPO § 256
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. November 2014 – 4 Sa 154/13 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 1. Juni 2011 im Wege des Betriebsübergangs von dem J e.V. (im Folgenden J) auf den Beklagten übergegangen ist.
Der Beklagte ist im Zuge der Kreisgebietsneuregelung nach § 4 des Gesetzes zur Kreisgebietsneuregelung vom 11. November 2005 (LKGebNRG – GVBl. LSA S. 692) aus den Landkreisen M und S hervorgegangen.
Der J führte bis zum 31. Mai 2011 den bodengebundenen Rettungsdienst im Altkreis S durch. Er betrieb Rettungswachen in den Gemeinden S, R, Sch sowie in A. Über die Räumlichkeiten der Rettungswachen in R, Sch und A bestanden zwischen dem J und dem Beklagten Untermietverträge, über die Räumlichkeiten der Rettungswache in S, die im Eigentum des Beklagten stehen, hatten dieser und der J einen Mietvertrag geschlossen. Der J beschäftigte in den Rettungswachen insgesamt 41 Arbeitnehmer. Die Rettungsleitstelle wurde vom Beklagten betrieben.
Der J führte den Rettungsdienst zuletzt mit fünf Rettungstransportwagen (im Folgenden RTW), einem Krankentransportwagen (im Folgenden KTW) sowie einem Notarzteinsatzfahrzeug (im Folgenden NEF) durch. Er hatte sämtliche Fahrzeuge im Jahr 2006 erworben. Entsprechend dem Rettungsdienstbereichsplan des Beklagten (zum Rettungsdienstbereichsplan des Beklagten vom 9. Dezember 2010 vgl. Amtsblatt des Landkreises Mansfeld-Südharz vom 31. Dezember 2010 S. 1) waren die Rettungswache S mit einem KTW, zwei RTW sowie einem NEF und die Rettungswachen R, Sch und A mit jeweils einem RTW ausgestattet.
Der Kläger war seit dem 1. Mai 2000 bei dem J als Rettungssanitäter beschäftigt. Im Dienstvertrag des Klägers heißt es ua.:
Für das Dienstverhältnis gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweiligen gültigen Fassung
…
Altersversorgung
Als zusätzliche Altersversorgung (§ 27 AVR) hat die J e.V. eine Direktversicherung in Form eines Gruppenversicherungsvertrages mit der A-AG abgeschlossen.”
Ende 2010 entschloss sich der Beklagte, den bodengebundenen Rettungsdienst ab dem 1. Juni 2011 auf der Grundlage einer verwaltungsinternen Vereinbarung durch den „Eigenbetrieb Rettungsdienst” selbst durchzuführen. In der Folgezeit kündigte er die Unter-/Mietverhältnisse mit dem J über die Rettungswachen zum 31. Mai 2011. Zu diesem Zeitpunkt endete auch die Genehmigung des J zur Durchführung der Notfallrettung.
Anfang 2011 erteilte der Beklagte einen Auftrag für die Lieferung und den Ausbau von Neufahrzeugen für den Betrieb der Rettungswachen mit zum Teil veränderter medizintechnischer Ausstattung, und zwar für fünf RTW, einen KTW und ein NEF. Die Fahrzeuge wurden im Mai 2011 an den Beklagten ausgeliefert.
Der Beklagte hatte sich entschlossen, den für den Betrieb der Rettungswachen ab dem 1. Juni 2011 erforderlichen Personalbedarf durch Neueinstellungen abzudecken, und hatte zu diesem Zweck bundesweit Stellen von Rettungsassistenten und Rettungssanitätern ausgeschrieben. Da er beabsichtigte, den Rettungsdienst in einem Zweischichtmodell mit einer 40-Stunden-woche zu betreiben, suchte er insgesamt mehr als 50 Beschäftigte. Auf die Stellenausschreibung gingen beim Beklagten etwa 70 Bewerbungen ein. Hieraus wählte er in einem Auswahlverfahren mehr als 50 Bewerber aus, darunter alle zuvor beim J beschäftigten 41 Mitarbeiter. Ende Mai 2011 schloss er mit diesen neue Arbeitsverträge, in denen es auszugsweise heißt:
(1) … wird ab 01.06.2011 auf unbestimmte Zeit
…
eingestellt.
…
Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach der durchgeschriebenen Fassung des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) für den Dienstleistungsbereich
⊠ Verwaltung (TVöD-V)
und den ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung …
Die Probezeit beträgt sechs Monate.”
Ab dem 1. Juni 2011 übernahm der Beklagte die Rettungswachen an den Standorten S, R, Sch sowie A einschließlich der Einrichtungsgegenstände vom J und betrieb dort den Rettungsdienst mit den von ihm angeschafften Einsatzfahrzeugen. Für den Erwerb des Inventars der Rettungswachen zahlte er im Juni 2011 an den J insgesamt 10.000,00 Euro. Die Rettungsfahrzeuge des J übernahm er nicht.
Anfang Juni 2011 versahen die Beschäftigten ihren Dienst noch in der bisherigen Dienstkleidung des J. Darüber hinaus fand in den ersten Tagen noch der bisherige, beim J gültige Dienstplan Anwendung.
Der Kläger hat mit seiner Klage die Feststellung begehrt, dass zwischen ihm und dem Beklagten infolge eines Betriebsübergangs seit dem 1. Juni 2011 ein Arbeitsverhältnis besteht. Zudem hat er den Beklagten auf Zahlung – auf der Basis der AVR errechneter – rückständiger Differenzvergütung sowie auf Freistellung von seiner Verpflichtung, Beiträge für die betriebliche Altersversorgung an die A-AG zu zahlen, in Anspruch genommen.
Er hat die Auffassung vertreten, der Rettungsdienst sei zum 1. Juni 2011 im Wege des Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB auf den Beklagten übergegangen. Nach der gebotenen Gesamtschau aller Umstände sei von einem identitätswahrenden Übergang des Betriebs auszugehen. Der Beklagte habe die Rettungswachen nebst Inventar sowie alle ehemaligen Mitarbeiter des J übernommen und setze diese in ihren bisherigen Funktionen ein. Ebenso sei die Kundschaft übergegangen. Die Art des Betriebs sei auch über den 31. Mai 2011 hinaus gleich geblieben. Dass der Beklagte nicht die beim J vorhandenen Fahrzeuge übernommen habe, stehe der Annahme eines Betriebsübergangs nicht entgegen. Beim Rettungsdienst komme es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft an. Die Fahrzeuge nebst ihrer technischen Ausstattung seien – anders als die Mitarbeiter, die von Gesetzes wegen über eine bestimmte Qualifikation verfügen müssten – ohne Weiteres kurzfristig austauschbar. Sie stünden dem jeweiligen Betreiber des Rettungsdienstes zudem nur „temporär” zur Verfügung. Sie würden über einen Zeitraum von sechs Jahren abgeschrieben. Danach finanzierten die Krankenkassen neue Fahrzeuge. Vor diesem Hintergrund sei nicht nur davon auszugehen, dass der Beklagte, sofern er von den Krankenkassen keine Finanzierungszusage für die von ihm neu beschafften Fahrzeuge erhalten hätte, die Fahrzeuge des J übernommen hätte. Auch der J hätte Neuanschaffungen vorgenommen, wenn er den Rettungsdienst fortgeführt hätte. Der Umstand, dass er mit dem Beklagten einen Arbeitsvertrag geschlossen habe, spreche nicht gegen einen Betriebsübergang. Dieser Vertrag sei nach § 134 BGB wegen Umgehung von § 613a BGB nichtig.
Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt
- festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis mit dem J e. V. zum 1. Juni 2011 im Wege des Betriebsübergangs nach § 613a BGB auf den Beklagten übergegangen ist;
- den Beklagten zu verurteilen, an ihn für die Monate Juni 2011 bis Juni 2012 insgesamt 6.297,73 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 435,87 Euro seit dem 1. Juli 2011, aus 610,20 Euro seit dem 1. August 2011, aus 279,58 Euro seit dem 1. September 2011, aus 187,06 Euro seit dem 1. Oktober 2011, aus 409,63 Euro seit dem 1. November 2011, aus 795,20 Euro seit dem 1. Dezember 2011, aus 178,35 Euro seit dem 1. Januar 2012, aus 478,21 Euro seit dem 1. Februar 2012, aus 296,00 Euro seit dem 1. März 2012, aus 218,11 Euro seit dem 1. April 2012, aus 451,51 Euro seit dem 1. Mai 2012, aus 382,22 Euro seit dem 1. Juni 2012 und aus 1.575,79 Euro seit dem 1. Juli 2012 zu zahlen;
- den Beklagten zu verurteilen, ihn von der Verpflichtung zur Zahlung des Beitrags an die A-AG zur A Direktversicherung, Versicherungsschein-Nr., für den Zeitraum vom 1. Juni bis zum 31. Dezember 2011 iHv. 714,04 Euro freizustellen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, beim Rettungsdienst handele es sich um einen betriebsmittelgeprägten Betrieb, bei dem insbesondere die Rettungsfahrzeuge mit der darin befindlichen Medizintechnik identitätsprägend seien. Er habe indes – was unstreitig ist – weder die Fahrzeuge des J noch die darin befindliche Medizintechnik übernommen, sondern – was ebenfalls unstreitig ist – neue Fahrzeuge mit einer zum Teil anderen medizintechnischen Ausstattung angeschafft. Dass die Fahrzeuge abgeschrieben gewesen seien, sei unerheblich. Sie hätten noch Verwendung finden können und seien vom J – wenn auch an anderer Stelle – weiterhin zum Zwecke des Rettungsdienstes eingesetzt worden. Auch dies ist unstreitig. Da § 613a BGB an die tatsächliche Fortführung anknüpfe, komme es auch nicht darauf an, warum er die Fahrzeuge des J nicht übernommen habe. Im Hinblick auf die zuvor beim J beschäftigten Mitarbeiter, mit denen er neue Arbeitsverträge geschlossen habe, müsse berücksichtigt werden, dass diese sich auf die bundesweite Stellenausschreibung beworben hätten und von ihm in einem Auswahlverfahren nach Bestenauslesegesichtspunkten ausgewählt worden seien. Zudem wirke sich aus, dass er ein anderes Schichtmodell praktiziere, weshalb seine Arbeitsorganisation grundverschieden sei. Das Inventar der Rettungswachen sei nicht identitätsprägend.
Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, weil der Betrieb „Rettungsdienst” nicht iSv. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Beklagten übergegangen ist.
I. Der auf Feststellung gerichtete Klageantrag zu 1. ist in der gebotenen Auslegung zulässig.
1. Der Klageantrag zu 1. bedarf der Auslegung.
a) Das Revisionsgericht hat prozessuale Willenserklärungen selbständig auszulegen. Maßgebend sind die für Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze. Entsprechend § 133 BGB ist nicht am buchstäblichen Sinn des in der Prozesserklärung gewählten Ausdrucks zu haften, vielmehr ist der in der Erklärung verkörperte Wille zu ermitteln. Im Zweifel sind prozessuale Willenserklärungen so auszulegen, dass das gewollt ist, was aus Sicht der Prozesspartei nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Dabei sind die schutzwürdigen Belange des Prozessgegners zu berücksichtigen (vgl. etwa BAG 7. Juli 2015 – 10 AZR 416/14 – Rn. 18, BAGE 152, 108; 2. September 2014 – 3 AZR 951/12 – Rn. 34).
b) Die Auslegung des Klageantrags zu 1. ergibt, dass der Kläger – wie er im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat zudem ausdrücklich klargestellt hat – die Feststellung begehrt, dass zwischen ihm und dem Beklagten seit dem 1. Juni 2011 ein Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen seines mit dem J geschlossenen Arbeitsvertrags besteht.
Zwar ist der Antrag des Klägers seinem Wortlaut nach darauf gerichtet festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis mit dem J zum 1. Juni 2011 im Wege des Betriebsübergangs nach § 613a BGB auf den Beklagten übergegangen ist. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger mit dem Beklagten einen neuen Arbeitsvertrag geschlossen hatte und geltend macht, dieser sei wegen Umgehung von § 613a BGB nach § 134 BGB nichtig, beschränkt sich das Rechtsschutzbegehren allerdings erkennbar nicht auf die Feststellung, dass es zu einem Betriebsübergang auf den Beklagten gekommen ist; vielmehr geht es dem Kläger auch um die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten zu bestimmten Arbeitsbedingungen, nämlich zu den Arbeitsbedingungen seines mit dem J geschlossenen Arbeitsvertrags besteht. Bereits aus diesem Grund kann dahinstehen, ob der Übergang des Arbeitsverhältnisses als solcher ein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO ist und Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann (ablehnend BAG 16. Mai 2002 – 8 AZR 320/01 – zu B II 1 der Gründe; MüKoBGB/Müller-Glöge 7. Aufl. § 613a Rn. 206; bejahend wohl BAG 24. September 2015 – 2 AZR 593/14 – Rn. 22).
2. Der Klageantrag zu 1. ist in dieser Auslegung zulässig, insbesondere besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Der Beklagte stellt eine Verpflichtung, den Kläger zu den Bedingungen des mit dem J geschlossenen Arbeitsvertrags zu beschäftigen, in Abrede. Auch der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage steht der Zulässigkeit des Feststellungsantrags nicht entgegen. Da die auf den unveränderten Bestand eines Arbeitsverhältnisses gerichtete Feststellungsklage nicht nur Grundlage für Zahlungsansprüche ist, sondern auch für eine Reihe weiterer verschiedener gegenseitiger Ansprüche relevant sein kann, kann sie auch neben einem Leistungsantrag erhoben werden (vgl. etwa BAG 10. Mai 2012 – 8 AZR 434/11 – Rn. 22).
II. Der Klageantrag zu 1. ist unbegründet. Der Betrieb „Rettungsdienst” ist – wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend angenommen hat – nicht im Wege des Betriebsübergangs iSv. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Beklagten übergegangen, weshalb der Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und dem Beklagten nicht wegen Umgehung von § 613a BGB nach § 134 BGB nichtig sein kann.
1. Ein Betriebs(teil)übergang iSv. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB – wie auch iSd. Richtlinie 2001/23/EG – liegt vor, wenn die für den Betrieb verantwortliche natürliche oder juristische Person, die die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen wechselt und die in Rede stehende Einheit nach der Übernahme durch den neuen Inhaber ihre Identität bewahrt (vgl. nur EuGH 26. November 2015 – C-509/14 – [Aira Pascual ua.] Rn. 28; 6. März 2014 – C-458/12 – [Amatori ua.] Rn. 29 f. mwN; BAG 22. Januar 2015 – 8 AZR 139/14 – Rn. 13 mwN; 18. September 2014 – 8 AZR 733/13 – Rn. 18).
a) Dabei muss es um eine auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit gehen, deren Tätigkeit nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt ist (ua. EuGH 6. März 2014 – C-458/12 – [Amatori ua.] Rn. 31; 13. September 2007 – C-458/05 – [Jouini ua.] Rn. 31, Slg. 2007, I-7301; 15. Dezember 2005 – C-232/04 und C-233/04 – [Güney-Görres und Demir] Rn. 32, Slg. 2005, I-11237; 10. Dezember 1998 – C-127/96, C-229/96 und C-74/97 – [Hernández Vidal ua.] Rn. 26 mwN, Slg. 1998, I-8179; 19. September 1995 – C-48/94 – [Rygaard] Rn. 20, Slg. 1995, I-2745). Um eine solche Einheit handelt es sich bei jeder hinreichend strukturierten und selbständigen Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck (EuGH 6. März 2014 – C-458/12 – [Amatori ua.] Rn. 31 f. mwN). Die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse soll unabhängig von einem Inhaberwechsel gewährleistet werden. Entscheidend für einen Übergang iSv. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ist daher, dass die betreffende Einheit ihre Identität bewahrt, was namentlich dann zu bejahen ist, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wieder aufgenommen wird (EuGH 9. September 2015 – C-160/14 – [Ferreira da Silva e Brito ua.] Rn. 25 mwN).
b) Den für das Vorliegen eines Übergangs maßgebenden Kriterien kommt je nach der Art des betroffenen Unternehmens oder Betriebs, je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- oder Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu (näher EuGH 15. Dezember 2005 – C-232/04 und C-233/04 – [Güney-Görres und Demir] Rn. 35, Slg. 2005, I-11237; BAG 18. September 2014 – 8 AZR 733/13 – Rn. 18). Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit ihre Identität bewahrt, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören namentlich die Art des Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeiten. Diese Umstände sind jedoch nur Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung und dürfen deshalb nicht isoliert betrachtet werden (vgl. ua. EuGH 26. November 2015 – C-509/14 – [Aira Pascual ua.] Rn. 32; 20. Januar 2011 – C-463/09 – [CLECE] Rn. 34 mwN, Slg. 2011, I-95; BAG 18. September 2014 – 8 AZR 733/13 – aaO; 22. Mai 2014 – 8 AZR 1069/12 – Rn. 21, BAGE 148, 168).
aa) Kommt es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft an, kann eine strukturierte Gesamtheit von Arbeitnehmern trotz des Fehlens nennenswerter materieller oder immaterieller Vermögenswerte eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Wenn eine Einheit ohne nennenswerte Vermögenswerte funktioniert, kann die Wahrung ihrer Identität nach ihrer Übernahme nicht von der Übernahme derartiger Vermögenswerte abhängen. Die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit ist in einem solchen Fall anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt (vgl. EuGH 6. September 2011 – C-108/10 – [Scattolon] Rn. 49, Slg. 2011, I-7491; BAG 22. Mai 2014 – 8 AZR 1069/12 – Rn. 22, BAGE 148, 168).
bb) Kommt es nicht im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft an, da die Tätigkeit beispielsweise in erheblichem Umfang materielle Betriebsmittel erfordert, ist bei der Würdigung zu berücksichtigen, ob diese vom alten auf den neuen Inhaber übergegangen sind (vgl. EuGH 25. Januar 2001 – C-172/99 – [Liikenne] Rn. 39, Slg. 2001, I-745). Vor diesem Hintergrund kann der Übergang materieller Betriebsmittel ein wesentliches Kriterium sein, aufgrund dessen ein Betriebsübergang anzunehmen ist (vgl. EuGH 9. September 2015 – C-160/14 – [Ferreira da Silva e Brito ua.] Rn. 29).
cc) Allein in der bloßen Fortführung einer Tätigkeit durch einen anderen (Funktionsnachfolge) oder der bloßen Auftragsnachfolge zeigt sich kein Betriebs(teil)übergang (vgl. EuGH 20. Januar 2011 – C-463/09 – [CLECE] Rn. 36 und 41, Slg. 2011, I-95; BAG 22. Mai 2014 – 8 AZR 1069/12 – Rn. 23, BAGE 148, 168).
2. Danach ist die wirtschaftliche Einheit „Rettungsdienst” nicht unter Wahrung ihrer Identität vom J auf den Beklagten übergegangen.
a) Zwar führt der Beklagte seit dem 1. Juni 2011, dh. ohne zeitliche Unterbrechung, den bodengebundenen Rettungsdienst selbst durch und nutzt hierfür die zuvor vom J genutzten Rettungswachen samt Inventar. Auch beschäftigt der Beklagte all die Personen, die zuvor für den J tätig waren. Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob diesem Umstand bereits deshalb kein besonderes Gewicht zukommt, weil der Beklagte sich entschlossen hatte, den Personalbedarf durch Neueinstellungen abzudecken und ob er seine Auswahlentscheidung den Vorgaben von Art. 33 Abs. 2 GG entsprechend nach dem Grundsatz der Bestenauslese getroffen hat mit der Folge, dass er nicht mehr frei war in der Entscheidung, die ursprünglich beim J Beschäftigten einzustellen. Ebenso kann offenbleiben, ob und ggf. wie sich im Rahmen der Gesamtbewertung der Umstand auswirken kann, dass der Beklagte mehr Personal im Rettungsdienst beschäftigt als zuvor beim J zum Einsatz kam und dass er die Dienstpläne anders gestaltet.
b) Ein Betriebsübergang iSv. § 613a Abs. 1 BGB scheitert vorliegend daran, dass der Beklagte sämtliche Fahrzeuge, mit denen der J bis zum 31. Mai 2011 den bodengebundenen Rettungsdienst durchführte, nämlich die fünf RTW, den KTW sowie das NEF, nicht übernommen hat. Diesen Fahrzeugen kommt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbewertung neben dem Personal und den Rettungswachen eine identitätsbestimmende Wirkung zu. Sie sind für die wirtschaftliche Einheit „Rettungsdienst” unverzichtbar.
aa) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts sind zwar nicht (ausschließlich) die materiellen Betriebsmittel – insbesondere die Fahrzeuge – für den Betrieb „Rettungsdienst” identitätsbestimmend. Vielmehr wird die Identität des Rettungsdienstes ebenso durch das Rettungspersonal mitgeprägt, das für die ordnungsgemäße Durchführung des Rettungsdienstes unverzichtbar ist, über eine bestimmte Ausbildung/Qualifizierung verfügen muss und nicht ohne Weiteres durch anderes Rettungspersonal ersetzt werden kann. Soweit sich aus den Urteilen des Senats vom 10. Mai 2012 (– 8 AZR 434/11 – Rn. 36 ff.; – 8 AZR 639/10 – Rn. 36 ff.; – 8 AZR 433/11 – Rn. 33 ff. und – 8 AZR 436/11 – Rn. 37 ff.) etwas anderes ergibt, hält der Senat hieran nicht fest.
Nach § 3 Abs. 1 RettDVO-LSA vom 15. November 1994 (im Folgenden RettDVO-LSA) müssen die im Rettungsdienst eingesetzten Rettungswagen und Krankentransportwagen im Einsatz mit mindestens zwei Personen besetzt sein, von denen zumindest in der Notfallrettung mindestens eine die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Rettungsassistent” oder „Rettungsassistentin” haben muss, während die Übrigen mindestens die Ausbildung zu Rettungssanitätern erfolgreich abgeschlossen haben müssen. Auch der Rettungsdienstbereichsplan des Beklagten enthält klare – auch zeitliche – Vorgaben für die Besetzung der Fahrzeuge. Danach müssen der KTW in S von Montag bis Freitag in der Zeit von 7:00 Uhr bis 17:00 Uhr mit zwei Rettungssanitätern, die RTW in S, A, R und Sch durchgängig mit je einem Rettungsassistenten und einem Rettungssanitäter und das NEF in S – ebenfalls durchgängig – mit einem Rettungssanitäter und einem Notarzt besetzt sein.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist das Rettungspersonal auch nicht ohne Weiteres durch anderes ersetzbar. Dies zeigt schon der Umstand, dass sich auf die Ausschreibung des Beklagten, mit der dieser mehr als 50 Rettungssanitäter/innen und Rettungsassistenten/innen suchte, über die 41 zuvor beim J Beschäftigten hinaus lediglich 29 Personen beworben haben und der Beklagte mit diesen allein die offenen Stellen nicht hätte besetzen und damit den Rettungsdienst nicht hätte durchführen können.
bb) Allerdings verbleibt es dabei, dass vorliegend die Identität des Rettungsdienstes auch durch die Fahrzeuge, die der Beklagte nicht übernommen hat, entscheidend mitgeprägt wird. Auch diese sind für die Durchführung des Rettungsdienstes unverzichtbar. Die Fahrzeuge müssen zudem bestimmten Vorgaben im Hinblick auf die medizintechnische Ausstattung genügen. Nach § 2 Abs. 1 RettDVO-LSA sollen die im Rettungsdienst eingesetzten Rettungsmittel dem Stand der Technik entsprechen. Nach § 2 Abs. 2 RettDVO-LSA sind die Fahrzeuge für die Notfallrettung bzw. für den qualifizierten Krankentransport auszustatten. Dies schließt die Ausstattung mit der erforderlichen medizintechnischen Ausrüstung mit ein. Bereits aus diesem Grund kommt die Einheit „Rettungsdienst” – entgegen der Rechtsauffassung des Klägers – nicht ohne nennenswerte materielle Vermögenswerte aus, es kommt beim Rettungsdienst damit nicht „im Wesentlichen” auf die menschliche Arbeitskraft an.
(1) Aus dem von dem Kläger angeführten Umstand, dass die Fahrzeuge bereits „buchhalterisch” abgeschrieben waren, ergibt sich nichts anderes.
Zwar haben Abschreibungen die Funktion, Wertminderungen zu erfassen und zu verrechnen, die bei Vermögensgegenständen des Umlauf- oder Anlagevermögens eintreten (vgl. etwa Baumbach/Hopt/Merkt HGB 37. Aufl. § 253 Rn. 10). Die Abschreibung besagt aber nichts darüber, ob der entsprechende Vermögensgegenstand tatsächlich noch verwendbar und damit werthaltig ist. Deshalb besagt die „buchhalterische” Behandlung der Rettungsfahrzeuge nichts darüber, ob diese noch funktions- und einsatzfähig waren. Nur hierauf kommt es vorliegend aber an. § 613a Abs. 1 BGB macht – im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Richtlinie 2001/23/EG – den Übergang der Arbeitsverhältnisse davon abhängig, dass der Betrieb unter Wahrung seiner Identität übernommen wurde, wobei im Rahmen der Gesamtbewertung auch der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel zu berücksichtigen ist. Der Beklagte hätte die Fahrzeuge, die noch funktions- und einsatzfähig waren und die vom J ab dem 1. Juni 2011 in einem anderen Rettungsdienstbereich eingesetzt wurden, übernehmen können. Er hat dies aber nicht getan, sondern neue Fahrzeuge mit einer zum Teil veränderten medizintechnischen Ausstattung angeschafft.
(2) Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Fahrzeuge seien dem jeweiligen Betreiber des Rettungsdienstes nur „temporär” zugewiesen, was sich daraus ergebe, dass diese über einen Zeitraum von sechs Jahren abgeschrieben würden und die Krankenkassen danach neue Fahrzeuge finanzierten.
Abgesehen davon, dass der J letztmalig im Jahr 2006 Neufahrzeuge beschafft hatte und der Abschreibungszeitraum von sechs Jahren weder zum Zeitpunkt der Bestellung der Neufahrzeuge durch den Beklagten Anfang 2011 noch am 1. Juni 2011, ab dem der Beklagte den Rettungsdienst selbst durchführte, abgelaufen war, rechtfertigt die von dem Kläger angeführte „Finanzierung” der Neufahrzeuge durch die Krankenkassen nicht die Annahme, die Fahrzeuge, die vom J auf eigene Rechnung angeschafft worden waren, seien diesem nur temporär bis zum Ablauf des Abschreibungszeitraums zugewiesen worden. Zwar gehören die Abschreibungen auf die Fahrzeuge zu den betriebswirtschaftlichen Kosten des Rettungsdienstes, die die Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes iSv. § 3 Abs. 1 RettDG LSA vom 21. März 2006 (im Folgenden RettDG LSA) und ggf. die Leistungserbringer iSv. § 3 Abs. 2 RettDG LSA nach § 12 Abs. 1 RettDG LSA für ihren jeweiligen Bereich unter Berücksichtigung der entstandenen und der voraussehbaren Aufwendungen ermitteln und auf deren Grundlage sie nach § 12 Abs. 2 RettDG LSA mit der Gesamtheit der zuständigen Träger der Sozialversicherung (Kostenträger) kostendeckende Benutzungsentgelte vereinbaren, die vom Träger des Rettungsdienstes gemäß § 12 Abs. 4 RettDG LSA in der so festgesetzten Höhe durch Satzung gegenüber allen Nutzern des Rettungsdienstes bestimmt werden. Diese mittelbare Refinanzierung der Anschaffungskosten der Fahrzeuge über die Benutzungsentgelte, die ihrerseits letztlich von den Kostenträgern, dh. den Krankenkassen bzw. den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung getragen werden, ändert allerdings nichts daran, dass die vom J angeschafften Rettungsfahrzeuge auch nach Ablauf des Abschreibungszeitraums weiter genutzt werden konnten. Der J hat von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht und die Fahrzeuge – wenn auch in einem anderen Rettungsdienstbereich – eingesetzt.
(3) Letztlich ist es auch unerheblich, ob der Beklagte, sofern er von den Krankenkassen keine „Finanzierungszusage” für die von ihm neu beschafften Fahrzeuge erhalten hätte, die Fahrzeuge des J übernommen hätte und ob der J, wenn er den Rettungsdienst fortgeführt hätte, Neufahrzeuge angeschafft hätte. Ein Betriebs(teil)übergang iSv. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB setzt voraus, dass die in Rede stehende Einheit nach der Übernahme durch den neuen Inhaber tatsächlich ihre Identität bewahrt. Danach ist hier für eine hypothetische Betrachtung kein Raum.
III. Da das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht im Wege des Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Beklagten übergegangen ist, sind auch die übrigen Klageanträge unbegründet.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schlewing, Vogelsang, Roloff, Volz, R. Kandler
Fundstellen
Dokument-Index HI10180179 |