Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnung und Unterlassungsanspruch gegenüber Betriebsratsmitglied
Normenkette
BGB §§ 611, 1004
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 15.10.1992; Aktenzeichen 13 Sa 852/92) |
ArbG Oberhausen (Urteil vom 30.04.1992; Aktenzeichen 1 Ca 572/92) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 15. Oktober 1992 – 13 Sa 852/92 – aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 30. April 1992 – 1 Ca 572/92 – wird zurückgewiesen.
Die Widerklage wird abgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten der Berufung und der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer dem Kläger von der Beklagten am 27. November 1991 erteilten Abmahnung und einen im Wege der Widerklage verfolgten Unterlassungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger.
Der Kläger ist Arbeitnehmer der Beklagten und Mitglied des Betriebsrats. Am 12. September 1991 beschloß der Betriebsrat die Bildung einer Kommission zur Überprüfung der Werkverträge mit Fremdfirmen; der Kläger ist Mitglied dieser Kommission.
Am 27. November 1991 schrieb die Beklagte an den Kläger:
„Abmahnung
Sehr geehrter Herr I., … wie wir nachweisbar erfahren haben, haben Sie Mitarbeiter der Firma P., die in unserem Werk M. tätig sind, am Arbeitsplatz angesprochen und nachgefragt, ob die Mitarbeiter der Firma P. Interesse hätten, von M. übernommen zu werden. Dabei erläuterten Sie, daß Sie zu dem Schluß gekommen seien, daß die angesprochenen Belegschaftsmitglieder der Firma P. illegal bei M. beschäftigt seien. Weiter gaben Sie an die von Ihnen angesprochenen Belegschaftsmitglieder Informationen über die von M. bei vergleichbarer Tätigkeit gezahlten Löhne. Ferner luden Sie Belegschaftsmitglieder der Firma P. für den 08.09.91, 9.00 Uhr, in eine … Gaststätte zu einem „Frühschoppen” ein, für den Sie nähere Informationen in Aussicht stellten.
Am 08.09.91 waren Sie sowie vier Belegschaftsmitglieder der Firma P. erschienen. Bei dem Gespräch fragten Sie nach, ob und welche Verträge zwischen M. und der Firma P. existierten und ob und welche Arbeitsverträge für die Belegschaftsmitglieder der Firma P. Geltung hätten. Ferner baten Sie die Anwesenden, Ihnen Einsicht in die bestehenden Arbeitsverträge zu gewähren; ebenso fragten Sie nach einer Einsichtsmöglichkeit in die bestehenden Verträge zwischen M. und der Firma P..
Ausdrücklich bekundeten Sie Ihre – unzutreffende – Auffassung, wonach es sich bei der Tätigkeit der Belegschaftsmitglieder der Firma P. im Werk M. um illegale Leiharbeit handele. Des weiteren befragten Sie die Anwesenden, ob sie Mitglied einer Rechtschutzversicherung seien und rieten den Belegschaftsmitgliedern der Firma P. – im Sinne einer Aufforderung – ausdrücklich, gegenüber M. eine Klage auf Übernahme des Arbeitsverhältnisses zu erheben.
Gegen Ende des Gespräches baten Sie die Mitarbeiter der Firma P., zu einem in Aussicht gestellten zweiten Termin weitere Kollegen auf die Problematik anzusprechen und einzuladen. Ferner stellten Sie in Aussicht, daß ein Rechtsanwalt an dem Termin teilnehmen werde. Dieser, so gaben Sie weiter an, sollte den Belegschaftsmitgliedern der Firma P. die rechtlichen Aspekte näher erläutern.
Ein zweites Gespräch fand am 22.09.91, 11.00 Uhr, in Anwesenheit eines von Ihnen zu dem Gespräch geladenen Anwalts in einer Gaststätte in M. statt.
Wir sehen in Ihren Aktivitäten hinsichtlich der Einladung und der Durchführung des „Frühschoppens” am 08.09.91. insbesondere in dem Anraten, M. auf Einstellung zu verklagen, ein zu mißbilligendes Verhalten, das unseres Erachtens einen groben Verstoß gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten darstellt. Wir verwahren uns gegen die in dem Frühschoppen von Ihnen gegenüber M. erhobenene Vorwürfe, die jeder Grundlage entbehren.
Wir fordern Sie ausdrücklich auf, Ihr Verhalten zu ändern und für die Zukunft keine weiteren diesbezüglichen Aktivitäten zu unternehmen.
Für den Fall, daß Sie Ihr Verhalten nicht ändern sollten und weiterhin vergleichbare Aktivitäten mit der Aufforderung einer Klageerhebung gegen M. entfalten, sehen wir uns veranlaßt, eine Kündigung auszusprechen.
Hochachtungsvoll”
Der Kläger bestreitet im wesentlichen die Richtigkeit der von der Beklagten in der Abmahnung aufgestellten Behauptungen und macht geltend, nur seine Aufgaben als Mitglied der vom Betriebsrat gebildeten Kommission wahrgenommen zu haben. Er habe nicht im Widerspruch zur Aufgabenverteilung in dieser Kommission gehandelt, denn eine weitere Zuständigkeitsregelung als die, daß das Betriebsratsmitglied G. zur Anforderung der für den Betriebsrat notwendigen Unterlagen berechtigt sei, habe es nicht gegeben.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 27. November 1991 zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen.
Die Beklagte hat Klageabweisung und mit ihrer im Berufungsverfahren erhobenen Widerklage beantragt,
den Kläger zu verurteilen, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis DM 500.000,–, ersatzweise Ordnungshaft oder der Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, den Einsatz von Mitarbeitern der Firma P. bei Prüfarbeiten im Werk der Beklagten gegenüber Mitarbeitern der Firma P. als illegale Leiharbeit zu bezeichnen oder auf andere Weise, insbesondere durch Erörterung von Rechtsfragen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes mit Mitarbeitern der Firma P., verbunden mit der Aufforderung, Klage gegen die Beklagte auf Übernahme in ein Arbeitsverhältnis zu erheben, als illegale Leiharbeit darzustellen.
Sie hat behauptet, ihre Sachverhaltsschilderung in der Abmahnung treffe zu. Damit habe der Kläger eine strafrechtlich relevante Beleidigung begangen, in das Persönlichkeitsrecht der Beklagten eingegriffen und seine Treuepflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt. Dabei habe sich der Kläger nicht an die im Betriebsrat beschlossene Vorgehensweise gehalten, sondern bewußt Eigeninitiative entwickelt. Die Widerklage sei begründet, da der Kläger in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beklagten eingegriffen habe. Eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung habe nicht vorgelegen. Die Wiederholungsgefahr sei durch den rechtswidrigen Eingriff indiziert.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und nach dem Widerklageantrag erkannt. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des Ersturteils und die Abweisung der Widerklage. Die Beklagte und Widerklägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten und zur Abweisung der Widerklage.
A. Der Antrag des Klägers, die streitgegenständliche Abmahnung zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen, ist schon deshalb begründet, weil die vorliegende Abmahnung den Kläger belastende Tatsachenbehauptungen enthält, deren Richtigkeit nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht erwiesen ist. Der rechtlichen Würdigung des Landesarbeitsgerichts, daß es auf die von ihm festgestellte Diskrepanz zwischen dem Inhalt der Abmahnung und dem Beweisergebnis nicht ankomme, kann sich der Senat nicht anschließen.
I. Das Landesarbeitsgericht ist zwar zutreffend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen, nach der der Arbeitnehmer die Entfernung mißbilligender Äußerungen des Arbeitgebers aus seiner Personalakte verlangen kann, die unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalten, die den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung und seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigen können (vgl. z.B. BAG Urteile vom 27. November 1985 – 5 AZR 101/84 – AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; vom 15. Juli 1992 – 7 AZR 466/91 – AP Nr. 9 zu § 611 BGB Abmahnung, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt; vom 10. November 1993 – 7 AZR 682/92 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen; vom 5. August 1992 – 5 AZR 531/91 – AP Nr. 8 zu § 611 BGB Abmahnung, jeweils m.w.N.; vgl. auch BAG Beschluß vom 17. Oktober 1989 – 1 ABR 100/88 – AP Nr. 12 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu II 3 a der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).
II. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht jedoch das Vorliegen dieser Voraussetzungen im Entscheidungsfalle verneint,
1. Zur Begründung seiner diesbezüglichen Würdigung hat das Landesarbeitsgericht im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe nicht nur seine Kompetenzen als Betriebsrats- und Kommissionsmitglied überschritten, sondern auch seine individualrechtlichen Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis verletzt. Der Kläger sei nicht das mit der Einleitung von Ermittlungen beauftragte Kommissionsmitglied gewesen. Auch habe der Alleingang des Klägers gegen die Verpflichtungen aus § 2 BetrVG zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber verstoßen; zumindest sei danach erforderlich gewesen, die Stellungnahme des Arbeitgebers einzuholen und ihm Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Erwiesenermaßen habe der Kläger die Behauptung aufgestellt, die Beklagte beschäftige illegal Arbeitnehmer der Firma P.. Durch diese unzutreffende und unzulässige Information habe er die Beklagte leichtfertig der Gefahr behördlicher und strafrechtlicher Ermittlungen sowie der Verwicklung in zivilrechtliche Streitigkeiten ausgesetzt. Des weiteren habe der Zeuge S. auf Frage des Gerichts, ob der Kläger eine Klageerhebung konkret angeraten habe, glaubwürdig erklärt: „Dies sei der Fall, die Initiative müsse aber von uns ausgehen. Daher das Fragen nach dem Bestehen einer Rechtsschutzversicherung.” Damit sei erwiesen, daß der Kläger zur Klageerhebung aufgefordert habe. Daher liege auch im Wortlaut der erteilten Abmahnung: „und rieten Sie den Belegschaftsmitgliedern der Firma P. – im Sinne einer Aufforderung – ausdrücklich (Unterstreichung durch den Senat), gegen die Beklagte eine Klage auf Übernahme zu erheben” keine unrichtige Tatsachenbehauptung, selbst wenn man eine wörtliche Übereinstimmung dieser Passage mit den Beweisfeststellungen des Gerichts nicht für gegeben ansehe. Denn der in der Abmahnung enthaltene Vorwurf sei zumindest als inhaltlich richtig haltbar, weil die Äußerungen des Klägers wenigstens als konkludente Aufforderung zur Klageerhebung gewertet werden müßten. Überzogen und verfehlt sei die Annahme, die im Beweisverfahren ermittelten Tatsachen müßten wortgetreu in der erteilten Abmahnung wiederzufinden sein.
2. Bei dieser Würdigung hat das Landesarbeitsgericht schon nicht hinreichend zwischen der auf einer Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis beruhenden individualrechtlichen Abmahnung und einem Hinweis des Arbeitgebers auf das Vorliegen und die Rechtsfolgen einer Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten unterschieden. Insbesondere mit seinen Ausführungen darüber, der Alleingang des Klägers habe gegen die Verpflichtungen aus § 2 BetrVG zur vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßen, bezieht das Landesarbeitsgericht eine angebliche Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten durch den Kläger in die Beurteilung der vorliegenden, ausschließlich individualrechtlichen Abmahnung ein. Bei Verstößen gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten, die nicht zugleich eine Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen, kommt indessen nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. BAG Beschluß vom 16. Oktober 1986 – 2 ABR 71/85 – AP Nr. 95 zu § 626 BGB, zu II 4 der Gründe, m.w.N.; Senatsurteil vom 10. November 1993 – 7 AZR 682/92 –, a.a.O., zu 5 a der Gründe) keine Kündigung und damit auch keine Kündigungsandrohung für den Wiederholungsfall, sondern nur ein Antrag nach § 23 Abs. 1 BetrVG und damit auch nur die Inaussichtstellung eines solchen Antrags für den Wiederholungsfall in Betracht.
3. Der Senat kann sich auch nicht der Würdigung des Landesarbeitsgerichts anschließen, im Entscheidungsfalle sei der in der Abmahnung enthaltene Vorwurf, der Kläger habe die Mitarbeiter der Firma P. ausdrücklich zur Klageerhebung gegen die Beklagte aufgefordert, als inhaltlich richtige Tatsachenbehauptung anzusehen, obwohl die Beweisaufnahme nur ergeben habe, daß der Kläger konkludent zur Klageerhebung aufgefordert habe.
Zwar mag dem Landesarbeitsgericht für den Regelfall darin zu folgen sein, daß sich die durch die Beweisaufnahme ermittelten Äußerungen des Arbeitnehmers nicht wortgetreu in der ihm erteilten Abmahnung finden müssen. Denn die Behauptung, jemand habe eine bestimmte Äußerung getan, kann auch dann richtig sein, wenn er sie sinngemäß getan hat.
Anders ist es jedoch, wenn jemandem vorgeworfen wird, er habe eine bestimmte Äußerung ausdrücklich getan. Dieser Vorwurf ist gerade nicht als zutreffend festgestellt, wenn die Beweisaufnahme lediglich ergeben hat, daß die Äußerung jedenfalls sinngemäß so zu verstehen gewesen sei. Denn in diesem Fall bleibt die Möglichkeit offen, daß sich der Arbeitnehmer lediglich mißverständlich ausgedrückt und damit bei seiner Wortwahl nicht die gebotene Vorsicht beachtet hat. Ein solcher Vorwurf hat jedoch ein geringeres Gewicht als der Vorwurf, tatsächlich bestimmte Worte gebraucht zu haben.
4. Enthält mithin die streitgegenständliche Abmahnung eine Tatsachenbehauptung, deren Richtigkeit von der Beklagten nicht bewiesen werden konnte, so ist sie vollständig aus der Personalakte zu entfernen und kann auch nicht teilweise aufrechterhalten bleiben (BAGE 67, 311 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Abmahnung).
B. Die Widerklage der Arbeitgeberin auf Unterlassung ist unbegründet, weil die Beklagte dem Kläger durch ihren Widerklageantrag zumindest auch Verhaltensweisen untersagen lassen will, auf deren Unterlassung sie keinen Anspruch hat.
I. Nach jetzt ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist ein bestimmte Verhaltensweisen beschreibender Klageantrag (Globalantrag) insgesamt unbegründet, wenn er auch nur eine Fallgestaltung mitumfaßt, in der er unbegründet wäre (vgl. z.B. BAGE 62, 192 = AP Nr. 5 zu § 42 BetrVG 1972; Beschluß vom 26. März 1991 – 1 ABR 26/90 – AP Nr. 21 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, jeweils m.w.N.). Innerhalb eines zu weit gefaßten Antrages kann das Gericht auch nicht die einzelnen Voraussetzungen bestimmen, in deren Grenzen der Antrag begründet wäre. Dies liefe auf ein Rechtsgutachten hinaus, zu dem die Gerichte nicht befugt sind (so auch schon BAGE 34, 75 = AP Nr. 3 zu § 74 BetrVG 1972; BAGE 44, 226 = AP Nr. 11 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit).
II. Die erfolgte Verurteilung des Klägers nach dem Widerklageantrag, es zu unterlassen, „den Einsatz von Mitarbeitern der Firma P. bei Prüfarbeiten im Werk der Beklagten gegenüber Mitarbeitern der Firma P. als illegale Leiharbeit zu bezeichnen” (im folgenden: erste Alternative) oder (im folgenden: zweite Alternative) „auf andere Weise, insbesondere durch …, als illegale Leiharbeit darzustellen”, betrifft nach ihrem Wortlaut auch Handlungsweisen des Klägers, von denen schon nicht ersichtlich ist, ob sie ihm das Landesarbeitsgericht wirklich untersagen wollte.
1. Die erste Alternative des Widerklageantrags erfaßt z.B. auch den Fall, daß ein Mitarbeiter der Firma P. in seiner Freizeit von sich aus an den Kläger (z.B. weil er Kommissionsmitglied ist) herantritt und ihn nach seiner Meinung über die Vereinbarkeit seiner Beschäftigung mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz befragt. Nach der Begründung, die das Landesarbeitsgericht für seine Annahme eines vertragswidrigen Verhaltens des Klägers gegeben hat („Aufwiegelung und Aufruf zu oppositionellem Verhalten; Verletzung der individualrechtlichen arbeitsrechtlichen Pflicht zu loyalem Verhalten”), kann indessen nicht angenommen werden, daß das Landesarbeitsgericht dem Kläger auch ansinnen wollte, auch auf eine Antrage hin mit seiner persönlichen Meinung hinter dem Berge zu halten und etwa zu erklären, ihm sei die Äußerung seiner Meinung gerichtlich verboten. Würde aber eine Verurteilung des Klägers nach dem Widerklageantrag ergehen, so hinge die Auslegung der Verurteilung von der jeweiligen Auslegung durch das Vollstreckungsgericht ab. Der Kläger aber hätte keine Möglichkeit mehr, sein künftiges Verhalten nach der Rechtsauffassung des Vollstreckungsgerichts zu richten und so der Festsetzung eines Ordnungsgeldes zu entgehen. Er müßte daher, um jedes Risiko einer für ihn unter Umständen existenzvernichtenden Ordnungsgeldfestsetzung zu vermeiden, sein Verhalten nach der denkbar weitesten Auslegung der Unterlassungsverurteilung ausrichten, selbst wenn eine derart Weite Auslegung nicht der Absicht des Landesarbeitsgerichts entsprochen haben sollte.
2. Ebenfalls zu weit gefaßt ist der Widerklageantrag in seiner zweiten Alternative. Da der mit „insbesondere” eingeleitete Einschub nur als beispielhafte Aufzählung zu verstehen ist, verbleibt insoweit als maßgeblicher Urteilstenor „es zu unterlassen, den Einsatz von Mitarbeitern der Firma P. bei Prüfarbeiten im Werk der Beklagten auf andere Weise … als illegale Leiharbeit darzustellen”. Hierunter fallen, weil der Ausdruck „auf andere Weise” nach dem Satzzusammenhang nur als Gegenstück zu „gegenüber den Mitarbeitern der Firma P.” zu verstehen ist, auch Gespräche mit anderen Personen, beispielsweise auch Erörterungen im Betriebsrat oder in der von ihm eingesetzten Kommission.
Wahrscheinlich hat selbst die Widerklägerin derartiges nicht gemeint. Aber der vorliegende Widerklageantrag beschreibt dann nicht, was dem Kläger eigentlich wirklich verboten werden soll. Durch die von der Widerklägerin zu vertretende Unsicherheit aber würde der Kläger unverhältnismäßig in seiner Persönlichkeit und insbesondere seinem Recht auf Teilhabe an der innerbetrieblichen Kommunikation eingeschränkt, weil er sich eben – wie dargestellt – auf eine bestimmte Auslegung durch das Vollstreckungsgericht nicht verlassen kann. Gerade durch die zu weite Fassung des Widerklageantrags hätte die Beklagte damit gegen den Kläger ein Einschüchterungsinstrument in der Hand.
III. Im Entscheidungsfall erfassen mithin beide Alternativen des Widerklageantrags auch Verhaltensweisen des Klägers, für deren Unterlassung eine Anspruchsgrundlage weder aus dem Arbeitsvertrag noch aus absolut geschützten Rechten der Beklagten ersichtlich ist. Weder die sogenannte „Treuepflicht” noch ein allgemeines Persönlichkeitsrecht des Unternehmers können so weit ausgelegt werden, daß sie Meinungsäußerungen des Arbeitnehmers über schwierige arbeitsrechtliche Fragen, in denen selbst die Gerichte für Arbeitssachen gelegentlich andere Ansichten vertreten als der Arbeitgeber, in jedem Falle verbieten. Es kommt hinzu, daß eine weitgehende Einschränkung des Rechts des Arbeitnehmers auf Meinungsfreiheit durch ein Unterlassungsurteil in aller Regel auch nicht zur Wahrung berechtigter betrieblicher Belange des Unternehmers notwendig und daher unverhältnismäßig ist. Denn zur Abwehr von Rechtsverletzungen, die dem Arbeitnehmer nur aufgrund seiner Betriebszugehörigkeit möglich sind, ist der Arbeitgeber nicht wie ein sonstiger Staatsbürger auf Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aus einem Unterlassungsurteil angewiesen, weil sich der Arbeitgeber, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich gegen seine Vertrags- oder sonstigen Rechtspflichten verstößt, von ihm durch Kündigung trennen kann.
Unterschriften
Zugleich für den durch Krankheit an der Unterschrift verhinderten Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Weller, Dr. Steckhan, Schliemann, Dr. Johannsen, Kordus
Fundstellen