Entscheidungsstichwort (Thema)
Kleinbetriebsklausel. Ausländischer Betriebsteil. Ordentliche betriebsbedingte Kündigung. Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes. Regelbeschäftigtenzahl. Berücksichtigung ausländischer Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Gemeinschaftsbetrieb eines deutschen und eines ausländischen (Mutter-)Unternehmens?
Orientierungssatz
1. Der in § 23 Abs. 1 KSchG verwendete Begriff des “Betriebs” bezeichnet in Deutschland gelegene Betriebe.
2. Jedenfalls solche im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nicht dem deutschen Recht unterliegen, zählen auch dann bei der Berechnung des Schwellenwertes nicht mit, wenn die ausländische Arbeitsstätte mit einer deutschen einen Gemeinschaftsbetrieb bildet.
Normenkette
KSchG § 23 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 28.09.2007; Aktenzeichen 16 Sa 1901/06) |
ArbG Hannover (Urteil vom 08.11.2006; Aktenzeichen 1 Ca 436/06) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 28. September 2007 – 16 Sa 1901/06 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen Kündigung und in diesem Zusammenhang um die Frage, ob die Anwendbarkeit des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes nach § 23 Abs. 1 KSchG ausgeschlossen ist, weil die Beklagte die Mindestbeschäftigtenzahl nicht erreicht.
Rz. 2
Der Kläger war bei der Beklagten seit 1999 in H… tätig und hat als System Consultant Software bei Kunden eingeführt, betreut und dort auch Schulungen durchgeführt.
Rz. 3
Die Beklagte ist ein Tochterunternehmen der dänischen T… A…/S…, deren Unternehmenszweck die Entwicklung und der Verkauf von Software zur Abrechnung von Telekommunikationsleistungen ist. Das Mutterunternehmen hat seinen Sitz in S… in Dänemark. In E… besteht ein Verkaufsbüro mit einer Mitarbeiterin. Zwischen der Beklagten und dem dänischen Mutterunternehmen T… A…/S… in S… besteht eine enge Zusammenarbeit auf der Grundlage eines Kooperationsvertrags. Ob ein Gemeinschaftsbetrieb besteht, ist streitig.
Rz. 4
Bei der Beklagten allein wurde der Schwellenwert nach § 23 Abs. 1 KSchG nicht erreicht, wohl aber bei einer Hinzurechnung der in S… beschäftigten Mitarbeiter der Muttergesellschaft. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich am 7. November 2005.
Rz. 5
Der Kläger hält die Kündigung für sozial ungerechtfertigt. Das KSchG sei anwendbar, da die Beklagte und die dänische Muttergesellschaft einen Gemeinschaftsbetrieb führten.
Rz. 6
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 7. November 2005 nicht aufgelöst worden ist.
Rz. 7
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Rz. 8
Sie hat die Auffassung vertreten, sie habe mit der dänischen Muttergesellschaft keinen Gemeinschaftsbetrieb unterhalten. Abgesehen davon komme es für den Schwellenwert nur auf die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer an.
Rz. 9
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 10
Die Revision ist unbegründet.
Rz. 11
A. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die Beklagte mit der dänischen Muttergesellschaft einen Gemeinschaftsbetrieb unterhalten habe. Selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, finde der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung, da nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KSchG im Inland erfüllt sein müssten. Der deutsche Gesetzgeber könne einem ausländischen Unternehmen keine arbeitsrechtlichen Maßnahmen im Ausland auferlegen.
Rz. 12
B. Dem stimmt der Senat im Ergebnis zu. Die Kündigung ist nicht sozialwidrig iSd. § 1 KSchG, weil der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes keine Anwendung findet. Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb weder mindestens mehr als fünf noch mehr als zehn Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 KSchG. § 23 Abs. 1 KSchG erfasst nur Betriebe, die in der Bundesrepublik Deutschland liegen. Die in Dänemark beschäftigten Arbeitnehmer sind den in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern auch dann nicht hinzuzurechnen, wenn, was das Landesarbeitsgericht offengelassen hat, die in Deutschland gelegenen Beschäftigungsstätten mit der in S… (Dänemark) gelegenen Beschäftigungsstätte einen Gemeinschaftsbetrieb bilden sollten.
Rz. 13
I. Der Senat hat mit Urteil vom 17. Januar 2008 (– 2 AZR 902/06 – AP KSchG 1969 § 23 Nr. 40 = EzA KSchG § 23 Nr. 31) an seiner ständigen Rechtsprechung festgehalten, nach der der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes nur auf in Deutschland gelegene Betriebe anzuwenden ist. Er hat dies – insoweit abweichend von früheren Entscheidungen – nicht mehr mit der Geltung des Territorialitätsprinzips sondern damit begründet, dass der in § 23 Abs. 1 KSchG verwendete Begriff des “Betriebs” nur in Deutschland gelegene Betriebe bezeichne. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Mit den in der Literatur vertretenen Bedenken gegen die Rechtsprechung hat sich der Senat im Urteil vom 17. Januar 2008 eingehend befasst und sie in seine Erwägungen einbezogen. Darauf wird Bezug genommen.
Rz. 14
1. Auch im Schrifttum ist anerkannt worden, dass die nunmehr vom Senat gegebene Begründung im Hinblick auf die Entwicklung des deutschen Kündigungsschutzrechts nachvollziehbar ist und das vom Senat gefundene Ergebnis die Rechtsanwendung erleichtert. Soweit die Entscheidung auf Kritik gestoßen ist, sind im Wesentlichen keine Gesichtspunkte vorgebracht worden, die nicht schon im Urteil vom 17. Januar 2008 behandelt worden wären (vgl. W. Gravenhorst jurisPR-ArbR 31/2008; Kappelhoff ArbRB 2008, 235; Deinert ArbuR 2008, 300; B. Otto/Mückl BB 2008, 1231; Pomberg EWiR 2008, 667; Boemke JuS 2008, 751).
Rz. 15
2. Im Übrigen übersieht die Kritik, dass die Auslegung des Betriebsbegriffs in § 23 Abs. 1 KSchG nicht abstrakt zu erfolgen hat, sondern im Hinblick darauf, dass sie darüber entscheidet, für welche Arbeitnehmer und Arbeitgeber der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes gilt und folglich die Frage gestellt werden kann, ob eine Kündigung sozialwidrig ist.
Rz. 16
a) Die Beantwortung der Frage nach der Sozialwidrigkeit erfordert nahezu immer eine Einbeziehung der betrieblichen Gegebenheiten. Aus Sicht des Arbeitgebers ist der einzelne Arbeitnehmer kein isolierter Vertragspartner wie möglicherweise ein Lieferant oder Vermieter, sondern immer auch in seinem Zusammenwirken mit anderen Mitarbeitern zu sehen. Der Rahmen dieses Zusammenwirkens ist der Betrieb, gelegentlich auch das Unternehmen. Besonders deutlich wird das, wenn bei betriebsbedingten Kündigungen die Frage der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben desselben Unternehmens oder die Frage der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten in Rede steht. Aber auch bei personen- und verhaltensbedingten Kündigungen kann etwa die Möglichkeit anderweitiger Beschäftigung zu berücksichtigen sein. Auch bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses (§§ 9, 10 KSchG), beim Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG, beim Massenentlassungsschutz (§§ 17 ff. KSchG) sind betriebliche Gegebenheiten und damit die Rechtsverhältnisse anderer im Betrieb beschäftigter Arbeitnehmer maßgeblich.
Rz. 17
b) Stets ist also bei Prüfung der Sozialwidrigkeit vorausgesetzt, dass gegenüber allen etwa angesprochenen Arbeitnehmern und gegenüber dem Arbeitgeber dasselbe, nämlich deutsches Arbeitsrecht und insbesondere das Recht des Kündigungsschutzgesetzes angewendet und auch durchgesetzt werden kann. Diese Voraussetzung sicherzustellen, ist ein elementares Anliegen bei der Auslegung des Begriffs “Betrieb” iSd. § 23 Abs. 1 KSchG, weil anderenfalls die Kohärenzen und Korrespondenzen des Kündigungsschutzrechts zerrissen würden.
Rz. 18
c) Die Auffassung des Senats steht im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben (BVerfG 12. März 2009 – 1 BvR 1250/08 –). Die im Urteil vom 17. Januar 2008 angesprochenen Ausnahmekonstellationen liegen ersichtlich nicht vor.
Rz. 19
II. Gemessen an diesen Voraussetzungen ist der Schwellenwert hier nicht erreicht. Die Beklagte unterhält zwar eine Beschäftigungsstätte in Deutschland. Selbst wenn diese als Betrieb anzusehen sein sollte, findet jedoch der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes deshalb keine Anwendung, weil – wie unstreitig – die Schwellenwerte des § 23 Abs. 1 KSchG im Inland nicht erreicht sind. Bei der Ermittlung des Schwellenwerts nach § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG hat keine Zusammenrechnung der in der Bundesrepublik Deutschland regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern mit den Mitarbeitern der T… A…/S… in Dänemark zu erfolgen.
Rz. 20
1. Es kann dahinstehen, ob eine solche Zusammenrechnung erwägenswert wäre bezogen auf die regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland und andere Arbeitnehmer der Beklagten, deren Arbeitsverhältnisse ebenfalls deutschem Arbeitsrecht unterfallen.
Rz. 21
2. Eine Zusammenrechnung der in Dänemark beschäftigten Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse mangels anderweitiger Anhaltspunkte bzw. fehlender abweichender Feststellungen des Landesarbeitsgerichts dänischem Recht unterfallen, mit den in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse deutschem Recht unterfallen, ist jedenfalls nicht möglich. Die Arbeitsverhältnisse dieser beiden Personengruppen unterstehen unterschiedlichen Rechtsordnungen und können nicht zum Zwecke der Eröffnung des Anwendungsbereichs einzelner Gesetze des jeweils anderen Rechts zusammengerechnet werden (vgl. 17. Januar 2008 – 2 AZR 902/06 – AP KSchG 1969 § 23 Nr. 40 = EzA KSchG § 23 Nr. 31). Die deutschem Recht unterstehenden Arbeitsverhältnisse richten sich insgesamt und damit auch hinsichtlich ihrer Beendigung nach deutschem Recht, während die anderen Arbeitsverhältnisse dänischem Recht und damit einer anderen Rechtsordnung unterstehen.
Rz. 22
3. Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn die deutsche Beschäftigungsstätte der Beklagten mit der Zentrale des Mutterunternehmens in S… (Dänemark) einen Gemeinschaftsbetrieb bilden sollte. Die Folge der kündigungsrechtlichen Zusammenrechnung der von zwei Unternehmen gemeinsam unterhaltenen Beschäftigungsstätte zu einem gemeinschaftlichen Betrieb ist die Anwendung des Kündigungsschutzrechts im gesamten Betrieb. Die mehreren Beschäftigungsstätten werden kündigungsrechtlich als ein Betrieb iSd. § 23 Abs. 1 KSchG angesehen. Ist aber, wie vom Senat mit Urteil vom 17. Januar 2008 (– 2 AZR 902/06 – AP KSchG 1969 § 23 Nr. 40 = EzA KSchG § 23 Nr. 31) angenommen, eine Zusammenrechnung selbst dann ausgeschlossen, wenn es nur eine Betriebsstätte eines Unternehmens gibt, kann sich daran nichts ändern, wenn ein Gemeinschaftsbetrieb zweier Unternehmen besteht. Jedenfalls solche im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nicht dem deutschen Recht unterliegen, zählen auch dann bei der Berechnung des Schwellenwerts nicht mit, wenn die ausländische Arbeitsstätte mit einer deutschen einen Gemeinschaftsbetrieb bildet (vgl. MünchKommBGB/Hergenröder 4. Aufl. § 23 KSchG Rn. 9; ErfK/Kiel 9. Aufl. § 23 KSchG Rn. 2; APS/Moll 3. Aufl. § 23 KSchG Rn. 37; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 23 Rn. 29, 31; HaKo/Pfeiffer 3. Aufl. § 23 Rn. 4; Löwisch/Spinner Kommentar zum KSchG 9. Aufl. Vorbemerkungen zu § 1 Rn 33; aA Kittner/Däubler/Zwanziger/Kittner/Deinert KSchR 7. Aufl. § 23 KSchG Rn. 20 ff.). Der Gemeinschaftsbetrieb zweier Unternehmen kann nicht anders behandelt werden als ein gleich organisierter Betrieb eines Unternehmens.
Rz. 23
C. Die Kosten der erfolglosen Revision fallen dem Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.
Unterschriften
Rost, Eylert, Schmitz-Scholemann, J. Lücke, Torsten Falke
Fundstellen
Haufe-Index 2175558 |
BB 2009, 1924 |
DB 2009, 1409 |