Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusatzurlaub wegen Strahlengefährdung
Normenkette
BAT § 49; HessUrlVO § 14; BGB § 315
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 04.08.1988; Aktenzeichen 9 Sa 36/88) |
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 05.03.1987; Aktenzeichen 3 Ca 230/86) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 4. August 1988 – 9 Sa 36/88 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Beklagte betreibt mehrere Krankenhäuser im Rhein-Main-Gebiet. Der Kläger arbeitet in der Röntgenabteilung eines dieser Krankenhäuser. Auf das Arbeitsverhältnis ist kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) anzuwenden.
In einer Verfügung vom 20. April 1965 erläuterte die Beklagte die Voraussetzungen von Erholungs-, Sonder- und Zusatzurlaub für Angestellte, die unter die Bestimmungen des BAT fallen. In der Verfügung heißt es u.a.:
„II. 1. …
2. …
3. Zusatzurlaub bei Gesundheitsgefährdung nach § 49 BAT in Verbindung mit § 14 Urlaubsverordnung.
Hiernach hat ein Angestellter Anspruch auf einen Zusatzurlaub bis zu 6 Werktagen, wenn er eine Tätigkeit verrichtet, die ihrer Art nach von der Stiftungsverwaltung als gesundheitsschädlich oder gesundheitsgefährdend anerkannt ist.
Die Tätigkeiten der Bediensteten im Radiologischen Zentralinstitut des Krankenhauses N., in den Röntgenabteilungen des Hospitals zum H. in der L. Straße und des F. Waldkrankenhauses K., in der Isotopen-Abteilung und im Pathologischen Institut des Krankenhauses N. werden als gesundheitsschädlich bzw. gesundheitsgefährdend im Sinne des § 14 der Hessischen Urlaubsverordnung anerkannt.
Die Bediensteten erhalten vom Urlaubsjahr 1964 an einen Zusatzurlaub von 6 Werktagen.”
Diese Verfügung ist im Februar 1980 wegen der Neufassung von § 49 Abs. 2 BAT dahingehend geändert worden, daß jährlich nur noch bis zu fünf Arbeitstage Zusatzurlaub gewährt werde. Die vorgenannten Tätigkeiten waren wiederum als gesundheitsgefährdend anerkannt worden. Auch in den Folgejahren haben die Arbeitnehmer den Zusatzurlaub erhalten.
Im November 1984 ordnete die Beklagte an, daß der Zusatzurlaub u.a. für die Mitarbeiter der Röntgenabteilung gestrichen werde; die Tarifvertragsparteien und die vom Gesundheitsminister eingesetzte Prüfungsgesellschaft seien der Auffassung, daß die zwischenzeitlich aufgestellten Röntgenapparate bei ordnungsgemäßer Bedienung praktisch keine Gesundheitsgefährdung nach sich zögen. Die Veränderungen seien vorgenommen worden, weil die einschlägigen Vorschriften keine gefährdenden Strahlenbelastungen mehr zuließen. Mit Schreiben vom 5. Dezember 1984 teilte die Beklagte dem Kläger den Wegfall des Zusatzurlaubs ab 1985 mit. Die Beklagte hat dem Kläger den Zusatzurlaub für 1985, den dieser rechtzeitig geltend gemacht hatte, verweigert.
Der Kläger hat u.a. beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm für 1985 Zusatzurlaub für Strahlengefährdung zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Klage hatte in beiden Vorinstanzen im wesentlichen Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Es bedarf weiterer tatrichterlicher Feststellungen, ob die Tätigkeit des Klägers in der Röntgenabteilung seit dem Jahr 1985 als gesundheitsgefährdend anzusehen ist.
I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Sie richtet sich gegen eine Stiftung des öffentlichen Rechts. Bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes ist anzunehmen, daß er auch einem nicht vollstreckbaren Feststellungsurteil nachkommen wird (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. z.B. BAGE 1, 60, 62 = AP Nr. 2 zu Art. 3 GG; BAG Urteil vom 4. Mai 1982 – 3 AZR 1205/79 – AP Nr. 54 zu § 611 BGB Dienstordnungs-Angestellte). Eines auf Leistung gerichteten Klageantrags bedarf es nicht.
II. Ob der Kläger Anspruch auf Zusatzurlaub für 1985 hat, läßt sich noch nicht abschließend beurteilen. Dies hängt davon ab, ob die Tätigkeit des Klägers im Jahr 1985 für ihn gesundheitsschädlich oder gesundheitsgefährdend war. Das Berufungsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachholen müssen.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe den Zusatzurlaub des Klägers nicht mit Wirkung von 1985 an widerrufen können. Die Beklagte als Arbeitgeberin habe 1965 und 1980 die Tätigkeit als gesundheitsschädlich oder gesundheitsgefährdend anerkannt. Daran sei sie wie an eine Leistungsbestimmung nach § 315 BGB solange gebunden, bis der Sachverhalt sich geändert habe. Die Beklagte habe nicht dargelegt, daß sich seit der letzten Anerkennung die Verhältnisse in der Röntgenabteilung entscheidend geändert hätten.
2. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Zu Unrecht meint das Landesarbeitsgericht, die Beklagte sei an die Zusage, Zusatzurlaub wegen Strahlengefährdung zu gewähren, wie an eine Leistungsbestimmung nach § 315 BGB gebunden. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, daß der Gläubiger eine Leistung verlangen kann, deren Bestimmung im Ermessen eines der Vertragsschließenden liegt. Daran fehlt es, wenn die Leistung davon abhängt, daß der Arbeitgeber die Tätigkeit des Arbeitnehmers als gesundheitsschädlich oder gesundheitsgefährdend anerkennt. § 315 BGB findet keine Anwendung, wenn die Leistung durch objektive Beurteilungsmaßstäbe festgelegt ist (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 49. Aufl., § 315 Anm. 2 c).
3. Die Beklagte hat durch die Verfügungen vom 20. April 1965 und vom Februar 1980 den Bediensteten in der Röntgenabteilung Zusatzurlaub wegen Strahlengefährdung zugesagt. Inhaltlich war diese Zusage darauf beschränkt, daß die Tätigkeit der begünstigten Angestellten als gesundheitsschädlich oder gesundheitsgefährdend anzusehen sei. Dies ergibt sich daraus, daß in der Zusage von Zusatzurlaub bei Gesundheitsgefährdung nach § 49 BAT in Verb. mit § 14 der Urlaubsverordnung für die Beamten im Lande Hessen in der Fassung vom 16. November 1982 (HessUrlVO) gesprochen wurde. Die Beklagte wollte erkennbar ihre Angestellten, die gesundheitsgefährdende Tätigkeiten ausüben, so stellen wie Beamte, deren Tätigkeit von der obersten Dienstbehörde nach § 14 HessUrlVO als gesundheitsschädlich oder gesundheitsgefährdend anerkannt ist.
4. Die inhaltliche Beschränkung der Zusage hat zur Folge, daß ein Anspruch auf Zusatzurlaub nur besteht, solange die Tätigkeit des Klägers gesundheitsschädlich oder gesundheitsgefährdend i.S. des § 14 HessUrlVO ist. Die Beklagte konnte daher den Zusatzurlaub ab 1985 wirksam widerrufen, wenn von diesem Zeitpunkt an keine Strahlengefährdung mehr vorlag. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es nicht darauf an, ob im Jahr 1980 Strahlengefährdung vorlag, als die Beklagte die Tätigkeit des Klägers letztmalig als gesundheitsgefährdend anerkannt hatte. Der Widerruf der Zusage wäre auch wirksam, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen sich seit der letzten Anerkennung nicht geändert hätten und der Zusatzurlaub somit längere Zeit zugesagt gewesen wäre, ohne daß die tariflichen Voraussetzungen vorlagen. Ein Arbeitgeber, der rechtsirrig Zusatzurlaub gewährt hat, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind, ist trotz der langjährigen Gewährung nicht gehindert, für die Zukunft diese Leistung nicht mehr zu erbringen (BAG Urteil vom 6. März 1984 – 3 AZR 340/80 – AP Nr. 16 zu § 242 BGB Betriebliche Übung).
5. Das Landesarbeitsgericht konnte daher nicht offen lassen, ob die Tätigkeit des Klägers 1985 noch gesundheitsgefährdend i.S. von § 14 HessUrlVO war. Zu Recht rügt die Revision, daß dem entsprechenden Beweisangebot der Beklagten auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht gefolgt worden ist.
Die Sache war daher gemäß § 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Michels-Holl, Dr. Leinemann, Dr. Wittek, Dr. Walz, Wittendorfer
Fundstellen