Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
Leitsatz (redaktionell)
Parallelsache zur 5 AZR 407/91 Urteil vom 5. August 1992
Normenkette
LFZG § 1 Abs. 1, §§ 9, 2 Abs. 3; TVG § 1 Auslegung, § 1 Tarifverträge
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 19.11.1991; Aktenzeichen 11 Sa 1023/91) |
ArbG Dortmund (Urteil vom 08.05.1991; Aktenzeichen 6 Ca 170/91) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 19. November 1991 – 11 Sa 1023/91 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 8. Mai 1991 – 6 Ca 170/91 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger Lohnfortzahlung schuldet für Sonntag, den 12. August 1990, an dem im Betrieb zwar arbeitsfrei war, jedoch für Kesselwärter eine Sonderschicht gefahren wurde, an der der Kläger nur wegen seiner Krankheit nicht teilgenommen hat.
Der am 5. Dezember 1951 geborene Kläger ist seit dem 3. März 1975 bei der Beklagten als Kesselwärter gegen einen Bruttostundenlohn von zuletzt 22,84 DM beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis sind kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 29. Februar 1988 (kurz: MTV) und der Änderungstarifvertrag vom 6. Mai 1990 anzuwenden. Danach beträgt die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers seit dem 1. April 1989 37 Stunden.
Im Betrieb der Beklagten wird Altmetall in Kupferbarren verarbeitet. Der Betrieb wird durchgehend geführt, nur zur Erledigung notwendiger Reinigungs- und Reparaturarbeiten ruht die Arbeit an einem Sonntag im Monat. Hiervon ausgenommen ist lediglich die Elektrolyse, die anlagenbezogen weitergefahren werden muß. Für diese Sonntagsarbeit werden neun Kesselwärter in drei Schichten eingeteilt.
Der Kläger hatte bis zum 9. August 1990 Frühschicht und war dann planmäßig für drei Tage von der Arbeit freigestellt. Zur Sicherstellung der Arbeit in der Kesselanlage war er jedoch mit seinem Einverständnis für Sonntag, den 12. August 1990, zu der für diesen Tag festgesetzten Sonderschicht eingeteilt. Am Samstag, dem 11. August 1990, mußte der Kläger wegen einer akuten Erkrankung zur ambulanten Behandlung das Krankenhaus aufsuchen. Er meldete sich bei der Beklagten für die Sonderschicht ab. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers dauerte bis zum 18. August 1990.
Die Beklagte gewährte dem Kläger Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle erst ab dem 13. August 1990. Für die ausgefallene Sonderschicht am Sonntag, dem 12. August 1990, lehnte sie die Lohnfortzahlung ab.
In § 9 Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 MTV heißt es auszugsweise wie folgt:
„In Fällen unverschuldeter mit Arbeitsunfähigkeit verbundener Krankheit … ist das regelmäßige Arbeitsentgelt … für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit … bis zur Dauer von sechs Wochen … weiterzuzahlen.”
§ 9 Nr. 2 Abs. 2 MTV bestimmt:
„Die Berechnung des regelmäßigen Arbeitsentgelts erfolgt für Arbeitnehmer gemäß § 16.”
§ 16 Nr. 1 Buchst. a) MTV lautet:
„1. In allen Fällen, in denen dieser Tarifvertrag Anspruch auf Zahlung des „regelmäßigen Arbeitsentgelts” regelt, wird für dessen Berechnung zugrunde gelegt:
a) für gewerbliche Arbeitnehmer (Stundenentgelt)
hinsichtlich der Lohnhöhe das durchschnittliche Stundenentgelt in den letzten drei abgerechneten Monaten oder in den diesem Zeitraum annähernd entsprechenden Abrechnungszeiträumen vor Beginn des Weiterzahlungszeitraums (Gesamtverdienst des Arbeitnehmers in dem betreffenden Zeitraum einschließlich aller Zuschläge, jedoch ohne einmalige Zuwendungen sowie Leistungen, die Aufwendungsersatz darstellen, z.B. Auslösungen, soweit sie nicht Arbeitsentgelt sind, geteilt durch die Zahl der bezahlten Arbeitsstunden);
hinsichtlich der Anzahl der Arbeitsstunden je Tag, der zu vergüten ist, der Bruchteil, der sich aus der Verteilung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage nach dem Durchschnitt der letzten drei abgerechneten Monate ergibt, bei Urlaub 1/5 der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers nach dem Durchschnitt der letzten drei abgerechneten Monate (Gesamtzahl der in dem betreffenden Zeitraum geleisteten Stunden geteilt durch die Zahl der Arbeitstage, die sich aus der Verteilung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ergeben).
Wenn in den Bezugszeiträumen oder während des Zeitraums der Weiterzahlung des regelmäßigen Arbeitsentgelts eine Änderung des Lohnabkommens erfolgt ist, so ist für den Weiterzahlungszeitraum vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Lohnabkommens ab das regelmäßige Arbeitsentgelt auf der veränderten Grundlage zu ermitteln.”
§ 4 Nr. 2 Abs. 1 und Abs. 2 MTV bestimmt:
„Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit sowie die regelmäßige wöchentliche Ausbildungszeit können gleichmäßig oder ungleichmäßig grundsätzlich auf fünf Werktage von Montag bis Freitag verteilt werden.
Eine davon abweichende Regelung kann nach Maßgabe der betrieblichen Erfordernisse unter angemessener Berücksichtigung der Belange der betroffenen Arbeitnehmer mit dem Betriebsrat vereinbart werden. Dabei soll der einzelne Arbeitnehmer in der Regel an nicht mehr als fünf Werktagen in der Woche beschäftigt werden.”
Mit seiner Klage macht der Kläger Lohnfortzahlung für die am Sonntag, dem 12. August 1990, ausgefallene Arbeit geltend. Er hat die Ansicht vertreten, zwar weiche der Manteltarifvertrag von dem im Lohnfortzahlungsgesetz verankerten Lohnausfallprinzip ab und lege das Referenzprinzip zugrunde, dies stehe aber einem Anspruch auf Bezahlung der ausgefallenen Sonderschicht nicht entgegen. Entscheidend sei vielmehr, daß die Parteien eine Vereinbarung über einen zusätzlichen Arbeitstag geschlossen hätten. Deswegen ergebe sich aus § 16 Nr. 1 a) MTV nur, wie Höhe und Umfang der Lohnfortzahlung zu berechnen seien.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 182,72 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, bei den am 12. August 1990 zu verrichtenden Arbeitsstunden handele es sich um Mehrarbeit im Sinne des § 16 Nr. 1 MTV. Aufgrund des Referenzprinzips sei diese Mehrarbeit beim Ausfall der Arbeitszeit aber nicht zu vergüten, sondern werde bei der Berechnung des durchschnittlichen Stundenentgelts für den Bezugszeitraum berücksichtigt. Daher wäre die angefallene Mehrarbeit für die Sonderschicht auch dann nicht vergütungspflichtig gewesen, wenn diese auf einzelne Arbeitstage verteilt worden wäre. Nichts anderes könne aber gelten, wenn die Mehrarbeit kumulativ geleistet würde.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Dem Kläger steht der erhobene Lohnfortzahlungsanspruch nicht zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen: Gemäß § 9 Nr. 2 MTV sei in Fällen unverschuldeter mit Arbeitsunfähigkeit verbundener Krankheit das regelmäßige Arbeitsentgelt für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen weiterzuzahlen, wobei die Berechnung des regelmäßigen Arbeitsentgelts für den Arbeitnehmer nach § 16 MTV erfolge. Danach habe der Arbeitnehmer in gleicher Weise wie nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG dem Grunde nach Anspruch auf Lohnfortzahlung. Da der Kläger am 12. August 1990 ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung gehindert gewesen sei, stehe ihm grundsätzlich auch für diesen Tag ein Anspruch auf Lohnfortzahlung zu. Hieran ändere sich auch nichts dadurch, daß der Tarifvertrag von der Möglichkeit des § 2 Abs. 3 LFZG Gebrauch gemacht und das Lohnausfallprinzip des Gesetzes durch die Referenzmethode ersetzt habe. § 16 MTV regele für gewerbliche Arbeitnehmer im Stundenverdienst nur das an einem Krankheitstag zu zahlende Arbeitsentgelt aus dem Gesamtverdienst der im Referenzzeitraum bezahlten Arbeitsstunden und der dort angefallenen Zahl der Arbeitstage, nicht dagegen die Anzahl der Arbeitstage, für die dieses Entgelt zu gewähren sei. Die genannte Tarifvorschrift befaße sich ausschließlich nur mit der Ermittlung der Höhe des dem Grunde nach für jeden krankheitsbedingt ausgefallenen Arbeitstag zu zahlenden Entgelts. Welche Tage zu vergüten seien, ergebe sich ausschließlich aus § 9 Nr. 2 MTV, der in seinem Kerngehalt dem § 1 Abs. 1 Satz 1 LZFG entspreche.
Dieser Begründung kann nicht gefolgt werden.
II. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG behält ein Arbeiter, der nach Beginn der Beschäftigung durch Arbeitsunfähigkeit infolge unverschuldeter Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, seinen Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Damit inhaltlich übereinstimmend regelt § 9 Nr. 2 Abs. 1 MTV, daß in Fällen unverschuldeter, mit Arbeitsunfähigkeit verbundener Krankheit das regelmäßige Arbeitsentgelt bis zur Dauer von sechs Wochen weiterzuzahlen ist. Gemäß Abs. 2 dieser tariflichen Bestimmung erfolgt die Berechnung des regelmäßigen Arbeitsverdienstes nach § 16 MTV. Von dieser Tarifregelung ist auszugehen. Sie stellt die tarifvertragliche Ablösung des gesetzlichen Lohnausfallprinzips des § 2 Abs. 1 LFZG dar. Wie aus § 2 Abs. 3 in Verbindung mit § 9 LFZG hervorgeht, kann durch Tarifvertrag von dem Lohnausfallprinzip abgewichen werden. So können die Tarifvertragsparteien eine andere Berechnungsmethode (z.B. das Referenzprinzip) als maßgeblich vereinbaren, und sie können weiter auch Vereinbarungen über die Höhe des fortzuzahlenden Entgelts (unter Berücksichtigung der Grundregel des § 1 Abs. 1 LFZG) treffen (vgl. BAG Urteil vom 2. Oktober 1974 – 5 AZR 555/73 – AP Nr. 5 zu § 2 LohnFG, zu II 1 der Gründe; BAGE 43, 95, 98 = AP Nr. 13 zu § 2 LohnFG, zu 1 der Gründe; schließlich noch Senatsurteil vom 8. März 1989 – 5 AZR 116/88 – AP Nr. 17 zu § 2 LohnFG, zu III 1 der Gründe).
Das ist hier geschehen. Die Tarifvertragsparteien haben das Lohnausfallprinzip durch das Referenzprinzip ersetzt.
1. Nach § 16 Nr. 1 Buchst. a) Abs. 1 MTV ist der regelmäßige Arbeitsverdienst für gewerbliche Arbeitnehmer, die wie der Kläger im Stundenentgelt beschäftigt werden, aus der Lohnhöhe und der Zahl der Arbeitsstunden je Tag zu ermitteln. Hinsichtlich der Lohnhöhe besteht zwischen den Parteien kein Streit.
Die Anzahl der Arbeitsstunden je Tag, der zu vergüten ist, ist der Bruchteil, der sich aus der Verteilung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage nach dem Durchschnitt der letzten drei abgerechneten Monate ergibt (§ 16 Nr. 1 Buchst. a) Abs. 2 MTV). Diese Berechnungsweise wird in einem Klammerzusatz erläutert. Es handelt sich um die Gesamtzahl der in dem betreffenden Zeitraum geleisteten Stunden, geteilt durch die Zahl der Arbeitstage, die sich aus der Verteilung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ergeben.
Die an den jeweiligen Sonntagen in Sonderschicht zu leistende Arbeit gehörte nicht zu der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit des Klägers. Das folgt aus § 4 Nr. 2 Abs. 1 und Abs. 2 MTV. Danach ist die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit – gleichmäßig oder ungleichmäßig – grundsätzlich auf fünf Werktage von Montag bis Freitag zu verteilen. Bei einer hiervon abweichenden Regelung soll der einzelne Arbeitnehmer in der Regel an nicht mehr als fünf Werktagen in der Woche beschäftigt werden. Diese tarifliche Regelung beantwortet die Frage, für welche Tage bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit der Lohn fortzuzahlen ist. Außerhalb der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit liegende Arbeitszeit führt daher nicht zu zusätzlich zu bezahlenden Arbeitstagen. Allerdings wirkt sich über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit, die in den letzten drei abgerechneten Monaten erbracht wurde, insofern auf die Höhe der Krankenbezüge aus, als sich dadurch die Zahl der je Krankheitstag zu bezahlenden Stunden erhöht. Beträgt die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit, die an fünf Tagen erbracht wird, z.B. 38 Stunden (= 7,6 Std. täglich) und hat der Arbeitnehmer im Referenzzeitraum z.B. 16 Mehrarbeitsstunden geleistet, dann ist jeder Tag der Arbeitsunfähigkeit mit 7,8 Stunden (statt 7,6 Std.) zu vergüten (Gesamtzahl der Stunden 13 × 38 + 16 = 510 geteilt durch 65 Arbeitstage). Dabei spielt es keine Rolle, ob die zusätzliche Arbeitsleistung an einem Tag erfolgte, an dem im übrigen die individuelle regelmäßige Arbeitszeit galt, oder ob dafür ein sonst arbeitsfreier Tag herangezogen wurde. Daraus ergibt sich, daß die Sonderschicht am 12. August 1990 für die Ermittlung der Tage, für die Lohnfortzahlung zu gewähren ist, ausfällt.
2. Es entspricht dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien, Lohnfortzahlung auf der Grundlage des Referenzprinzips nur für fünf Werktage (Montag bis Freitag) zu gewähren. Änderungen während des Zeitraumes des Bezuges der Lohnfortzahlung sollen nicht berücksichtigt werden. Lediglich wenn eine Änderung des Lohnabkommens erfolgt ist, ist für den Weiterzahlungszeitraum vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Lohnabkommens ab das regelmäßige Arbeitsentgelt auf der veränderten Grundlage zu ermitteln, wie § 16 Nr. 1 Buchst. a) Abs. 3 MTV ausdrücklich vorschreibt.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke, Kähler, Bengs
Fundstellen