Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigungsfrist bei ordentlicher Kündigung nach Einigungsvertrag
Leitsatz (redaktionell)
Zur Kündigung nach dem Einigungsvertrag in der ursprünglichen Fassung vgl.: Urteil vom 25. März 1993 – 6 AZR 252/92 – zur Veröffentlichung bestimmt.
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 20, 45; Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 1, 4; BAT-O § 53 Abs. 2-3, § 19; Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O Nr. 1; BAT § 53 Abs. 2; AGB-DDR § 55
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 03.11.1993; Aktenzeichen 2 Sa 167/93) |
ArbG Bautzen (Urteil vom 17.05.1993; Aktenzeichen 9 Ca 1062/92) |
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 3. November 1993 – 2 Sa 167/93 – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, welche Frist für die Kündigung ihres beendeten Arbeitsverhältnisses galt.
Der Kläger war seit Juni 1988 als angestellter Heizer in der Mensa der Ingenieurschule für Elektronik und Informationsverarbeitung in G. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand zuletzt kraft Tarifbindung der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 Anwendung, dessen § 53 lautet:
„Ordentliche Kündigung
(1) Bis zum Ende des sechsten Monats seit Beginn des Arbeitsverhältnisses (§ 5) und für Angestellte unter 18 Jahren beträgt die Kündigungsfrist zwei Wochen zum Monatsschluß.
(2) Im übrigen beträgt die Kündigungsfrist bei einer Beschäftigungszeit (§ 19 – ohne die nach Nr. 3 der Übergangsvorschriften zu § 19 berücksichtigten Zeiten)
…
von mehr als 1 Jahr … 6 Wochen zum Schluß eines Kalendervierteljahres.
(3) Die Regelungen des Einigungsvertrages bleiben unberührt.”
Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 des Einigungsvertrags vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889, 1140) lautet u.a.:
„(1) Für die beim Wirksamwerden des Beitritts in der öffentlichen Verwaltung der Deutschen Demokratischen Republik einschließlich des Teils von Berlin, in dem das Grundgesetz bisher nicht galt, beschäftigten Arbeitnehmer, gelten die am Tage vor dem Wirksamwerden des Beitritts für sie geltenden Arbeitsbedingungen mit den Maßgaben dieses Vertrages, insbesondere der Absätze 2 bis 7 fort. Diesen Maßgaben entgegenstellende oder abweichende Regelungen sind nicht anzuwenden. Die für den öffentlichen Dienst im. übrigen Bundesgebiet bestehenden Arbeitsbedingungen gelten erst, wenn und soweit die Tarifvertragsparteien dies vereinbaren.
…
(4) Die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung ist auch zulässig, wenn
- …
- der Arbeitnehmer wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist. oder
- …
… Die Kündigungsfristen bestimmen sich nach § 55 des Arbeitsgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 16 Juni 1977 (GBl. I Nr. 18 S. 185), zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Arbeitsgesetzbuches vom. 22. Juni 1990 (GBl. I Nr. 35 S. 371) …. Dieser Absatz tritt nach Ablauf von zwei Jahren nach wirksamwerden des Beitritts außer Kraft.”
§ 1 des Gesetzes zur Verlängerung der Kündigungsmöglichkeiten in der öffentlichen Verwaltung nach dem Einigungsvertrag vom 20. August 1992 (BGBl. I S. 1546) – künftig Verlängerungsgesetz – lautet:
„Anstelle der in Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 letzter Satz des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 (BGBl. 1990 II S. 885, 1140) aufgeführten Maßgabe gilt folgende Bestimmung:
Dieser Absatz tritt mit Ablauf des 31. Dezember 1993 außer Kraft.”
Der Beklagte kündigte mit Schreiben vom 10. Dezember 1992, dem Kläger zugegangen am 14. Dezember 1992, das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1992, weil der Kläger wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar sei.
Der Kläger hat die Kündigung für unwirksam gehalten und die Auffassung vertreten, die Kündigungsfrist betrage sechs Wochen zum Quartalsende. Es gelte § 53 Abs. 2 BAT-O. Die Verweisung auf die kurze Kündigungsfrist des Einigungsvertrages in § 53 Abs. 3 BAT-O betreffe nur Kündigungen, die bis zum 2. Oktober 1992 ausgesprochen worden seien.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 10. Dezember 1992 nicht zum 31. Dezember 1992 aufgelöst wurde.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, die Bestimmungen des Einigungsvertrages über die Kündigung wegen mangelnden Bedarfs seien in ihrer Geltung bis zum 31. Dezember 1993 verlängert worden. Deshalb bestimme sich die Frist für die vorliegende Kündigung nach § 53 Abs. 3 BAT-O.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, soweit diese sich gegen die Wirksamkeit der Kündigung richtete, jedoch festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht zum 31. Dezember 1992 sondern zum 30. März 1993 aufgelöst wurde. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des Beklagten vom 10. Dezember 1992 erst mit Ablauf des 31. März 1993 beendet worden.
Die Frist für die dem Kläger am 14. Dezember 1992 zugegangene Kündigung endete gemäß § 53 Abs. 2 BAT-O am 31. März 1993. Nach dieser Bestimmung beträgt die Kündigungsfrist bei einer Beschäftigungszeit von mehr als einem Jahr sechs Wochen zum Schluß des Kalendervierteljahres. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war der Kläger seit Juni 1988 und damit mehr als 1 Jahr an der Ingenieurschule für Elektronik und Informationsverarbeitung in G. beschäftigt. Diese Zeit war nach Nr. 1 der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O als Beschäftigungszeit i.S.d. § 19 BAT-O anzurechnen. Dies hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen. Die Revision hat dies nicht beanstandet.
II. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht § 53 Abs. 3 BAT-O nicht angewendet.
1. Nach dieser Bestimmung bleiben die Regelungen des Einigungsvertrages unberührt. Für nach Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 des Einigungsvertrages (künftig Abs. 4 EV) ausgesprochene Kündigungen gelten somit die in Abs. 4 Satz 4 EV bestimmten Kündigungsfristen des § 55 AGB-DDR. Auf die dem Kläger am 14. Dezember 1992 zugegangene Kündigung findet diese Bestimmung jedoch keine Anwendung. § 53 Abs. 3 BAT-O nimmt nur auf den Einigungsvertrag in seiner ursprünglichen Fassung vom 31. August 1990 Bezug und damit auf Abs. 4 Satz 6 EV, der bestimmt, daß Abs. 4 EV zwei Jahre nach dem Wirksamwerden des Beitritts, also mit Ablauf des 2. Oktober 1992, außer Kraft tritt. Auf die Fassung, die Abs. 4 EV durch § 1 des Gesetzes zur Verlängerung der Kündigungsmöglichkeiten in der öffentlichen Verwaltung nach dem Einigungsvertrag vom 20. August 1992 (BGBl. I S. 1546) – künftig Verlängerungsgesetz – erhalten hat, der den Zeitpunkt des Außerkrafttretens auf den 31. Dezember 1993 hinausschiebt, bezieht § 53 Abs. 3 BAT-O sich nicht. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen.
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß die Tarifregelung vom 10. Dezember 1990 weder auf den Einigungsvertrag „in seiner jeweiligen Fassung” Bezug nimmt noch bestimmt, daß die Kündigungsfristen sich „nach den gesetzlichen Vorschriften” richten.
Auch aus Sinn und Zweck des § 53 BAT-O ergibt sich, daß die Verweisung in Abs. 3 dieser Bestimmung auf den Einigungsvertrag nicht als eine dynamische anzusehen ist. Der Einigungsvertrag soll die Einheit der beiden deutschen Staaten auf rechtlichem Gebiet bewirken. Diesem Zweck dient auch § 53 Abs. 2 BAT-O, durch den für die Angestellten in den neuen Bundesländern grundsätzlich die gleiche Regelung wie in § 53 Abs. 2 BAT eingeführt wurde. Demgegenüber bildet § 53 Abs. 3 BAT-O die Ausnahme, die gewährleisten sollte, daß der in den neuen Bundesländern notwendige und durch den Einigungsvertrag erleichterte Personalabbau nicht behindert wird. Die Regelung bietet keine Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifvertragsparteien bei ihrem Abschluß die spätere Änderung des Einigungsvertrages durch das Verlängerungsgesetz in Betracht gezogen haben. Zwar konnte der Gesetzgeber den nach dem Beitritt als Bundesrecht fortgeltenden Einigungsvertrag (vgl. Art. 45 Abs. 2 Einigungsvertrag) grundsätzlich ändern. Er hatte dabei allerdings die im Vertrag vorgesehenen Regelungen zu beachten, durch die im Interesse einer schrittweisen Anpassung der unterschiedlichen Verhältnisse besondere Fristen vereinbart worden sind (BT-Drucks. 11/7760 S. 355, 377, zu Art. 45). Abs. 4 Satz 6 EV ist eine solche Regelung, denn die amtliche Erläuterung zu Abs. 4 EV (BT-Drucks. 11/7817 S. 180) besagt, daß die zeitliche Geltung des Abs. 4 EV auf zwei Jahre beschränkt ist, um zu verdeutlichen, daß es sich um eine Übergangsregelung handelt, die nur während des Anpassungsprozesses der öffentlichen Verwaltung erforderlich ist. Die so motivierte zeitliche Regelungsbeschränkung des Gesetzgebers schließt es aus, die tarifvertragliche Bezugnahme aus dem Jahr 1990 dahin auszulegen, daß sie sich auch auf künftige Änderungen des Einigungsvertrages bezog.
3. Die Tarifparteien haben auch später nicht geregelt, daß § 53 Abs. 3 BAT-O sich auf Kündigungen in der Zeit zwischen dem 3. Oktober 1992 und dem 31. Dezember 1993 bezog. In dem Änderungstarifvertrag Nr. 3 zum BAT-O vom 4. November 1992 haben sie, obwohl das Verlängerungsgesetz vom 20. August 1992 zwischenzeitlich erlassen worden war, diese Tarifnorm in ihrem ursprünglichen Wortlaut nicht geändert. Ob durch das Verlängerungsgesetz die Kündigungsmöglichkeiten nach Abs. 4 EV bis zum 31. Dezember 1993 wirksam verlängert worden sind, bedarf somit keiner Entscheidung (zu den verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen diese Regelung geltend gemacht werden, vgl. BVerfG Beschluß vom 2, März 1993 – 1 BvR 107/93 und 152/93 – ZTR 1993, S. 299 f.).
III. Die somit anzuwendende Bestimmung des § 53 Abs. 2 BAT-O verstößt weder gegen Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 1 (künftig Abs. 1 EV) noch gegen Abs. 4 EV i.d.F. des § 1 des Verlängerungsgesetzes, dessen Verfassungsmäßigkeit unterstellt.
1. Nach Abs. 1 Satz 3 EV gelten die für den öffentlichen Dienst im übrigen Bundesgebiet bestehenden Arbeitsbedingungen erst, wenn und soweit die Tarifparteien dies vereinbaren. Dadurch sind tarifvertragliche Regelungen nach Wirksamwerden des Beitritts mit dem Ziel einer schrittweisen Annäherung an das für den öffentlichen Dienst im übrigen Bundesgebiet geltende Tarifrecht nicht ausgeschlossen (BT-Drucks. 11/7817 s. 179). Einen solchen Regelungsschritt enthält § 53 Abs. 2 BAT-O. Durch ihn haben die Tarifparteien die im übrigen Bundesgebiet geltenden Kündigungsfristen (vgl. § 53 Abs. 2 BAT) auch für den Bereich der neuen Bundesländer wirksam übernommen. Eine Ausnahme galt nur. soweit die Bezugnahme auf den Einigungsvertrag in § 53 Abs. 3 BAT-O reichte.
2. Nach § 1 VerlängerungsG tritt Abs. 4 EV erst mit Ablauf des 31. Dezember 1993 außer Kraft. Dadurch sollen die Kündigungsmöglichkeiten nach Abs. 4 Satz 1 EV über den 2. Oktober 1992 hinaus bis zum 31. Dezember 1993 verlängert werden. Gleichzeitig soll aber auch die in Satz 4 bestimmte Anwendung der Kündigungsfristen des § 55 AGB-DDR entsprechend zeitlich hinausgeschoben werden. Bei dieser letztgenannten Regelung handelt es sich um eine arbeitsrechtliche Schutzvorschrift. Solche Bestimmungen gehören in der Regel zu den einseitig zwingenden Normen, die zwar Verschlechterungen, die gesetzlich nicht ausdrücklich erlaubt sind (vgl. insoweit § 55 Abs. 3 AGB-DDR), ausschließen, Verbesserungen zugunsten des Arbeitnehmers jedoch nicht verhindern wollen (vgl. BAGE 56, 155 = AP Nr. 1 zu § 1 BeschFG 1985). Anhaltspunkte dafür, daß entgegen dieser Regel § 53 Abs. 2 BAT-O, soweit er für den Angestellten günstigere Kündigungsfristen bestimmt, gegen Abs. 4 EV verstößt, bestehen nicht. Der Gesetzgeber des Einigungsvertrages hat zwar einerseits in Abs. 4 EV befristete Kündigungserleichterungen geschaffen und dabei durch Bezugnahme auf § 55 AGB-DDR auch Kündigungsfristen geregelt. Andererseits hat er aber in Abs. 1 EV erlaubt, daß nach Herstellung der deutschen Einheit bereits vor dem Außerkrafttreten der Kündigungserleichterungen des Abs. 4 EV die schrittweise Annäherung an das öffentliche Dienstrecht in den alten Bundesländern tarifrechtlich vollzogen wird. § 53 Abs. 2 BAT-O ist somit, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, wirksam, wobei – wie dargelegt – offen bleiben kann, ob Abs. 4 EV überhaupt bis zum 31. Dezember 1993 galt.
Auch aus Sinn und Zweck eines in seiner zeitlichen Geltung verlängerten Abs. 4 Satz 4 EV könnte nicht auf dessen zweiseitig zwingenden Charakter geschlossen werden. Der notwendige Personalabbau im öffentlichen Dienst der neuen Länder wird nicht dadurch vereitelt oder wesentlich erschwert, daß für notwendige Entlassungen während der verhältnismäßig kurz bemessenen Geltungsdauer des Verlängerungsgesetzes (3. Oktober 1992 bis 31 Dezember 1993) Kündigungsfristen beachtet werden müssen, die die Tarifparteien autonom bestimmt haben.
Soweit im Gesetzgebungsverfahren zum Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten (Kündigungsfristengesetz – KündFG) vom 7. Oktober 1993 (BGBl. I S. 1668) die Auffassung vertreten wurde, durch die Verweisung auf § 55 AGB-DDR würden tarifliche Vorschriften verdrängt (BT-Drucks. 12/4902 S. 3, 11 zu Art. 5), ist dies für die Gesetzesauslegung unbeachtlich. Weder im Einigungsvertrag noch im Kündigungsfristengesetz ist diese Auffassung zum Ausdruck gekommen. Art. 5 Satz 2 KündFG bestimmt nur, daß die Maßgabe in Abs. 4 Satz 4 EV unberührt bleibt. Damit wird lediglich geregelt, daß die dortige Verweisung auf § 55 AGB-DDR aufrecht erhalten bleibt, obwohl diese Bestimmung in Art. 5 Satz 1 KündFG aufgehoben wurde.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Richter Dr. Armbrüster hat Erholungsurlaub und kann deshalb nicht unterzeichnen. Dr. Peifer, Gotsche, Schneider
Fundstellen