Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristung bei wissenschaftlichen Mitarbeitern einer Parlamentsfraktion
Leitsatz (redaktionell)
Vgl. Senatsurteil vom 26. August 1998 – 7 AZR 450/97 – zur Veröffentlichung vorgesehen
Normenkette
BGB § 620; GG Art. 35 Abs. 1; Bayerische Verfassung Art. 13 Abs. 2; Bayerisches Fraktionsgesetz Art. 1 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 6. März 1997– 10 Sa 582/96 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 3. April 1996 – 2 a Ca 12034/94 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses.
Die Klägerin war ab dem 1. März 1992 bei der Fraktion „Die Grünen” im 12. Bayerischen Landtag für die Dauer der Legislaturperiode als Frauenreferentin tätig. Das Arbeitsverhältnis sollte drei Monate nach Ablauf der 12. Legislaturperiode, am 15. Januar 1995, enden. Die Klägerin wird seitdem von der Fraktion „Bündnis 90/Die Grünen” im 13. Bayerischen Landtag vorbehaltlich eines bestehenden Arbeitsverhältnisses beschäftigt. Auch dieser Vertrag enthält eine Befristung, wonach das Arbeitsverhältnis drei Monate nach dem Ende der 13. Legislaturperiode, am 13. Dezember 1998 oder drei Monate nach dem Erlöschen des Fraktionsstatus endet.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Befristung ihres Arbeitsverhältnisses sei sachlich nicht gerechtfertigt. Als Frauenreferentin wirke sie zwar bei der Ausarbeitung und Darstellung von politischen Sachthemen der Fraktion mit, bleibe aber weisungsgebunden und dürfe ihre persönliche Meinung nicht öffentlich vertreten. Ihrer Tätigkeit komme keine inhaltsgestaltende Bedeutung zu; sie beschränke sich auf eine Vor- und Zuarbeit. Das verfassungsrechtliche Prinzip der personellen Diskontinuität einer Parlamentsfraktion ist kein sachlicher Grund für eine Befristung, da nach dem Bayerischen Fraktionsgesetz ein bei Beendigung der Legislaturperiode bestehendes Beschäftigungsverhältnis auf die neue Fraktion übergehe.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß die Befristung des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses bis drei Monate nach Ablauf der 12. Legislaturperiode des Bayerischen Landtags unwirksam ist und das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis über diesen Zeitpunkt hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Klage sei unzulässig. Unabhängig davon sei sie nicht passivlegitimiert. Die Fraktion der Bündnis 90/Die Grünen im 13. Bayerischen Landtag sei nach dem Grundsatz der Diskontinuität nicht Rechtsnachfolgerin der vorhergehenden Fraktion.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage. Die Befristung der Arbeitsverhältnisse der Klägerin ist wirksam.
I. Die Klage ist zulässig. Die Partei- und Prozeßfähigkeit der Beklagten ergibt sich aus Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayFraktG. In dieser Vorschrift ist ausdrücklich bestimmt, daß Fraktionen am allgemeinen Rechtsverkehr teilnehmen und unter ihrem Namen klagen und verklagt werden können.
II. Die Klage ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Rechtswirksamkeit der in den Arbeitsverträgen der Klägerin mit der Fraktion „Die Grünen” im 12. Bayerischen Landtag bzw. „Bündnis 90/Die Grünen” im 13. Bayerischen Landtag vereinbarten Befristungen zu Unrecht verneint.
1. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht beide Arbeitsverträge der Klägerin der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle unterzogen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 8. Mai 1985 – 7 AZR 191/84 –, BAGE 49, 73 = AP Nr. 97 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag) ist bei mehreren aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen im Rahmen der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle grundsätzlich nur die Befristung des letzten Vertrages zu prüfen. Ob die vorangegangenen Verträge wirksam befristet waren, ist danach unerheblich. Auf die Wirksamkeit der Befristung der vorangegangenen Verträge kommt es nur an, wenn und soweit die Parteien einen entsprechenden Vorbehalt vereinbart haben, nach dem der letzte Arbeitsvertrag nur gelten soll, wenn die Parteien nicht schon aufgrund des vorangegangenen Arbeitsvertrags in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen (vgl. BAG Urteil vom 21. März 1990 – 7 AZR 286/89 – AP Nr. 135 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu II 1 a der Gründe, m.w.N.). Vorliegend war zwischen den Vertragsparteien die Wirksamkeit der Befristung eines früheren Arbeitsvertrags in Zweifel; im Hinblick darauf haben sie einen weiteren Zeitvertrag vorbehaltlich eines bereits bestehenden unbefristeten Arbeitsverhältnisses vereinbart.
2. Für die in den Arbeitsverträgen der Klägerin vereinbarten Befristungen liegt ein Sachgrund vor. Das haben die Vorinstanzen verkannt.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Befristung eines Arbeitsverhältnisses nach § 620 BGB grundsätzlich möglich. Wird allerdings dem Arbeitnehmer durch die Befristung der Schutz zwingender Kündigungsschutzbestimmungen entzogen, bedarf die Befristung eines sie rechtfertigenden Grundes. Fehlt es daran, liegt eine objektiv funktionswidrige und deshalb mißbräuchliche Vertragsgestaltung vor, auf die sich der Arbeitgeber nicht berufen kann (vgl. BAG Urteil vom 10. August 1994 – 7 AZR 695/93 – AP Nr. 162 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, m.w.N.).
b) Bei dem Begriff des sachlichen Grundes zur Rechtfertigung einer Befristungsabrede handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegt. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts zum Vorliegen eines Sachgrundes kann revisionsrechtlich nur auf eine Verkennung von Rechtsbegriffen oder die Verletzung von Denkgesetzen bzw. Erfahrungssätzen oder darauf überprüft werden, ob wesentliche Umstände des Einzelfalls übersehen worden sind (vgl. BAG Urteil vom 24. April 1996 – 7 AZR 719/95 – AP Nr. 180 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu I 3 a der Gründe m.w.N.).
c) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der sachliche Grund für die Befristung ergebe sich nicht aus der Ungewißheit über den Erhalt des Fraktionsstatus nach dem Ablauf einer Legislaturperiode. Auch der Erhalt der politischen Handlungsfreiheiten einer neu konstituierten Parlamentsfraktion und der in ihr zusammengeschlossenen Abgeordneten könne wegen der nachgeordneten Funktionen eines wissenschaftlichen Mitarbeiters eine Beschränkung des Kündigungsschutzes durch die Vereinbarung einer Befristung nicht rechtfertigen.
d) Diese Würdigung ist nicht rechtsfehlerfrei. Zwar hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, daß die sachliche Rechtfertigung einer Befristung des Arbeitsverhältnisses von wissenschaftlichen Mitarbeitern einer Parlamentsfraktion nicht aus der Ungewißheit über den Fortbestand oder die jeweilige Größe einer Fraktion nach Ablauf der Wahlperiode oder deren vorzeitigen Beendigung folgt. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, daß die Unsicherheit über den Bestand eines Arbeitsplatzes zum Ablauf der Vertragszeit und/oder die Ungewißheit zum Bedarf an der Arbeitsleistung die Befristung eines Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen kann (BAG Urteil vom 8. April 1992 – 7 AZR 135/91 – AP Nr. 146 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu III 1 der Gründe, m.w.N.). Das Berufungsgericht hat jedoch bei seiner Beurteilung des Sachgrundes die besondere verfassungsrechtlich geschützte Rechtsstellung der Abgeordneten und der von ihr gebildeten Fraktion sowie die Bedeutung der Arbeitsaufgaben der Klägerin im Rahmen der Fraktionsarbeit verkannt. Diese rechtfertigen eine Befristung.
aa) Abgeordnete sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Repräsentanten des Volkes (Art. 38 Abs. 1 GG; Art. 13 Abs. 2 BayVerf) dazu berufen, an den Verhandlungen und Entscheidungen des Parlaments teilzunehmen. Daraus ergibt sich u.a. die Befugnis, sich an parlamentarischen Initiativen zu beteiligen, im Parlament zu reden, an den dortigen Beratungen und Abstimmungen teilzunehmen und das Recht, sich mit anderen Abgeordneten zu einer Fraktion zusammenzuschließen. Parlamentsfraktionen sind daher notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens und maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung. Ihre Rechtsstellung gründet nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 80, 188, 219, 220) in den verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten der Abgeordneten. Damit gelten die parlamentarischen Teilhaberechte des Abgeordneten auch für die Fraktion (Jarass/Pieroth, GG, 4. Aufl., Art. 38 Rz 35, m.w.N.).
Fraktionen steuern den technischen Ablauf der Parlamentsarbeit und sind Zentren der politischen Positionsbestimmung der in ihnen zusammengeschlossenen Abgeordneten (Bendar/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl., S. 568). Für die Wahrnehmung ihrer parlamentarischen Aufgaben und die Ausübung ihrer parlamentarischen Rechte sind sie auf die Unterstützung durch fachlich qualifizierte Mitarbeiter angewiesen. Diese beraten die Fraktion auf den nach ihren politischen Vorstellungen ausgewählten Sachgebieten und bereiten deren parlamentarische Arbeit inhaltlich vor. Zwangsläufig sind Beiträge, Vorschläge und Konzepte eines wissenschaftlichen Mitarbeiters auch geprägt von seinen politischen Einstellungen. Das macht es notwendig, daß er sich in Einklang mit den politischen Vorstellungen der Fraktion befindet, der er zuarbeitet.
Fraktionen werden von den Abgeordneten des für die jeweilige Legislaturperiode gewählten Parlaments gebildet. Das führt nach jeder Wahl zu Änderungen in der personellen Zusammensetzung einer Fraktion. Fraktionen sind, ebenso wie die in ihnen zusammengeschlossenen Abgeordneten, frei in ihrer Entscheidung, Inhalt und Ziel ihrer parlamentarischen Arbeit zu bestimmen. Dazu müssen sie nach ihrer Neukonstituierung jeweils entscheiden können, von welchen wissenschaftlichen Mitarbeitern sie sich künftig beraten und in ihrer parlamentarischen Arbeit unterstützen lassen wollen. Diesem verfassungsrechtlich verbürgten parlamentarischen Teilhaberecht trägt die Befristung der Arbeitsverhältnisse eines wissenschaftlichen Mitarbeiters Rechnung. Die dadurch gesicherte Unabhängigkeit der Mandatsausübung schließt eine Umgehung kündigungsrechtlicher Bestimmungen durch den Zeitvertrag aus. Dieser besondere Sachgrund rechtfertigt allerdings nur die Befristung der Arbeitsverhältnisse derjenigen wissenschaftlichen Mitarbeiter, deren Aufgabe darin besteht, die Fraktion durch fachliche Beratung und politische Bewertung zu unterstützen. Bei anderen Fraktionsmitarbeitern, etwa im Büro oder Verwaltungsbereich, vermag dieser Sachgrund eine Befristung nicht zu tragen.
bb) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erfüllt die Klägerin als Frauenreferentin diese Voraussetzungen. Zu ihren Aufgaben gehörte es, frauenpolitisch relevante Fragen und Problemstellungen für die Fraktion aufzubereiten, Stellungnahmen zu erarbeiten und Alternativvorschläge zu unterbreiten. Dazu hatte die Klägerin auch Anträge für die parlamentarische Arbeit der Fraktion zu fertigen, Fachveröffentlichungen vorzunehmen und Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Zwar bestimmt die Fraktion bzw. einzelne Fraktionsmitglieder die von der Klägerin zu bearbeitenden Themenstellungen. Dennoch wirkte sie durch ihre Beiträge und ihre Aufbereitung der Themenbereiche inhaltlich an der politischen Willensbildung der Fraktion mit. Das gilt unabhängig von einer Weisungsgebundenheit gegenüber der Fraktion bzw. einzelnen Fraktionsmitgliedern.
e) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt die Befristungsabrede das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers in ausreichendem Maße. Durch die auf die jeweilige Legislaturperiode beschränkte Dauer der arbeitsvertraglichen Beziehung wird gesichert, daß der Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht von Änderungen der politischen Schwerpunkte innerhalb einer Legislaturperiode und damit von selbst geschaffenen und zu verantwortenden Zwängen abhängt, sondern allein die zu Beginn der Wahlperiode eintretenden personellen Veränderungen in einer Fraktion berücksichtigt. Zudem wird durch die dreimonatige Auslauffrist sichergestellt, daß die neue Fraktion Gelegenheit erhält, sich davon zu überzeugen, ob der wissenschaftliche Mitarbeiterden sachlichen und politischen Vorstellungen der neu gebildeten Fraktion entspricht und deshalb die arbeitsvertraglichen Beziehungen fortgeführt werden können.
3. Da bereits dieser Sachgrund die Befristung der Arbeitsverhältnisse der Klägerin trägt, bedarf es keiner Entscheidung, ob diejenigen Überlegungen, die im Rundfunkbereich die Befristung von Arbeitsverhältnissen programmgestaltender Mitarbeiter rechtfertigen (vgl. BAG Urteil vom 24. April 1996 – 7 AZR 719/95 – AP Nr. 180 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag) bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern einer Parlamentsfraktion entsprechend herangezogen werden können. Ebenso kann offenbleiben, ob die neu konstituierte Parlamentsfraktion aufgrund einer Rechts- oder Funktionsnachfolge passivlegitimiert ist.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Steckhan, Schmidt, Mikosch, Peter Haeusgen, G. Güner
Fundstellen