Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhegehaltsfähiges Einkommen bei Frühpensionierung. Auslegung einer Betriebsvereinbarung zur “55er-Regelung”. authentische Interpretation einer Betriebsvereinbarung durch die Betriebspartner
Orientierungssatz
1. Die Veränderungssperre (§ 2 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG) führt dazu, dass sich spätere Erhöhungen des ruhegeldfähigen Einkommens auf die Höhe der Versorgungsanwartschaft vorzeitig ausgeschiedener Arbeitnehmer nicht auswirken (§ 2 Abs. 5 BetrAVG).
2. Gebrauchen die Betriebspartner in einer Betriebsvereinbarung einen Begriff, der in den einschlägigen Tarifverträgen in einer bestimmten Bedeutung verwandt wird, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie ihn gleichfalls in diesem Sinne verstanden haben.
3. Ebenso wie der Gesetzgeber und die Tarifvertragsparteien dürfen die Betriebspartner Unklarheiten bei der Auslegung des Regelwerks durch eine authentische Interpretation auch rückwirkend beseitigen. Eine rückwirkende Regelung verstößt nicht gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) folgenden Vertrauensgrundsatz, wenn es an einem schutzwürdigen Vertrauen in den Fortbestand der begünstigenden Rechtslage fehlt.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 2. November 2005 – 1 Sa 876/05 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, welche Vergütungsbestandteile für die Dynamisierung der Versorgungsanwartschaft des vorzeitig ausgeschiedenen Klägers während der Zeit seiner Frühpensionierung maßgeblich sind.
Der am 18. September 1944 geborene Kläger war bei der Beklagten als außertariflicher Angestellter beschäftigt. Sie ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes von Gas-, Wasser- und Elektrizitätsunternehmungen e. V. (AGWE). Das Arbeitsverhältnis der Parteien begann am 1. Januar 1980 und endete mit Ablauf des 31. März 2000. Die betriebliche Altersversorgung wurde durch Gesamtbetriebsvereinbarung geregelt. § 4 der Ruhegeldrichtlinien vom 9. Februar 1989 (RGRL 89) bestimmte, dass sich die Höhe des “Ruhegeldes” nach der Dauer der “Dienstzeit” und nach dem “ruhegeldfähigen Diensteinkommen” richtet. Zur Berechnung des “ruhegeldfähigen Diensteinkommens” heißt es in § 5 RGRL 89:
“(1) Für die tariflichen Mitarbeiter wird der Ruhe- bzw. Hinterbliebenengeldberechnung die letzte tarifliche monatliche Tabellenvergütung einschließlich etwaiger persönlicher Zulagen, Familiengeld, Leistungszulagen, Wechselschichtzuschläge und noch bestehender Überstundenpauschalen zugrundegelegt.
(2) Für alle nicht tariflich erfassten Mitarbeiter ist für die Berechnung des Ruhegeldes bzw. der Hinterbliebenenversorgung die vertraglich festgesetzte außertarifliche Vergütung des letzten Monats vor Versetzung in den Ruhestand maßgebend.
(3) Alle in Abs. 1 und 2 nicht erwähnten Vergütungsbestandteile sind nicht ruhegeldfähig.
…”
Am 3. Februar 1999 schloss die Beklagte mit ihrem Gesamtbetriebsrat eine “Betriebsvereinbarung zur vorzeitigen Auflösung von Arbeitsverhältnissen (55er-Regelung)”. Nr. 7 dieser Betriebsvereinbarung regelte das “Ruhegeld” wie folgt:
“Für das betriebliche Ruhegeld im Anschluß an die 55er-Regelung gelten die Richtlinien für die Ruhegeld- und Hinterbliebenen-Versorgung … nach folgender Maßgabe:
a) Das ruhegeldfähige Diensteinkommen für die Ermittlung des betrieblichen Ruhegeldes bei Übertritt des ehemaligen Mitarbeiters in den endgültigen Ruhestand wird zum Zeitpunkt des Übertritts in die 55er-Regelung festgelegt.
b) Während der Zeit der 55er-Regelung wird das ruhegeldfähige Diensteinkommen entsprechend der in dieser Zeit erfolgten Vergütungsentwicklung für aktive Mitarbeiter (prozentuale Veränderung der Vergütungstabelle für Arbeitnehmer der Mitglieder des Arbeitsgeberverbandes von Gas-, Wasser- und Elektrizitätsunternehmungen e. V.) angepaßt.
c) Das betriebliche Ruhegeld wird gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19.12.1974 berechnet. Dabei erfolgt eine Kürzung in dem Verhältnis der Dauer der Betriebszugehörigkeit bei Eintritt in die 55er-Regelung (m) zu der Zeit vom Beginn der Betriebszugehörigkeit bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres (n). Bei einem Ausscheiden vor Vollendung des 57,5. Lebensjahres wird die Zeit vom Ausscheiden bis zur Vollendung des 57,5. Lebensjahres zur Hälfte bei der Ermittlung der tatsächlich erbrachten Betriebszugehörigkeit (m) berücksichtigt. Abweichend davon wird bei Vorliegen einer Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne des Schwerbehindertengesetzes auf die Vollendung des 60. Lebensjahres abgestellt.
…
Die Abschläge in der gesetzlichen Rentenversicherung, die durch die Anhebung der Altersgrenze entstehen, werden gem. § 7 Nr. 2 der Richtlinien für die Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung nicht ausgeglichen.”
Nachdem der Kläger das 55. Lebensjahr vollendet hatte, schlossen die Parteien am 27. September 1999 einen Aufhebungsvertrag. Darin vereinbarten sie:
“1. Der … Arbeitsvertrag endet aus betriebsbedingten Gründen … mit Ablauf des 31.03.2000.
…
3. Zum Ausgleich der durch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses entstehenden Nachteile erhält Herr S… eine Abfindung.
…
7. Nach Beendigung des Anspruchs auf Frühpensionsleistung wird das Ruhe- bzw. Hinterbliebenengeld nach Maßgabe der jeweils geltenden Richtlinien für die Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung … und der Betriebsvereinbarung zur vorzeitigen Auflösung von Arbeitsverhältnissen (55er-Regelung) vom 03.02.1999 gezahlt.”
Am selben Tag unterzeichnete der Kläger einen von der Beklagten erstellten Gesprächsvermerk, in dem unter anderen auf Folgendes hingewiesen wurde:
“Die R… AG wird für mögliche Nachteile keinen Ausgleich oder Teilausgleich gewähren. Dies gilt auch für zukünftige gesetzliche Regelungen.”
Die Tariflöhne wurden zum 1. Februar 2001 um 2,4 % und zum 1. Januar 2003 um 3,9 % erhöht. Die Beklagte berücksichtigte diese Tariflohnerhöhungen bei der Fortschreibung des ruhegeldfähigen Diensteinkommens des Klägers. Bei ihr war es ständige Übung, dass auch die außertariflichen Mitarbeiter die jeweiligen Tariflohnerhöhungen erhalten.
Der Arbeitgeberverband von Gas-, Wasser- und Elektrizitätsunternehmungen e. V. (AGWE) und der Verein Rheinischer Braunkohlenbergwerke e. V. (VRB) einerseits sowie die Gewerkschaften ver.di und IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) andererseits schlossen am 20. November 2003 einen Vergütungstarifvertrag (VTV 03), der folgende Regelungen enthielt:
“§ 1 Vergütungsvereinbarung
1. Zum 01.01.2004 wird für den AGWE- und VRB-Bereich als neuer Vergütungsbestandteil eine nicht-ruhegeldfähige Zulage (GIZ) eingeführt, die bei der Berechnung von Versorgungsleistungen und Versorgungsanwartschaften unberücksichtigt bleibt (Anlagen 2 und 4 zu diesem Tarifvertrag).
Diese entspricht 3,2 % der maßgeblichen Tabellenvergütungen; derzeit nach dem Stand vom 01.01.2003.
…
2. …
Die ab dem 01.01.2003 in den Bereichen der ehemaligen V… AG, VE AG, WFG und der AVU geltenden Vergütungstabellen für Arbeitnehmer werden für die Laufzeit dieses Tarifvertrages unverändert fortgeführt (Anlage 5 zu diesem Tarifvertrag).
Gleiches gilt für die Vergütungstabellen des AGWE- und VRB-Bereichs (Anlage 1 und 3 zu diesem Tarifvertrag).
…
§ 2 Änderungen geltender Tarifverträge
In § 20 Nr. 8 MTV AGWE vom 15. Mai 1997 wird ab 01.01.2004 mit Wirkung für die R-Gruppe folgende Nr. 8a eingefügt:
‘Mit dem ab 01.01.2004 geltenden Tarifabschluss wird als neuer Vergütungsbestandteil eine Zulage eingeführt, die bei der Berechnung von Versorgungsleistungen und Anwartschaften unberücksichtigt bleibt (GIZ). Diese wird Bestandteil der Grundvergütung und bei der Berechnung aller von der Stundenvergütung oder von der monatlichen Grundvergütung abhängigen Vergütungsbestandteile einbezogen.’
In § 11 Nr. 1 MTV AGWE in der Fassung des 2. Änderungstarifvertrags vom 12.07.2000 wird mit Wirkung für die R-Gruppe der Begriff ‘monatliche Tabellenvergütung’ durch ‘monatliche Grundvergütung’ ersetzt.
…”
Die Beklagte vereinbarte mit den außertariflichen Mitarbeitern einzelvertraglich, dass die an sie gezahlte GIZ ebenfalls nicht ruhegeldfähig ist.
Am 13. Januar 2004 schloss die Beklagte mit dem Gesamtbetriebsrat “in Ergänzung … der Richtlinien für die Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung … vom 09.02.1989 …, der Betriebsvereinbarungen zur vorzeitigen Auflösung von Arbeitsverhältnissen: … 55er-Regelung vom 03.02.1999” eine “Änderungsbetriebsvereinbarung bezüglich des Vergütungstarifvertrages 2003”. Sie lautete auszugsweise:
Ҥ 1
Die Garantierte Individuelle Zulage im Sinne des Vergütungstarifvertrages vom 20.11.2003 ist kein Bestandteil des versorgungsfähigen Einkommens bzw. ruhegeldfähigen Diensteinkommens im Sinne der o. g. Betriebsvereinbarungen … in ihrer jeweiligen Fassung.
§ 2
Die Höhe der laufenden betrieblichen Altersversorgungsleistungen ist durch den Vergütungstarifvertrag vom 20.11.2003 nicht verändert worden, da die … ausschließlich maßgebliche Tabellenvergütung ebenfalls unverändert geblieben ist.
§ 3
Die Höhe des betrieblichen Ruhegeldes im Anschluss an die Zeit des Vorruhestandes ist durch den Vergütungstarifvertrag vom 20.11.2003 nicht verändert worden, da die Höhe des ruhegeldfähigen Diensteinkommens gemäß … § 7, b) der 55er Regelung … entsprechend der prozentualen Veränderung der Vergütungstabelle für Arbeitnehmer der Mitglieder der AGWE angepasst wird, diese jedoch unverändert geblieben ist. …”
Die Beklagte berücksichtigte die GIZ bei der Fortschreibung des ruhegeldfähigen Diensteinkommens des Klägers nicht.
Er hat die Auffassung vertreten, bei der Dynamisierung seines ruhegeldfähigen Diensteinkommens während der Frühpensionierung sei nach Nr. 7 Buchst. b der 55er-Regelung die GIZ zu berücksichtigen. Diese Vorschrift stelle nicht auf die Entwicklung des ruhegeldfähigen Diensteinkommens, sondern auf die Entwicklung der Vergütung aktiver Mitarbeiter ab. Die GIZ sei ein nicht ausgeklammerter Vergütungsbestandteil.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 782,18 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 111,74 Euro seit dem 1. November 2004, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 111,74 Euro seit dem 1. Dezember 2004, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 111,74 Euro seit dem 1. Januar 2005, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 111,74 Euro seit dem 1. Februar 2005, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 111,74 Euro seit dem 1. März 2005, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 111,74 Euro seit dem 1. April 2005, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 111,74 Euro seit dem 1. Mai 2005 zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sein ruhegeldfähiges Diensteinkommen entsprechend der erfolgten Vergütungsentwicklung für aktive Mitarbeiter unter Berücksichtigung der garantierten individuellen Zulage der aktiven Mitarbeiter anzupassen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, das ruhegeldfähige Diensteinkommen des Klägers während der Frühpensionierung richtig fortgeschrieben zu haben.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Beklagte hat die anzuwendenden Versorgungsregelungen richtig ausgelegt. Eine weitergehende Dynamisierung des ruhegeldfähigen Diensteinkommens während der Frühpensionierung kann der Kläger nicht verlangen.
I. Eigenständige Abreden zur Fortschreibung der Versorgungsanwartschaft während der Frühpensionierung sind im Aufhebungsvertrag vom 27. September 1999 nicht enthalten. In Nr. 7 des Aufhebungsvertrages vereinbarten die Parteien, dass sich die “nach Beendigung des Anspruchs auf Frühpensionierungsleistungen” zu zahlende Betriebsrente aus den “jeweils geltenden Richtlinien für die Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung” und aus der “Betriebsvereinbarung zur vorzeitigen Auflösung von Arbeitsverhältnissen (55er-Regelung) vom 03.02.1999” ergibt.
II. Weder die Ruhegeldrichtlinien noch die 55er-Regelung schreiben die vom Kläger geforderte Fortschreibung seines ruhegehaltsfähigen Diensteinkommens vor.
1. Die RGRL 89 regeln die Höhe der Betriebsrente für den Fall, dass der Versorgungsberechtigte bei der Beklagten wegen Eintritts eines Versorgungsfalles ausscheidet. § 4 Abs. 1 RGRL 89 bestimmt, dass es auf das “letzte nach § 5 ruhegeldfähige Diensteinkommen” ankommt. Für vorzeitig ausgeschiedene Arbeitnehmer gelten die gesetzlichen Unverfallbarkeitsvorschriften. Nach § 2 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG bleiben die nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis eintretenden Veränderungen der Bemessungsgrundlagen unberücksichtigt. Dieser Festschreibeeffekt (Veränderungssperre) führt dazu, dass sich spätere Erhöhungen des ruhegeldfähigen Diensteinkommens einschließlich der Einführung neuer Vergütungsbestandteile auf die Höhe der Versorgungsanwartschaft vorzeitig ausgeschiedener Arbeitnehmer nicht auswirken. Auch bei einer sog. Frühpensionierung wird das Arbeitsverhältnis vor Eintritt eines Versorgungsfalles und damit vorzeitig beendet. Die RGRL 89 enthalten für die Frühpensionierung keine von § 2 Abs. 5 BetrAVG abweichende Regelung.
2. Nr. 7 der 55er-Regelung beseitigt die betriebsrentenrechtlichen Nachteile einer Frühpensionierung nicht vollständig, sondern mildert sie lediglich ab. Die Sondervorschriften modifizieren die RGRL 89 und weichen zugunsten der Frühpensionäre vom Festschreibeeffekt des § 2 Abs. 5 BetrAVG ab.
a) Das ruhegeldfähige Diensteinkommen für die Ermittlung des betrieblichen Ruhegeldes wird nach Nr. 7 Buchst. a der 55er-Regelung “zum Zeitpunkt des Übertritts in die 55er-Regelung” festgelegt. Damit kommt es auf das zum Zeitpunkt der Frühpensionierung erreichte ruhegeldfähige Diensteinkommen an. Dieser Rechenschritt bei der Ermittlung der Vollrente stimmt mit § 2 Abs. 1 BetrAVG überein.
Welche Vergütungsbestandteile ruhegeldfähig sind, ist nicht in der 55er-Regelung festgelegt. Sie verweist insoweit im Einleitungssatz der Nr. 7 auf die Ruhegeldrichtlinien. Nach § 5 Abs. 1 RGRL 89 wird bei den tariflichen Mitarbeitern “die letzte tarifliche monatliche Tabellenvergütung einschließlich etwaiger persönlicher Zulagen, Familiengeld, Leistungszulagen, Wechselschichtzuschläge und noch bestehender Überstundenpauschalen” zugrunde gelegt. Bei allen “nicht tariflich erfassten Mitarbeitern” ist nach § 5 Abs. 2 RGRL 89 die “vertraglich festgesetzte außertarifliche Vergütung” ruhegeldfähig. Diese Vorschrift gilt für den Kläger als außertariflichen Angestellten.
b) In einem zweiten Rechenschritt wird das ruhegeldfähige Diensteinkommen während der Frühpensionierung “entsprechend der in dieser Zeit erfolgten Vergütungsentwicklung für aktive Mitarbeiter (prozentuale Veränderung der Vergütungstabelle für Arbeitnehmer der Mitglieder des Arbeitgeberverbandes von Gas-, Wasser- und Elektrizitätsunternehmungen e. V.)” angepasst (Nr. 7 Buchst. b RGRL 89). Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, im Klammerzusatz werde definiert, was unter Vergütungsentwicklung für aktive Mitarbeiter zu verstehen ist. Ebenso zutreffend hat es die GIZ bei der Fortschreibung des ruhegeldfähigen Diensteinkommens nicht berücksichtigt.
aa) Nr. 7 Buchst. b der 55er-Regelung lässt die auf Grund dieser Betriebsvereinbarung im Interesse des Unternehmens ausgeschiedenen Arbeitnehmer an der Dynamisierung der Versorgungsanwartschaft bis zum Eintritt in den “endgültigen Ruhestand” teilhaben. Im Klammerzusatz ist festgelegt, wie dies zu geschehen hat. Nach dem unmissverständlichen Wortlaut werden nicht alle Bestandteile des ruhegeldfähigen Diensteinkommens fiktiv fortgeschrieben. Für alle Angestellten, sowohl für die tariflichen als auch für die außertariflichen gilt ein einheitlicher Anpassungsmaßstab. Die Betriebspartner haben an die Entwicklung eines leicht feststellbaren, tariflich definierten Vergütungsbestandteils angeknüpft.
bb) Der Ausdruck “Vergütungstabelle” ist ein fest umrissener, in den einschlägigen Tarifverträgen verwandter Begriff. Gebrauchen die Betriebspartner in einer Betriebsvereinbarung einen Begriff, der allgemein in bestimmter Bedeutung angewandt wird, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie ihn gleichfalls in diesem Sinne verstanden haben (BAG 17. November 1998 – 1 AZR 221/98 – AP BetrVG 1972 § 77 Auslegung Nr. 6 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 101, zu 1 der Gründe). Tarifliche Ausdrücke werden in der Regel im Sinne der tariflichen Terminologie übernommen.
Nach § 16 Nr. 6 MTV AGWE sind die Vergütungstabellen Bestandteil des Vergütungstarifvertrags und diesem als Anlage beigefügt. Eine “prozentuale Veränderung der Vergütungstabelle” setzt voraus, dass die Vergütungserhöhung in das Zahlenwerk der Vergütungstabelle Eingang gefunden hat. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend nur auf die “tabellenwirksamen” Vergütungsbestandteile abgestellt.
cc) Die GIZ zählt nicht zur Tabellenvergütung. Nach § 1 Nr. 1 und § 2 VTV 03 handelt es sich um einen neuen Vergütungsbestandteil außerhalb der Vergütungstabelle.
Unerheblich ist es, dass nach dem am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen, durch § 2 Satz 1 VTV 03 eingefügten § 20 Nr. 8a Satz 2 MTV AGWE die GIZ ein Bestandteil der Grundvergütung ist. § 11 Nr. 1 MTV AGWE wurde zwar durch § 2 Satz 2 VTV 03 insoweit geändert, als sich die Höhe der Weihnachtsvergütung “für die R-Gruppe” nicht mehr nach der “monatlichen Tabellenvergütung”, sondern nach der “monatlichen Grundvergütung” richtet. Der Unterschied zwischen Grund- und Tabellenvergütung ist dadurch aber nicht aufgehoben worden. Auf die Grundvergütung kommt es nur dann an, wenn die anzuwendenden Regelungen auf sie abstellen. Nach wie vor handelt es sich bei der Tabellenvergütung und der Grundvergütung um unterschiedliche Begriffe. Die Tabellenvergütung ist ein Bestandteil der Grundvergütung. Nach § 20 Nr. 8 MTV AGWE ist die Grundvergütung der weitere Begriff. Den Betriebspartnern kann nicht unterstellt werden, dass ihnen der Unterschied zwischen Grundvergütung und Tabellenvergütung nicht bekannt war.
dd) Die Systematik und der Zweck der Regelung sprechen nicht für die vom Kläger geforderte erweiternde Auslegung, sondern für die vom Landesarbeitsgericht vertretene wortgetreue Auslegung.
(1) Nr. 7 Buchst. b der 55er-Regelung befasst sich mit der Fortschreibung des ruhegeldfähigen Diensteinkommens. Es ist folgerichtig und systemgerecht, dass die Anpassungsvorschrift nicht auf die Einführung und Entwicklung von Vergütungsbestandteilen abstellt, die nicht zum ruhegeldfähigen Diensteinkommen zählen. Die Dynamisierung des ruhegeldfähigen Diensteinkommens ist von einer Erweiterung dieses Berechnungsfaktors zu unterscheiden.
(2) Nr. 7 der 55er-Regelung enthält keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich das ruhegeldfähige Diensteinkommen der Frühpensionäre stärker erhöhen sollte als das ruhegeldfähige Diensteinkommen der bis zum Eintritt des Versorgungsfalles aktiven Arbeitnehmer. Dies würde über eine Beseitigung der Veränderungssperre und des Festschreibeeffekts hinausgehen. Insoweit würden für die vorzeitig ausgeschiedenen Frühpensionäre günstigere Bemessungsfaktoren gelten als für die bis zum Eintritt des Versorgungsfalles aktiven Arbeitnehmer. Eine derartige Vorschrift wäre ungewöhnlich. Sie bedürfte deutlicher Hinweise im Regelungswerk. Der Wortlaut der Vorschrift spricht sogar dagegen.
(3) Die vom Kläger geforderte Einbeziehung der nicht ruhegeldfähigen GIZ lässt sich auch nicht damit begründen, die 55er-Regelung habe den Arbeitnehmern einen Anreiz geben wollen, Aufhebungsverträge zu schließen und die Möglichkeit einer Frühpensionierung zu nutzen. Nicht alle Nachteile eines vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis wurden beseitigt. In welchem Umfang und durch welche Ausgleichsleistungen die Bereitschaft zu Frühpensionierungen gefördert werden sollte, ist den Vorschriften der 55er-Regelung zu entnehmen.
Die betriebsrentenrechtlichen Folgen des vorzeitigen Ausscheidens wurden lediglich abgemildert. Nach Nr. 7 Buchst. c der 55er-Regelung mussten die Frühpensionäre eine zeitanteilige Kürzung ihres Ruhegeldes hinnehmen. Zugunsten der Frühpensionäre wurde der Unverfallbarkeitsfaktor nur modifiziert. Die Abschläge in der gesetzlichen Rentenversicherung, die durch die Anhebung der Altersgrenze entstanden, wurden nicht ausgeglichen. In dem vom Kläger unterschriebenen Gesprächsvermerk vom 27. September 1999 wurde darauf hingewiesen, dass die Beklagte für mögliche Nachteile keinen Ausgleich oder Teilausgleich gewähre. Der begrenzten Anreizfunktion lässt sich eine dem Wortlaut und der Systematik der 55er-Regelung widersprechende partielle Besserstellung der Frühpensionäre gegenüber den weiterhin aktiven Arbeitnehmern nicht entnehmen.
ee) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht davon abgesehen, über die vom Kläger behauptete Entstehungsgeschichte der Nr. 7 der 55er-Regelung Beweis zu erheben. Auf sie kam es nicht an. Die Betriebspartner hatten sich vor Abschluss der 55er-Regelung nicht damit befasst, wie künftige, neu eingeführte, nicht ruhegehaltsfähige Vergütungsbestandteile bei der Fortschreibung des ruhegeldfähigen Diensteinkommens zu behandeln sind. Abgesehen davon, dass bereits Wortlaut und Systematik der Dynamisierungsregelung eine zweifelsfreie Auslegung ermöglichen, wäre durch die Einführung der GIZ allenfalls eine Regelungslücke und eine unklare Rechtslage entstanden.
Noch bestehende Unklarheiten konnten die Betriebspartner durch eine authentische Interpretation auch rückwirkend beseitigen (vgl. dazu BAG 28. Juli 2005 – 3 AZR 14/05 – BAGE 115, 304, zu B I 2a bb der Gründe mwN). § 3 der Betriebsvereinbarung vom 13. Januar 2004 sorgte für eine entsprechende Klarstellung. Selbst wenn es sich um eine inhaltliche Änderung gehandelt hätte, wäre der verfassungsrechtlich gebotene Rückwirkungsschutz beachtet. Eine rückwirkende Regelung verstößt nicht gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) folgenden Vertrauensgrundsatz, wenn es an einem schutzwürdigen Vertrauen in den Fortbestand der begünstigenden Rechtslage fehlt. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn die rückwirkende Norm der Beseitigung einer unklaren Rechtslage dient (BVerfG 5. August 1998 – 1 BvR 2250/95 – WM 1998, 2025, zu II 2a aa (1) der Gründe). Zumindest diese Voraussetzung ist erfüllt.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Zwanziger, Gerda Kanzleiter
Dr. Schmidt ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert.
Reinecke
Fundstellen
BB 2007, 2522 |
DB 2008, 536 |
DB 2008, 648 |
FA 2007, 384 |
NZA 2008, 133 |
AP, 0 |
EzA-SD 2007, 11 |