Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlerhafte Betriebsratsanhörung vor Kündigung

 

Orientierungssatz

1. Der Arbeitgeber muß dem Betriebsrat diejenigen Gründe mitteilen, die seiner Ansicht nach die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluß maßgebend gewesen sind. Der für die Kündigung maßgebende Sachverhalt ist unter Angabe der Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluß hergeleitet wird, so zu umschreiben, daß der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden.

2. Fehler bei der Willensbildung des Betriebsrats machen das Anhörungsverfahren nach § 102 Abs 1 BetrVG nicht unwirksam. Eine Ausnahme hiervon kann dann anzuerkennen sein, wenn die Mängel bei der Willensbildung des Betriebsrats durch ein unsachgemäßes Verhalten des Arbeitgebers veranlaßt worden sind.

 

Normenkette

BetrVG § 102

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 25.09.1987; Aktenzeichen 6 Sa 516/87)

ArbG Kassel (Entscheidung vom 12.03.1987; Aktenzeichen 4 Ca 73/87)

 

Tatbestand

Der Kläger ist seit dem 11. August 1986 bei der Beklagten als Metallarbeiter mit einem monatlichen Lohn von 2.340,-- DM brutto beschäftigt. Im Betrieb besteht ein fünfköpfiger Betriebsrat. Für das Arbeitsverhältnis gelten die Tarifverträge für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen.

Am 23. September 1986 wurde der Kläger schriftlich abgemahnt, weil er am 22. und 23. September 1986 unentschuldigt gefehlt habe. Mit Schreiben vom 21. Januar 1987, dem Kläger am 26. Januar 1987 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. Januar 1987. Die tarifliche Kündigungsfrist beträgt nach einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit bis zu einem Jahr eine Woche zum Wochenschluß (§ 21 Nr. 3 a Gemeinsamer MTV für Arbeiter und Angestellte in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen vom 16. Februar 1982).

Vor Ausspruch der Kündigung war dem Betriebsratsvorsitzenden K ein Anhörungsformular zugeleitet worden, in dem als Grund für die beabsichtigte ordentliche Kündigung "zu hohe Ausfallzeiten" des Klägers angegeben sind. Das Anhörungsformular trägt die Unterschrift des Betriebsratsvorsitzenden und das Datum vom 21. Januar 1987. Auf seiner Rückseite sind untereinander die Namen des Betriebsratsvorsitzenden sowie der Betriebsratsmitglieder W, B und O handschriftlich aufgeführt und mit einer Klammer versehen. Daneben befindet sich der ebenfalls handschriftliche Vermerk: Personalratssitzung vom 21. Januar 1987. Wie insoweit zwischen den Parteien unstreitig ist, hatte das Betriebsratsmitglied B an diesem Tag Spätschicht, während das Betriebsratsmitglied O wegen Erkrankung nicht im Betrieb anwesend war.

Mit der vorliegenden Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt. Er hat vorgetragen, vor Ausspruch der Kündigung sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden. Der Assistent der Personalleitung Kn habe das Anhörungsformular dem Betriebsratsvorsitzenden an dessen Arbeitsplatz übergeben. In seiner Gegenwart habe der Betriebsratsvorsitzende zunächst mit dem in der Nähe arbeitenden Betriebsratsmitglied W und dann mit dem Betriebsratsmitglied L kurz gesprochen. Danach habe er dem Assistenten das unterschriebene Anhörungsformular zurückgegeben. Mit den übrigen beiden Betriebsratsmitgliedern B und O habe er - wie unstreitig ist - nicht gesprochen. Damit sei für die Beklagte erkennbar gewesen, daß eine ordnungsgemäße Beschlußfassung durch den Betriebsrat nicht stattgefunden habe. Außerdem habe die Beklagte nicht alle für die Kündigung wesentlichen Gründe dem Betriebsrat mitgeteilt. Sie habe lediglich, wie im Anhörungsformular angegeben, pauschal "zu hohe Ausfallzeiten" als Kündigungsgrund mitgeteilt.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. festzustellen, daß das Arbeitsverhält-

nis des Klägers durch die Kündigung vom

21. Januar 1987 nicht aufgelöst wurde;

2. die Beklagte zur Weiterbeschäftigung

des Klägers bei unveränderten Arbeits-

bedingungen zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, der Kündigung sei eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats vorausgegangen. Ihr Personalleiter G habe den Betriebsratsvorsitzenden in das Personalbüro gebeten, ihm dort die Gründe für die beabsichtigte Kündigung mitgeteilt und das Anhörungsformular übergeben. Daraufhin habe der Betriebsratsvorsitzende das Personalbüro verlassen. Einige Zeit später sei er zurückgekehrt und habe dem Personalleiter den unterschriebenen Anhörungsbogen ausgehändigt. Damit habe er die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung vorbehaltlos bekundet.

Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung des Betriebsratsvorsitzenden und des Personalleiters als Zeugen über den Hergang des Anhörungsverfahrens die Klage abgewiesen.

Im Berufungsrechtszug hat die Beklagte ergänzend vorgetragen, der damals zur Ausbildung zum Personalkaufmann im Personalbüro beschäftigte Assistent Kn habe in dieser Angelegenheit keinerlei Kontakt zum Betriebsrat gehabt. Dem Personalleiter sei nicht bewußt gewesen, daß die Betriebsratsmitglieder B und O für die Spätschicht eingeteilt bzw. krank gewesen seien. Er habe dem Betriebsratsvorsitzenden gegenüber im Personalbüro die beabsichtigte Kündigung mit zu hohen Ausfall- und Krankheitszeiten des Klägers begründet. Er habe ihm die Personalakte des Klägers vorgelegt, in der sich auch die schriftliche Abmahnung vom 23. September 1986 befunden habe. Ferner habe er ihm Einblick in die Fehltagekarten gewährt. Danach habe der Kläger im Jahre 1986 fünf Fehltage, davon einen ohne Entschuldigung, sowie 33 Krankheitstage und im Januar 1987 15 Krankheitstage aufgewiesen.

Der Kläger hat erwidert, der Personalleiter habe im Zeitpunkt der Anhörung gewußt, daß und aus welchen Gründen die Betriebsratsmitglieder B und O nicht im Betrieb anwesend gewesen seien.

Das Landesarbeitsgericht hat nach Vernehmung des Betriebsratsmitglieds L und des Assistenten Kn sowie nochmaliger Vernehmung des Personalleiters als Zeugen die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 21. Januar 1987 erst mit Ablauf des 8. Februar 1987 aufgelöst worden ist.

Mit der durch Senatsbeschluß vom 17. März 1988 - 2 AZN 590/87 - zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die ordentliche Kündigung sei nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats unwirksam. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:

Inhalt und Umfang der dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungsgründe könnten hier das Anhörungsverfahren nicht fehlerhaft machen, weil sie im Ergebnis dem Betriebsrat für eine umgehende Zustimmung genügt hätten. Die in dem Anhörungsformular pauschal erwähnten "zu hohen Ausfallzeiten" seien zwar nicht näher konkretisiert worden, hätten aber nach den insoweit übereinstimmenden Aussagen der Zeugen K und L die Betriebsratsmitglieder nicht überrascht, die dem Kündigungswunsch ohne weiteres zugestimmt hätten. Deshalb könne es dahinstehen, ob der Personalleiter dem Betriebsratsvorsitzenden das Anhörungsschreiben übergeben und dabei zusätzlich die Gründe für die beabsichtigte Kündigung mündlich ausführlich erläutert habe.

Allerdings habe am 21. Januar 1987 eine ordnungsgemäße Betriebsratssitzung nicht stattgefunden. Nach den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen K und L seien die beiden anderen Betriebsratsmitglieder B und O wegen Spätschicht bzw. Krankheit nicht anwesend gewesen. Dieser Fehler sei der Beklagten jedoch nicht zuzurechnen, da sie ihn weder veranlaßt habe, noch habe erkennen können. Zwar habe der Zeuge K vor dem Arbeitsgericht bekundet, der kaufmännische Angestellte Kn habe ihm das Anhörungsformular an seinen Arbeitsplatz gebracht und einige Meter entfernt gestanden, als er, K, zuerst mit L und dann mit W gesprochen und nach ungefähr fünf bis sechs Minuten der Kündigung zugestimmt habe. Das Arbeitsgericht habe diese Aussage aber zutreffend als widerlegt angesehen. Dafür spreche einmal die Aussage des Zeugen G, er habe persönlich das Anhörungsschreiben dem Zeugen K in seinem Büro übergeben. Ferner habe der Zeuge Kn bekundet, er sei mit dem Anhörungsverfahren zur Kündigung des Klägers niemals befaßt gewesen. Dies habe der Zeuge auch in zwei eidesstattlichen Versicherungen erklärt. Gegen die Glaubwürdigkeit und das Erinnerungsvermögen des Zeugen K spreche schließlich, daß er auf die Rückseite des Anhörungsformulars die Namen der Betriebsräte K, W , B und O geschrieben habe, obwohl zumindest O an der Willensbildung unstreitig nicht beteiligt gewesen sei. Nach den weiteren Aussagen der Zeugen G, Kn und L sei für die Beklagte auch nicht erkennbar gewesen, daß eine Betriebsratssitzung nicht stattgefunden habe.

II. Diese Würdigung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG vor einer Kündigung auch dann anzuhören, wenn, wie im vorliegenden Falle, die beabsichtigte Kündigung innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG erklärt werden soll (BAGE 30, 386; 31, 1 und 31, 83 = AP Nr. 17, 18 und 19 zu § 102 BetrVG 1972). Auch soweit der Arbeitgeber dem Betriebsrat "die Gründe für die Kündigung" mitzuteilen hat, dürfen auch bei einer Kündigung in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses an die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers grundsätzlich keine geringeren Anforderungen gestellt werden als bei einer Kündigung, gegen die der Arbeitnehmer gemäß §§ 1 ff. KSchG geschützt ist (BAGE 30, 386, 390 ff. = AP, aaO, zu III der Gründe; BAGE 31, 1, 4 ff. = AP, aaO, zu II 2 der Gründe). Der Arbeitgeber muß dem Betriebsrat diejenigen Gründe mitteilen, die seiner Ansicht nach die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluß maßgebend gewesen sind (BAGE 44, 249, 257 = AP Nr. 30 zu § 102 BetrVG 1972, zu B I 1 der Gründe). Hierfür genügt es in der Regel nicht, die Kündigungsgründe nur pauschal, schlagwort- oder stichwortartig zu bezeichnen oder bloße Werturteile ohne Angabe der für die Bewertung maßgebenden Tatsachen anzugeben. Der für die Kündigung maßgebende Sachverhalt ist unter Angabe der Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluß hergeleitet wird, so zu umschreiben, daß der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden (BAGE 49, 136, 142 = AP Nr. 37 zu § 102 BetrVG 1972, zu II 1 a der Gründe, m.w.N.).

2. Vorliegend geht es nicht darum, daß die Beklagte dem Betriebsrat keine greifbaren und auf bestimmte Tatsachen gestützte Kündigungsgründe angeben konnte und wollte, weil sie keine Gründe hatte oder ihr Kündigungsentschluß allein von subjektiven, durch Tatsachen nicht belegbaren Vorstellungen bestimmt wurde. Die Beklagte hatte vielmehr, wie sich aus ihrem eigenen Sachvortrag insbesondere in der Berufungsinstanz ergibt, genaue Kenntnis von den Fehlzeiten des Klägers sowie von deren Anlaß und wollte die Kündigung auch hierauf sowie auf die schriftliche Abmahnung vom 23. September 1986 stützen. Dann war sie aber auch gehalten, den Betriebsrat nicht nur pauschal von "zu hohen Fehlzeiten" des Klägers, sondern von den konkreten Fehlzeiten und ihrem Anlaß sowie der Abmahnung zu unterrichten.

Dagegen mußte sie nicht, wie die Revision meint, auch Angaben über die betrieblichen Auswirkungen dieser Fehlzeiten und, soweit diese auf Krankheit beruhen, über deren Verhältnis zu den Ausfallzeiten anderer Arbeitnehmer im Betrieb machen. Denn auf diese weiteren Umstände hat sie die Kündigung nicht gestützt. Im Rahmen seiner Begründungspflicht nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG muß der Arbeitgeber nur die aus seiner subjektiven Sicht für die Kündigung maßgebenden Umstände mitteilen. Nur wenn er diese dem Betriebsrat vorher mitteilt, ist das Anhörungsverfahren unwirksam. Teilt er dagegen weitere Umstände nicht mit, weil er sie zunächst für unerheblich hält oder weil er auf sie die Kündigung zunächst nicht stützen will, so ist die Anhörung wirksam. Genießt der Arbeitnehmer den allgemeinen Kündigungsschutz nach §§ 1 ff. KSchG, so kann der Arbeitgeber diese Tatsachen im Kündigungsschutzprozeß allerdings nicht nachschieben. Reichen dann die ursprünglich dem Betriebsrat mitgeteilten Tatsachen zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung nicht aus, so berührt dies nicht die Ordnungsmäßigkeit der Anhörung, sondern führt zur Sozialwidrigkeit der Kündigung (Senatsurteile vom 12. April 1984 - 2 AZR 439/83 - und - 2 AZR 76/83 - sowie vom 18. September 1986 - 2 AZR 638/85 - nicht veröffentlicht). Fällt der Arbeitnehmer nicht unter das Kündigungsschutzgesetz, so bleibt die Vorenthaltung der weiteren Umstände folgenlos, weil für die Kündigung sachlich keine Gründe vorliegen müssen.

3. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall kann nicht abschließend beurteilt werden, ob die Beklagte ihrer Begründungspflicht nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nachgekommen ist.

a) Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob der Personalleiter der Beklagten, wie diese unter Beweisantritt vorgetragen hat, die im Anhörungsformular nur pauschal umschriebenen Ausfallzeiten dem Betriebsratsvorsitzenden durch Einsichtgewährung in die Personalakte und die Fehltagekarten des Klägers konkret mitgeteilt hat. Denn nach seiner Ansicht können Inhalt und Umfang der dem Betriebsrat mitgeteilten Gründe das Anhörungsverfahren nicht fehlerhaft machen, weil sie im Ergebnis dem Betriebsrat für eine umgehende Zustimmung genügt haben. Die Betriebsratsmitglieder seien nicht überrascht gewesen, sondern hätten dem Kündigungswunsch ohne weiteres zugestimmt.

b) Das Berufungsgericht hat damit, wie der Senat bereits in dem Zulassungsbeschluß vom 17. März 1988 ausgeführt hat, angenommen, die Anhörung des Betriebsrats sei auch bei pauschaler und damit unzureichender Unterrichtung von den Kündigungsgründen wirksam, wenn der Betriebsrat gleichwohl zustimme. Diese Ansicht widerspricht jedoch der Rechtsprechung des Senats. Danach ist die Kündigung unwirksam, wenn der Arbeitgeber seine Mitteilungspflicht verletzt, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob u n d w i e der Betriebsrat zu der mangelhaften Anhörung Stellung genommen hat (BAGE 49, 136, 142 = AP, aaO, zu II 1 a der Gründe). Es ist nicht auszuschließen, daß die Stellungnahme des Betriebsrats bei einer fehlerfreien und vollständigen Unterrichtung anders ausgefallen wäre, er insbesondere die Zustimmung zur Kündigung nicht erteilt und den Arbeitgeber von der Kündigung abgehalten hätte. Daraus folgt, daß eine fehlerhafte Anhörung auch nicht durch eine Zustimmung des Betriebsrats geheilt wird. Diese Ansicht steht auch nicht in Widerspruch zu dem Senatsurteil vom 16. März 1978 (BAGE 30, 176 = AP Nr. 15 zu § 102 BetrVG 1972), nach dem die Anhörung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung die Anhörung zu einer vorsorglich erklärten oder dahin umgedeuteten ordentlichen Kündigung ersetzt, wenn der Betriebsrat der außerordentlichen Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos zugestimmt hat. In jenem Rechtsstreit war der dem Betriebsrat mitgeteilte Sachverhalt identisch mit dem Sachverhalt, auf den der Arbeitgeber die ordentliche Kündigung gestützt hatte. Deshalb konnte bei dieser Sachlage von dem allgemeinen Erfahrungssatz ausgegangen werden, der Betriebsrat hätte auch einer ordentlichen Kündigung zugestimmt (Senatsurteil vom 9. Oktober 1986 - 2 AZR 649/85 - nicht veröffentlicht, zu III 1 a der Gründe).

c) Einer Mitteilung der konkreten Fehlzeiten, ihres Anlasses sowie des Abmahnungsschreibens der Beklagten hätte es nur dann nicht bedurft, wenn sie entweder dem Betriebsratsvorsitzenden oder allen Betriebsratsmitgliedern bei der Einleitung des Anhörungsverfahrens bereits bekannt gewesen wären (BAGE 49, 136, 143 ff. = AP, aaO, zu II 1 b und c, bb der Gründe). Dies hat das Berufungsgericht jedoch mit dem bloßen Hinweis, die Betriebsratsmitglieder seien von den im Anhörungsformular pauschal erwähnten zu hohen Ausfallzeiten "nicht überrascht" worden, nicht festgestellt.

4. Dieser Rechtsfehler des Berufungsgerichts nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht muß Gelegenheit erhalten, dem Vortrag der Beklagten zur Unterrichtung des Betriebsvorsitzenden über die konkreten Fehlzeiten des Klägers, deren Anlaß und das Abmahnungsschreiben der Beklagten nachzugehen. Entgegen der Ansicht der Revision kann nicht zugunsten des Klägers durcherkannt werden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

a) Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß am 21. Januar 1987 keine ordnungsgemäße Betriebsratssitzung stattgefunden habe. Der Personalleiter habe dem Betriebsratsvorsitzenden das Anhörungsformular im Personalbüro übergeben. Der Betriebsratsvorsitzende könne zehn bis 15 Minuten, aber auch ein bis zwei Stunden später mit dem Formular zurückgekommen und die Zustimmung des Betriebsrats überbracht haben. Der Personalleiter sei nach seiner Aussage mit Anwesenheitskontrollen nicht befaßt und habe deshalb nicht überblicken können, ob bis zur Rückkehr des Betriebsratsvorsitzenden mindestens drei Betriebsräte im Betrieb gewesen seien und der Betriebsrat damit überhaupt beschlußfähig gewesen sei.

b) An die tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gebunden (§ 561 Abs. 2 ZPO). Die gegen die Feststellungen zur Mitteilung der Kündigungsgründe von der Revision erhobene Rüge der Verletzung des § 286 Abs. 1 ZPO greift nicht durch. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob die Beweiswürdigung vollständig ist, ob sie gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt oder ob wesentliche Beweisantritte übergangen sind (BAGE 14, 206, 210 = AP Nr. 4 zu § 276 BGB Verschulden bei Vertragsabschluß, zu II der Gründe). Einer solchen Prüfung hält das Berufungsurteil stand. Das Berufungsgericht hat die einzelnen Zeugenaussagen sorgfältig gewürdigt und begründet, warum die Aussage des Zeugen K nicht glaubwürdig sei. Seine Beweiswürdigung ist möglich und in sich widerspruchsfrei. Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat gemäß § 565 a Satz 1 ZPO ab, zumal der Rechtsstreit ohnehin zurückverwiesen werden muß.

c) Nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt scheitert die Anhörung des Betriebsrats nicht daran, daß er nicht, wie nach § 29 Abs. 2, § 33 BetrVG vorgeschrieben, in einer ordnungsgemäß einberufenen Sitzung beraten und entschieden hat. Fehler bei der Willensbildung des Betriebsrats machen das Anhörungsverfahren nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht unwirksam. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitgeber weiß oder vermuten kann, daß das Verfahren des Betriebsrats nicht fehlerfrei verlaufen ist (BAGE 27, 209, 216 = AP Nr. 4 zu § 102 BetrVG 1972, zu III 4 der Gründe; Senatsurteil vom 2. April 1974 - 2 AZR 513/73 - AP Nr. 9 zu § 102 BetrVG 1972, zu I 2 der Gründe). Eine Ausnahme hiervon kann dann anzuerkennen sein, wenn die Mängel bei der Willensbildung des Betriebsrats durch ein unsachgemäßes Verhalten des Arbeitgebers veranlaßt worden sind (BAGE 27, 209, 217 = AP Nr. 4, aaO, zu III 6 der Gründe; Senatsurteil vom 2. April 1974, aaO, zu I 4 der Gründe). Wie in den dortigen Fällen bedarf es aber auch vorliegend keiner abschließenden Beantwortung dieser Frage. Nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt hat der Personalleiter den Betriebsratsvorsitzenden nicht gedrängt, sofort oder alsbald auf die Mitteilung der Kündigungsabsicht hin eine Stellungnahme abzugeben. Das von dem Betriebsratsvorsitzenden geübte Verfahren, lediglich die zwei im Betrieb anwesenden Betriebsratsmitglieder getrennt voneinander mit der Angelegenheit zu befassen, beruht auf dem eigenen Entschluß des Betriebsratsvorsitzenden. Es muß deshalb für die Frage der ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats außer Betracht bleiben. Ob der Personalleiter vermuten konnte, daß keine ordnungsgemäße Betriebsratssitzung stattgefunden hatte, wenn der Betriebsratsvorsitzende bereits nach zehn oder 15 Minuten in das Personalbüro zurückgekehrt sein sollte, ist unerheblich.

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Fundstellen

Dokument-Index HI437582

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