Entscheidungsstichwort (Thema)
Abwicklung nach Einigungsvertrag. Gästeheim des Ministerrats
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 13, 20 Abs. 1; GG Art. 12
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 9. Februar 1993 – 1 Sa 363/92 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 4. Mai 1992 – 1 Ca 7942/91 – abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag (EV) in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 Sätze 2 und 5 (im folgenden Nr. 1 Abs. 2 EV) in der Zeit vom 1. Januar 1991 bis zum 30. Juni 1991 geruht und mit Ablauf des Ruhenszeitraumes geendet hat. Darüber hinaus begehrt die Klägerin Zahlung der Vergütungsdifferenz für die Dauer des Ruhenszeitraumes.
Die im Jahre 1953 geborene Klägerin war seit dem 1. März 1975 als Patissier im „Gästeheim des Ministerrats” in L. beschäftigt. Dieses Gästeheim unterstand bis zum 2. Oktober 1990 dem Amt des Ministerpräsidenten der DDR und diente vorwiegend dem Zweck, daß Funktionäre der ehemaligen DDR mit ihren Familien dort Urlaub verbringen konnten.
Nachdem die Entscheidung über den Eintritt des Ruhens der Arbeitsverhältnisse gemäß der Fußnote 2 zu Nr. 1 Abs. 2 EV bis zum 31. Dezember 1990 hinausgeschoben worden war, entschied der Bundesminister der Finanzen mit Erlaß vom 11. Dezember 1990, die Einrichtung nicht in die Verwaltung des Bundes zu überführen. Weiter heißt es in dem Erlaß:
„Es ist beabsichtigt, die Einrichtungen in geeigneter Weise wirtschaftlich zu verwerten.
Um dieses Ziel nicht zu beeinträchtigen, wird es im Interesse eines kontinuierlichen Übergangs notwendig sein, bis zum Zeitpunkt einer wirtschaftlichen Verwertung Arbeitskräfte vorübergehend zu beschäftigen.”
Mit der Durchführung der Verwertung wurde die Oberfinanzdirektion Berlin beauftragt. Diese teilte der Klägerin mit Schreiben vom 14. Dezember 1990 mit, daß ihre Beschäftigungseinrichtung nicht weitergeführt werde und das Arbeitsverhältnis deshalb mit Wirkung ab 1. Januar 1991 ruhe und zum 30. Juni 1991 ende. Die Beklagte bemühte sich um eine Veräußerung des Objekts zu angemessenen Bedingungen. Um einen Geschäftsbetrieb als Hotel „Haus am See” bis zu diesem Zeitpunkt aufrechterhalten zu können, wurden mit 40 der 49 Beschäftigten bis zum 30. Juni 1991 befristete Arbeitsverträge abgeschlossen, die mehrfach, zuletzt bis zum 31. Dezember 1992, verlängert wurden. Ab dem 1. Januar 1993 ist der Betrieb verpachtet und wird von dem Pächter als Hotel weitergeführt.
Die Klägerin, die seit dem 1. Januar 1991 nicht mehr beschäftigt wurde, hat mit ihrer Klage geltend gemacht, die Beklagte habe den Hotelbetrieb nicht aufgelöst, sondern tatsächlich überführt. Die Einrichtung sei erhalten geblieben und weiterbetrieben worden, so daß das Arbeitsverhältnis nicht geruht und nicht geendet habe. Deshalb schulde die Beklagte die Vergütungsdifferenz zwischen tatsächlich gezahltem Wartegeld und vertraglichem Entgelt.
Die Klägerin hat – soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung – beantragt
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 30. Juni 1991 hinaus fortbestehe,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.660,40 DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, das Arbeitsverhältnis habe mangels einer positiven Überführungsentscheidung geruht und nach Ablauf von sechs Monaten geendet. Die Aufgaben und Ziele des „Gästeheims” seien vom Bund nicht übernommen oder weiterverfolgt worden. Es sei die Übernahme des Hotelbetriebes durch einen privaten Träger angestrebt worden. Die befristete Einstellung früherer Mitarbeiter habe der vorgesehenen Übertragung auf einen privaten Unternehmer im Rahmen der Grundsätze des Haushaltsrechts gedient. Diese Verwertungsmöglichkeit habe nicht kurzfristig realisiert werden können. Zeitliche Grenzen für die Abwicklung seien im Einigungsvertrag jedoch nicht vorgesehen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klage ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat gemäß Art. 20 Abs. 1 EV in Verbindung mit Nr. 1 Abs. 2 Sätze 2 und 5 EV in der Zeit vom 1. Januar 1991 bis zum 30. Juni 1991 geruht und mit Ablauf dieser Frist geendet. Die Klägerin gehörte zu den „übrigen Arbeitnehmern” der öffentlichen Verwaltung der DDR im Sinne von Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 EV, deren Arbeitsverhältnisse wegen unterbliebener Überführung ihrer Beschäftigungseinrichtung kraft Gesetzes ruhten und endeten.
I. Wurde bis zu dem nach dem Einigungsvertrag vorgesehenen letztmöglichen Zeitpunkt keine positive, ggf. auch konkludente Überführungsentscheidung getroffen, trat kraft Gesetzes die Auflösung der Einrichtung oder der nicht überführten Teile ein. Wurde ein überführungsfähiger Teil überführt, erfaßte die Abwicklung den Rest der früheren Gesamteinrichtung. Die Abwicklung diente der Umsetzung dieser Auflösung und war auf die Liquidation der Einrichtung oder der nicht überführten Teile gerichtet. Mit dem Eintritt der Abwicklung war kraft Gesetzes das Ruhen der Arbeitsverhältnisse gemäß Nr. 1 Abs. 2 EV verbunden. Der Übergang eines aktiven Arbeitsverhältnisses konnte nur als gesetzliche Folge der Überführung der Beschäftigungseinrichtung eintreten (BAG Urteil vom 3. September 1992 – 8 AZR 45/92 – AP Nr. 1 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Die Überführung einer Einrichtung oder Teileinrichtung gem. Art. 13 EV bedurfte einer auf den verwaltungsinternen Bereich zielenden Organisationsentscheidung der zuständigen Stelle. Die Überführungsentscheidung war mangels außenwirksamer Regelung kein Verwaltungsakt (BAG, a.a.O.; BVerwG Urteil vom 12. Juni 1992 – 7 C 5/92 – ZIP 1992, 1275). Eine Einrichtung oder Teileinrichtung wurde im Sinne von Art. 13 EV überführt, wenn der Träger öffentlicher Verwaltung die (Teil-)Einrichtung unverändert fortführte oder er sie unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sächlichen Mitteln in die neue Verwaltung eingliederte (BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die Überführung erforderte nicht nur die vorübergehende, sondern eine auf Dauer angelegte Fortsetzung der Verwaltungstätigkeit. Wurde die (Teil-)Einrichtung nur vorläufig mit dem Ziele der Auflösung fortgeführt, lag hierin keine Überführung im Sinne von Art. 13 EV (BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 –, a.a.O.).
Die ruhenden Arbeitsverhältnisse endeten kraft Gesetzes nach Ablauf von sechs bzw. neun Monaten Wartezeit, wenn nicht der einzelne Arbeitnehmerweiterverwendet wurde. Macht ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR geltend, sein Arbeitsverhältnis sei gem. Nr. 1 Abs. 2 Satz 1 EV auf die Bundesrepublik Deutschland oder nach Nr. 1 Abs. 3 EV auf ein Bundesland übergegangen und bestehe als aktives fort, hat er die Überführung seiner Beschäftigungs(teil-)einrichtung darzulegen und ggf. zu beweisen (BAG Urteil vom 15. Oktober 1992 – 8 AZR 145/92 – AP Nr. 2 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
II. Die Beklagte hat das Gästeheim des Ministerrats weder durch ausdrückliche noch durch konkludente Entscheidung gemäß Art. 13 EV in ihre Trägerschaft überführt.
1. Die Beklagte hat am 11. Dezember 1990 ausdrücklich und uneingeschränkt entschieden, die Einrichtung nicht in ihre Verwaltung oder auf einen anderen Hoheitsträger zu überführen. Eine spätere ausdrückliche oder konkludente Überführungsentscheidung einer zuständigen Stelle der Beklagten ist nicht festgestellt worden.
2. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe das Gästeheim überführt, beruht auf einer Fehlinterpretation des Rechtsbegriffs „Überführung”.
Die Regelungen des Einigungsvertrages machten es nicht erforderlich, die nicht zu überführenden Einrichtungen der ehemaligen DDR am 3. Oktober 1990 oder spätestens am 2. Januar 1991 zu schließen. Vielmehr war gemäß Art. 13 EV auch die Abwicklung „zu regeln”. Damit entsprach der Einigungsvertrag der Notwendigkeit einer geordneten „Liquidation” der nicht zu überführenden Einrichtungen. Dementsprechend lag, wie schon mit BAG Urteil vom 28. Januar 1993 (– 8 AZR 169/92 –, a.a.O.) entschieden, keine Überführung im Sinne von Art. 13 EV vor, wenn eine Einrichtung nur vorläufig mit dem Ziele der Auflösung fortgeführt wurde. Die Überführung setzte vielmehr voraus, daß die Einrichtung unverändert fortgeführt oder unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sächlichen Mitteln in die neue Verwaltung eingegliedert wurde. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1991 (BVerfGE 84, 133, 151 = AP Nr. 70 zu Art. 12 GG, zu C III 3 b der Gründe) schloß die Überleitung auf einen anderen Hoheitsträger die Annahme der Abwicklung aus, wenn die Einrichtung tatsächlich erhalten blieb. Hingegen lag eine geregelte Abwicklung vor, wenn die Tätigkeit geordnet zu Ende geführt wurde.
Die Entscheidung des Trägers öffentlicher Verwaltung, die Organisationseinheit der DDR-Verwaltung nicht im Rahmen der öffentlichen Verwaltung fortzuführen, sondern das Objekt entgeltlich einem privaten Träger zu überlassen und dadurch wirtschaftlich zu verwerten, bewirkte folglich keine Überführung in öffentliche Verwaltung. Das ergibt sich auch aus Nr. 6 des bei Unterzeichnung des Einigungsvertrages vereinbarten Protokolls, welches nach Art. 1 des Einigungsvertragsgesetzes vom 23. September 1990 (BGBl. II S. 885) Gesetzeskraft hat. Danach mußten Einrichtungen oder Teileinrichtungen, die bis zum Wirksamwerden des Beitritts Aufgaben erfüllten, die künftig nicht mehr von der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen werden sollten, im Sinne des Einigungsvertrages abgewickelt werden. Die „Privatisierung” einer Einrichtung der DDR-Verwaltung war somit ungeachtet ihres realen Fortbestehens keine Überführung im Sinne von Art. 13, 20 EV (Senatsurteile vom 9. Juni 1993 – 8 AZR 524/92 – n.v., zu II 2 der Gründe; vom 9. Juni 1993 – 8 AZR 535/92 – n.v., zu A II 2 der Gründe; vom 26. August 1993 – 8 AZR 257/92 – n.v., zu II 1 der Gründe; vom 26. August 1993 – 8 AZR 249/92 – n.v., zu III 1 der Gründe; vom 23. September 1993 – 8 AZR 336/92 – n.v., zu B II 2 der Gründe; vom 21. Juli 1994 – 8 AZR 79/93 – n.v., zu B II 2 der Gründe).
Die Bestimmungen des Einigungsvertrags und des Protokolls verstoßen in dieser Auslegung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen Art. 12 GG. Die das Erfordernis individueller Kündigungen beseitigende Regelung der Abwicklung in Nr. 1 Abs. 2 EV dient dem Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes (BVerfGE 84, 133, 151 = AP Nr. 70 zu Art. 12 GG, zu C III 3 c der Gründe) und stellt einen verhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes dar. Durch den Vollzug dieser besonderen Regelung wurden deshalb die allgemeinen Kündigungsvorschriften nicht umgangen. Im übrigen war der Bestand der Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst der DDR bereits vor dem Wirksamwerden des Beitritts nicht mehr ungefährdet (vgl. Senatsurteil vom 9. Juni 1993 – 8 AZR 616/92 – n.v., zu II 2 der Gründe).
3. Damit folgte weder aus dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 11. Dezember 1990 noch aus seiner tatsächlichen Umsetzung eine Überführungsentscheidung im Sinne von Art. 13 EV. Durch den der Oberfinanzdirektion Berlin erteilten Auftrag, das Gästeheim baldmöglichst wirtschaftlich zu verwerten, wurde dementsprechend das Abwicklungsverfahren eingeleitet. Daß der Bundesminister der Finanzen für die Übertragung auf Dritte keinen bestimmten Zeitpunkt bezeichnen konnte, versteht sich wegen der Notwendigkeit, geeignete private Vertragspartner zu finden, von selbst und begründet keine auch nur vorläufige Eingliederung der Einrichtung in die öffentliche Verwaltung.
4. Darüber hinaus stand einer Überführung des „Gästeheims des Ministerrats” der Fortfall von dessen bisheriger Aufgabenstellung entgegen. Die Funktionen der Nutznießer der Einrichtung waren spätestens mit dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland entfallen. Dies wird vom Berufungsgericht unzutreffend gewürdigt, wenn es annimmt, die Beklagte habe die Aufgaben der übernommenen Einrichtung tatsächlich weiterhin wahrgenommen. Der Zweck des Gästeheims bestand nicht lediglich in der Beherbergung und Bewirtung irgendwelcher Gäste. Er konnte nach der Abschaffung der Nomenklaturkader nicht weiterverfolgt werden. Ein Hotel ist nicht das gleiche wie die „Versorgungseinrichtung der Privilegierten der DDR”.
III. Als gesetzliche Folge der unterlassenen Überführung trat am 1. Januar 1991 das Ruhen des Arbeitsverhältnisses der Klägerin ein. Weil es zu keiner Weiterverwendung kam, endete das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des gesetzlichen Ruhenszeitraumes von sechs Monaten (Nr. 1 Abs. 2 Satz 5, 1. Halbsatz EV).
IV. Die Frage, ob die Beklagte die im Rahmen der Abwicklung vorläufig beschäftigten Arbeitnehmer nach rechtlich vertretbaren Gesichtspunkten ausgewählt hat, ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich. Eine fehlerhafte Auswahl hätte allenfalls einen Einstellungs-, Weiterverwendungs- oder Schadensersatzanspruch der Klägerin begründet, die kraft Gesetzes eingetretenen Folgen der Abwicklung jedoch unberührt gelassen (vgl. nur Senatsurteile vom 9. Juni 1993 – 8 AZR 616/92 – n.v., zu IV der Gründe; vom 23. September 1993 – 8 AZR 336/92 – n.v., zu B II 4 der Gründe; vom 21. Juli 1994 – 8 AZR 79/93 – n.v., zu B II 5 der Gründe).
V. Der Klägerin steht der geltend gemachte Vergütungsanspruch nicht zu, denn während des Ruhens des Arbeitsverhältnisses war ihr lediglich das Wartegeld zu zahlen.
VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Wittek, Müller-Glöge, Mikosch, Fox, Morsch
Fundstellen