Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifvertragliche Altersgrenze bei Piloten. Tarifautonomie. Schutzpflicht des Staates für Grundrechte. arbeitsgerichtliche Befristungskontrolle
Orientierungssatz
1. Die Mitglieder der Tarifvertragsparteien unterwerfen sich durch ihren privatautonomen Verbandsbeitritt bestehendem und künftigem Tarifrecht auch hinsichtlich der damit verbundenen Beschränkungen der Berufsfreiheit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die Parteien eines Arbeitsverhältnisses verfügen auch dann über ihre Rechte aus Art. 12 Abs. 1 GG im Wege einer privatautonomen Regelung, wenn sie eine tarifliche Altersgrenze einzelvertraglich in Bezug nehmen.
2. Die aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht verpflichtet die staatlichen Grundrechtsadressaten und damit auch die Gerichte, die Arbeitnehmer vor einer unverhältnismäßigen Beschränkung des Bestandsschutzes durch privatautonome Regelungen zu bewahren.
3. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle schützen die Arbeitnehmer vor einem grundlosen, den staatlichen Kündigungs- und Befristungsschutz umgehenden Verlust des Arbeitsplatzes.
4. Genügt ein tarifvertraglich geregelter Sachgrund den Maßstäben der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle, wird das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht unangemessen eingeschränkt. Das gilt auch für die in § 19 MTV-Bordpersonal CF normierte Altersgrenze von 60 Jahren.
Normenkette
Manteltarifvertrag Nr. 5 für das Bordpersonal der Condor Flugdienst GmbH (MTV-Bordpersonal CF) § 19 Abs. 1; Betriebsordnung für Luftfahrtgerät § 41 Abs. 1 S. 2; GG Art. 1 Abs. 3, Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 05.04.2001; Aktenzeichen 5 Sa 1820/00) |
ArbG Darmstadt (Urteil vom 28.09.2000; Aktenzeichen 10 Ca 214/00) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 5. April 2001 – 5 Sa 1820/00 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis auf Grund einer tarifvertraglichen Altersgrenzenregelung am 31. März 2000 geendet hat.
Der am 24. März 1940 geborene Kläger ist seit 1989 als Flugzeugführer bei der beklagten Luftfahrtgesellschaft bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft arbeitsvertraglicher Inbezugnahme die für die Beklagte geltenden Haustarifverträge Anwendung, darunter der Manteltarifvertrag Nr. 5 für das Bordpersonal der C GmbH (nachfolgend: MTV).
Nach § 19 Abs. 1 MTV endet das Arbeitsverhältnis – ohne das es einer Kündigung bedarf – mit Ablauf des Monats, in dem der Mitarbeiter das 60. Lebensjahr vollendet.
Am 1. März 2000 verlangte der Kläger von der Beklagten vergeblich die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über die Vollendung des 60. Lebensjahres hinaus.
Mit der am 17. April 2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der tarifvertraglichen Altersgrenzenregelung sowie den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses über den 31. März 2000 hinaus geltend gemacht.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch über den 31. März 2000 hinaus unverändert fortbesteht und nicht auf Grund der Erreichung der Altersgrenze des Klägers (Vollendung des 60. Lebensjahres) aufgelöst ist,
- die Beklagte zu verurteilen, den Kläger auch über den 31. März 2000 hinaus als Flugkapitän tatsächlich zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Altersgrenzenregelung im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für wirksam erachtet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat auf Grund der wirksamen tarifvertraglichen Altersgrenzenregelung am 31. März 2000 geendet. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung fiel dem Senat nicht zur Entscheidung an.
A. Der Feststellungsantrag ist zulässig. Bei dessen sachgerechter Auslegung handelt es sich ausschließlich um eine Entfristungsklage iSv. § 1 Abs. 5 Satz 1 BeschFG (in der vom 1. Oktober 1996 bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung; jetzt § 17 Satz 1 TzBfG). Der Kläger begehrt die dort vorgesehene gerichtliche Feststellung, sein Arbeitsverhältnis habe nicht auf Grund der in § 19 MTV vorgeschriebenen Altersgrenze am 31. März 2000 geendet.
B. Der Feststellungsantrag des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat gem. § 19 MTV am 31. März 2000 geendet. Diese Tarifnorm wird den Anforderungen einer arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle gerecht und verstößt deswegen nicht gegen Art. 12 GG.
I. Für die Altersgrenze in § 19 MTV besteht ein sachlicher Grund.
1. Eine tarifliche Altersgrenze von 60 Jahren für die Angehörigen des Bordpersonals ist als Sachgrund nicht zu beanstanden. Die Regelung geht zurück auf medizinische Erfahrungswerte, nach denen Flugzeugführer überdurchschnittlichen psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt sind, in deren Gefolge das Risiko altersbedingter Ausfallerscheinungen und unerwarteter Fehlreaktionen zunimmt. Damit sichert die Altersgrenze eine ordnungsgemäße Erfüllung der Berufstätigkeit und dient darüber hinaus auch dem Schutz von Leben und Gesundheit der Besatzungsmitglieder und Passagiere. Dabei handelt es sich um unmittelbare Interessen der Tarifvertragsparteien und nicht um ein unzulässiges Drittinteresse. So gehört es zu dem ureigensten Interesse eines Luftfahrtunternehmens, Leben und Gesundheit des Flugpersonals und seiner Kunden vor Gefahren zu schützen, die von einem nachlassenden Leistungsvermögen der von ihm eingesetzten Arbeitnehmer ausgehen können (BAG 12. Februar 1992 – 7 AZR 100/91 – AP BGB § 620 Altersgrenze Nr. 5 = EzA BGB § 620 Altersgrenze Nr. 2, zu III 2 c aa der Gründe).
2. Nach den mit zulässigen Revisionsrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts haben sich die Verhältnisse, auf denen die Annahme der Tarifvertragsparteien zur Altersgrenze für das Cockpitpersonal beruht, nicht grundlegend geändert. Zwar findet § 41 Abs. 1 Satz 2 der Betriebsordnung für Luftfahrtgerät vom 4. März 1970 seit dem 1. September 1998 auf den Betrieb von Großflugzeugen keine Anwendung mehr (BAG 23. Januar 2002 – 7 AZR 586/00 – AP BGB § 620 Altersgrenze Nr. 16 = EzA BGB § 620 Altersgrenze Nr. 10, zu B I 2 b der Gründe). Diese Entwicklung ist für die Bewertung der Altersgrenze von 60 Jahren als Sachgrund jedoch nicht maßgeblich, zumal die internationalen Vereinbarungen im Flugverkehr weiterhin Einschränkungen beim Einsatz von Cockpitpersonal vorsehen. So ist im Entwurf der noch nicht in Kraft getretenen JAR-FCL (Joint Aviation Requirements-Flight Crew Licensing) vorgeschrieben, daß der Inhaber einer Pilotenlizens nach Vollendung des 60. Lebensjahres nicht mehr als Pilot von Flugzeugen bei der gewerbsmäßigen Beförderung eingesetzt werden darf, es sei denn, er ist Mitglied einer Flugbesatzung, die aus mehreren Piloten besteht, und die anderen Piloten haben das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet. Es ist somit nicht ersichtlich, daß der für diese Altersgrenze maßgebliche Sachgrund, ein mit 60 Jahren typischerweise nachlassendes Leistungsvermögen, nicht mehr vorliegt, weil die zugrundeliegenden medizinischen Erkenntnisse infolge einer grundlegenden Neubewertung nicht mehr aufrecht zu erhalten sind.
3. Tarifvertragliche Altersgrenzen, die den Anforderungen der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle genügen, sind entgegen der Auffassung der Revision mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Eine Überprüfung tariflicher Normen findet nämlich nicht nach den Maßstäben verfassungsgerichtlicher Kontrolle von die Berufsfreiheit einschränkenden Gesetzen statt. Das übersieht die Revision.
a) Führt eine Regelung wie die vorliegende tarifliche Altersgrenze unabhängig von dem Willen des Arbeitnehmers zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses, beschränkt sie ihn in seiner arbeitsplatzbezogenen Berufswahlfreiheit. Das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG schützt den Einzelnen nicht nur darin, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in einem gewählten Beruf zu ergreifen, sondern auch in seinem Willen, diese Beschäftigung beizubehalten oder aufzugeben. Allerdings schützt das Grundrecht nur gegen staatliche Maßnahmen, die diese Freiheit beschränken (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG). Einen unmittelbaren Schutz gegen den Verlust eines Arbeitsplatzes auf Grund privater Dispositionen gewährt das Grundrecht dagegen nicht (BVerfG 24. April 1991 – 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133 = AP GG Art. 12 Nr. 70, zu C III 1 der Gründe). Das gilt auch für Tarifnormen. Sie beruhen auf kollektiv ausgeübter Privatautonomie, nachdem Tarifvertragsparteien ihr Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG wahrgenommen und Regelungen zu bestimmten Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geschaffen haben. Dazu gehören auch Normen, die einen Sachgrund für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ohne Ausspruch einer Kündigung regeln und damit eine von § 620 BGB zugelassene Gestaltungsmöglichkeit von Arbeitsverhältnissen konkretisieren. Die Geltung dieser Normen beruht auf dem privatautonomen Verbandsbeitritt ihrer Mitglieder. Mit der Wahrnehmung ihres Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG unterwerfen sie sich bestehendem und künftigem Tarifrecht. Das gilt auch hinsichtlich der mit der Regelung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen typischerweise verbundenen Beschränkungen der Berufsfreiheit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern (BAG 25. Februar 1998 – 7 AZR 641/96 – BAGE 88, 118 = AP TVG § 1 Tarifverträge: Luftfahrt Nr. 11, zu 3 a der Gründe).
b) Mit dem privatautonomen Entschluß, einem der tarifvertragsschließenden Verbände beizutreten oder das Arbeitsverhältnis einzelvertraglich geltendem und künftigem Tarifrecht zu unterwerfen, ist aber nicht der Verlust jeglichen Grundrechtsschutzes verbunden. Denn nach Art. 1 Abs. 3 GG sind auch staatliche Grundrechtsadressaten dazu verpflichtet, einzelne Grundrechtsträger vor einer unverhältnismäßigen Beschränkung ihrer Grundrechte durch privatautonome Regelungen zu bewahren. Zu den staatlichen Grundrechtsadressaten gehört zunächst der Gesetzgeber selbst. Er hat für den Bereich der Beendigung von Arbeitsverhältnissen einer aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Schutzpflicht durch den Erlaß von Kündigungsschutzvorschriften genügt und damit ein bestimmtes Maß an Arbeitsplatzschutz vorgegeben. Seit dem 1. Januar 2001 hat er diesen Arbeitsplatzschutz auf die Befristung von Arbeitsverträgen ausgedehnt und deren Zulässigkeit in dem Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge vom 21. Dezember 2000 festgelegt. Die Kontrolle der bis zu diesem Zeitpunkt tariflich oder vertraglich vereinbarten Befristungen von Arbeitsverhältnissen gehört zu den Schutzpflichten, die den Gerichten für Arbeitssachen als weitere Grundrechtsadressaten nach Art. 1 Abs. 3 GG obliegt. Durch diese arbeitsgerichtliche Befristungskontrolle ist der Arbeitnehmer vor einem grundlosen, den staatlichen Kündigungs- und Befristungsschutz umgehenden Verlust des Arbeitsplatzes zu schützen. Erweist sich die tarifvertragliche Befristung eines Arbeitsverhältnisses im Rahmen dieser Kontrolle als sachgrundlos, stellt sie gleichzeitig eine unangemessene Einschränkung der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit des Arbeitnehmers dar. Genügt ein tarifvertraglich vorgeschriebener Sachgrund den Maßstäben der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle, wird das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG dadurch nicht unangemessen eingeschränkt.
c) Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt die Altersgrenze des § 19 MTV kraft einzelvertraglicher Bezugnahme. Daraus folgt jedoch keine Besonderheit bei der Grundrechtskontrolle. Denn die Arbeitsvertragsparteien haben damit über ihre Grundrechte im Wege einer privatautonomen Regelung verfügt und geregelt, daß zwischen ihnen die gleiche Rechtslage wie bei den tarifgebundenen Parteien gelten soll (vgl. BAG 25. Februar 1998 – 7 AZR 641/96 – BAGE 88, 118 = AP TVG § 1 Tarifverträge: Luftfahrt Nr. 11, zu 3 c der Gründe).
II. Auf die Vereinbarkeit der tarifvertraglichen Altersgrenze in § 19 MTV mit der Richtlinie 2000/78/EG des Rates der Europäischen Union vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf kommt es für die vorliegende Entscheidung nicht an, da diese Richtlinie erst am 2. Dezember 2000 und damit acht Monate nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien in Kraft getreten ist.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dörner, Gräfl, Pods, Zumpe, Olga Berger
Fundstellen
Haufe-Index 918015 |
DB 2003, 1000 |
FA 2003, 224 |
NZA 2003, 812 |
SAE 2003, 323 |
ZTR 2003, 402 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 16 |
EzA |
SPA 2003, 3 |